Oleg Deripaska: "The dad is happy"
Was macht ein russischer Oligarch und werdender Vater, der, sagen wir, kein allzu großes Grundvertrauen in die russische Gesundheitsversorgung und/oder die russische Staatsbürgerschaft hat? Er lässt sein Kind in den USA als US-Bürger auf die Welt kommen. Was aber macht er, wenn er just zu dieser Zeit auf US-Sanktionslisten steht? Er lässt sein Kind ebenda unter anderem Namen auf die Welt kommen.
Wenn es nach einer US-Anklageschrift geht, dann hat sich das tatsächlich so zugetragen, und zwar im Jahr 2020. Der Wladimir Putin nahestehende russische Geschäftsmann Oleg Deripaska wird vom Justizministerium beschuldigt, die bereits 2018 gegen ihn erlassenen US-Sanktionen umgangen zu haben. Unter Mitwirkung seiner russischen Freundin und zweier Mitarbeiterinnen, einer Russin und einer russischstämmigen US-Amerikanerin, die Ende September in den USA verhaftet wurde. Nach Hinterlegung einer Kaution von zwei Millionen US-Dollar befindet sich die Frau mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Als Sicherheit dient-Gerichtsdokumenten zufolge-eine Liegenschaft in einem Wohngebiet in Jersey City im Bundesstaat New Jersey. Dieser ist in diesem Bereich nur durch den Hudson River beziehungsweise die Upper Bay von den New Yorker Stadtteilen Manhattan und Brooklyn getrennt. Dazwischen steht die Freiheitsstatue.
Der Deripaska-Fall soll vor einer Grand Jury des "Southern District"-Bundesbezirksgerichts in New York verhandelt werden. Das setzt allerdings voraus, dass Deripaska kommt. Ein Prozess in Abwesenheit eines Angeklagten ist in den USA nur unter sehr speziellen Voraussetzungen möglich und entsprechend selten. Bei einer Verurteilung wegen der angelasteten "Verschwörung zur Verletzung und Umgehung von US-Sanktionen" drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Die 31-seitige Anklageschrift ("Indictment") erzählt viel über das aufwendige Leben reicher Russen, über ihren Opportunismus und ihre Methoden zur Verschleierung von Besitzverhältnissen. Man könnte auch sagen: Die russische Elite bringt selbst ihre Kinder offshore zur Welt.
Der Oligarch OIeg Deripaska ist Österreich seit vielen Jahren eng verbunden. In der niederösterreichischen Gemeinde Laa an der Thaya hat er in den 2010er-Jahren eine russisch-orthodoxe Kirche errichten lassen, sie steht auf dem Grundstück einer zypriotischen Briefkastenfirma. Eine Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln wiederum hält - über eine Mehrheitsbeteiligung an einer österreichischen GmbH-ein 700 Quadratmeter großes Penthouse in der Wiener Innenstadt. Eben dieser Karibik-Briefkasten stand bis vor nicht allzu langer Zeit auch an der Spitze einer Eigentümer-Kaskade, die via Zypern zum Vorarlberger Nobelhotel "Aurelio" führte.
Doktor, Klinik, Appartement, alles maximal gleich.
Und dann wäre da noch die Beteiligung am Baukonzern Strabag. Oleg Deripaska-also richtigerweise: eine zypriotisch-russische Offshore-Konstruktion-ist seit 2007 (mit einer Unterbrechung) an der Strabag SE beteiligt, zuletzt lag der Anteil bei 27,8 Prozent. Wie profil und ORF allerdings im Frühjahr dieses Jahres herausfanden, hatte Deripaska bei seinem Strabag-Engagement über Jahre hinweg verdeckte Co-Investoren, einer von ihnen war der steirische Unternehmer Siegfried Wolf, ein langjähriger Partner, seinerseits Kreml-affin.
Im April 2018 hatten die USA Sanktionen gegen Deripaska und dessen Firmengruppe Basic Element erlassen-ab da war es US-Unternehmen und Privatpersonen verboten, mit ihm Geschäfte zu machen. Schon damals sahen die US-Behörden in Deripaska einen Erfüllungsgehilfen des Regimes in Moskau, mittlerweile steht er auch unter EU-Sanktionen.
Nach Erkenntnissen der US-Ermittler verfügte Basic Element bis Mitte 2018 über ein Büro in Manhattan, das dichtgemacht wurde. Ab da soll sich der Oligarch zweier langjähriger Angestellter und mehrerer Briefkastenfirmen bedient haben, um weiter in den USA aktiv zu sein. Die eine Mitarbeiterin saß in Russland, die andere in den USA. Die Frauen sollen im Namen ihres Chefs über Bankkonten in beiden Ländern regen Geldverkehr getätigt haben.
Die Anklage beschreibt unter anderem den Verkauf eines Musikstudios im kalifornischen Burbank Ende 2019, das Deripaska über eine Kaskade von Offshore-Firmen besessen hatte. Der Verkauf soll ihm rund drei Millionen US-Dollar eingebracht haben. Darüber hinaus soll Deripaska seit Anfang der Nullerjahre und bis heute über Immobilien in Washington D.C. und in New York verfügen-im Wege einer Gracetown Inc. mit Sitz im US-Bundesstaat Delaware und Bankkonten in New York. Er selbst wird in den US-Akten übrigens auch unter dem Aliasnamen "Oleg Mukhamedschin" geführt.
Die beiden Subalternen beschafften Deripaska mehrere neue iPhones, US-Mode und pflegten für ihn nebenbei auch Sozialkontakte: So soll ein namentlich nicht genannter US-Fernsehhost von Deripaska Ostergeschenke erhalten haben, eine frühere kanadische Parlamentsabgeordnete Blumengrüße.
Rund 300.000 US-Dollar soll Deripaska 2020 eingesetzt haben, um seiner Freundin die Entbindung des ersten gemeinsamen Kindes in den USA zu ermöglichen.
Laut der Anklage flog die schwangere Freundin des Oligarchen am 2. Juli 2020 im Privatjet nach Los Angeles, wo sie mit einem Zehn-Tages-Touristinnenvisum einreiste. Tatsächlich verweilte sie aber etwa sechs Monate in einem zweistöckigen Penthouse in Beverly Hills, das der Vater des Kindes über Umwege anmieten hatte lassen. Personal war vorhanden. Die Anklage spricht von "zumindest" fünf Kindermädchen und einem Hausmeister. Die Geburtsklinik war bereits ausgewählt, selbst für die "Konservierung von Nabelschnurblut und Plazenta" war Vorsorge getroffen worden. "The dad is happy", heißt es in der englischen Übersetzung einer sichergestellten Audionachricht, die Deripaskas russische Vertraute ihrer Kollegin in die USA schickte.
Das Kind kam im August 2020 in den USA zur Welt-und war damit gleich einmal US-Staatsbürger. Weil aber der Name des Vaters nicht auf der Geburtsurkunde aufscheinen sollte, war die Mutter kreativ. Laut der Anklageschrift soll sie den Namen des Vaters unterdrückt und dem Kind stattdessen eine "Variation" des Namens Deripaska gegeben haben-indem sie ein paar Buchstaben vertauschte.
Im Frühjahr 2022 erwartete das Paar sein zweites Kind, das abermals in den USA auf die Welt kommen sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Putin aber bereits die Ukraine überfallen, was die Beweglichkeit und die Beliebtheit russischer Oligarchen generell stark einschränkte.
Für die Geburt des zweiten Kindes soll der Oligarch abermals verdeckt mehrere Hunderttausend US-Dollar abgestellt haben, davon allein 229.000 US-Dollar für die Anmietung eines Hauses in Beverly Hills. Weitere 160.000 Euro soll der Flug der werdenden Mutter mit Baby und Nanny im Privatjet von Moskau nach Los Angeles-via Istanbul-gekostet haben. Organisiert wurde die Reise übrigens von einer zypriotischen Chartergesellschaft, die den Jet wiederum bei einer Schweizer Firma besorgt hatte. "Doktor, Klinik, Appartement, alles maximal gleich", wie es in einer der sichergestellten Nachrichten heißt.
Bei der Einreise am 2. Juni 2022 in Los Angeles wurde die Freundin des Oligarchen von Beamten des US-Heimatschutzes befragt. Sie verlor sich alsbald in Widersprüchen. Sie räumte zwar ein, mit Oleg Deripaska befreundet zu sein, der Vater des ungeborenen Kindes sei allerdings ein anderer, ein gewisser "Alec Deribasko". Als ihr die Beamten ein Foto von Oleg Deripaska vorlegten, erinnerte sich die Russin schließlich doch daran, dass der Mann auf dem Foto ziemlich genau so aussehe wie der Vater ihres Kindes. Sie behauptete zugleich aber auch, nicht zu wissen, wo Deripaska lebt oder was genau er beruflich macht - und sie beteuerte, dass ihre Eltern den Privatjet und das Haus in Beverly Hills finanziert hätten.
Der Frau wurde die Einreise in die USA verweigert - und damit auch die Geburt des zweiten Kindes in Los Angeles. Ein Vater, eine Mutter, zwei Kinder, eines US-Staatsbürger, eines nicht, ein Nachname und eine Variation davon. Die Reichen haben es auch nicht immer leicht.
Die fehlerhaften Angaben vor dem US-Heimatschutz haben für Deripaskas Freundin ein rechtliches Nachspiel. Die Anklage lastet ihr zusätzlich falsche Beweisaussage vor Bundesagenten an, was mit fünf Jahren Haft bedroht ist. Auch Deripaskas russische Mitarbeiterin, die sich im Juni 2022 gleichfalls in den USA aufhielt, soll wegen Falschaussagen bei einer Befragung durch das FBI gerichtlich belangt werden. Bei der zwischenzeitlich verhafteten und auf Kaution freigesetzten US-amerikanischen Mitarbeiterin Deripaskas kommt noch der Vorwurf der Behinderung der Justiz hinzu. Sie soll Beweismittel vernichtet haben, worauf noch einmal bis zu 20 Jahre Haft stehen. Die US-Justiz ist in solchen Belangen bekanntlich humorbefreit.
Eine Anfrage an Oleg Deripaskas Büro blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.