Gleichberechtigung

Väterkarenz: Männer gehen seltener und bleiben kürzer

Der Anteil der Männer in Karenz stagniert nicht nur, er sinkt sogar. Die politischen Ziele wurden verfehlt, von halbe-halbe ist Österreich meilenweit entfernt.

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Wolfgang schiebt den Kinderwagen, die einjährige Marlena geht mit noch etwas wackeligen Schritten an seiner Hand. An einem heißen Sommervormittag statten sie dem majestätischen Löwen im Wiener Tiergarten Schönbrunn einen Besuch ab. Schon von Weitem hört man das Brüllen des Tieres, ein mächtiger Patriarch in der klein gewordenen Welt seines Geheges. Dort sind Väterkarenz, langwierige Diskussionen um die Aufteilung von Pflichten und Verzicht kein Thema. Außerhalb des Zaunes ist das heutzutage freilich völlig anders.

Vor Beginn seiner viermonatigen Karenz hat Wolfgang (die Namen von Vater und Tochter wurden auf Wunsch des Vaters geändert) seine Donnerstagvormittage in Meetings und am Schreibtisch verbracht, nicht mit Löwen, Tigern und Marlena. Wolfgang ist Ende 30, gut ausgebildet und arbeitet in einer männerdominierten Branche in leitender Position in einem großen Technikkonzern. In Schönbrunn sind an diesem Vormittag gefühlt mehr Väter als Mütter unterwegs. Eine Ausnahme. Wolfgang deutet es jedoch als gutes Zeichen, dass sich – zumindest ein bisschen – etwas ändert. Ganz anders ist es in dem kleinen Dorf in Westösterreich, in dem er aufgewachsen ist. Als Wolfgang in Väterkarenz gegangen ist, wurde er dort erstaunt angeschaut und gefragt, ob dies überhaupt möglich ist.

„Ich verbringe auch lieber die Zeit mit meiner Tochter als in der Telefonwarteschleife der Österreichischen Gesundheitskasse.“

Wolfgang

Vater in Karenz

Die Karenzzeit gilt nach wie vor als ein Knackpunkt am Arbeitsmarkt und bei der Gleichberechtigung. Würden mehr Männer länger in Karenz gehen, könnte das Einkommens-, Karriere- und Pensionsunterschiede verkleinern. Derzeit nehmen rund 20 Prozent der Väter in Österreich diese Möglichkeit in Anspruch. Nur drei Prozent bleiben aber länger als drei Monate, lediglich ein Prozent länger als ein halbes Jahr. Dies zeigt eine Studie der Arbeiterkammer. Gesetzliche Neuerungen der vergangenen zehn Jahre, wie das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld und der Papamonat, sollten eine berufliche Auszeit zur Kinderbetreuung attraktiver machen, aber bisher mit wenig Erfolg. Seit der Einführung des Papamonats 2017 gehen sogar noch weniger Väter in Karenz. Was läuft da schief?

Wer geht in Karenz?

Immer wieder fällt bei dieser Recherche der Satz: Väterkarenz ist nur etwas für die sogenannten Bobos in den hippen Wohnvierteln unweit der Wiener Innenstadt, sprich liberale, gebildete und gut verdienende Menschen. profil trifft Franz (auch er heißt im echten Leben anders) in einem Beisl nahe dem Wiener Donaukanal. Er trägt eine Arbeitshose, wie man sie von Baustellen kennt. Als Bobo geht er jedenfalls nicht durch, er macht nicht „irgendwas mit Medien“, sondern irgendwas auf Baustellen. Franz ist zuständig für Dichtheitsprüfungen bei Gebäuden. „Das ist, wenn wieder einmal ein Schmarrn gebaut wurde und Wasser ausrinnt“, fasst er es kurz zusammen. Auch ein klar männerdominierter Beruf. Er überlegt lange und meint schließlich, dass ihm bis auf die Juniorchefin in seiner Firma keine Frau in diesem Fach einfällt. 

Seit einigen Wochen arbeitet Franz wieder Vollzeit, die Zeit zu Hause mit seiner einjährigen Tochter ist vorbei. „Es war schon massiv fordernd, jeder denkt sich, Karenz ist gleich Urlaub.“ Er jetzt nicht mehr. „Es ist der beste Spiegel, den man der Männerwelt vorhalten kann“, meint Franz. Ein Tag daheim war für ihn fordernder als neun Stunden im Job. 

Die Studie von L&R Sozialforschung im Auftrag der Arbeiterkammer zeigt: In männerdominierten Berufen gehen statistisch gesehen weniger Väter in Karenz, in frauendominierten – wie zum Beispiel Sozialberufen – mehr und vor allem länger. Besonders wenige finden sich unter den Kfz-Mechanikern oder in der Gastronomie, etwas mehr sind es in der Versicherungs- und Finanzbranche. Auch sie bleiben allerdings nur für sehr kurze Zeit zu Hause. Grundsätzlich nehmen mehr Männer in der Stadt eine Karenz in Anspruch als in ländlichen Regionen. Laut Studie ist die Väterbeteiligung vor allem in Gebieten mit vorhandener Kinderbetreuung für Kleinkinder höher. 

Was sich ebenfalls abzeichnet: Je mehr der Mann verdient, desto kürzer fällt die Väterkarenz aus, je mehr die Frau verdient, desto länger. Die Jobs von Energietechniker Wolfgang und seiner Partnerin wiederum sind gut vergleichbar, beide haben das gleiche Ausbildungsniveau, ähnliche Positionen und sind ambitioniert. „Mir ist es wichtig, dass auch meine Frau beruflich ihre Chancen und Erfolge hat“, sagt er. Eine lange Karenz bewirke da das Gegenteil, daher ist ihm seine Zeit mit Marlena auch aus partnerschaftlicher Sicht wichtig:  „Wenn wir nicht damit anfangen, dann wird es auch in Zukunft niemand machen.“

„Wenn man tatsächlich die Männerbeteiligung erhöhen möchte, dann führt kaum ein Weg an stärker lenkenden Maßnahmen vorbei.“

Olaf Kapella

ÖIF-Forscher

Doch selbst wenn Väter in Karenz gehen, ist man in den allermeisten Fällen von halbe-halbe weit entfernt. Wolfgang nimmt vier Monate in Anspruch, seine Frau zehn. Franz bleibt zwei Monate, seine Freundin ein Jahr: „Drei Monate wären in der Firma schwierig, denn wir sind ein kleiner Betrieb“, erklärt der Dichtheitsprüfer. Bis 2010 betrug die Mindestkarenzzeit drei Monate, jetzt sind es zwei. Diese Veränderung sehe sie sofort in ihren Untersuchungen, sagt Ökonomin Katharina Mader von der Arbeiterkammer. „Männer orientieren sich am Mindestmaß.“ Umso wichtiger seien die politische Kommunikation und ein klares Ziel bei diesem Thema.

In die falsche Richtung wirkt sich da ausgerechnet der Papamonat aus. Es gibt kaum Männer, die sowohl einen Papamonat als auch eine Karenz in Anspruch nehmen. So kommt es zu einem Verdrängungseffekt. Das Problem ist: Bei vielen Arbeitgebern gibt es wenig Verständnis für zwei Berufsunterbrechungen. Darauf verweist auch Olaf Kapella vom Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF). Bei seinen Studien hätten immer wieder Männer gesagt, dass es in der Arbeit hieße: „Du hast eh einen Papamonat gemacht, wozu auch noch Karenz?“ Ein weiteres Manko ist: Wer einen Papamonat in Anspruch nimmt, erhält 700 Euro. Diese werden allerdings später vom Kinderbetreuungsgeld abgezogen. Zumindest dieses Problem soll nun gelöst werden, wie das Familienministerium auf profil-Anfrage mitteilte. 

Dieser Verdrängungseffekt hat Folgen: Sowohl Arbeiterkammer-Expertin Mader als auch Kapella vom ÖIF gehen davon aus, dass die Zahl der Väter in Karenz weiter sinken wird. Dabei beschränkt sich der Unterschied zwischen einem Papamonat und einer mehrmonatigen Karenz nicht nur auf die Dauer. Der Papamonat ist meistens eigentlich ein Familienmonat, der Vater ist kaum je allein mit dem Kind und muss nicht die volle Verantwortung übernehmen. 

Aber auch das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld hat nicht das gewünschte Ziel erreicht. Vor einigen Jahren wurde es eingeführt, damit mehr Männer – die nach wie vor oft besser verdienen als ihre Partnerinnen – in Karenz gehen. Eine Studie des ÖIF zeigt aber, dass die angestrebte Männerbeteiligung von 30 Prozent durch die letzte Reform des sogenannten Kinderbetreuungsgeldkontos im Jahr 2017 nicht erreicht wurde. Tatsächlich lag sie 2018 bei rund 17 Prozent und war damit etwa so niedrig wie davor. Auch der Partnerschaftsbonus, der bei einer gleichmäßigen Aufteilung zwischen den Eltern ausbezahlt wird, wurde nur von 1,3 Prozent der Paare in Karenz angenommen, das Ziel waren drei Prozent. Das Resümee der ÖIF-Studie lautet: Das Kinderbetreuungsgeld in seiner derzeitigen Form leistet jedenfalls keinen Beitrag zur Gleichstellung, wie in den politischen Zielsetzungen angestrebt.

„Wenn man tatsächlich die Männerbeteiligung erhöhen möchte, dann führt kaum ein Weg an stärker lenkenden Maßnahmen vorbei“, analysiert Studienautor Kapella. Zum Beispiel: Der Vater muss signifikante Teile des Kinderbetreuungsgeldes beziehen, sonst verfällt es. Als Vorbild wird hier gerne Island genannt, dort sieht das Karenzmodell Folgendes vor: drei Monate für die Mutter, drei für den Vater, drei zur freien Wahl. Die Monate, die nicht in Anspruch genommen werden, verfallen. Der Anteil der Väter in Karenz ist von 30 auf 90 Prozent gestiegen. In Österreich fordern die NEOS ein in Ansätzen ähnliches Modell: 18 Monate Karenzzeit stehen zur Verfügung und können nur voll ausgeschöpft werden, wenn beide Elternteile Karenzzeiten wahrnehmen. Von Familienministerin Susanne Raab heißt es dazu nur vage: „Jede Familie soll ihr eigenes individuelles Lebensmodell im Sinne der Wahlfreiheit wählen können.“ Derzeit erhalten Eltern, die sich die Karenzzeit beinahe gleichmäßig teilen, gerade einmal 1000 Euro zusätzlich.

Wer macht halbe-halbe?

In Wien-Ottakring schiebt Harald den Kinderwagen bergauf, sein einjähriger Sohn schläft tief und fest darin. „Nur nicht stehen bleiben“, flüstert der 39-jährige Polizist. Er zählt zu dem einen Prozent der österreichischen Väter, die länger als sechs Monate in Karenz gehen. Harald bleibt neun Monate bei seinem Sohn, seine Frau ein Jahr und drei Monate, erzählt Harald bei einem Spaziergang quer durch den Bezirk. Ursprünglich planten sie halbe-halbe, seine Frau wollte aber auch dann ein paar Monate mit dem Baby verbringen, wenn es schon ein bisschen größer ist. „Ich verstehe es aus ihrer Sicht“, sagt Harald. Seine Karenz hat gerade erst begonnen: Es sei die schönste Zeit seines Lebens, schwärmt der Jungvater. Beruflich war Harald jahrelang Streifenpolizist in Wien-Floridsdorf, mittlerweile ist er bei der Exekutive im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit tätig. 

Der Polizist kennt keinen anderen Mann, der so lange in Karenz ist wie er, und auch niemanden, der wirklich halbe-halbe macht. In Österreich verdienen Männer im Schnitt pro Stunde um fast 20 Prozent mehr als Frauen, zeigen die Zahlen der Statistik Austria. Solange das so ist, versteht Harald, dass es für viele Eltern schwierig ist, die Karenz gleichmäßig aufzuteilen. Bei der Polizei gäbe es aber viele Paare, bei denen die Partner ähnliche Funktionen hätten und etwa gleich viel verdienen würden. Da könnten mehr Väter in Karenz gehen, meint Harald, und vor allem für sie möchte er ein Vorbild sein.

Wenn schon viele Arbeitgeber in der Privatwirtschaft daran scheitern, ihre Angestellten zur Väterkarenz zu motivieren – schafft es zumindest der Staat? Rein statistisch sind Angestellte im öffentlichen Dienst keine Vorreiter bei längeren Karenzzeiten. Laut Arbeiterkammer-Studie gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen dem öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft. In Bezug auf Letztere lässt sich sagen, dass Männer in größeren Betrieben etwas öfter in Karenz gehen, dafür ist bei kleinen Betrieben die Karenzdauer länger. 

Energietechniker Wolfgang erzählt, Männer in seinem Bekanntenkreis hätten über unterschiedlichste Erlebnisse berichtet: von der Drohung mit dem Karriereende auf der einen Seite bis zu sehr entgegenkommenden und bestätigenden Reaktionen auf der anderen Seite. Erfahrungen, die zweifelsfrei auch viele Frauen machen. Wolfgang sieht Väterkarenz auch als Zukunftsthema. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels bräuchten Unternehmen gute Argumente, um Mitarbeiter zu halten und um als Arbeitgeber attraktiv zu sein. „Väterkarenz ist mittlerweile eines davon“, sagt er. Solange die Väterkarenz von der Arbeitsmarktkonjunktur abhängt, ist im Sinne der Gleichberechtigung allerdings wenig erreicht.

Hürdenlauf

Wie sich zeigt, stoßen karenzwillige Väter mitunter auch auf bürokratische Hürden: Dichtheitsprüfer Franz erzählt, dass er vor einigen Wochen wieder begonnen hat zu arbeiten. Die Karenz habe seine Sicht der Dinge verändert, und er möchte die Zeit keinesfalls missen. Aber: Er hat noch kein Geld dafür bekommen. Dasselbe gilt für Wolfgang. Er ist seit zwei Monaten in Karenz, auch ohne Geld. Wieso? 

„Es ist der beste Spiegel, den man der Männerwelt vorhalten kann.“

Franz

Vater in Karenz

Bei der Beratungsstelle der Arbeiterkammer häufen sich die Problemfälle. Allein den Antrag für das Kinderbetreuungsgeld korrekt auszufüllen, kann – wie sich zeigt – eine Herausforderung darstellen. Oft scheitert es dann an Kleinigkeiten. Bei Franz ist es so: Seine Partnerin und er sind ein Paar, wohnen aber einstweilen noch in kleinen getrennten Wohnungen. Sie sind derzeit auf der Suche nach einer gemeinsamen Familienwohnung. Bei getrennt lebenden Eltern verlängert sich die vorgesehene Mindestkarenzdauer um einen Monat, erzählt Franz. Das habe er trotz zahlreicher Gespräche mit der ÖGK aber erst erfahren, als es schon zu spät war. Dass die beiden obendrein eine aufrechte Beziehung führen, sprenge die Kategorien der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). 

Wolfgang hat ein ähnliches Problem. Er hat sich während der Karenz für eine kurze Zeit bei seinen Eltern in einem anderen Bundesland gemeldet. Grund dafür waren Überlegungen, die mit Karenz und Kinderbetreuung nichts zu tun haben. Das geht nicht, heißt es von der ÖGK. Wolfgang und Franz wollen nun klagen, schließlich sind sie auf die Zahlungen angewiesen.
Wolfgang und seine Frau haben einen laufenden Kredit zu bedienen, sie haben mit dem Geld gerechnet. Er fügt hinzu: „Ich verbringe auch lieber die Zeit mit meiner Tochter als in der Telefonwarteschleife der Österreichischen Gesundheitskasse.“ Er hat stundenlang dem dynamischen Jingle der Hotline gelauscht, die warme Tonbandstimme vernommen, die um etwas Geduld bittet, mit unterschiedlichsten Beraterinnen und Beratern gesprochen, mit der Arbeiterkammer Rücksprache gehalten, Dokumente geschickt, auf Antworten gewartet.  

Franz erzählt eine ähnliche Geschichte. Er versteht nicht, weshalb es Eltern so schwer gemacht wird: „Wenn ich sage, halbe-halbe bei der Kinderbetreuung ist das Ziel, dann ist das kontraproduktiv.“ Vor allem im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten gibt es viele Fälle, die bei der Arbeiterkammer und vor Gericht landen. Wenn einer der beiden Partner nicht in Österreich berufstätig ist, wird es kompliziert und kann Jahre dauern. Rechtsberaterin Hermin Karout von der Arbeiterkammer erzählt von einer Familie, die geklagt hat. Der Fall ging durch alle Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof, nun bekommen sie das Kinderbetreuungsgeld schließlich doch ausbezahlt. Das Kind ist mittlerweile sechs Jahre alt.

Die Recherchen zeigen: Die österreichischen Karenzmodelle und das Kinderbetreuungsgeld gehen von etwas aus, das es immer seltener gibt – eine klassische Familie mit festen Arbeitsverhältnissen am selben Ort. Die Regelungen sind nicht darauf ausgerichtet, dass die Bewegungsfreiheit innerhalb der EU zugenommen hat, unbefristete Arbeitsverträge bei jungen Menschen eine Seltenheit geworden sind. Die Arbeiterkammer hat sich in einem offenen Brief an Familienministerin Susanne Raab gewandt. Darin heißt es, das Gesetz weise viele bürokratische Fallstricke auf und verfehle die politischen Ziele. SPÖ und Grüne schließen sich dieser Kritik an. Aus dem Ministerium heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme lediglich: „Um mehr Service und Planbarkeit für die Familien zu schaffen, haben wir ein neues Serviceportal eingerichtet.“

Was spricht dagegen?

Wer Männer fragt, weshalb sie nicht in Karenz gehen, hört meistens zwei Antworten, wie mehrere Studien in Österreich und Deutschland zeigen. Erstens: „Ich fürchte, dass diese Entscheidung negative Effekte auf meine Karriere hat.“ Und zweitens: „Wir können uns das nicht leisten.“ Doch stimmen diese Argumente tatsächlich so? 

„‚Wir können uns das nicht leisten‘, das ist in vielen Familien noch immer ein Argument“, sagt die aus Wien stammende Ökonomin Katharina Wrohlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Aus ihrer Sicht wäre es wichtig, dass der Maximalbetrag des Kinderbetreuungsgeldes angehoben wird. In Österreich beträgt das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld 80 Prozent des Nettoeinkommens – jedoch höchstens 2000 Euro pro Monat. Im Vergleich dazu: Der Medianwert  beim Netto-Monatseinkommen von männlichen Arbeitern und Angestellten in Österreich lag im Jahr 2020 bei 2545 Euro. Das bedeutet, die eine Hälfte verdient weniger, die andere Hälfte mehr. 80 Prozent davon sind 2036 Euro. Für 50 Prozent der heimischen Männer zieht das Argument, überproportional zu verlieren, also jetzt schon nicht.

Das zweite gängige Argument gegen eine Väterkarenz ist die Karriere. Doch auch hier sieht die Realität in einigen Branchen anders aus. „In manchem Akademikerumfeld gehört die Karenz schon fast zum guten Ton, auch beim Arbeitgeber“, sagt Wrohlich schmunzelnd. Ihr Team hat sich drei Berufe genauer angesehen: einen männerdominierten (Kfz-Mechaniker), einen frauendominierten (Teamassistentin) und  einen ausgewogenen  (Industriekaufmann). „Bei keinem der drei wirkt sich eine zweimonatige Karenz negativ auf die Karriere aus“, sagt die Forscherin. Auch ein Jahr Karenz sorgt bei Teamassistenten und Industriekaufmännern für keinen beruflichen Knick. Nur beim männerdominierten Beruf des Kfz-Mechanikers wirke sich eine einjährige Auszeit  negativ aus. Unabhängig davon hakt dieses Männer-Argument an folgendem Punkt: Die Sorge vor dem beruflichen Knick mag in manchen Fällen berechtigt sein, aber betrifft Frauen genauso, wenn nicht sogar stärker. 

Zwischen Schönbrunner Löwen, Ottakringer Hügeln und dem Wiener Donaukanal zeigt sich: Von einer gleichen Aufteilung der Kinderbetreuung sind wir weit entfernt, sie passiert auch nicht von allein. Wer es versucht, bekommt oft Steine in den Weg gelegt. „Die meisten Paare verfallen bei Geburt des ersten Kindes in traditionellere Rollenbilder“, sagt ÖIF-Forscher Kapella. Ernsthaftes halbe-halbe muss diskutiert und vielleicht auch erstritten werden. Und zwar nicht nur zwischen Lebenspartnern, sondern auch auf politischer Ebene. 

Karenzfibel

Das umgangssprachliche Karenzgeld heißt eigentlich Kinderbetreuungsgeld. Die arbeitsrechtliche Karenz und das Kinderbetreuungsgeld hängen nicht direkt zusammen. Kinderbetreuungsgeld kann auch ohne arbeitsrechtliche Karenz bezogen werden, wenn man in dieser Zeit ein gewisses Einkommen nicht überschreitet.

Es gibt in Österreich ein einkommensabhängiges und ein pauschales Kinderbetreuungsgeld. Beim einkommensabhängigen erhalten die Eltern 80 Prozent des Nettobezugs, maximal 2000 Euro. Bei der pauschalen Variante gibt es zahlreiche Varianten. Kurz gesagt: Eltern erhalten entweder für ein Jahr um die 30 Euro pro Tag oder für bis zu 28 Monate 14 Euro pro Tag. Der Grundsatz ist: Je länger man in Karenz ist, desto geringer ist der Tagesbetrag. Wenn beide Eltern in Karenz gehen, verlängert sich die Karenz um die Zeit, die der  zweite  Elternteil in Karenz geht, maximal um drei Monate.

Clara Peterlik

Clara Peterlik

ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.