Missgunst, Intrigen, Machtkämpfe: OMV - Der zerrissene Konzern

An der Spitze der teilstaatlichen OMV geht es mal wieder rund: Inmitten einer Energiekrise ringt der Chef mit seinem Stellvertreter um die Zukunft der Firma. Und ein früherer CEO mischt irgendwie auch mit. Und da wäre noch ein geheimes Projekt aus der Vergangenheit: „Jodler“.

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Wer hat in Österreichs größtem Industrieunternehmen eigentlich das Sagen? Und wo führt uns das hin? Die teilstaatliche OMV AG steckt in einer Führungskrise, es nicht ihre erste. Intrigen und Machtkämpfe in der Chefetage sind so alt wie das Unternehmen selbst.

Doch diese Führungskrise entrollt sich vor einer schweren Energiekrise – es geht also längst um sehr viel mehr als die üblichen Eifersüchteleien unter Alpha-Tierchen. Es geht um nichts weniger als die Frage, was die OMV in Zukunft sein soll – und auch darum, wer fortan die Kontrolle über große Teile der Öl- und Gasversorgung Österreichs hat.

Die Plastik-Strategie

Raus aus der Förderung von Öl und Gas zur Energiegewinnung, hin zu mehr Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Das war der Plan, den OMV-Vorstandschef Alfred Stern im März dieses Jahres als „Strategie 2030“ öffentlich vorgestellt hatte. Demnach wollte die OMV nach und nach damit aufhören, Öl- und Gas aus der Erde zu holen, um es anschließend verbrennen zu lassen. Bis 2030 sollte die Öl- und Gasförderung für die Energieproduktion um 20 Prozent verringert, bis 2050 gänzlich aufgegeben werden. Zugleich sollte sich der Konzern zu einem Hersteller von Chemikalien sowie „nachhaltigen“ Kunst- und Treibstoffen entwickeln, wobei die Konzernbeteiligung Borealis AG hier eine zentrale Rolle einnehmen hätte sollen. Wie gesagt, das war der Plan.

Ein halbes Jahr später steht hinter dieser Strategie ein zunehmend großes Fragezeichen. Vorstand und Aufsichtsrat entzweit die Frage, ob die Abkehr von Öl und Gas – so schrittweise sie auch erfolgen soll - inmitten dieser verrückten geopolitischen Gemengelage die schlaueste aller Ideen ist. Die Bruchlinien ziehen sich hinauf bis in den Aufsichtsrat der Staatsholding ÖBAG, die 31,5 Prozent der börsennotierten OMV AG kontrolliert. Sie reichen auch an den Persischen Golf, ins Emirat Abu Dhabi, das seit Jahrzehnten maßgeblich an der OMV beteiligt ist. Die staatliche Investmentfirma Mubadala hält – soweit bekannt – 24,9 Prozent.

Die Männerfeindschaft

Im Prinzip lässt sich der vielschichtige Konflikt aber über eine Männerfeindschaft erzählen: Alfred Stern versus Johann Pleininger.

Stern ist erst seit dem Vorjahr Vorstandsvorsitzender der OMV. Er hat damit den Job, den sein Vorstandskollege Pleininger nur allzu gerne gehabt hätte. Pleininger, Jahrgang 1962, ist einer der längstdienenden OMV-Angestellten überhaupt. Und er hat in gewisser Weise Öl im Blut. Seit mehr als 40 Jahren arbeitet er im Geschäftsfeld „Exploration und Produktion“, wo die Förderung fossiler Energieträger zusammenläuft. 1977 hatte er im Alter von 15 Jahren als OMV-Lehrling begonnen, um sich kontinuierlich nach oben zu arbeiten. 2007 avancierte er zum Direktor des rumänischen Teilkonzerns Petrom, 2015 wurde er Mitglied des Vorstands der OMV in Wien, 2017 dann stellvertretender OMV-Vorstandsvorsitzender, sohin die Nummer zwei hinter dem damaligen CEO Rainer Seele.

Der Netzwerker

Pleininger, der dem roten Lager zugerechnet wird, gilt als fähiger Netzwerker, im Betrieb und darüber hinaus. Ihm werden tragfähige Kontakte zu den einflussreichen Konzernbetriebsräten nachgesagt, aber auch zur niederösterreichischen ÖVP-Spitze; ein nicht unerheblicher Teil der österreichischen OMV-Anlagen steht schließlich auf niederösterreichischem Boden. In Schwechat betreibt man eine Raffinerie, dazu den Standort Gänserndorf, zugleich historisches Zentrum der österreichischen Ölförderung und die Wiege der OMV. Zu Pleiningers Vertrauten zählt etwa Günther Ofner, ÖVP-nahe, Vorstand der Flughafen Wien AG, seit heuer zudem Aufsichtsratsvorsitzender der Staatsholding ÖBAG. Oder Wolfgang Hesoun, Chef von Siemens Österreich, SPÖ-nahe, ein Mann mit viel Einfluss in der Industriellenvereinigung, der selbst gerne ÖBAG-Vorstand geworden wäre, nachdem ein gewisser Thomas Schmid das Weite gesucht hatte (den Job hat heute die Rechtsanwältin Edith Hlawati).

Nach dem vorzeitigen Abgang Seeles 2021 hatte sich Pleininger berechtigte Chancen auf die Nummer eins ausgerechnet. Allein: Die Funktion bekam unvermittelt ein anderer, dazu noch einer, der überhaupt erst seit fünf Monaten im Haus gewesen war: Alfred Stern.

„den Jodler bei einer Bohrung auf einem kurdischen Ölfeld zu versenken“

Monatsbericht zum Projekt „Scout“ aus dem Jahr 2010: Neben der Beendigung von Öldiebstählen gehörte es offenbar auch zu den Zielen, den „Jodler bei einer Bohrung auf einem kurdischen Ölfeld zu versenken“.

Der Neue

Stern, Jahrgang 1965, kommt aus der Kunststoff-Ecke. Nach Studium und Doktorat an der Montan-Uni Leoben arbeitete er ab 1996 für den US-Chemiekonzern DuPont de Nemours, ehe er 2008 zur OMV-Beteiligung Borealis wechselte, wo er 2018 zum Vorstandschef aufstieg. Mit Wirkung vom 1. April 2021 dockte er dann als zunächst einfaches Vorstandsmitglied in der OMV an. Protegiert wurde Stern damals wie heute vom Aufsichtsratsvorsitzenden der OMV, Marc Garrett – der seinerseits eine Vergangenheit bei Borealis hat. Er war von 2007 bis 2018 CEO von Borealis und damit Sterns Vorgänger ebenda.

Stern war kaum angekommen, da war Rainer Seele auch schon wieder weg. Noch im April 2021 erklärte der Deutsche, ein Putin-Versteher ersten Ranges, seinen vorzeitigen Rücktritt als OMV-Chef. Spätestens ab da waren Stern und Pleininger Gegenspieler.

Dass schließlich Stern am 1. September 2021 die Funktion des Vorstandsvorsitzenden der OMV übernahm, soll Pleininger nicht verwunden haben. Nicht nur, dass ihm der Sprung an die Spitze verwehrt geblieben war, die Bestellung eines Kunststoff-Technikers zum OMV-Chef war auch ein klares Signal, wohin sich der Konzern entwickeln würde. Weg vom Öl.

Noch 2021 begannen Gerüchte zu kursieren, Pleininger betreibe die Abspaltung seines Geschäftsbereichs „Exploration und Produktion“ in eine „New Energy Company“, an welcher neben der OMV auch Investoren aus der Private Equity-Branche beteiligt werden könnten. „Als CEO der neuen Energie-Gesellschaft wird OMV-Vize-General Johann Pleininger gehandelt, langjähriger Chef des Bereichs Exploration & Produktion. Obwohl er gegen Stern im Rennen um den Chef-Posten bei der OMV unterlag, arbeiten beide Top-Manager gut zusammen, hört man aus dem Unternehmen“, schrieb der „Kurier“ Ende Oktober 2021.

Sollte das Verhältnis damals tatsächlich noch gut gewesen sein, es verschlechterte sich jedenfalls rapide.

Die Kampfabstimmung

Als Stern im März 2022 die „Strategie 2030“ vorstellte, war von einer Abspaltung des Öl- und Gasgeschäfts in eine eigene Firma jedenfalls keine Rede, das Projekt war zudem vom gesamten OMV-Vorstand abgesegnet worden. Dennoch soll Pleininger im Hintergrund weiterhin die Verselbständigung seines Geschäftsbereichs betrieben haben. Dass Russland am 24. Februar die Ukraine überfallen hatte, veränderte vieles. Plötzlich redeten alle über Öl- und Gas – und nicht über Kreislaufwirtschaft.

Der immer offenere Konflikt eskalierte schließlich in einer Kampfabstimmung im OMV-Aufsichtsrat am 13. Mai dieses Jahres. Die Vertreter von ÖBAG und Abu Dhabi stimmten gegen die anstehende Verlängerung von Pleiningers Vertrag – er läuft damit am 31. August 2023 aus. Wie „Die Presse“ kürzlich berichtete, soll Pleiningers Vertrauter Wolfgang Hesoun zuvor erfolglos versucht haben, bei Aufsichtsräten der OMV zu intervenieren.

Fund der Ermittler am Arbeitsplatz eines BVT-Beamten, der nebenher auch im Projekt „Scout" tätig war: Zu den „Feinden der OMV - PETROM“ wurde offenbar auch Jaap Huijskes gezählt. Der Niederländer saß ab 2010 im Vorstand des Ölkonzerns.

Die Chance

Der Machtkampf schien entschieden, Pleininger hatte verloren. Vorderhand. Denn mittlerweile ist wieder alles anders. An der Spitze des ÖBAG-Aufsichtsrats sitzt nunmehr ein weiterer Buddy von Pleininger, Günther Ofner. Und auch er soll seine Zweifel an Sterns Strategie haben.

Anfang September wurde der OMV-Chef zweimal in den Aufsichtsrat der Staatsholding zitiert, um die eigentlich längst beschlossene Neuausrichtung der OMV zu erläutern. „Die Presse“ berichtete da bereits von einer „Phalanx gegen Stern“: „Vom Bundeskanzler Karl Nehammer über Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP) bis hin zur Industriellenvereinigung Wien“.

Und erst vor wenigen Tagen gab es für Stern die nächste Klatsche. Laut dem Magazin „trend“ soll ein „norwegisches Konsortium“ Interesse an der mehrheitlichen Übernahme der Öl- und Gasförderung angemeldet haben, wobei abermals Johann Pleininger als „Treiber des Projekts“ gilt. Ein Schreiben ging an Stern, eines an ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner, dem die Staatsholding ÖBAG untersteht. Die Öl- und Gassparte der OMV (Zitat „trend“: „Hansi Oil“) soll sechs bis acht Milliarden Euro wert sein, dazu wären die Norweger bereit, norwegisches Gas in die Partnerschaft einzubringen – womit sich die Abhängigkeit von russischem Gas weiter reduzieren ließe.

Der Stolperstein

Sollte die Sache tatsächlich ernst gemeint sein, muss sie natürlich geprüft werden. Sollte die OMV tatsächlich einen neuen Teilkonzern „Öl & Gas“ schaffen und diesen teilweise an Dritte abgeben, wäre Sterns „Strategie 2030“ so nicht mehr zu realisieren. Die Aussicht, dass Sterns härtester Widersache dort auch noch den Chefsessel einnimmt, macht die Neuausrichtung nicht einfacher.

Und weil das alles noch nicht kompliziert genug ist, gerät die Restrukturierung der OMV auch an anderer Stelle ins Stocken. Schauplatz Borealis AG. An dieser ist die OMV mit 75 Prozent beteiligt, 25 Prozent hält das Emirat Abu Dhabi.

Um den international tätigen Kunststoffhersteller Borealis herum sollte die neue OMV entstehen. Weil das nur funktioniert, wenn Borealis zur Gänze der OMV gehört, sollte das Viertel aus Abu Dhabi alsbald übernommen werden. Doch daraus wird erst einmal nichts. Nach profil-Recherchen sind die Verhandlungen der OMV mit Vertretern aus dem Emirat ins Stocken geraten. Diese seien zunehmend über die Vorgänge in Österreich irritiert und würden erst einmal nicht daran denken, Borealis zu verkaufen, wie es heißt.

Der Alte

Die Causa OMV dürfte zuletzt auch unter Entscheidungsträgern im Emirat selbst für Debatten gesorgt haben. Formell werden die OMV-Aktien seit Jahren über die Investmentgesellschaft Mubadala gehalten, diese verwaltete bis ins Frühjahr dieses Jahres auch den 25-prozentigen Borealis-Anteil. Mittlerweile gehört dieser aber der staatlichen Ölgesellschaft Abu Dhabi National Oil Company, kurz Adnoc. Alfred Stern und seinen Leuten sitzen damit in Verhandlungen andere Leute gegenüber als zuvor.

Und wie es der Zufall so will, tritt an dieser Stelle ein weiterer Mann mit OMV-Vergangenheit in Erscheinung: Rainer Seele. Nach profil-Recherchen agiert Seele mittlerweile als Konsulent von Adnoc. Seit wann er die Ölgesellschaft aus Abu Dhabi berät und was genau er da macht, wollte Seele auf profil-Anfrage nicht mitteilen. „Herr Seele möchte über seine aktuelle Tätigkeit keine öffentlichen Statements abgeben“, heißt es in einer profil übermittelten Stellungnahme seines Anwalts Stefan Prochaska.

Das Geheimprojekt

Dass Pleininger ein harter Gegner sein kann – diese Erfahrung dürften auch schon andere gemacht haben.

Ein besonders anschauliches Beispiel für die tiefsitzende Kultur des gegenseitigen Misstrauens ist wohl das Projekt „Scout“: Dabei handelte es sich um eine klandestine Operation, im Rahmen derer sich der OMV-Konzern mit einer undurchschaubare Parallelwelt aus privaten Sicherheitsberatern, Nachrichtendienstlern, Geschäftemachern und Glücksrittern einließ. Kein ganz unproblematisches Unterfangen, handelt es sich dabei doch um ein Milieu, in dem sich Informationen und Fakten nur allzu geschmeidig mit Gerüchten und Partikularinteressen vermischen.

Insgesamt 9,1 Millionen Euro zahlten die OMV und ihre rumänische Tochter Petrom von 2008 bis 2013 an eine bunte Truppe, die sich unter anderem aus einer deutschen Privatagentin mit Stasi-Vergangenheit, aus einem Beamten des österreichischen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT; nunmehr: DSN – Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst), aus einem deutschen Kriminalkommissar und aus einer Kommunikationsberaterin zusammensetzte. Die Kommunikationsfachfrau war auch als persönlicher Coach Pleiningers tätig gewesen.

Die Verurteilten

Pleininger saß damals im Vorstand der Petrom. Offizielles Ziel des Projekts „Scout“ war es, Öldiebstähle in Rumänien abzustellen und für den Schutz des Managers und dessen Familie zu sorgen. In der OMV wurde die Angelegenheit so vertraulich behandelt, dass offenbar nur Pleininger selbst einen tieferen Einblick in die operative Abwicklung hatte. Nicht einmal der Sicherheitschef des Unternehmens war in die Details eingeweiht – er durfte gerade einmal die zuvor von Pleininger inhaltlich bestätigten Rechnungen freigeben. Diese kamen übrigens von einer im Zuge des Projektstarts gegründeten Firma, die nach außen hin durch einen Wiener Rechtsanwalt repräsentiert wurde. Die operativ tätigen Personen konnten im Schatten agieren, alles blieb top-secret.

Das änderte sich schlagartig im Jahr 2016. Privatagentin Christina W. (Deckname „Nina“) und der deutsche Kommissar waren ins Visier der Justiz geraten. Es stellte sich heraus, dass der Beamte dienstliche Ermittlungsbefugnisse und private Geschäfte zu sehr miteinander vermengt hatte. Anfang 2017 wurden „Nina“ und der zwischenzeitlich gefeuerte Kommissar nach Geständnissen unter anderem wegen Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit in Deutschland zu Haftstrafen verurteilt. Teil der Anklage war auch das Projekt „Scout“.

Codename „Jodler“

Plötzlich drangen Informationen über das Projekt nach außen, die selbst innerhalb der OMV streng geheim gewesen waren und schon gar nicht das Licht einer breiteren Öffentlichkeit erblicken hätten sollen. Informationen, welche auch vor dem aktuellen Hintergrund anhaltender Grabenkämpfe in der Chefetage des teilstaatlichen Ölkonzerns von höchstem Interesse sein könnten. Werfen sie doch  die Frage auf, ob das Projekt „Scout“ nicht nur der Aufklärung des Ölschwunds in Rumänien und der Sicherheit Pleiningers diente, sondern möglicherweise auch dessen privaten Karriereinteressen.

Das entscheidende Codewort lautet: „Jodler“. Im Rahmen der Ermittlungen gegen Privatagentin W. wurden von den Behörden elektronische Daten sichergestellt. Darunter auch zwei Word-Dokumente, bei denen es sich augenscheinlich um monatliche Berichte zum Projekt „Scout“ aus dem Jahr 2010 handelt. In einem dieser Reports war ein „Subprojekt Jodler“ angeführt. Außerdem sollte es „Medienaktivitäten zu JODLER“ geben und zwei Personen – möglicherweise rumänische Journalisten – ein „Interview mit Hans Jodler“ vorbereiten. Der ins Projekt „Scout“ involvierte BVT-Beamte wiederum sollte dem Papier zufolge für die kryptisch bezeichnete Leistung „Bildband und Empfehlungsschreiben für Alpenjodler“ 2500 Euro erhalten.

Alles reichlich verwirrend, jedoch nicht untypisch für die Schlapphut-Community, in deren Fänge sich die OMV begeben hatte. Wer oder was ist jener „Jodler“, mit dem man sich offenbar über Monate hinweg befasste?

Gesprächsnotizen aus dem Jahr 2013: Offenbar beschäftigte sich die „Scout“-Truppe auch mit Karrierethemen.

Die Akten

profil recherchiert seit Jahren zur Causa „Nina“ und verfügt über Unterlagen, bei denen es sich augenscheinlich um Auszüge aus weiteren derartigen Monatsberichten zum Projekt „Scout“ handelt. Sie fügen sich optisch und auch inhaltlich nahtlos an jene an, die von den Behörden sichergestellt wurden. profil hat wesentliche Proponenten von „Scout“ mit zahlreichen Passagen aus den Papieren konfrontiert. Niemand wollte eine inhaltliche Stellungnahme abgeben, die Authentizität der Informationen blieb aber jedenfalls unbestritten. Das gilt auch für weitere Unterlagen, die profil vorliegen, und die offenbar aus einer späteren Projektphase aus den Jahren 2012 beziehungsweise 2013 stammen.

Insgesamt lassen sich aus den vorliegenden Papieren einige wesentliche Eigenschaften zur Person mit dem Codenamen „Jodler“ ableiten. Diese deuten allesamt auf einen Mann hin, der nichts mit Öldiebstählen in Rumänien, aber dafür ganz viel mit den Karriereaussichten Pleiningers zu tun hatte: Jaap Huijskes.

Der Niederländer

Am 7. Jänner 2010 gab die OMV die Bestellung des Niederländers Huijskes zum Konzernvorstand für den Bereich Exploration & Produktion (E&P) bekannt. Das war der Fachbereich Pleiningers, der damals – ein Level darunter – im Vorstand der Petrom saß. Huijskes wiederum zog 2010 in den Aufsichtsrat der Petrom ein. Wurde im Rahmen des von der OMV mit Millionen finanzierten Projekts „Scout“ unter dem Decknamen „Jodler“ ein Kampagne gegen Huijskes geschmiedet, der praktisch ein Vorgesetzter Pleiningers war und zwischen Pleininger und einem Posten an der Konzernspitze stand?

Positive Absichten hegten „Nina“ und Co. in Bezug auf „Jodler“ jedenfalls nicht: In einem der Projektberichte findet sich in der Rubrik „Unsere Ziele“ unter anderem folgender Satz: „Die Möglichkeit den Jodler bei einer Bohrung auf einem kurdischen Ölfeld zu versenken rücken in greifbare Nähe.“ Am Arbeitsplatz jenes – mittlerweile suspendierten – BVT-Beamten, der im Rahmen von „Scout“ tätig war, stellten die Ermittler eine Art Organigramm mit dem Titel „Die Feinde der OMV – PETROM“ sicher, in dem sich unter anderem der Name „Jaap Huijskes“ findet. Darüber hinaus stießen sie auf einen „Nachtrag zum Erkenntnisbericht zur Person des Jaap HUIJSKES“, der wenig Schmeichelhaftes über den Manager enthielt. In einer wiederum bei „Nina“ sichergestellten Textdatei mit dem Titel „Anlage: zum Projekt ‚S‘ (Aus dem Russischen übersetzt und bearbeitet.)“ wurde Huijskes gar als „ZP“ bezeichnet – Geheimdienstslang für „Zielperson“. Diverse Vermerke in den Projektberichten deuten zumindest darauf hin, dass die „Scout“-Truppe negative Informationen sammelte und  mediale Aktivitäten ins Auge fasste. Namen von Journalisten, die der involvierten Kommunikationsberaterin wohl aus ihrer sonstigen Tätigkeit bekannt gewesen dürften, wurden in den Raum gestellt – darunter auch solche von profil. Ein Blick ins Archiv zeigt allerdings, dass es keinen einzigen profil-Bericht gab, in dem der Name „Huijskes“ genannt wurde. 

Das Erbe

Pleininger bestreitet vehement, das Projekt „Scout“ zu eigenen Karrierezwecken genutzt zu haben. Die profil-Recherchen dazu bezeichnete er in einem emotionalen Telefonat als „Schweinerei“. Er habe in Rumänien sein Leben und das seiner Familie riskiert, weil er gegen Korruption vorgegangen sei. Mit Huijskes habe er „professionell zusammengearbeitet“. Tatsächlich beerbte Pleininger den Niederländer im Jahr 2015 als Konzernvorstand.

Eine detaillierte Anfrage ließ Pleininger unbeantwortet. Somit blieb unter anderem offen, ob er die Monatsberichte zum Projekt „Scout“ aus 2010 damals auch tatsächlich erhalten hatte. Im Verteiler auf dem Deckblatt war freilich an erster Stelle „JP“ angeführt. Pleininger verwies darauf, dass die Projektabwicklung sowohl von der österreichischen Justiz als auch unternehmensintern untersucht worden sei: „Es wurde nicht der geringste Verdacht bestätigt.“

Die Prüfung

Tatsächlich führte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eine ungefähr ein Jahr lang dauernde sogenannte Anfangsverdachtsprüfung durch, bevor sie sich 2019 entschloss, kein Ermittlungsverfahren einzuleiten (profil berichtete ausführlich). Die OMV hatte gegenüber den Behörden erklärt, sich nicht geschädigt zu fühlen, und hatte den Ermittlern auch Unterlagen zum Projekt übergeben. profil wollte nun wissen, ob es bezüglich der Unterlagen damals im Unternehmen einen Selektionsprozess gegeben habe. Die OMV-Pressestelle ging jedoch nicht auf diese Frage ein. Ober der WKStA seinerzeit alle „Jodler“-Papiere bei ihrer Fallbeurteilung vorgelegen sind, bleibt somit offen. Sofern diese bei der OMV damals vorhanden waren, dürften sie aber vermutlich nicht weitergegeben worden sein. Die Ermittler hielten nämlich in einem Bericht fest, dass bezüglich des Projekts „Scout“ von der „OMV AG grundsätzlich nur Unterlagen vorgelegt worden sind, die sich auch tatsächlich mit den Gegebenheiten bzw. Problemen der Petrom S.A. in Rumänien beschäftigen“. Vom Personen-Versenken in kurdischen Ölfeldern war demnach darin wohl eher nicht die Rede.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.