OMV: Wie man sich eines Problems entledigt
Am 12. März des Vorjahres fixierte das Management der teilstaatlichen OMV einen der bedeutendsten Deals der Firmengeschichte: die mehrheitliche Übernahme des österreichischen Chemiekonzerns Borealis, „Projekt Opera“, wie es intern bezeichnet war. Die Ermächtigung, die bestehende Beteiligung von 36 auf 75 Prozent aufzustocken, hatte sich der Vorstand um CEO Rainer Seele tags zuvor vom OMV-Aufsichtsrat geholt.
Für diese zusätzlichen 39 Prozent hatte die OMV rund vier Milliarden Euro an die Verkäuferin überwiesen, die Mubadala Holding des Emirats Abu Dhabi. Diese Gesellschaft ist zugleich auch eine Großaktionärin der OMV selbst. Die staatliche ÖBAG hält 31,5 Prozent, Mubadala (offiziell) 24,9 Prozent.
Doch nun lastet ein Schatten auf dem Geschäft. Unmittelbar vor Vertragsschluss soll zumindest ein OMV-Vorstandsdirektor gewusst haben, dass Borealis für 2020 deutlich weniger Gewinn erwartete als zunächst budgetiert – dies wurde gegenüber dem OMV-Aufsichtsrat allerdings verschwiegen. Zu diesem Schluss kommt der Wiener Rechtsanwalt Florian Khol, Partner der Wiener Kanzlei Binder Grösswang, der die Vorkommnisse rund um „Projekt Opera“ im Auftrag des OMV-Aufsichtsratsvorsitzenden Mark Garrett untersuchte (der „Kurier“ hatte darüber kürzlich berichtet).
Zum Zeitpunkt des Borealis-Vertragsschlusses hieß der OMV-Aufsichtsratschef noch Wolfgang Berndt, er machte im September 2020 für den Australier Garrett Platz, der seinerseits zwischen 2007 und 2018 Vorstandschef der Borealis AG gewesen war (er gilt nicht eben als Freund Seeles).
Garrett hatte im Oktober von einem als „seriös“ eingestuften Hinweisgeber den Zund bekommen, dass dem Aufsichtsrat vor der Zustimmung zum Borealis-Deal „wesentliche Informationen vorenthalten wurden“, wie es in Khols Bericht einleitend heißt. Dieser liegt profil vor.
Der Rechtsanwalt kam zu folgendem Resümee: Spätestens am 10. März 2020, einen Tag vor der entscheidenden OMV-Aufsichtsratssitzung, hatte zumindest der für das Chemiegeschäft zuständige OMV-Vorstand Thomas Gangl Kenntnis davon, dass sich die Borealis-Planungen für das Gesamtjahr 2020 („Rolling Forecasts“) akut verschlechtert hatten. Gangl war damals auch ein Mitglied des Aufsichtsrats der Borealis AG.
Am 10. März hatte Borealis mit Blick auf die bereits spürbare Covid-Krise und den schwächelnden Ölpreis den für 2020 erwarteten Jahresnettogewinn korrigiert: von bis dahin 720 Millionen Euro auf nunmehr 610 Millionen Euro (schlussendlich waren es überhaupt nur 589 Millionen Euro).
Laut dem Khol-Bericht führte Gangl dazu noch am 10. März mehrere Telefonate mit Borealis-Vertretern, unter ihnen der damalige Borealis-Vorstandschef und nunmehrige OMV-Vorstand Alfred Stern: „Am Nachmittag des 10. März 2020 fragte Al-fred Stern … Herrn Gangl unter anderem, ob der Rolling Forecast und Szenarienrechnungen vor der OMV Aufsichtsratssitzung am 11. März benötigt werden, Herr Gangl verneinte dies mit dem Hinweis, dass er alle erforderlichen Infos bereits habe und die Ölpreissensitivität mit dem Aufsichtsrat ohnedies explizit diskutiert worden war.“
Die Information blieb offenbar bei Gangl hängen (ob auch Rainer Seele davon wusste, geht aus dem Bericht nicht hervor). Tags darauf, am 11. März 2020, gab der OMV-Aufsichtsrat grünes Licht für die Borealis-Übernahme. Khols Resümee: Selbst für den Fall, dass die verschlechterten Borealis-Budgets für die Beschlussfassung im OMV-Aufsichtsrat „nicht erheblich“ gewesen wären, wäre der Vorstand „in Kenntnis der offensichtlichen Unrichtigkeit“ der Zahlen verpflichtet gewesen, den Aufsichtsrat zu informieren.
Das ist eine harte Schelte, die für Gangl allerdings keinerlei Folgen hatte, denn: Der OMV-Aufsichtsratsvorsitzende Garrett ließ von einem weiteren (namentlich nicht genannten) Juristen ein weiteres (unter Verschluss gehaltenes) Gutachten erstellen, das den Vorwurf nach profil-Recherchen relativierte: Weder war die Information über die veränderten „Rolling Forecasts“ für die Beschlussfassung im Aufsichtsrat (und wohl auch für die Borealis-Bewertung) entscheidend, noch hat der Vorstand seine Pflicht verletzt. „Die Borealis-Transaktion wurde korrekt abgewickelt. Dem Aufsichtsrat wurde keine für die Transaktion und insbesondere die Unternehmensbewertung relevante Information vorenthalten“, schreibt Garrett auf profil-Anfrage. „Es wurde eine Voruntersuchung zu den bekannten Vorwürfen durchgeführt. Diese ergab, dass es keine Verstöße gegen Rechtsvorschriften oder Compliance-Regeln gegeben hat. Der Fall ist damit abgeschlossen.“
Nicht so für die NEOS-Abgeordnete Karin Doppelbauer. Sie hat dazu jüngst eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien gerichtet (bereits Ende 2020 war der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft eine anonyme Anzeige zugegangen, die allerdings nicht verfolgt wurde).
Thomas Gangl selbst wollte sich gegenüber profil nicht äußern. Seit 1. April ist er übrigens Vorstandschef der Borealis AG.