Wirtschaft
OeNB-Chef Holzmann: "Es gibt Risiken, die wir derzeit nicht abschätzen können“
Robert Holzmann, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, über „Good Cop, Bad Cop“-Spiele in der EZB, die Mittel gegen eine hohe Inflation und weshalb sich die Notenbank bisher nicht für die Superreichen interessierte.
22.03.24
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Herr Gouverneur, Sie waren erst kürzlich in Frankfurt. Gibt es etwas, das Sie mittlerweile lieber in Deutschland kaufen, weil es in Österreich zu teuer geworden ist?
Holzmann
Ich glaube, ich habe in Frankfurt noch nie in einem Geschäft eingekauft. Wenn ich zu Sitzungen dort bin, fahre ich mit dem Taxi zum Hotel und zur Europäischen Zentralbank. Sind die Beratungen zu Ende, geht es per Flug zurück. Nachdem ich hier fünf Jahre Professor war, kenne ich Deutschland sehr gut, aber von Frankfurt sehe ich üblicherweise überhaupt nichts.
Für Ihren letzten Besuch in der Mainmetropole am 7. März war der Anlass eine EZB-Zinssitzung. Wie schaut es denn aus? Wird es im Juni eine Zinssenkung geben, wie viele Beobachter erwarten?
Holzmann
Diese Sitzungen bestehen immer aus zwei Teilen. Zuerst reden wir sehr viel über Daten und Prognosen, und danach wird besprochen, was sich daraus für die Geldpolitik ergibt. Aufgrund der Daten können wir sagen, dass unsere Geldpolitik Wirkung zeigt. In vielen Bereichen geschieht die Preisentwicklung so, wie wir das erwartet haben. Wir sehen, dass sich die höheren Zinsen auf viele Parameter wie die Kreditnachfrage auswirken. Aber es gibt eine Reihe von Risiken, die wir derzeit nicht abschätzen können, auch weil wir manche Daten noch nicht haben.
Welche zum Beispiel?
Holzmann
Das betrifft etwa den Bereich der Löhne. In einer ganzen Reihe von Ländern sind wichtige Lohnverhandlungen noch nicht abgeschlossen. Hier kommt es zu Unsicherheiten über die weitere Inflationsentwicklung im Euroraum. Es gibt aber auch externe Risiken, wie etwa die Entwicklungen im Nahen Osten, wo die Vorhersehbarkeit noch geringer ist.
Sie sprechen vom Gaza-Konflikt und von den Angriffen der Huthi-Miliz auf Frachtschiffe im Roten Meer?
Holzmann
Natürlich, das spielt alles hinein. Im Moment zeigen die Daten nicht, dass das große Effekte hat. Wenn die Lieferketten von Konsumgütern Verzögerungen aufweisen, ist das kein großes Problem. Dass man zehn oder 20 Prozent mehr für den Transport bezahlt, weil sie länger unterwegs sind, wirkt noch nicht als starker Preistreiber. Vielmehr könnten die Energiepreise einen Preisschub bewirken. Theoretisch gibt es auch das Szenario, dass beispielsweise ein Schiff in der Straße von Hormus untergeht, was die Ölpreise in die Höhe treiben würde. Grundsätzlich ist ein Angebotsschock noch kein Grund, in der Geldpolitik restriktiver zu werden. Aber wenn sich mit diesem Angebotsschock die Inflationserwartungen wieder verändern, dann muss man dagegen auftreten. Ob das passieren wird oder nicht, kann man derzeit nicht sagen. Aber all das sind Überlegungen, warum einige im EZB-Rat die Meinung vertreten, mit Zinssenkungen noch zu warten. Wenn wir im Juni neue Informationen haben, können wir unter Umständen anders entscheiden. Das heißt, es ist alles offen. Die Kommunikation von EZB-Präsidentin Christine Lagarde war hier ganz klar – wir entscheiden datenbasiert.
Den für alle Szenarien wirksamen Ansatz zur Inflationsbekämpfung hat man noch nicht gefunden.
Sie selbst haben sich zuletzt ja gegen Zinssenkungen ausgesprochen …
Holzmann
Wenn die Grundlagen so sind, dass wir die Zinsen senken können, dann wäre mir das sehr lieb. Es ist nicht so, dass ich aus irgendwelchen Gründen hohe Zinsen will. Ganz im Gegenteil. Das kostet uns ja eine Menge Geld.
Die hohen Zinsen sind auch für die Staatsschulden ein Problem. Gibt es da vonseiten der Mitgliedsstaaten Druck auf die EZB?
Holzmann
Nein, auch weil alle Staaten – in unterschiedlichem Maße – die Niedrigzinspolitik genutzt haben, um sich langfristig sehr billig zu verschulden, sodass die Zinserhöhungen im Moment noch nicht budgetär aufschlagen. Wenn der Zinsgipfel bald vorbei ist, werden die gestiegenen Zinsen direkte Effekte haben, aber nicht sehr große. Klar, wenn ein Staat sehr viele Schulden hat, dann spielen höhere Zinsen immer eine Rolle.
Die Finanzmärkte rechnen bereits mit einer Zinssenkung. Haben Sie Sorge, dass – sollte sie nicht eintreten – die Börsen dann recht scharf korrigieren?
Holzmann
Eigentlich nein. Das ist etwas, was wir immer in Betracht ziehen. Daher sahen wir es auch als unsere Aufgabe an, den Finanzmärkten zu sagen: Passt auf, es könnte auch anders kommen. Deshalb auch meine von Ihnen zitierte Aussage, dass es nicht automatisch und in jedem Fall zu einer Zinssenkung kommen wird. Dieses Risiko müssen die Finanzmärkte auch in ihre Prognosen einpreisen.
Heißt das, im EZB-Rat agieren Sie mit verteilten Rollen à la „Good Cop, bad Cop“, um sich in alle Richtungen abzusichern?
Holzmann
Dahinter stehen schon unterschiedliche Ansichten und Einschätzungen. Wir sind zwar europäisch aufgestellt und entscheiden aufgrund von europäischen Daten, aber wenn in manchen Ländern die Inflation schon sehr gering ist und in manchen Ländern etwas höher, dann mag das vielleicht im Hintergrund auch mitspielen.
Wenn Sie das schon ansprechen, würde ich Sie bitten, den EZB-Hut abzunehmen und den Gouverneurshut aufzusetzen. Denn aus österreichischer Sicht wäre eine Zinssenkung angesichts der hohen Inflationsrate eher kontraproduktiv.
Holzmann
Könnte ich jetzt den Zinssatz herunterdrehen, hätte es für die österreichische Wirtschaft Effekte in beide Richtungen: sowohl positive als auch negative. Per se würde es aber das Signal geben, dass eine höhere Inflation halb so wild ist. Dann bestünde die Gefahr, dass sich die vier Prozent Inflationsrate verfestigen und wir nicht mehr auf die zwei Prozent Zielwert herunterkommen. Dieser langfristige Effekt wäre für die Wirtschaftstätigkeit, das wissen wir alle aus ökonomischen Untersuchungen, nicht gut.
In Österreich haben wir bereits einen massiven Einbruch bei der Vergabe von Immobilienkrediten gesehen. Ein Zeichen, dass sich die Wirtschaft abschwächt. Die Regierung hat ein Konjunkturpaket geschnürt, um die Bauwirtschaft anzukurbeln und Wohnraum zu schaffen. Wie bewerten Sie dieses?
Holzmann
Da haben schon viel berufenere Personen dazu Stellung genommen. Ich glaube, es ist insgesamt ein gutes Paket. Wie immer kann man da und dort noch für Verbesserungen eintreten, aber es ist wichtig, dass etwas gemacht wird. Wir als Oesterreichische Nationalbank stehen für ein längerfristiges Denken, und ich habe gebeten, darüber nachzudenken, was wir tun können, um diese großen Wellen in Zukunft mehr zu glätten. Ich hoffe, dass wir bis Jahresende etwas produziert haben, um für den nächsten beginnenden Konjunkturzyklus sowohl für die Baukonjunktur, die ein wichtiger Teil des realen Sektors ist, als auch für die Finanzkonjunktur die Zinspreise etwas flacher zu halten.
Oberster Nationalbanker
Gouverneur Holzmann im Gespräch mit profil-Redakteurin Christina Hiptmayr in seinem Besprechungszimmer.
Ganz prinzipiell - konterkariert so ein Konjunkturpaket nicht die Bemühungen der EZB zur Inflationsbekämpfung? Schließlich soll mithilfe der hohen Zinsen ja die Nachfrage gedrosselt werden.
Holzmann
Nein. Denn dabei geht es ja darum, dass man einen Sektor anspricht, wo die Konjunktur sehr in den Keller gefallen ist. Und was ja auch wichtig ist: Wir haben sehr viele Human Resources verfügbar. Wenn die jetzt nicht genutzt werden, bestünde die Gefahr, dass sie ins Ausland zurückgehen. Baufirmen können es sich nicht leisten, zu sagen, wir warten auf eine bessere Konjunktur, denn das Personal zurückzubekommen, wenn es erst mal woanders ist, ist schwierig. Ich glaube nicht, dass dadurch die Preisentwicklung in einem hohen Maße konterkariert werden würde.
Die Inflationsrate in Österreich ist im europäischen Vergleich sehr hoch. Um sie zu dämpfen, hat die Regierung unter anderem die Strompreisbremse eingeführt, die allein im vergangenen Jahr 2,7 Milliarden Euro gekostet hat. Steht das dafür?
Holzmann
Die Regierungen hier und in anderen europäischen Ländern haben zu unterschiedlichen Instrumenten gegriffen. Die Bewertung, welche die besten sind, ist nur ex post möglich und noch immer im Gange. Ist es gut, in die Preise einzugreifen? Ja, es kann etwas bewirken, aber wenn es nicht gut gemacht ist, kann es dazu führen, dass mehr Strom und Gas konsumiert wird. In Spanien hat man es insofern gut gemacht, dass man die Preise niedrig halten konnte. Aber ein Nebeneffekt bestand darin, dass die Energienachfrage gestiegen ist. In anderen Ländern ist es gelungen, die Nachfrage zu reduzieren, aber die Preise sind hoch gewesen, und die Inflation ging nach oben. Die Preis- und Einkommensstützungsmaßnahmen haben in hohem Maße bewirkt, dass die Kaufkraft gestützt wurde. Aber was passiert, wenn die Gewerkschaften das nicht in ihre Lohnverhandlungen einbeziehen? Dann haben wir auch wieder Probleme. Den zu 100 Prozent sicheren und für alle Szenarien wirksamen Ansatz zur Inflationsbekämpfung hat man noch nicht gefunden.
Geschichte wiederholt sich manchmal …
Holzmann
Es wäre am Beginn vielleicht schon möglich gewesen, Gas- und Ölpreiseinschränkungen gegenüber Russland aufzusetzen. Mein Freund und Kollege Daniel Gros (Anm.: der Ökonom war Direktor des Centre for European Policy Studies in Brüssel und ist jetzt an der Universität Bocconi in Mailand tätig) hatte vorgeschlagen, mit einem einheitlichen Ansatz Öl und Gas aus Russland hoch zu besteuern. Da hätte man wesentlich mehr Erfolge gehabt, um die Einnahmen für Russland zu verringern. Ich denke, das wäre ein sinnvoller Ansatz, über den es sich auch jetzt noch nachzudenken lohnen würde.
Sie erheben derzeit das Vermögen und Konsumverhalten der Österreicherinnen und Österreicher. Das Sozialministerium will auch mehr zum reichsten Prozent wissen und würde dafür zusätzliche Befragungskosten tragen. Warum haben Sie dieses „Oversampling“ der Reichen nicht in Auftrag gegeben?
Holzmann
Das Eurosystem und die OeNB haben den Household Finance and Consumption Survey (HFCS) etabliert, um Analysen und Entscheidungen im Bereich der OeNB-Kernkompetenzen, das sind die Geldpolitik und die Finanzmarktstabilität, maßgeblich zu unterstützen. In der Vergangenheit haben wir, das Direktorium der OeNB, keinen signifikanten Mehrwert eines Oversamplings besonders vermögender Haushalte für die Geldpolitik oder die Finanzmarktstabilität erkennen können und sind diesem durchaus ressourcenaufwendigen Ansatz daher nicht nähergetreten. Wir haben als Direktorium der OeNB aber Herrn Bundesminister Rauch eine neuerliche Prüfung eines Oversamplings zugesagt.
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Christina Hiptmayr
war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.