Österreichs Firmen machen in Belarus gute Geschäfte
Wie schlimm muss es sein, die Heimat zu verlassen, weil man dort des Lebens nicht mehr sicher ist? Mein Vater hat diese Erfahrung Ende der 1950er-Jahre gemacht. Als junger Kritiker des Schah-Regimes musste er dem Iran für immer den Rücken kehren.
Die belarussische Leichtathletin Kristina Timanowskaja macht das gerade eben durch. Sie hatte es gewagt, bei den Olympischen Spielen in Tokio Kritik an Sportfunktionären (!) ihres Landes zu üben – woraufhin das Regime in Minsk versucht haben soll, sie gegen ihren Willen in ihre Heimat zu schaffen. Timanowskaja hat in Polen Asyl beantragt.
Belarus hieß einmal Weißrussland, wird aber nicht mehr so genannt, weil man draufgekommen ist, dass „Bela“ zwar tatsächlich für „Weiß“ steht, „Rus“ aber nicht für Russland allein. In der Fachwelt wird mittlerweile darüber diskutiert, ob die Einwohnerinnen und Einwohner nicht konsequenterweise als „Belarusinnen“ und „Belarusen“, also mit nur einem „s“, bezeichnet werden sollten. Belarusinnen, Belarussen: Mit Blick auf die politische Situation dort kann man die Diskussion erst einmal vertagen.
Das Land ist ein dunkles Loch, seit 1994 von Alexander Lukaschenko und seinen Schergen beherrscht. Grundrechte? Alles eine Frage der Definition – und eines funktionstüchtigen Geheimdienstapparats.
Erst im Mai hatte das Regime den Oppositionellen Roman Protassewitsch und dessen Begleiterin Sofia Sapega aus einem Ryanair-Flugzeug entführen lassen, das in Minsk zur Landung gezwungen worden war. Gestern wurde in Kiew die Leiche des belarusischen Aktivisten Witaly Schischow aufgefunden – erhängt in einem Park.
Gegen Lukaschenkoland wurden zwischenzeitlich internationale Sanktionen erlassen. Die Europäische Union verbietet unter anderem die Vergabe neuer Kredite, den Abschluss von Versicherungen, den Export von Militärgütern und Überwachungstechnologie, den Import von Mineralölprodukten, die Nutzung des EU-Luftraums.
Österreichische Unternehmen vor Ort
Es dürfte tatsächlich nicht viele Leute geben, die gerne nach Weißrusland reisen, weil es dort besser ist als anderswo. Jan Marsalek, vormals Wirecard-Vorstand, hat das im Juni 2020 gemacht. Er bestieg im niederösterreichischen Bad Vöslau einen Business Jet und ließ sich nach Minsk fliegen. Marsalek, dem beste Kontakte nach Moskau nachgesagt werden, war damals auf der Flucht vor deutschen Staatsanwälten und ist es bis zum heutigen Tage (auch kein Wunder, das Regime in Minsk weiß, wie man Leute versteckt).
Und in all der Finsternis machen österreichische Unternehmen in Belarus gute Geschäfte. Tatsächlich ist Österreich einer der größten Investoren dort. Laut Wirtschaftskammer Österreich unterhielten zuletzt 20 österreichische Firmen Repräsentanzen in Minsk und Umgebung, daneben bestanden Beteiligungen an 82 weißrussischen Unternehmen. Unter den Investoren finden sich auch vier börsennotierte Konzerne: Raiffeisen Bank International (Priorbank), Vienna Insurance Group (Kupala), A1 Telekom Austria (A1 Belarus) und Kapsch TrafficCom.
Im Mai dieses Jahres hatte ich aus Anlass des Kidnappings von Roman Protassewitsch bei diesen vier Unternehmen nachgefragt, wie sie es denn mit Belarus hielten (der Bericht erschien in Ausgabe Nr. 22/21). Die Antworten folgten einem Muster: Man leiste wesentliche Beiträge für die Gesellschaft, versorge die Leute mit Bankdienstleistungen, Versicherungsprodukten und Technologie. Aus dem Markt auszusteigen hieße, die Bevölkerung zu bestrafen und nicht etwa das Regime. Ja, eh. So lässt sich allerdings jedes Geschäft schönreden.
Michael Nikbakhsh
PS: Hat Ihnen die Morgenpost gefallen? Dann melden Sie sich jetzt an, um Ihren Werktag mit aktuellen Themen und Hintergründen aus der profil-Redaktion zu starten: