Privatschulden explodieren

Im November 2017 wurde das Gesetz zum Privatkonkurs novelliert. Der Alpenländische Kreditorenverband (AKV) zieht nach über neun Monaten eine Bilanz zur Privatkonkurs-Neu

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Man konnte es die Ruhe vor dem Sturm nennen. Nach der Ankündigung der vorherigen Regierung im Jänner 2017, das Privatkonkursrecht radikal zu novellieren, wurde es -abgesehen von den Protesten der Gläubigerschützer – über ein halbes Jahr völlig still um die privaten Pleiten. Seit 1. November 2017 sind die neuen Bestimmungen (Insolvenzrechtsänderungsgesetz – IRÄG) in Kraft. Und sie enthalten in der Tat zahlreiche Vorteile für Schuldner. Das Ergebnis: In den ersten sechs Monaten des heurigen Jahres ist die Zahl der eingeleiteten Privatkonkurse um 82 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres gestiegen.

Seit 1995 gab es für überschuldete Personen die Möglichkeit, wie eine Firma, Konkurs anzumelden. Dabei ist jemand, der sieben Jahre lang brav einen gewissen Teil seiner Verbindlichkeiten zurückgeführt und dabei mindestens zehn Prozent der Schulden (Mindestquote) abbezahlt hat, schuldenfrei geworden. Das hat vielen den Neubeginn für die Zeit nach den Schulden ermöglicht. Vor Einführung des Privatkonkurses blieben Schuldner ein Leben lang verschuldet und auf das Existenzminimum gepfändet. Seit der Novelle im Vorjahr gilt folgendes: Die Schuldner müssen – wenn der von ihnen angebotene Prozentsatz im Rahmen eines Zahlungsplans von den Gläubigern nicht angenommen wird - im sogenannten Abschöpfungsverfahren nur noch fünf Jahre abstottern und eine Mindestquote ist nicht mehr erforderlich.

Das hat seit Jänner 2018 zu einem noch nie dagewesenen Ansturm auf die Privatinsolvenzgerichte geführt. Hand in Hand mit der Zahl der Insolvenzen sind auch die Schulden gestiegen. Hans Musser, Geschäftsführer des Alpenländischen Kreditorenverbandes, zieht nach über neun Monaten Privatkonkurs-Neu Bilanz: „Die Passiva der eröffneten Privatkonkurse im ersten Halbjahr 2018 haben sich von 336 auf 949 Millionen Euro fast verdreifacht. Die Passiva zum Halbjahr 2018 haben einen Wert eines durchschnittlichen Gesamtjahres erreicht.“ Vor 2017 seien nämlich die Gesamtpassiva der eröffneten Privatkonkurse ganzjährig bei circa einer Milliarde Euro gelegen.

Ex-Selbstständige pumpen Passiva auf

Die neuen Bestimmungen nutzten vor allem zwei Gruppen verstärkt: Personen mit gar keinem Einkommen (oder mit nur geringfügig pfändbaren Bezugsteilen) sowie vormalige Unternehmer mit beträchtlichen Verbindlichkeiten aus früherer Selbstständigkeit. Letztere haben in der Vergangenheit oft von einem Abschöpfungsverfahren Abstand genommen, weil bei Nichteinigung mit den Gläubigern auf eine geringe Quote aufgrund der hohen Schulden die Erzielung der zehnprozentigen Mindestquote nahezu illusorisch war. Mit dem Wegfall der Quote, und dem verstärkten Zulauf der Ex-Unternehmer, ist auch der rasante Anstieg der Passiva verständlich. Denn die Schulden pro Insolvenzfall sind durch die ehemaligen Selbstständigen sind von 112.900 Euro auf 171.100 Euro hochgeschnellt. Wobei hier die Männer den Durchschnitt nach oben pressen: Die Durchschnittsverschuldung der Männer liegt bei 215.200 Euro, während diese bei Frauen nur 91.300 Euro beträgt. Bei Personen aus einkommensschwachen Haushalten läge laut AKV die Verschuldung bei durchschnittlich unter 50.000 Euro, bei einkommenslosen Haushalten unter 10.000 Euro.

Für heuer rechnet AKV-Chef Musser mit einem Rekordjahr: „Sollte der Ansturm auf die Privatkonkursgerichte über das ganze Jahr 2018 andauern, so würden die Gesamtpassiva annähernd zwei Milliarden Euro und damit annähernd die Gesamtpassiva der eröffneten Firmeninsolvenzen erreichen.“ Das verwundert nicht: Gereiht nach den Passiva befinden sich unter den zehn größten Insolvenzen in Österreich drei Privatkonkurse. Bei einem im Februar dieses Jahres eröffneten Privatkonkursverfahrens beim Bezirksgericht Baden haben Gläubiger Forderungen in der Höhe von 95 Millionen Euro angemeldet. Das bislang größte Privatkonkursverfahren.

In der Praxis

So sieht die neue Entschuldung in der Praxis aus: Zuerst wird ein Zahlungsplan angeboten. Wird dieser von den Gläubigern abgelehnt, geht es dann in das fünf jährige Abschöpfungsverfahren. Dabei kann es im Extremfall dazu kommen, dass eine nur unter einem Prozent liegende Quote zurückbezahlt wird. „Diese sind zwar für die Gläubiger unattraktiv gering, können aber in manchen Fällen wirtschaftlich angemessen sein“, sagt AKV-Chef Musser. Damit, und aus der Verkürzung des Leistungszeitraums von sieben auf fünf Jahre, werde künftig die durchschnittliche Zahlungsplanquote von zirka 20 Prozent (wie sie vor dem Inkrafttreten des IRÄG 2017 gewesen ist), wohl kaum mehr erreicht werden, meint Musser.

Die Gläubigerschutzverbände

Eine große Rolle im Rahmen den Insolvenzen (Kommerz- und Privatinsolvenz) nehmen auch die Gläubigerschutzverbände ein. Es gibt in Österreich vier sogenannte „bevorrechtete“ Gläubigerschutzverbände: Alpenländischer Kreditorenverband (AKV EUROPA; seit 1925), Creditreform, Kreditschutzverband von 1870 (KSV) und die ISA (Insolvenzschutzverband für Arbeitnehmer, dieser ist im Privatinsolvenzbereich nicht tätig). Um als bevorrechteter Verband zu gelten, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. AKV-Geschäftsführer Musser: „Er muss in der Lage sein, einen umfassenden, wirksamen Schutz von Gläubigerinteressen in ganz Österreich zu erfüllen. Darüber hinaus hat er die zweckmäßige Interessenwahrnehmung in den Verfahren nach dem Insolvenzgesetz zu gewährleisten und die Gerichte zu unterstützen.“ Die Geschäftsfelder der Gläubigerschutzverbände sind breit gestreut: Sie geben Wirtschaftsauskünfte, bieten Forderungsmanagement (außergerichtlich und gerichtlich) an, vertreten Gläubiger in Schuldenregulierungsverfahren und bei Kommerzkonkursen, und sie werden vom Gericht in Abschöpfungsverfahren als Treuhänder eingesetzt. Die Gläubigerschutzverbände vertreten aber nicht nur die Interessen von Gläubigern, die sie beauftragen, sie nehmen auch die Interessen des gesamten Gläubigerkreises wahr. Das Ziel ist es, die Interessen der Gläubiger zu bündeln, um damit als ein starker Verhandlungs-partner aufzutreten. Sie werden im Firmeninsolvenzverfahren zu Mitgliedern von Gläubigerausschüssen bestellt und sie unterstützen die Gerichte durch ein Frage- und Anhörungsrecht in der Verhandlung (etwa bei der Frage um Schließung oder Fortführung eines Unternehmens). Darüber hinaus verhandeln sie noch Sanierungs- oder Zahlungsplanquoten. Und sie informieren laufend die Gläubiger über den Stand des jeweiligen Verfahrens bis zu dessen Abschluss.

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