Ökonom Truger: „Ich halte das Milliardenpaket für einen Befreiungsschlag“
Deutschland will Milliarden für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz ausgeben. Was sagt der deutsche Ökonom und Wirtschaftsweise Achim Truger dazu?
Dienstag, 16 Uhr, das Gespräch beginnt, die Laptop-Kamera hakt noch. In diesem Moment wird das Abstimmungsergebnis über das Hunderte Milliarden Euro schwere Investitionspaket im Bundestag publik. „So, was steht hier? Mal kurz gucken“, sind die ersten Worte von Achim Truger. Der Ökonom scheint am Bildschirm auf. „512 Ja-Stimmen, 206 Nein-Stimmen. Es ist durch.“
Herr Truger, Sie sind seit Langem gegen die Schuldenbremse und für mehr Investitionen. Verspüren Sie angesichts der aktuellen Entwicklungen Genugtuung?
Achim Truger
Ja, manchmal ist die Politik lernfähig! Ich halte das Milliardenpaket wirklich für einen Befreiungsschlag. Ich habe seit 2008 immer wieder geschrieben, dass die Schuldenbremse zwei Probleme hat: Sie bietet nicht genug Spielraum für öffentliche Investitionen, und sie ist unflexibel in Konjunkturkrisen.
Aber warum ändert sich das gerade jetzt?
Truger
Seit etwa 2018 verschiebt sich in Deutschland die Debatte, der Druck der Verhältnisse wuchs stetig. Politisch ist es zwar problematisch, wenn die Union zuerst verspricht, die Schuldenbremse streng einzuhalten und massive Steuersenkungen durch Kürzungen im Haushalt zu finanzieren. Plötzlich, direkt nach der Wahl, dann eine komplette Kehrtwende mit massiver Reform der Schuldenbremse. Aber dass wir jetzt dieses Investitionspaket haben – das ist wirklich ein Wahnsinn.
Zur Person
Achim Truger (50) ist Ökonom und Mitglied des „Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ in Deutschland, umgangssprachlich die „fünf „Wirtschaftsweisen“ genannt. Sie sollen die Politik in wirtschaftspolitischen Fragen mit fundierten Berichten unterstützen. Er gilt als gewerkschaftsnah und ist Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen.
Die eingestürzte Brücke wurde zum Symbol des schlechten Zustands der deutschen Infrasruktur
Carolabrücke Dresden
Die eingestürzte Brücke wurde zum Symbol des schlechten Zustands der deutschen Infrasruktur
Wie ramponiert ist Deutschland eigentlich?
Truger
Brücken stürzen ein, Züge sind unpünktlich, einige Schulgebäude werden sogar vor den Ferien geschlossen, weil Decken herabfallen. Diese spektakulären Einzelfälle zeigen, dass viel im Argen liegt.
Der Bundestag stimmte über dieses große Paket ab. Wie sehen Sie es im Detail?
Truger
Der erste Teil sind die Verteidigungsausgaben. Sie dürfen oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts kreditfinanziert werden, und das in einer unbegrenzten Höhe. Als Ökonom sollte man sich da zurückhalten, ich verstehe allerdings nicht, wieso hier eine dauerhafte Verschuldung erlaubt wird. Ausgaben für Soldaten, grundlegende Ausrüstung und Unterstützung für die Ukraine sind notwendig, aber sie sind im klassischen ökonomischen Sinn keine Investitionen, die Wachstum und Selbstfinanzierungseffekte erzeugen. Insofern ist das eigentlich falsch.
"Dieses Sondervermögen soll für zusätzliche Investitionen verwendet werden, nicht für die bereits geplanten Ausgaben."
Achim Truger
über Wahlgeschenke
Und das Infrastrukturpaket?
Truger
Beim Infrastruktursondervermögen ist es umgekehrt. Infrastruktur ist etwas, was man dauerhaft über Kredite finanzieren könnte. Weil das eben wirkliche Investitionen sind und die ökonomischen Effekte günstiger sind. Ich finde es positiv, dass die Grünen den Klima- und Transformationsfonds mit 100 Milliarden integriert haben. Nur Verteidigung und traditionelle Infrastruktur wäre angesichts der Klimakrise eine problematische Verschiebung. Die Grünen haben auch sichergestellt, dass dieses Sondervermögen nur in Anspruch genommen werden darf, wenn es eine Zusätzlichkeit erfüllt.
Was ist diese Zusätzlichkeit?
Truger
Eine Mindestinvestitionsquote von zehn Prozent für das deutsche Budget. Dadurch soll verhindert werden, dass einfach Mittel aus dem Haushalt genommen und ins Sondervermögen verlagert werden. Dieses Sondervermögen soll für zusätzliche Investitionen verwendet werden, nicht für die bereits geplanten Ausgaben.
Sie verhandeln an einer Koalition. Über das Riesenpaket stimmte allerdings noch der alte Bundestag ab.
Friedrich Merz (CDU) und Lars Klingbeil (SPD)
Sie verhandeln an einer Koalition. Über das Riesenpaket stimmte allerdings noch der alte Bundestag ab.
Oder Wahlgeschenke?
Truger
Die künftige Regierung hat jetzt einige Maßnahmen angekündigt, wie die Mütterrente, die Erhöhung der Pendlerpauschale und die Wiedereinführung eines reduzierten Mehrwertsteuersatzes für die Gastronomie. Das alles kostet ziemlich viel Geld und ist nicht wirklich sinnvoll, um die Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Deshalb finde ich die Zusätzlichkeit so wichtig.
Ihr Gremium – die Wirtschaftsweisen – hat vor einigen Monaten einen Reformvorschlag für die Schuldenbremse vorgelegt. Braucht es das aus Ihrer Sicht trotzdem noch?
Truger
Im Sondierungspapier planen CDU und SPD eine systematische Reform der Schuldenbremse noch in diesem Jahr. Da bleibt auch noch einiges zu tun: Es braucht mehr Spielraum in Konjunkturkrisen, und für nicht-militärische öffentliche Investitionen sollte langfristig auch eine Kreditfinanzierung möglich sein.
Woher kommt eigentlich die deutsche Liebe zur Schuldenbremse? Was waren die politischen Auswirkungen davon?
Truger
Wenn wir eine schwarze Null haben, aber die Mieten steigen und der Wohnungsbau lahmt – dann kommt das Gefühl auf, dass der Staat versagt, und das stärkt die radikalen Ränder. Vielleicht haben auch die Teilung des Landes und der sozialistische Osten zu einer starken konservativen Gegenbewegung geführt, die sich von kollektivistischen und planerischen Ansätzen abgrenzen wollte.
Es gibt auch kritische Stimmen zum Investitionspaket. Manche fürchten eine neue Eurokrise. Was sagen Sie dazu?
Truger
Ich halte das für Unsinn. Die Renditen sind zwar ein paar Basispunkte gestiegen, und sofort wurde gesagt, Deutschland könnte sein AAA-Rating verlieren. Ein Zinsanstieg ist in so einem Fall normal und zeigt eher wirtschaftliche Stärke als Angst vor Zahlungsausfällen. Der Euro ist gestärkt, die Börsen zeigen positive Ergebnisse, was insgesamt darauf hindeutet, dass das Paket ökonomisch stark wahrgenommen wird.
Österreich und Deutschland im Vergleich - im Verhältnis zum BIP.
Wie hoch ist die Staatsverschuldung?
Österreich und Deutschland im Vergleich - im Verhältnis zum BIP.
Es ist jetzt viel Geld da, aber wie kann man sicherstellen, dass es auch ankommt und nicht verpufft?
Truger
Gut ist, dass die Laufzeit des Infrastrukturvermögens von zehn auf zwölfJahre verlängert wurde. Es ist wichtig, Initiativen umzusetzen, um Bürokratie abzubauen und Planungsprozesse zu vereinfachen. Es braucht eine wache Opposition und kritische Ökonomen, die darauf schauen.
Aktuelle Schätzungen gehen von einem kurzfristigen positiven Effekt für die Konjunktur aus. Wie kann man diese Effekte langfristiger gestalten?
Truger
Es gibt auf jeden Fall eine Durststrecke. In diesem Jahr werden wir, wenn überhaupt, nur wenige Zehntelprozentpunkte sehen, im kommenden Jahr ebenso. Langfristig wird das BIP-Niveau aber durchaus steigen, vielleicht um 1,5 oder sogar zwei Prozent.
Defizitverfahren wäre da meiner Meinung nach vernünftiger gewesen, da es mehr Spielraum gegeben hätte.
Achim Truger
über Österreich
In Österreich läuft die Diskussion gerade in eine gänzlich andere Richtung. Wir konsolidieren. Wie sehen Sie das neue Regierungsprogramm?
Truger
Ein Defizitverfahren wäre da meiner Meinung nach vernünftiger gewesen, da es mehr Spielraum gegeben hätte.
Warum?
Truger
Die österreichische Konjunktur hat sich massiv verschlechtert, und kräftige Kürzungen im Haushalt wären jetzt das Falsche. Bei einem gestreckten Konsolidierungskurs könnte man wachstumspolitische Elemente wie Extra-Abschreibungen und vorgezogene Investitionen berücksichtigen.
Derzeit ist das deutsche Infrastrukturpaket wohl das größte Konjunkturprogramm für Österreich. Was für Auswirkungen wird es haben?
Truger
Wenn es in Deutschland schlecht läuft, hat das auch tendenziell negative Auswirkungen auf Österreich. Und eben auch umgekehrt.
Markus Marterbauer, ein gewerkschaftsnaher Ökonom wie Sie, wurde überraschend zum österreichischen Finanzminister. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber wenn Sie Finanzminister in Deutschland werden, was würden Sie ändern?
Truger
Ich habe Marterbauer als unglaublich kompetenten Ökonomen kennengelernt, der sehr sachorientiert und ausgleichend ist. Er schafft es, in kontroversen Sitzungen die Stimmung zu entspannen. Wenn wir in Deutschland einen Marterbauer hätten, würde ich gar nicht Finanzminister werden wollen. Für die deutsche Finanzpolitik wäre mir wichtig, gerade jetzt die öffentlichen Haushalte zu stützen und positive Impulse zu setzen, um sicherzustellen, dass die Konjunktur nicht abgewürgt wird. Und in der Steuerpolitik sollten sich die Wohlhabenden wieder stärker an der Staatsfinanzierung beteiligen.