Am Wiener Reumannplatz beginnen derzeit ja eher selten positive Geschichten. Diesmal aber schon, in der Palmers-Filiale ist die Stimmung gut, wirklich gut. Zwischen Strümpfen, gemütlichen Pyjamas und Spitzendessous sucht eine Stammkundin ihre Lieblingsunterhosen, eine Verkäuferin erzählt gut gelaunt: „Der Umsatz stimmt, die Filiale wird nicht geschlossen.“ Auf den Bildern der neuen Kampagne ist die 78-jährige Marianne Kohn zu sehen, besser bekannt als Loos-Bar-Chefin – ohne Drinks, dafür mit verspiegelter Sonnenbrille und schwarzen Spitzendessous. Es ist schon länger her, dass so viel über eine Palmers-Werbung diskutiert wurde.
Finanziell ist die Lage weniger glamourös: Die Schulden der 109 Jahre alten Firma sind hoch, das Eigenkapital ist negativ, die Umsätze sanken zuletzt. Der einstige Glamour ist verblasst. Es ist nicht einfach, über 100 Jahre lang den Geschmack der Kunden zu treffen. Die Traditionsmarke setzte Maßstäbe, ihre Plakate hingen jahrzehntelang in Jugend- und Klassenzimmern und sorgten für Diskussionen. Aber nach und nach wurde es stiller um die einst so provokante Marke.
Jetzt versucht Palmers den Zeitgeist wieder zu fassen. Wird das gelingen? Vor zehn Jahren übernahmen die Brüder Luca, Marc und Tino Wieser das Unternehmen, die Hälfte gehört einer Liechtensteiner Firma. Es geht also auch um die so simple wie grundlegende Frage: Wem gehört das Unternehmen jetzt wirklich?
Ein Stück österreichische Zeitgeschichte
Im Herbst 2004 war es so weit. Knapp 90 Jahre nach Ludwig Palmers’ Gründung verwandelten seine Enkel das Erbe in Geld. Sie verkauften die Palmers Textilgeschäft AG an zwei Investmentgruppen. Das Kerngeschäft habe sie wenig interessiert, heißt es – die Gewinne hatten zu sinken begonnen, die Spannungen zwischen Vorstand und Eigentümern waren gestiegen.
Der Tag des Verkaufs war sicher kein leichter für Rudolf Humer. Er hatte den Dessoushersteller 25 Jahre lang geführt. „Mich verbindet mit der Marke nichts mehr“, sagt der mittlerweile 80-Jährige heute mit ruhiger Stimme am Telefon. „Aber es war eine schöne Zeit damals.“ Palmers dominierte den heimischen Unterwäschemarkt, die Starfotografin Elfie Semotan inszenierte aufsehenerregende Kampagnen, und feministische Gruppen übermalten die Werbeplakate aus Protest. Auf einer berühmten Plakatserie war dreimal nebeneinander dieselbe Frau in Pin-up-Pose und Spitzenunterwäsche abgebildet, darüber stand: „Trau dich doch“.
„Er hat die Entführung mit viel Eleganz über sich ergehen lassen"
Palmers war eine Institution. Den Grundstein für das Unterwäscheimperium hatte Ludwig Palmers im Jahr 1915 mit einem kleinen Geschäft in Innsbruck gelegt. Sein Sohn Walter übernahm es nach dem Zweiten Weltkrieg und expandierte.
Ende der 1970er-Jahre wurde Walter Palmers von der „Bewegung 2. Juni“ entführt, die der Roten Armee Fraktion (RAF) nahestand. „Die Entführer wollten 50 Millionen Schilling in Valuten. Ich habe drei Tage damit verbracht, das Geld zusammenzukratzen“, erzählt Humer. Er kontaktierte Bankvorstände, die er kannte, und leerte die Depots. Das Lösegeld wurde von Palmers’ Sohn persönlich übergeben, kurz darauf wurde der Vater freigelassen. „Palmers war ein bewundernswerter Mensch, er hat die Entführung mit viel Eleganz über sich ergehen lassen.“ Kurz nach der Entführung zog sich Palmers aus dem Geschäft zurück. Humer übernahm, nicht einer aus der Familie. Heute sagt der ehemalige Geschäftsführer: „Zum Zeitpunkt des Verkaufs waren wir hochprofitabel. Dann ging es bergab.“ Er verfolgt weiterhin aufmerksam die Entwicklung und merkt an: „Die Zahlen sind erschreckend. Die Umsätze müssten jetzt dreimal so hoch sein.“
Der Verlust des heimischen Wäscheherstellers Palmers verdreifachte sich im Geschäftsjahr 2023/24 auf 14,7 Millionen Euro. Der Umsatz sank von 71,5 Millionen auf 66,6 Millionen Euro, wie aus dem Jahresabschluss hervorgeht. Das Eigenkapital des Konzerns drehte ins Negative – von rund 7 Millionen auf minus 2,6 Millionen Euro. Hinzu kommen hohe Bankkredite, die bald fällig werden, sowie die Rückzahlung von Cofag-Geldern. Es wird bereits verhandelt, ob diese auch in Raten zurückgezahlt werden können. Wie prekär die Lage ist, zeigt ein kleines Detail im Firmenbuch (Wirtschaftscompass): Die P-Tex Holding, die Muttergesellschaft von Palmers, übernahm heuer Bürgschaften für Kredite in der Höhe von 8,3 Millionen Euro für die Palmers Textil AG. P-Tex müsste also im Notfall einspringen, sollte Palmers das Geld nicht zurückzahlen können. Die Eigentümer antworteten nicht auf eine diesbezügliche Nachfrage.
Tatsächlich hat sich in den vergangenen 20 Jahren der Unterwäschehandel gewaltig verändert. Schon Anfang der 2000er-Jahre galt Palmers als etwas altmodisch und bekam die Konkurrenz internationaler Textilketten wie H&M, die auch Unterwäsche zu günstigeren Preisen verkauften, zu spüren. Mittlerweile ist das italienische Milliarden-Familienimperium der Calzedonia-Gruppe, zu der auch Intimissimi und Tezenis gehören, sehr präsent in Österreich. Ebenso die holländische Hunkemöller-Kette; hinzu kommen zahlreiche Onlineangebote. Auch im Nobel-Segment wuchs die Konkurrenz: In den letzten Jahren starteten kleine Unterwäsche-Labels, die viel früher auf unterschiedliche Körperformen und Body Positivity setzten als die Traditionsmarke. Und damit den Zeitgeist und ein jüngeres Publikum ansprachen.
„Ihr Kollege schrieb damals im profil, dass ich aus einem großen Wäschehandel eine sehr große Textil- und Immobiliengruppe formte. Das stimmt, mich haben Immobilen sehr interessiert“
Rudolf Humer
Über Palmers in den 90er Jahren
Immobilien statt Unterwäsche
Das Vermögen der Familie Palmers fußt auf zwei Säulen – auf Unterwäsche und auf Immobilien. Verkauft wurde vor 20 Jahren nur das Wäsche-Segment. In der Palmers Immobilen SE ruht weiterhin ein beträchtliches Häuserportfolio, das wohl die Lebensabende der Palmers-Nachfahren absichert. „Ihr Kollege schrieb damals im profil, dass ich aus einem großen Wäschehandel eine sehr große Textil- und Immobiliengruppe formte. Das stimmt, mich haben Immobilen sehr interessiert“, erzählt der frühere Geschäftsführer Humer. Die Familie behielt sich diesen Teil, und auch Humer ist bis heute im Immobiliengeschäft tätig und Besitzer einiger Immobilien.
Die meisten Palmers-Erben leben heute zurückgezogen, manche blieben in der Wirtschaft, andere wagten sich in die Literatur, und Vanja Palmers, ein Enkel des Dynastiegründers, nach einer LSD-Erfahrung in den Buddhismus. Bis heute betreibt der 76-Jährige ein spirituelles Zentrum in der Schweiz. In einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin „trend“ antwortete er auf die Frage, was ihn noch mit dem Unternehmen verbinde: „Eine Mischung aus Nostalgie und einem Gefühl des Glücks, im richtigen Moment verkauft zu haben.“ Der Markt wurde danach jedenfalls schwieriger.
Palmers Vorstände CFO Tino Wieser und CEO Luca Wieser
Sie haben das Unternehmen 2015 übernommen.
Palmers-Eigentümer Luca und Tino Wieser
Sie haben das Unternehmen 2015 übernommen und wollen es wieder zu altem Glanz bringen.
Wem gehört das Unternehmen heute?
Für den größten heimischen Dessoushersteller folgten nach dem Verkauf 2004 zehn Jahre unter den Investmentfirmen Lead Equities und Quadriga Capital. Aus dieser Zeit bleibt vor allem eines in Erinnerung: Man änderte das klassische Palmersgrün in einen unscheinbaren Olivton. Rückblickend betrachtet war das wohl ein strategischer Fehler. Nur wenige Firmen haben eine Logo-Farbe, die auch ihren Namen trägt. Die Familienlegende besagt, dass der Gründervater Ludwig Palmers nach einer Farbe gesucht habe, die es damals noch nicht im Straßenbild gab. In den 1930er-Jahren riet ihm der Architekt Adolf Loos dann zu genau diesem, eigens abgemischten Grünton.
Die heutigen Eigentümer kehrten schließlich zum Palmersgrün zurück. Im Dezember 2015 übernahmen Tino, Marc und Luca Wieser, drei Brüder aus der Steiermark, mit dem Investor Gernot Friedhuber den Textilkonzern. Relativ schnell, sagt ein damals Beteiligter, sei der Deal besiegelt gewesen. Dem Vernehmen nach lag der Kaufpreis bei rund 20 Millionen Euro. Kurze Zeit später stieß der gebürtige Usbeke (und mittlerweile österreichische Staatsbürger) Matvei Hutman hinzu.
Heute ist er Co-Geschäftsführer bei der übergeordneten P-Tex Holding, zusammen mit den Wieser-Brüdern. Die Wieser-Brüder hatten zuvor bei Benetton, Nike und Red Bull gearbeitet, Hutman seinerseits jahrelang vermögende Kunden aus Russland und der Ukraine bei der Julius Meinl Bank betreut. Über Jahre hinweg wurde Hutman als „Vorstand und Eigentümer der Palmers Textil AG“ bezeichnet. Die Palmers Textil AG gehört zu 100 Prozent der P Tex Holding GmbH. Tatsächlich scheint allerdings nicht Hutman neben Luca (22,2 Prozent) und Tino Wieser (27,7 Prozent) als Gesellschafter im Firmenbuch auf (Marc ist im Jahr 2018 aus dem Unternehmen ausgeschieden), sondern eine CFA Contact-Finanz und Handelsaktiengesellschaft (CFA AG) in Mauren, Liechtenstein. Die Frage, wem deren 50 Prozent des Unterwäschekonzerns zuzurechnen sind, ließ Palmers unbeantwortet. Es ist somit unklar, wem die Hälfte des Unternehmens gehört.
„Die Jungen sagen teuer und alt. Aber das werden wir ändern.“
Marc Wieser
2015 über Palmers
Affäre Hygiene Austria
Die Brüder Wieser und Hutman wollten Palmers zu altem Glanz verhelfen. In einem Interview sagte Marc Wieser bei der Übernahme 2015 auf die Frage nach dem Image: „Die Jungen sagen teuer und alt. Aber das werden wir ändern.“ Kurz darauf folgten Kollektionen mit Art-Noveau-Design und die berühmte „Osterhöschen-Kampagne“. Sechs übernatürlich schlanke und mädchenhaft wirkende Frauen rekelten sich auf einem Teppich in Unterhose.
Mittlerweile werden die Wieser-Brüder aber vor allem mit einer Affäre in Verbindung gebracht: Hygiene Austria. Dieses Kapitel begann eigentlich gut für das Unternehmen. Die Coronapandemie überforderte 2020 das ganze Land. Masken waren rar, als der oberösterreichische Faserhersteller Lenzing und Palmers sich zusammenschlossen, um Masken „Made in Austria“ zu produzieren. Vier Jahre später ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf schweren gewerbsmäßigen Betrug und Schwarzarbeit. Denn Palmers lagerte Teile der Produktion nach China aus, auf den Masken stand dennoch „Made in Austria“. Vergangenen Jänner ging die Hygiene Austria in Konkurs.
Diversität statt Osterhöschen
Kurz darauf übernahm Janis Jung die Geschäftsführung der Palmers Textil AG, die Eigentümer zogen sich aus dem Tagesgeschäft zurück. Der 32-Jährige soll jetzt Sparprogramm und Neupositionierung schaffen. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, diese wertvolle Marke wieder auf Erfolgskurs zu führen, und haben dazu in allen Ebenen Branchenexperten ins Team geholt“, sagt er auf Nachfrage. Er trat in Interviews als „Palmers-Sanierer“ auf. Das Unternehmen konzentriert sich nur noch auf drei Kernmärkte – Österreich, Deutschland und Kroatien. Die Gesellschaften in Slowenien, der Slowakei, Ungarn, Tschechien sowie in Italien wurden abgeschrieben.
Auch in Österreich werden Filialen geschlossen. Derzeit betreibt Palmers im Vergleich zur Konkurrenz überdurchschnittlich viele Shops in Österreich – 186 insgesamt. Calzedonia, Intimissimi und Tezenis betreiben in Summe 87 Geschäfte, ergab eine Auswertung von Standort+Markt für den „trend“. Derzeit produziert Palmers einen Großteil seiner Wäsche in Asien. Das Management überlegt aber, Teile der Produktion nach Europa, etwa in die Ukraine, zu verlagern. Es habe in den vergangenen Jahren mehrfach Lieferschwierigkeiten gegeben, dadurch entging dem Wäschehersteller einiges an Geschäft.
„Jetzt hama den Scherben auf, mit 78ig plus Model", kommentiert sie selbst auf Instagram.
Marianne Kohn
„Jetzt hama den Scherben auf, mit 78ig plus Model", kommentiert sie selbst auf Instagram.
Nicht alle Frauen haben schlanke Modelkörper, das hat auch Palmers mittlerweile verstanden. Bei den Kampagnen geht man weg von „Osterhöschen“, hin zu Körpervielfalt. „Diese läuft in einem herausfordernden Marktumfeld sehr gut und sorgt für eine gesteigerte Nachfrage im Vergleich zum Vorjahr“, heißt es aus dem Unternehmen. Ein weiteres Flautejahr wäre jedenfalls schwer zu verkraften. Auch Rudolf Humer, der ehemalige Geschäftsführer, hat die aktuelle Kampagne verfolgt. Seinen Geschmack trifft es nicht: „Ich wurde oft gefragt, wie ich rechtfertigen kann, dass wir nur die schönsten Frauen nehmen. Kunden sind interessiert an Perfektion.“ Loos-Bar-Legende Marianne Kohn sieht das anders. Sie kommentierte ihr Bild auf Instagram: „Jetzt hamma den Scherben auf, mit 78ig plus Model.“