Am 31. Mai hat die teilstaatliche OMV AG ihre Hauptversammlung. Im Vorfeld rumort es rund um die Petrochemie-Tochter Borealis und dem Gasliefervertrag mit der russischen Gazprom. 
Wirtschaft

OMV-Hauptversammlung: Unruhe vor dem Sturm

Eine Woche vor der Hauptversammlung rumort es in der teilstaatlichen OMV heftig. Der neue Miteigentümer Adnoc soll Interesse an der Chemie-Tochter Borealis bekundet haben, und der Ausstieg aus russischem Gas könnte früher und härter erfolgen, als der OMV lieb ist.

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Üblicherweise sind die jährlichen Aktionärstreffen großer börsennotierter Konzerne Veranstaltungen, bei denen Lobreden geschwungen werden und sich dann die Kleinanleger übers groß angelegte Buffet hermachen. Doch wenn am kommenden Mittwoch in der Messe Wien die Aktionärinnen und Aktionäre der OMV AG zur diesjährigen Hauptversammlung zusammentreten, geht es um mehr als um Smalltalk und die Abwicklung unternehmensrechtlicher Formalitäten. Beim teilstaatlichen Öl- und Gaskonzern stehen die Zeichen auf Sturm. Das wohl wichtigste Industrieunternehmen des Landes befindet sich in der vielleicht größten Krise seiner jüngeren Geschichte: Richtungs- und Personaldebatten prägen das Bild eines Konzerns, der nicht und nicht zur Ruhe kommt. Dabei ist die Bedeutung der OMV für Österreich aktuell wohl so groß wie nie zuvor: Einerseits spielt sie eine zentrale Rolle bei der Sicherstellung der Gasversorgung vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Andererseits soll sie eine Lösung für die bis dato ungenügend beantwortete Zukunftsfrage mitentwickeln, wie Österreich möglichst rasch die Nutzung klimaschädlicher fossiler Energieträger reduzieren kann. 

Doch bevor die OMV nach vorne schauen kann, muss sie sich bei der Hauptversammlung erst einmal mit ihrer Vergangenheit herumschlagen. Dem Ex-Vorstandsvorsitzenden Rainer Seele war im Vorjahr von einer Mehrheit der Aktionäre die Entlastung verweigert worden. Nachdem in der Folge Prüfer zwar „Hinweise auf Abweichungen von unternehmensinternen Vorgaben“, jedoch „kein einklagbares Fehlverhalten“ entdeckten, soll kommende Woche Seele nachträglich entlastet werden. Gegen eine Entlastung sprachen sich allerdings die Anlegervertreter Institutional Shareholder Service (ISS) und Glass Lewis (GL), weil sie "klare Verstöße gegen die Complaience-Regelnd und des Verhaltenskodex des Unternehmens" sehen, wie die Recherche-Plattform Dossier berichtet. Dass der umtriebige Ex-Manager dann rund um die OMV keinerlei Rolle mehr spielen wird, ist allerdings eher nicht zu erwarten – aber dazu später mehr. 

Stürmische Zeiten

Aus gleich mehreren Richtungen nähern sich der OMV Turbulenzen: Bei der Petrochemie-Sparte und der Kunststoff-Tochter Borealis deuten sich mögliche Umbrüche an. Der Gasliefervertrag mit der staatlichen russischen Gazprom ist der Politik ein Dorn im Auge, weil Österreich damit mittlerweile einer der wenigen verbliebenen Großabnehmer von russischem Gas in der EU ist. Und nach dem vorzeitigen Abgang von Mark Garret benötigt das Unternehmen einen neuen Aufsichtsratschef. Die ÖBAG hat im April den deutschen Energiemanager Lutz Feldmann als Nachfolger vorgeschlagen. Feldmann gilt in der Branche als Mann der Fossilen. Das interpretieren Beobachter als mögliches Zeichen dafür, dass sich die OMV künftig wieder stärker auf ihr Öl- und Gasgeschäft konzentrieren soll. Eigentlich wollte die OMV bis 2030 grüner werden, weniger Erdöl verbrennen und es mehr mittels Petrochemie veredeln. Die Chemie-Zukunft der OMV scheint aber zunehmend ungewiss. 

Im Dezember des Vorjahres hat die Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) die OMV-Anteile des Staatsfonds Mubadala übernommen und hält damit 24,9 Prozent des Konzerns und 25 Prozent an der Borealis. Das Closing ist noch ausständig, weil  behördliche Genehmigungen in Österreich und Abu Dhabi fehlen. Nun soll Adnoc jedoch an einer Mehrheit an der Borealis interessiert sein, wie auch der „Kurier" berichtete. Das Unternehmen möchte dem Vernehmen nach seine Petrochemie-Anteile an NOVA Chemicals, Borouge (54 Prozent gehören Adnoc, 36 Prozent Boralis, der Rest wurde an die Börse gebracht, Anm.) und der Borealis auf arabischem Boden bündeln, bräuchte dafür aber eine komfortable Mehrheit an der Borealis. Als bezahlter externer Berater für die Adnoc fungiert derzeit: Rainer Seele. 

„Die OMV hat vor drei Jahren die Borealis-Anteile um sehr viel Geld gekauft, und jetzt sollen sie wieder rückabgewickelt werden? Das macht betriebswirtschaftlich keinen Sinn“, empört sich Neos-Budgetsprecherin Karin Doppelbauer. Die Abgeordnete will im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage vom Finanzminister wissen, ob mit Vertretern von Abu Dhabi über eine mögliche Veräußerung beziehungsweise Rückabwicklung von Borealis-Anteilen an die Adnoc gesprochen wurde – und ob im Gegenzug mögliche Lieferungen von Flüssiggas verhandelt werden. Auf profil-Nachfrage heißt es aus dem Finanzministerium eher kryptisch: „Abu Dhabi ist ein wichtiger Partner für die Republik Österreich. Daher war ein Austausch über aktuelle Themen sinnvoll, der auch in der Vergangenheit traditionell sehr regelmäßig passierte. Auch abseits der besonders drängenden Energie-Fragen gibt es zahlreiche Themen, die die strategische Partnerschaft betreffen. Natürlich ist die Diversifizierung der Energieversorgung Thema aller solcher Gespräche.“ Zu Fragen über die Borealis verweist man auf die OMV. Dort wiederum heißt es: „Zum jetzigen Zeitpunkt werden wir keine Gerüchte oder Marktspekulationen kommentieren.“ Ein Dementi klingt anders. 

Inoffiziell erfuhr profil, dass sehr wohl Überlegungen über die Zukunft und den künftigen Verbleib der Borealis angestellt werden. „Wenn Adnoc und OMV jeweils eine eigene Petrochemie-Strategie verfolgen, wären sie auf dem Weltmarkt Konkurrenten“, sagt ein Insider. Rein betriebswirtschaftlich ist das zumindest aus Sicht Adnocs unlogisch und unerwünscht. Rainer Seele könnte eine mögliche Borealis-Übernahme nun, wie aus seinem ehemaligen Umfeld zu hören ist, beratend orchestrieren. Bis Redaktionsschluss blieb eine Anfrage von profil seitens der Adnoc unbeantwortet.

Wenn die OMV nun tatsächlich Borealis-Anteile abgibt, ist der derzeitige Vorstandsvorsitzende Alfred Stern angezählt. Sein Vertrag läuft bis 31. August 2024. Ein Jahr im Voraus müsste ihm eine Verlängerung angeboten werden – oder eben nicht. Innerhalb der OMV und der ÖBAG gilt das als inoffizielle Frist auch für die Entscheidung, wie man mit der Borealis verfahren soll. Wer Stern nachfolgen könnte, ist unklar. Hinter vorgehaltener Hand wird immer wieder der jetzige Borealis-Chef Thomas Gangl genannt, dem manche attestieren, dort einen guten Job zu machen. Zuvor hatte er die OMV-Raffinerien in Schwechat, Burghausen und Rumänien geleitet. Zuletzt wurde Gangl gemeinsam mit zwei weiteren Borealis-Vorständen allerdings bei einer Hauptversammlung vorläufig die Entlastung verweigert und diese erst einige Wochen später nachgeholt. Dieser symbolische Schritt soll mit zwei problematischen Projekten der Borealis begründet worden sein. Als OMV-Chef operativ für die kurzzeitige Nicht-Entlastung Gangls hauptverantwortlich war übrigens Alfred Stern, der selbst früher die Borealis geleitet hatte und von dort an die Konzernspitze rückte.

Egos und Feindschaften

Bei der OMV geht es längst nicht immer nur um kühle Strategiefragen und trockene Bilanzzahlen. Es geht auch um mächtige Männer, deren Egos und um deren Feindschaften. Vergangener Dienstag, 10.30 Uhr: In einem eher schmucklosen Verhandlungssaal im vierten Stock des Landesgerichts Linz sitzen einander fast drei Jahrzehnte geballte OMV-Top-Job-Erfahrung in erbitterter Verachtung gegenüber. Rechts vom Richter, auf der Klägerseite, hat Wolfgang Berndt, von 2010 bis 2020 Mitglied im OMV-Aufsichtsrat und eine Zeit lang sogar dessen Vorsitzender, Platz genommen. Links, auf der Beklagtenseite, lehnt sich – betont lässig – Gerhard Roiss in seinem Sessel zurück. Roiss war von 1997 bis 2015 Vorstandsmitglied der OMV, ab 2011 sogar deren Generaldirektor. 

Dass die beiden Männer einander nicht grün sind, ist nicht zu übersehen. Dass derart hochrangige Ex-Vertreter eines teilstaatlichen Konzerns einen offenen Rechtsstreit ausfechten, kann aber dennoch als äußerst ungewöhnlich angesehen werden. Ausgangspunkt war ein Interview mit Roiss, das profil Anfang März 2022 veröffentlichte. Monate später klagte Berndt den Ex-OMV-Generaldirektor, weil dieser – kurz gesagt – den ehemaligen Aufsichtsrat zu Unrecht als „Putin-Versteher“ bezeichnet haben soll. Eine solche Behauptung kommt im Interview nicht annähernd vor, Berndt pocht aber darauf, dass sie sich aus dem Gesamteindruck ergeben würde.  

Vor Gericht fand sich nun unter gutem Zureden des Richters eine salomonische Lösung: Man schloss  einen Vergleich, der vorsieht, dass Roiss nicht behaupten darf, Berndt würde einer „Fraktion von Russland- und Putin-Verstehern“ angehören. Roiss wiederum blieb dabei, dass er das ohnehin nie gesagt habe und er Berndt am liebsten ignoriere. Als die beiden Kontrahenten unmittelbar nach der Vergleichseinigung wieder drauf und dran waren, einander verbal in die Haare zu geraten, meinte der Richter sinngemäß, sie sollten das doch bitte im Anschluss draußen besprechen. Zu Roiss sagte der Richter mit Blick auf das Verfahren, das nun nicht mehr durchjudiziert wird: „Für mein Gefühl wären Ihre Chancen nicht schlecht gewesen.“ 

Berndt hat übrigens in dieser Angelegenheit auch profil geklagt. Dieser Zivilprozess ruhte bis zum Ausgang des Verfahrens in Linz und dürfte nun wieder aufgenommen werden. Gut möglich also, dass über die OMV und Russland doch noch in aller gebührenden Breite vor Gericht diskutiert wird.

Apropos Russland: Da gibt es auch noch das leidige Thema mit dem Gasliefervertrag, der bis 2040 läuft und keine Ausstiegs-, aber eine sogenannte „Take or pay“-Klausel beinhaltet. Eigentlich hat sich die Bundesregierung, allen voran Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne), einen möglichst schnellen Ausstieg aus russischem Gas zum Ziel gesetzt. Passiert ist bei der Diversifizierung seit Kriegsbeginn im Februar 2022 allerdings recht wenig. Laut dem Energie-Dashboard des Klimaministeriums stammten im März 74 Prozent der österreichischen Gasimporte aus Russland. Eine schnelle Diversifikation der Lieferquellen ist aber nicht nur aus politischen, sondern aus ganz praktischen Gründen dringend notwendig. 

Derzeit existiert nur noch eine einzige funktionsfähige Gasroute aus Russland in die EU – die Druschba-Pipeline durch die kriegsgebeutelte Ukraine. Nachdem sich Polen im Vorjahr weigerte, für russisches Gas in Rubel zu bezahlen, wurden die Lieferungen über die Jamal-Pipeline eingestellt. Vergangenen Sommer wurden dann auch noch die Nordseepipelines Nord Stream 1 und die nie in Betrieb gegangene Nord Stream 2 gesprengt. Die Sabotageaktion ist wohl einer der spektakulärsten Spionagethriller unserer Zeit. Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“, des NDR, WDR sowie der schwedischen und dänischen Medien „Expressen“ und „Berlingske“ zeigten zuletzt möglichen Spuren in die Ukraine auf. Geht es nach den führenden Industrienationen der G7 und der EU, sollen diese Pipelines gar nicht mehr in Betrieb gehen. Hinzu kommt, dass der Gastransitvertrag zwischen Russland und der Ukraine 2024 ausläuft und neu verhandelt werden muss. Die Verhandlungen, davon kann man ausgehen, zwischen den beiden Kriegsparteien werden zäh und schwierig. Innerhalb der ÖBAG und der OMV rechnet man jetzt schon damit, dass es zu kurzen oder längeren Lieferausfällen über diese Route kommen kann. „Wir können auch kurzfristig den Ausfall russischer Gaslieferungen kompensieren“, heißt es auf Anfrage seitens der OMV. Etwa über die Buchung zusätzlicher Pipeline-Kapazitäten aus der eigenen Gasproduktion in Norwegen, oder über  LNG-Lieferungen.
Und da wären wir wieder bei Abu Dhabi und der Adnoc, die selbst beachtliche Mengen Flüssiggas, also LNG liefern. Bleibt nun die Frage, was der neue OMV-Miteigentümer möglicherweise dafür haben möchte. 

Hinweis: Der Artikel wurde online nachträglich um eine aktuelle Dossier-Recherche ergänzt.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.