Der russische Tycoon Oleg Deripaska spricht am 16. April 2019 vor dem Werk seines Automobilherstellers GAZ in Nishnij Nowgorod zu den Medien.

Oleg Deripaska und Siegfried Wolf: Der große und der kleine Oligarch

Was ein russischer Milliardär, ein österreichischer Millionär, eine Firma auf Zypern und ein steueroptimierter Privatjet-Deal aus den „Paradise Papers“ miteinander zu tun haben.

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Eine Szene, die so viel über Wladimir Putins Russland erzählt: Juni 2009, Pikalevo, eine Kleinstadt im Nordwesten, knapp mehr als 200 Kilometer von Putins Geburtsstadt St. Petersburg entfernt. Pikalevo hat rund 22.000 Einwohner und drei große Fabriken, die von Oligarchen betrieben werden. Seit dem Jänner stehen die Produktionen still; die rund 4000 Arbeiterinnen und Arbeiter haben seit Monaten keinen Lohn mehr gesehen. Die Lebensbedingungen in Region haben sich drastisch verschlechtert, jetzt haben die Leute Straßenblockaden errichtet, um auf sich aufmerksam zu machen.

Auftritt Wladimir Putin, damals Premierminister Russlands.

Er fliegt im Hubschrauber in Pikalevo ein, zitiert die Eigentümer der Fabriken zu einer inszenierten Aussprache, die im TV übertragen wird. Es ist eine Hinrichtung ersten Ranges. Putin vergleicht die Oligarchen mit Kakerlaken, nennt sie inkompetent und gierig. Wenn die Anwesenden sich nicht sofort vertraglich verpflichteten, die Fabriken wieder aufzusperren und die ausstehenden Löhne auszuzahlen, dann würden das eben Andere für sie erledigen. Unter den Anwesenden ist Oleg Deripaska, Oligarch, Multimilliardär. Deripaska betreibt in Pikalovo Basel Cement, eine der drei geschlossenen Fabriken. „Deripaska, hast du den Vertrag unterschrieben? Ich sehe deine Unterschrift nicht“, bellt Putin und schmeißt Deripaska einen Kugelschreiber hin.

Oleg Deripaska, einer der vermeintlich einflussreichsten Männer Russlands, steht da wie ein Schulbub und unterschreibt wortlos. Am Ende herrscht ihn Putin an: „Gib mir meinen Kugelschreiber zurück.“

Wer Putins Marionetten beim Folgsamsein zusehen will – der Mitschnitt ist bis heute auf Youtube abrufbar.

Wolf und Deripaska

Der Clip passt so gar nicht in das Bild, das Oleg Deripaska, 54, von sich selbst zeichnet. Er gilt als hemdsärmeliger Macher mit guten Kontakten zum Kreml, Unsummen von Geld und vielfältigen Interessen: Aluminiumerzeugung, Maschinen- und Anlagenbau, Autoindustrie, Bauwirtschaft, Landwirtschaft, Stromerzeugung, Flughäfen, Immobilien – Deripaska hat seine weitverzweigten geschäftlichen Aktivitäten rund um seine Basic Element-Gruppe organisiert.

Deripaska. war bisher auch in Österreich gern gesehen. Und das hat zu einem nicht unerheblichen Teil mit Siegfried Wolf zu tun.

Der 64-Jährige ist die österreichische Edition des Oligarchen – er hat gute politische Kontakte vor allem zur ÖVP und gilt als einer der reicheren Menschen in Österreich. Erst im Vorjahr hat er mit der Übernahme der MAN Lkw-Fabrik in Steyr aufhorchen lassen, zuletzt mit seiner von profil entdeckten Wiener Gemeindewohnung.

Orden der Freundschaft

Siegfried Wolf saß zwischen 2002 und 2015 im Aufsichtsrat der Staatsholding ÖIAG, ab 2014 war er deren Aufsichtsratsvorsitzender. Zur Neugründung der nunmehrigen ÖBAG in der Ära Sebastian Kurz war er abermals als Aufsichtsratschef im Gespräch, bekam den Job aber nicht. Wolf kann gut mit Kurz (und umgekehrt), er konnte auch gut mit Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid – und das hat ihm jüngst den Verdacht der Bestechung eingebracht.

2018 soll Siegfried Wolf bei Schmid, damals noch Generalsekretär des Finanzministeriums, interveniert haben, um einer Finanzbeamtin zu einem neuen Job zu verhelfen. Im Abtausch soll die Beamtin Wolf rund 630.000 Euro Steuerschulden erlassen haben. Die Betroffenen bestreiten die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung (profil berichtete).

Siegfried Wolf kann auch gut mit Putins Russland – und umgekehrt. Der gebürtige Oststeirer ist Träger des russischen Ordens der Freundschaft, war bis vor einigen Tagen Aufsichtsratsvorsitzender der nunmehr geschlossenen Wiener Sberbank Europe, einem internationalen Ableger der größten russischen Bank und er hält Anteile am russischen Automobilbauer GAZ, der mehrheitlich – Oleg Deripaska gehört.

Seit 2018 steht Deripaska (mit anderen Russen) auf einer US-Sanktionsliste – wegen seiner schattigen Verbindungen zum Kreml, vermuteter Geldwäsche und einer Reihe anderer Verdachtslagen – Deripaska bestreitet alle Vorwürfe. Noch vor einigen Jahren hatte er übrigens auch Geschäfte mit Donald Trumps späterem Wahlkampfberater Paul Manafort am Laufen.

Magna, Strabag, Lech am Arlberg

Wo der große Oligarch aus Russland, ist der etwas kleinere aus der Steiermark selten weit. Seit den 2000er Jahren sind Deripaska und Wolf geschäftlich miteinander verbandelt, die Kontakte stammen aus einer Zeit, da Wolf noch die rechte Hand von Frank Stronach war. Deripaska war zu damaliger Zeit recht umtriebig: 2007 kaufte er sich erst bei Stronachs Magna ein, anschließend bei Hans Peter Haselsteiners Strabag (bei Magna musste Deripaska 2008 wieder raus, an der Strabag hält er über ein russisch-zypriotisches Firmengeflecht 27,8 Prozent). 2009 hatten Deripaska und Magna gar versucht, den deutschen Autobauer Opel zu übernehmen, was nicht gelang.

Im Jahr 2010 wechselte Wolf von Magna ins Firmenimperium Deripaskas, wo er bis vor drei Jahren leitende Funktionen ausübte. Wolf besitzt mehrere Immobilien, in einem seiner Wiener Häuser siedelten sich Deripaskas Schwiegereltern an. Zu Deripaskas Besitzungen wiederum zählt das 2008 in Lech am Arlberg eröffnete Luxushotel „Aurelio“.

„Branch Head“ einer Zypern-Firma

Nun taucht der Name Siegfried Wolf auch in Zusammenhang mit einer Deripaska-Firma auf, die bisher keine gesteigerte Prominenz hatte. Im Firmengeflecht des Russen dürfte sie aber eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben, wurden über sie doch Zahlungen von zig Millionen US-Dollar getätigt.

Es handelt sich um die Nolana Holdings Limited mit Sitz auf Zypern und Zweigniederlassung in Russland. Diese dürfte eine Art interne Managementfirma gewesen sein. Im Internet taucht Wolf als „Branch Head“ der Nolana auf. Demnach bekleidete er diese Funktion seit 2011.

Nun spielt ausgerechnet diese Nolana Holdings Limited eine Hauptrolle in einer Episode, die sehr viel über das Geld russischer Oligarchen und deren Gehilfen erzählt. In weiteren Haupt- und Nebenrollen: eine Betreiberfirma für Privatflugzeuge, ein ehemaliger SPÖ-Finanzminister, der nun als Treuhänder arbeitet, eine österreichische Bank und ein Wiener Rechtsanwalt.

Hunderte E-Mails aus den „Paradise Papers“

Dokumentiert ist der Vorgang aus dem Jahr 2013 in hunderten E-Mails und Dokumenten aus den „Paradise Papers“ – geleakte Daten, die zunächst der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) zugespielt wurden. Die „SZ“ hat die Daten dann mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) in Washington geteilt, welches eine weltweite Journalistenkooperation ins Leben rief, die Recherchen wurden 2017 erstmals veröffentlicht.

profil hat diese Daten nun mit Blick auf einen Flugzeug-Deal 2013 gesichtet. Damals begab es sich, dass die Finanzierung für einen Jet Deripaskas – eine Gulfstream G550 – auf neue Beine gestellt wurde. Diese sollte nunmehr über die Luftfahrzeug-Leasingsparte der Raiffeisen Bank International-Gruppe (RBI) laufen.

Das Problem: Der Jet war bis dahin auf den Bermudas registriert und vornehmlich in Russland in Betrieb gewesen. Raiffeisen wollte jedoch eine europäische Registrierung. Der österreichische Jet-Betreiber Avcon Jet AG nahm deshalb Kontakt mit der Treuhandkanzlei Appleby auf der Isle of Man auf.

Flugzeug-Import ohne Mehrwertsteuer

Appleby wurde über einen Wiener Anwalt beauftragt, den Import des Jets in die EU zu organisieren. Und nicht nur das: Die Kanzlei, die augenscheinlich für Deripaska beziehungsweise dessen Firmengruppe agierte, sollte auch eine spezielle Firmenstruktur aufsetzen, durch die eine allfällige Mehrwertsteuerbelastung im Zuge der Einfuhr des Jets in die EU vermieden werden konnte.

Werden bestimmte Bedingungen erfüllt, ist beim Import von Flugzeugen nämlich keine Einfuhrumsatzsteuer zu bezahlen. Die Isle of Man hat sich gerade für reiche Russen als bevorzugte Destination empfohlen, Jets steuerschonend in die EU zu holen. Im konkreten Fall sollte eine Firma auf den British Virgin Islands gegründet werden, um mit einer weiteren Firma mit Adressen auf Bermuda und der Isle of Man einen Leasing-Vertrag abzuschließen – damit sollte eine Geschäftstätigkeit dargestellt werden; eine Voraussetzung, um die Mehrwertsteuer zu sparen.

Das Flugzeug mit der Kennung M-SAWO landete demnach am 22. Mai 2013 auf der Isle of Man. Vorliegenden Unterlagen zufolge hätte die Einfuhrumsatzsteuer rund 3,8 Millionen Pfund ausgemacht – aufgrund der gewählten Konstruktion musste diese aber nicht bezahlt werden.

Mutter Deripaska als Jet-Eignerin

Es fällt allerdings auf, dass die Leasing-Struktur laut den ausgewerteten Daten nicht wie vorgesehen umgesetzt wurde. Die Kanzlei Appleby auf der Isle of Man warnte wiederholt vor den Folgen – denn ohne die dargestellte Geschäftstätigkeit hätte die Steuer auf den Flieger doch noch fällig werden können (ob möglicherweise andere Gründe für eine Steuerbefreiung vorlagen, geht aus den Unterlagen nicht hervor). Umgekehrt drängte ein Repräsentant der Deripaska-Firma Nolana, der den Import des Jets koordinierte, per E-Mail auf eine Bestätigung, dass der Vorgang eben keine Mehrwertsteuer verursachen würde.

Appleby warf letztlich Anfang 2016, fast drei Jahre später, das Handtuch: Vergeblich hatte man ersucht, ausstehende Dokumente zur genauen Überprüfung der illustren Kundschaft einzufordern. Als wirtschaftliche Eigentümerin wurde übrigens die Mutter Deripaskas angegeben. Dass Vermögenswerte an nahe Verwandte ausgelagert werden, kommt bei Oligarchen immer wieder einmal vor. Appleby hat dies gegenüber einem Wiener Deripaska-Anwalt offenbar thematisiert. Leut einem Memo der Isle-of-Man-Kanzlei wurde mitgeteilt, es handle sich um eine „rein persönliche Entscheidung“. Man kam zu dem kuriosen Schluss, dass es wahrscheinlich ohnehin kein Vorteil wäre, Vermögenswerte im Namen der Mutter zu halten, wenn „OD“ Probleme mit dem Kreml hätte.

Sanktionen gegen Deripaska seit 2018

Dass Deripaska Probleme mit dem Westen bekommen könnte, wurde offenbar nicht einkalkuliert. Nachdem die USA 2018 Sanktionen gegen den Oligarchen verhängt hatten, soll dem Vernehmen nach die Raiffeisen Bank International die Geschäftsbeziehung gekappt haben. Laut der Agentur Reuters trennte sich der Geschäftsmann wegen der Sanktionen auch vom Jet M-SAWO.

Die Betreiberfirma Avcon Jet teilte auf Anfrage mit, man habe das Flugzeug bis 2020 in Halterschaft gehabt. Der 2013 durchgeführte Import sei rechtskonform erfolgt.

Laut dem profil vorliegenden E-Mail-Verkehr war aufseiten Deripaskas übrigens auch Andreas Staribacher in das Importvorhaben involviert. Der Ex-SPÖ-Finanzminister ist nunmehr als Steuerberater und Wirtschaftstreuhänder tätig und gilt in Österreich als oberste Instanz, wenn es um Flugzeuggeschäfte geht. Staribacher verwies auf Anfrage auf seine Verschwiegenheitsverpflichtung als Wirtschaftstreuhänder.

Russland, Kasachstan & Co: RBI beendet Flugzeugfinanzierungen

Wegen des Bankgeheimnisses nimmt auch die RBI nicht zu einzelnen Kunden Stellung. Allgemein verweist die Bank auf eine Selbstverpflichtung in Form einer „Anti-Geldwäsche-Deklaration“.

Bereits ab 2020 seien Flugzeug-Finanzierungen für Unternehmen „mit wirtschaftlich Berechtigten aus Russland, der Ukraine, Weißrussland, Kasachstan, Tadschikistan, Usbekistan, Kirgistan und Turkmenistan beendet und keine neuen mehr abgewickelt“ worden: „Wir betonen ausdrücklich, dass regulatorische und steuerrechtliche Vorgaben bei all unseren Geschäftsbeziehungen eingehalten werden und wir selbstverständlich auch den für uns daraus entstehenden Pflichten als Finanzinstitut nachkommen.“

Eine Deripaska-Sprecherin ließ konkrete Fragen unbeantwortet. Sie teilte mit: „Herr Deripaska war nie in irgendwelche illegalen Machenschaften verwickelt. Jegliche Andeutungen über angebliches Fehlverhalten werden schlichtweg unbegründete Fehlbehauptungen sein, die nichts anderes tun, als zu einem Teufelskreis der Lügen beizutragen.“

Von Siegfried Wolf wollte profil unter anderem wissen, ob er persönlich in den Import der M-SAWO involviert war und ob er selbst Zahlungen von der Zypern-Firma Nolana erhalten habe (in den vorliegenden E-Mails zum Jet-Import scheinen verschiedene Nolana-Repräsentanten auf, aber nicht „Branch Head“ Wolf selbst). Sein Sprecher teilte lediglich mit: „Herr Wolf wird dazu nicht Stellung nehmen.“

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.