„Politisch motiviert“: Wie der Kreml Gegner im Ausland verfolgt
Ein Staat, der die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) achtet, missachtet diese, sobald er einem anderen Staat Rechtshilfe leistet, der es mit den Menschenrechten grundsätzlich nicht so hat. So lässt sich ein gewichtiges Urteil des Staatsgerichtshofs des Fürstentums Liechtenstein zusammenfassen, das am 7. Februar, drei Wochen vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine, in Vaduz erging.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist deshalb bedeutsam, weil sie ein hochpolitisches Verfahren beschreibt, das bis nach Österreich wirkt: Die Russische Föderation versus Sergey Leontiev, einem erklärten Putin-Gegner und Unterstützer des inhaftierten Oppositionellen Alexei Nawalny.
Leontiev und sein Partner Alexander Zheleznyak, Gründer der russischen Life Financial Group, waren 2012 ins Visier des Kreml geraten, nachdem sie sich der Nawalny-Bewegung angeschlossen hatten. Sie bekamen in weiterer Folge Probleme mit den russischen Behörden, die Zentralbank entzog ihrer Moskauer Probusinessbank die Lizenz, die Bank kollabierte, Leontiev und Zheleznyak flüchteten in die USA. „Ich hatte eine von Putins, roten Linien' überschritten: Unterstützung der Opposition“, sagte Leontiev in einem profil-Interview Ende Jänner.
2016 eröffnete die Moskauer Generalstaatsanwaltschaft gegen die Geschäftsleute ein Verfahren wegen des behaupteten Diebstahls Hunderter Millionen Euro aus dem einstmaligen Probusinessbank-Vermögen, was wiederum internationale Implikationen hatte – so auch in Liechtenstein. Im Oktober 2017 gelang es den russischen Behörden, einen dreistelligen Millionen-Dollar-Betrag auf Leontiev zugerechneten Konten bei der Bank Frick & Co einfrieren zu lassen, die Liechtensteiner Staatsanwaltschaft leitete ihrerseits Vorerhebungen wegen des Verdachts der Geldwäscherei ein.
Seither wurde die Kontensperre in Liechtenstein auf Drängen Moskaus immer wieder verlängert, wenngleich die russische Seite offenbar bis zuletzt keinen Beweis für die behauptete Veruntreuung des Bankvermögens vorbringen konnte. „Was Sie hier beobachten können, ist ein russischer Modus Operandi. Man verfolgt politische Gegner im Ausland, indem man mittels erfundener Vorwürfe die jeweiligen Justizsysteme beschäftigt, Vermögen einfrieren lässt und die Gegner damit wirtschaftlich zermürbt. Russland ist wie Nordkorea. Beide werden von korrupten Banden regiert“, sagte Leontiev in dem profil-Interview, das am 23. Jänner zunächst in der profil-Printausgabe veröffentlicht wurde.
Lange passierte in dieser Causa nicht allzu viel, das Fürstentum hatte es insgesamt nicht allzu eilig damit. Doch dann ging plötzlich alles ganz schnell.
Am 7. Februar gab der Staatsgerichtshof Liechtenstein zunächst einer Beschwerde Leontievs statt, die Höchstrichter sahen ausreichend Indizien dafür, dass das russische Rechtshilfeersuchen politisch motiviert sei und Leontiev in seiner Heimat kein faires Verfahren erwarten könne. Am 3. März stellte die Staatsanwaltschaft Liechtenstein ihre Erhebungen wegen Geldwäscherei ein, am 11. März verfügte das Landgericht Liechtenstein die Aufhebung der Kontensperre. „Der Staatsgerichtshof hat nunmehr … festgestellt, dass das zugrundeliegend, russische, Verfahren gegen die Probusinessbank und damit auch gegen Sergey Leontiev politisch motiviert und damit eine Rechtshilfehandlung – zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt – unzulässig ist“, wie es im Beschluss des Landgerichts heißt (siehe Faksimile).
Warum das Fürstentum mehr als vier Jahre brauchte, um diese Haltung auszuprägen, geht aus den profil vorliegenden Schriftsätzen übrigens nicht hervor.
Auch Österreichs Rechtssystem ist – noch – mit dem Fall befasst. Seit 2018 ist am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen eine Millionenklage der russischen Einlagensicherung DIA gegen zwei in Wien lebende Angehörige Leontievs anhängig. Streitwert: rund 154 Millionen Euro. Hier geht es um eine behauptete Mittäterschaft der Angehörigen bei der Veruntreuung des Probusinessbank-Vermögens; Beweise dafür finden sich allerdings auch in den österreichischen Gerichtsdokumenten keine. Nach Auskunft des Landesgerichts ist dieses Zivilverfahren seit 2019 unterbrochen.