Richtig gut leben: Nachhaltig einkaufen ist billiger als gedacht
Von Franziska Dzugan und Christina Hiptmayr
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Wer sich vor 20 Jahren eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach schrauben ließ, gehörte zum reicheren Teil der Bevölkerung – oder war ein überzeugter Idealist. Heute kosten die Anlagen für Sonnenstrom um 80 Prozent weniger als damals, und für viele Häuslbauerinnen ist die eigene Photovoltaik am Dach selbstverständlich.
Freilich haben nicht alle nachhaltigen und klimafreundlichen Produkte eine derartige Preiserosion erlebt. Doch vieles ist deutlich günstiger als noch vor einigen Jahren. Die Wahl des guten Lebens wird – trotz Teuerung – zunehmend erschwinglich. Auch für die breite Masse.
Wie aber sieht nachhaltiger Konsum aus? Soll man den alten Kühlschrank durch einen stromsparenden neuen ersetzen – oder ihn doch lieber reparieren lassen? Wie viel Verantwortung hat die oder der Einzelne überhaupt – und wie groß ist die Macht der Konsumenten wirklich?
Fußabdruck: abgewälzte Verantwortung
Geht es nach der Industrie, wäre ausschließlich das Individuum selbst für seinen Treibhausgas-Ausstoß verantwortlich. 2004 veröffentlichte der Ölkonzern BP auf seiner Website einen Rechner, um den eigenen CO2-Fußabdruck zu eruieren – verbunden mit dem Aufruf, ihn zu reduzieren. BP gelang damit ein Mega-coup: Über Jahrzehnte hinweg wies die Politik jede Verantwortung von sich und folgte der Ansage der großen Konzerne.
Umweltbewusste Menschen hingegen fühlten sich schuldig und mühten sich ab, möglichst klimaschonend zu leben. „Vor zehn Jahren bin ich auch noch durch die Welt gelaufen und habe jedem erzählt: Mit deiner Geldbörse hast du die Macht. Du entscheidest, welches System du unterstützt, jede Kaufhandlung ist eine politische Handlung“, sagt die Nachhaltigkeitsberaterin und Buchautorin Nunu Kaller in der neuen Folge des Tauwetter-Podcasts, anzuhören hier. „Davon war ich überzeugt. Bis ich draufgekommen bin, dass das eine zutiefst neoliberale Erzählung ist. Weil sie die Verantwortung komplett auf mich allein legt.“ Nur: Die Macht der Konsumentinnen ist enden wollend, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht stimmen. Einer allein, und sei er noch so ambitioniert, kann nicht noch schnell die Welt retten. Gelten die Richtlinien jedoch für alle, ist der Hebel ungleich größer.
Nunu Kaller
Die Nachhaltigkeitsberaterin übt sich seit Jahren im klimafreundlichen Konsumieren. Im Tauwetter-Podcast erklärt sie, wie es funktioniert.
Ein Beispiel ist das Vernichtungsverbot für unverkaufte Textilien, auf das sich die EU im vergangenen Dezember einigte. Allein in Österreich werden Schätzungen der Umweltorganisation Greenpeace zufolge pro Jahr 1,3 Millionen Retourpakete mit Kleidung verbrannt. Der Grund: Die Lagerung kostet die Modekonzerne viel, und nach dem Prinzip der Fast Fashion müssen fast wöchentlich neue Designs auf den Markt. „Durch den Online-Handel sprechen wir inzwischen sogar von Ultra-Fast-Fashion. Websites wie Shein oder Asos stellen pro Tag zwischen 1000 und 10.000 neue Produkte online“, sagt Nunu Kaller. Wird die Vernichtung nun verboten, müssen H&M, Primark, Zara und Co. in Zukunft bewusster und wohl auch weniger produzieren. „Für die Umwelt ist das eine gute Nachricht“, so Kaller.
Dreistes Greenwashing
„Unsere neueste Zutat: Klimaschutz“, bewirbt ein Pizzabäcker seine Ware. „CO2-neutral zur Biennale fliegen? Für uns keine Kunst!“, versprach die AUA: Wie können Kundinnen wissen, ob es sich dabei um die Wahrheit handelt oder lupenreines Greenwashing? Für Konsumenten ist das schwer zu durchschauen. Es gibt einen Wildwuchs an Gütesiegeln, deren Seriosität für Außenstehende oft kaum zu beurteilen ist. Und wer gräbt sich schon durch Tonnen von Nachhaltigkeitsberichten, in denen häufig auch noch die Vergleichszahlen fehlen? „Da behaupten beispielsweise Textilkonzerne, dass sie in Afrika 50.000 Liter Wasser eingespart haben. Was sie nicht dazusagen, ist, dass diese Menge für die Produktion von nur fünf Jeans benötigt wird“, sagt Kaller.
Im Fall der österreichischen Airline halfen die Gerichte nach. Die AUA wurde rechtskräftig wegen irreführender Werbung verurteilt, denn technisch ist es derzeit gar nicht möglich, 100 Prozent CO2-neutrale Flüge durchzuführen. Geht es nach der EU, sollen Unternehmen künftig nicht mehr derart dreist werben dürfen: In der sogenannten Green-Claims-Richtlinie will die Kommission festschreiben, dass Behauptungen zur Nachhaltigkeit auch belegt werden müssen. Noch wird um Details gerungen, im Lauf des Jahres soll die Richtlinie aber endlich stehen.
Ungehemmt Shoppen bleibt möglich
Mit welchen Produkten lässt sich am meisten CO2 einsparen? Eindeutig mit jenen, die man gar nicht erst kauft. Für die Umwelt lohnt es sich, den Kühlschrank reparieren zu lassen, anstatt einen neuen zu kaufen – auch wenn dieser etwas weniger Strom verbraucht. Und ungehemmtes Shoppen ist trotzdem immer möglich: Secondhandläden und Flohmärkte sind nicht nur günstig, sie verursachen auch kein schlechtes Gewissen.
Jahreskarte öffentlicher Verkehr
Während die Treibstoffpreise zwischen 2021 und Ende 2023 um 23 Prozent für Superbenzin und 33 Prozent für Diesel stiegen, wurden Jahreskarten für den öffentlichen Verkehr um mehr als 27 Prozent günstiger.
Wärmepumpen
Zugegeben, Wärmepumpen gab es schon einmal billiger. Laut dem österreichischen Branchenradar kosteten Heizungs-Wärmepumpen im Jahr 2016 6991 Euro, 2023 musste man durchschnittlich 7563 Euro berappen. Allerdings wird der Umstieg von fossilen Heizungen in Österreich derzeit massiv gefördert. Und im Vergleich zu Öl- und Gasheizungen sind sie deutlich effizienter, da sie zwei Drittel der bereitgestellten Energie aus der Umwelt (Luft, Erde oder Grundwasser) und nur ein Drittel aus Strom beziehen.
Lithium-Ionen-Batterien
Man benötigt sie für Elektroautos, Smartphones, Computer und vieles mehr: Lithium-Ionen-Batterien speichern enorme Energiemengen auf kleinstem Raum. Und die Preise dafür sinken rapide. Während sie 2010 noch bei 1391 US-Dollar pro Kilowattstunde lagen, erreichten sie 2023 ein Allzeit-Tief von 139 Dollar. Das entspricht einer Preiserosion von 90 Prozent.
Photovoltaik-Anlagen und Stromspeicher
Die Preise für Photovoltaik sanken seit der Markteinführung kontinuirlich. Seit 2006 reduzierten sich die Preise für Photovoltaikanlagen um fast 80 Prozent, seit 2013 sinken sie im Durchschnitt um 5,5 Prozent pro Jahr. Ähnliches gilt für PV-Speicher, deren Preise seit 2010 ebenfalls um 80 Prozent fielen, wobei die größten Preissenkungen zwischen 2010 und 2015 erfolgten.
LED-Lampen
Gegenüber 2015 wurden LED-Lampen laut Statistik Austria um 23 Prozent günstiger. Und sie verbrauchen deutlich weniger Strom als vergleichbare Leuchtmittel - der Unterschied beträgt mehr als 90 Prozent - und benötigen auch für die Produktion weniger Energie. Dadurch gelingt es, die CO2-Emissionen drastisch zu senken. Zudem halten LED-Lampen im Vergleich zu normalen Glühbirnen um bis zu 80-mal länger und bis zu 40-mal länger als Halogenlampen.
Bio-Lebensmittel
Wenngleich man für Bio-Lebensmittel immer noch mehr Geld ausgeben muss als für konventionell produzierte, hat sich der Abstand im Zuge der Inflation deutlich verringert. Während Bio-Erdäpfel im Jahr 2018 noch 77 Prozent mehr kosteten, waren es 2023 46 Prozent. Für Bio-Frischmilch musste man 2018 um 18 Prozent mehr ausgeben als für konventionell produzierte, 2023 nur noch um knapp zehn Prozent mehr.
Elektroautos
Die Preise für Elektroautos sinken kontinuierlich. Laut Mobile.de, dem deutschen Online-Handelsplatz für E-Autos, waren die Angebote für strombetriebene Fahrzeuge im Juni 2022 im Schnitt noch um 50 Prozent teurer als Verbrenner, ein Jahr später belief sich die Preisdifferenz auf nur noch 26 Prozent. Der Rückgang betraf alle Preissegmente. Unter Druck gerieten beispielsweise die Preise des VW ID. 3 – von Dezember 2022 bis Juni 2023 ging es im Schnitt um 21 Prozent nach unten. Dicht gefolgt vom Mercedes-Benz EQC mit 19 Prozent Preissenkung.
Induktionsherd, Geschirrspüler & Co
Im Laufe der Jahre habe es eine deutliche Preiserosion über alle Produktgruppen und Hersteller hinweg gegeben, heißt es seitens des WKO Bundesgremiums des Elektro- und Einrichtungsfachhandels. Auch die Energieeffizienz der Einstiegsmodelle hätten sich bei europäischen Herstellern von höherem Stromverbrauch in Richtung der sparsamen Klassen A und A+ verschoben.
Kleidung
„Das nachhaltigste Kleidungsstück ist jenes, das gar nicht produziert wurde“, sagt Nachhaltigkeitsberaterin Nunu Kaller im profil- Klimapodcast. Demnach ist Gewand aus dem Second-Hand-Shop nicht nur günstiger, sondern auch bei Weitem umweltfreundlicher als Neuware. Kleidung mit Biosiegel wiederum ist zwar meist teurer in der Anschaffung, hält dafür aber länger, weil sie meist hochwertiger verarbeitet ist. Zudem wird das Angebot an nachhaltiger Mode, die preislich mit konventionell produzierter mithalten kann, immer größer.
Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.
Christina Hiptmayr
war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.