Reizblase: Sind Kryptowährungen mehr als ein Spielzeug?

1500 Prozent Wertsteigerung in einem Jahr? Das schafft nur Bitcoin! Kryptowährungen sind der letzte Schrei auf dem globalen Finanzmarkt. Joseph Gepp und Christina Hiptmayr über einen digitalen Geldrausch, der für viele wohl mit einem bösen Kater enden wird.

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Stellen Sie sich vor, Sie hätten zu Jahresbeginn 2017 einen Bitcoin gekauft. 949 Euro hätten Sie dafür bezahlt. Im März wäre der Bitcoin schon mehr als 1000 Euro wert gewesen. Anfang September: 4000 Euro. Ende November: 8000 Euro. Letztstand Mitte Dezember: 14.654 Euro.

Sie haben keine Bitcoins gekauft? Tja, dann gehören Sie wohl zu jenen, die in hoffnungslos veralteten, der neuen Geldwelt nicht mehr entsprechenden Denkmustern gefangen sind. Töricht, wer nicht in das hohe Lied auf das goldene Bitcoin-Zeitalter einstimmt. Oder?

Tatsache ist: Kein anderes Finanzprodukt legte im Jahr 2017 einen derartigen Höhenflug hin wie der Bitcoin. Der Aufstieg der Kryptowährungen (dazu gehören auch Etherum, Dash oder Bitcoin Cash) zum neuen Geld der Digitalisierungsära scheint unaufhaltsam zu sein.

Doch warum sollte privates, durch unbekannte Hintermänner, Algorithmen und Netzwerke geschaffenes Geld mehr Vertrauen genießen als jenes der staatlichen Zentralbanken, zumal es sich im Alltag als völlig untauglich erweist? Und wie kann man angesichts so dramatischer Kurssprünge sein Vermögen schützen? Auf dem Tummelplatz für Glücksritter mögen Kryptowährungen ein attraktives Spielzeug sein. Aber darüber hinaus?

Eine Spurensuche in vier Stationen.

Der Miner

Im Waldviertel, am Ufer des Flusses Kamp. Über die braunen Blätter hat sich Raureif gelegt, auf dem Wasser ziehen junge Schwäne ihre Kreise. Daneben steht ein Kleinkraftwerk, wovon es viele in dieser Gegend gibt. Michael Marcovici, ein 48-jähriger Wiener, sperrt die Tür zu dem unscheinbaren weißen Häuschen auf. "Es war nicht so einfach, das hier zu mieten", sagt er. "Viele Kraftwerksbesitzer reagieren skeptisch, wenn sie hören, was wir machen."

Es lässt sich tatsächlich nicht so leicht nachvollziehen. Marcovici – Unternehmer, HTL-Abbrecher und immer schon ein technikaffiner Tüftler – ist ein sogenannter "Miner" (Schürfer). Zusammen mit fünf Gleichgesinnten hat er kürzlich in Wien die Hydrominer GmbH gegründet, um nach neuen Einheiten von Kryptowährungen zu schürfen. Obwohl bei diesem Prozess nichts Physisches entsteht, benötigt Marcovici viel Energie – also ein eigenes Kraftwerk.

Wir schürfen immer gerade jene Währung, die den höchsten Profit abwirft. Ich steuere das alles von meinem Computer in Wien aus.

Würde er seine Elektrizität regulär aus der Steckdose beziehen, kämen ihn die Stromkosten teurer, als das Kryptogeld Erträge abwirft. In der Mitte dreht sich eine Turbine, angetrieben vom Wasser des Kamp. Rundherum: Grafikprozessoren aus Metall und Kunststoff, geschichtet auf Blechregale. Man steigt über Bündel aus Kabel und bückt sich unter Entlüftungsrohren durch. Hier wird ungefähr jene Menge Strom erzeugt, die ein kleines Dorf benötigen würde – und sogleich auch verbraucht. Das Ergebnis: Kryptoeinheiten im Gegenwert von täglich rund 1500 Euro, erklärt Marcovici. "Wir schürfen immer gerade jene Währung, die den höchsten Profit abwirft. Ich steuere das alles von meinem Computer in Wien aus."

Kryptogeld zu schürfen, ist eine aufwendige Angelegenheit. Schätzungsweise 0,13 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs dürften derzeit insgesamt dafür aufgewendet werden. Hintergrund: Bei Kryptogeld ist die Knappheit gewissermaßen einprogrammiert. Bei Bitcoin beispielsweise entstehen alle zehn Minuten genau 12,5 neue Einheiten. Die Rechenleistung, um diese zu produzieren, wird ständig höher – und damit auch der Strombedarf. Je mehr Bitcoins es gibt, desto schwieriger ist es, neue zu erzeugen. Es handelt sich dabei quasi um einen fix vorgegebenen Inflationsschutz. Die künstliche Knappheit soll dafür sorgen, dass der Bitcoin niemals an Wert verliert. Die zugrunde liegende Technologie nennt sich "Blockchain". Die Entstehung des Kryptogelds passiert dezentral, öffentlich einsehbar und strikt regelgebunden auf den Rechnern sogenannter Miner wie Marcovici.

Für ihn manifestiert sich in all dem eine Art Zeitenwende. Nicht mehr Staaten und Zentralbanken – "intransparente und potenziell korrumpierbare Entitäten", wie Marcovici sie nennt – sollen in Zukunft die Hoheit über Geldangelegenheiten haben, sondern die Schwarmintelligenz der Nutzer, auf Basis unumstößlicher Computerprotokolle.

Tatsächlich hat sich die Blockchain-Technologie bisher als fälschungssicher erwiesen – zumindest unmittelbar. Das gilt allerdings nicht für viele vor- und nachgelagerte Bereiche, die mit Kryptogeld zusammenhängen: Auf Online-Handelsplattformen und Krypto-Börsen kommt es immer wieder zu Diebstählen und Hacker-Attacken; Anlegerbetrügereien und Täuschungen gibt es im unregulierten Krypto-Sektor zuhauf. Eine Geldwelt ohne staatliche Autoritäten, gesteuert allein von Hochleistungsrechnern?

Der Notenbanker

"Nein", sagt Beat Weber von der Abteilung für Integrationsangelegenheiten und Internationale Finanzorganisationen bei der Oesterreichischen Nationalbank. Weder glaubt der Notenbanker daran, dass Bitcoin eine neue Zeit voller Transparenz und wahrer Demokratie in Geldangelegenheiten einläutet, noch erwartet er die Ablösung klassischer Währungen durch Kryptogeld. Denn: "Sie sind schlechte Währungen."

Für Weber stellt die Absenz einer zentralen Instanz, die regulierend eingreifen kann, das größte Manko von Kryptogeld dar – also genau das, was Verfechter als dessen entscheidenden Vorteil sehen. In einem dynamischen Wirtschaftssystem müsse Geldversorgung flexibel sein. Das bedeutet, sie sollte – zum Beispiel im Fall einer Wirtschafts- und Bankenkrise – von fix vorgegebenen Regeln abweichen dürfen. Wenn Notenbanken für Preisstabilität und Vertrauen ins Geldsystem sorgen wollen, müssen sie je nach Bedarf mehr oder weniger Geld in den Kreislauf der Wirtschaft einspeisen, ganz unabhängig von Computerprotokollen.

Eben dies ist bei Kryptogeld und der zugrunde liegenden Blockchain nicht möglich. Zwar besteht im althergebrachten System die Gefahr, dass Regierungen die Geldpolitik der Zentralbanken missbrauchen – sie könnten zum Beispiel für eine hohe Inflation sorgen, damit die Staatsschulden verschwinden. Doch moderne Zentralbanken besitzen in nahezu allen westlichen Staaten ein hohes Maß an Autonomie. Regierungen können gar nicht oder nur geringfügig auf sie einwirken.

Weber verweist darauf, dass der Bitcoin extrem volatil ist, also im Wert schwankt – trotz aller Regeln. "Stellen Sie sich vor, Sie würden Ihr Gehalt in Bitcoin ausbezahlt bekommen. Das wären aufregende Tage. Sie wüssten zu Beginn des Monats nicht, wie viel am Ende tatsächlich auf Ihrem Konto landen wird." Auch im Supermarkt könne es passieren, dass bei Betreten des Geschäfts die gewünschte Ware einen anderen Preis hat als kurz danach, wenn der Kunde bei der Kassa ankommt. Als alltägliches Zahlungsmittel seien Bitcoins deshalb ungeeignet, folgert Weber. Die Berechenbarkeit, die eine gut funktionierende Wirtschaft auszeichnet, ist mit Kryptowährungen – zumindest derzeit – nicht gegeben. Lediglich für einige früh aufgesprungene Glücksritter mag ein Investment in Bitcoins tatsächlich das Geschäft ihres Lebens gewesen sein. "Doch es ist völlig ungewiss, was das in Zukunft wert sein wird", meint Weber.

Das ist eine Größenordnung, die volkswirtschaftlich irrelevant ist.

Als Bedrohung für die Stabilität des Finanzsystems sieht er Kryptowährungen dennoch nicht. "Allein das Finanzvermögen österreichischer Haushalte ist fünf Mal so groß wie das weltweite Bitcoin-Marktvolumen", sagt Weber: "Das ist eine Größenordnung, die volkswirtschaftlich irrelevant ist." Immerhin droht also keine Kernschmelze des internationalen Finanzsystems infolge eines Bitcoin-Crashs.

Die Händlerin

Magdalena Isbrandt glaubt fest an die Zukunft des digitalen Geldes. In zehn Jahren werde es keine Banken mehr geben, nur noch unterschiedliche Kryptowährungen, ist sie überzeugt. Die gebürtige Deutsche ist Geschäftsführerin der Bit-Trust store GmbH, die einen von wenigen Bitcoin-Shops in Österreich betreibt. Das "House of Nakamoto" (benannt nach Satoshi Nakamoto, dem ominösen Bitcoin-Erfinder, dessen wahre Identität bis heute ungeklärt ist) liegt in einer Seitengasse der Wiener Kärntner Straße. Es erinnert an einen Souvenirshop. An den Wänden hängen T-Shirts in unterschiedlichen Farben, in den Regalen stehen Kaffeetassen, hinter kleinen Glaskästchen werden Geschenkwertkarten präsentiert. Eines haben alle Artikel gemeinsam: Auf ihnen prangt das Bitcoin-Logo, ein großes B mit zwei vertikalen Strichen.

"Wir sind eine Anlaufstelle für Neulinge, die sich beraten lassen wollen", sagt Isbrandt. Und das wollen momentan viele. Rund 150 Interessierte täglich würden im House of Nakamoto vorbeischauen, sagt Isbrandt. Während des Lokalaugenscheines findet sich ein halbes Dutzend Kunden ein, ausnahmslos Männer zwischen 25 und 55 Jahren. Ein repräsentativer Querschnitt, wie Isbrandt meint – die Branche sei stark männerdominiert. Einer will wissen, wie man sich die "Wallet", also das virtuelle Portemonnaie, einrichtet. Ein anderer benötigt Informationen, über welche Börse man die digitale Währung am unkompliziertesten handeln kann. Der Nächste will Euro in Bitcoin tauschen. Er wird auf einen Automaten in der Ecke verwiesen. Man schiebt einen Euroschein in gewünschter Höhe in das Gerät, scannt den erscheinenden QR-Code mit dem Handy, und schon wird der entsprechende Bitcoin-Betrag der elektronischen Geldbörse gutgeschrieben. Für jede Transaktion zahlt man im House of Nakamoto fünf Prozent der Summe an Gebühren. Dazu kommen weitere Abgaben, die nach einem bestimmten Schlüssel an die Miner verteilt werden – Kosten also, die locker an die von in Kryptokreisen so verpönten Bankengebühren herankommen.

Dass die enormen Wertsteigerungen, welche das Interesse an Bitcoin befeuern, auf eine spekulative Blase hindeuten könnten, glaubt Isbrandt nicht. Da die Menge der Bitcoins begrenzt sei, werde der Wert auch in Zukunft immer weiter steigen.

Der Ökonom

Seit Anfang 2017 hat der Bitcoin eine astronomische Wertsteigerung von 1500 Prozent zugelegt. "Derzeit hat das durchaus Anklänge an die Dotcom-Blase", sagt Guido Schäfer, Vize-Vorstand des Instituts für Analytische Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Forschungsinstituts für Kryptoökonomik an der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU).Während der Dotcom-Blase im Jahr 2000 stürzten sich Anleger auf Aktien neu gegründeter Internet-Unternehmen.

"Diese erlebten einen beispiellosen Höhenflug, bevor sie ins Bodenlose abstürzten", sagt Schäfer. Derselbe Mechanismus lässt sich schon seit Jahrhunderten beobachten – ob bei Anteilsscheinen an britischen Kolonien zur Barockzeit oder bei Tulpenzwiebeln im Holland des Jahres 1637. Blasenprozesse verlaufen streng schematisch, sodass Ökonomen wie der US-Amerikaner Hyman Minsky eine typische Abfolge definiert haben: Der Auslöser resultiert aus einer Neuerung jedweder Art, sei es die Entdeckung neuer Kolonien, sei es die Internet-Technologie. Es folgen Boom und Euphorie. Doch irgendwann dreht sich der Wind – beispielsweise weil erstmals ein großer Anleger verkauft. Die letzte Phase nennen Ökonomen "Abneigung": Die Preise brechen ein, Anleger verlieren Unsummen. Nachträglich kommen dann allerlei windige Geschäfte aus der Zeit der Euphorie ans Licht.

Wenn eine Blase platzt, bedeutet das üblicherweise, dass der Preis eines Gutes von spekulativen Höhen auf seinen inneren oder fundamentalen Wert zurückfällt

Bislang folgt auch der Krypto-Boom diesem Schema – und zwar passgenau. Offenbar lernen Anleger seit Jahrhunderten nichts dazu und sitzen immer den gleichen Illusionen auf. Man spricht in diesem Zusammenhang vom "This time it’s different"-Syndrom: Bei jedem Boom glauben die Anleger, dass diesmal alles anders sei.

Aber könnte es diesmal nicht tatsächlich anders sein? Oder umgekehrt gefragt: Wird der Bitcoin zwangsläufig abstürzen? "Wenn eine Blase platzt, bedeutet das üblicherweise, dass der Preis eines Gutes von spekulativen Höhen auf seinen inneren oder fundamentalen Wert zurückfällt", sagt Schäfer. Beispiel Aktien: Platzt in diesem Bereich eine Blase, fallen die Kurse auf ein Niveau, das sich an harten Daten der börsennotierten Unternehmen orientiert, etwa Gewinnen

Allerdings: Worin besteht der fundamentale Wert einer Kryptowährung? Im echten Nutzen, den der Preis dereinst widerspiegeln wird, sobald die Euphorie vorbei ist? "Diesen Nutzen erkennt man an den Rändern des Systems", sagt Schäfer, "in Staaten mit Kapitalverkehrsbeschränkungen und zerrütteten Währungsverhältnissen." Etwa wenn die Inflation ausufert, wie in Venezula; oder wenn eine Regierung verbietet, Geld außer Landes zu bringen, wie teilweise in China. In solchen Fällen ziehen die Menschen echten Nutzen daraus, wenn sie von ihrer Landeswährung auf Kryptogeld umsteigen. Es handelt sich für sie um mehr als nur ein Spekulationsobjekt.

Kryptogeld kann demnach durchaus eine sinnvolle Funktion haben, wenn auch eine klar eingeschränkte. Das lässt allerdings immer noch eine Frage offen: Wie viel von den derzeit 14.000 Euro je Bitcoin macht der echte Nutzen aus – und wie viel jene Spekulation, die darüber hinausgeht?

Wir werden es irgendwann erfahren. Für viele wird der Kryptorausch jedoch mit einem bösen Kater enden.

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