Warum die Rot-Weiß-Rot-Karte bei Firmen einen schlechten Ruf hat
Der Lebenslauf von Maryam (Name geändert) ist der Traum jeder Personalabteilung: Die Frau in ihren Dreißigern kann ein IT-Studium vorweisen, Erfahrung in Netzwerktechnik und Grundkenntnisse in Deutsch. Sie ist eine der gesuchten Fachkräfte, von denen seit Jahren die Rede ist. Mit ihren Qualifikationen könnte sie überall auf der Welt anheuern – aber warum fiel ihre Wahl trotzdem auf Wien? „Alle sprechen gut über Wien, bei uns reden alle über die hohe Lebensqualität”, erzählt Maryam. Seit Jahren führt die Hauptstadt die Rankings der weltweit lebenswertesten Städte an. Bei hochqualifizierten Einwanderern wie Maryam kommt das gut an. Ihr Deutsch ist zwar gut, trotzdem besucht sie noch einen weiteren Kurs, um ihre Kenntnisse zu verbessern. Aber: „Wienerisch ist manchmal schwer zu verstehen”, erzählt sie. Noch schwerer zu verstehen waren die Anforderungen der Einwanderungsbehörde für die Rot-Weiß-Rot Karte (RWR-Karte) von der Magistratsabteilung 35.
Drei von vier Unternehmen sind auf Personalsuche. Die Liste der Mangelberufe wird von Jahr zu Jahr länger. Neben Dauerbrennern wie technischen und Gesundheitsberufen, findet sich inzwischen auch Kurioses auf der Liste: Straßenbahnwagenführer/in, Pizzakoch/-köchin oder Tätowierer/in und Piercer/in. Die Wirtschaftskammer beziffert die Zahl der gesuchten Arbeitskräfte auf 210.000. Der demographische Wandel stehe erst am Anfang und fehlende Qualifikationen machen die Suche nach heimischen Fachkräften schwierig. Wirtschaftstreibende wollen den Bedarf durch Zuwanderung decken. Selbst der sonst eher migrationskritische Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) setzt in seinem „Österreichplan” auf qualifizierten Zuzug und möchte die Verfahren der Einwanderungsbehörden auf 72 Stunden reduzieren – aber dazu später mehr.
Corporate Willkommenskultur
Seit letztem Jahr installiert Maryam in Wien für die Firma MaxIT Server und Cloud-Anwendungen bei Unternehmen. Dass Maryam hier beschäftigt wird und eine RWR-Karte erhält, wurde nur dank des persönlichen Engagements ihres Chefs möglich. Geschäftsführer Maximilian Kohmaier ist Kleinunternehmer, eine professionelle Personalabteilung hat er nicht. Damit die hochqualifizierte Bewerberin nicht bei der Konkurrenz andockt, musste er ihr mehr bieten als nur einen Dienstvertrag.
Die Firma kümmerte sich um das Arbeitsvisum und half bei Behördenwegen – für den IT-Dienstleister die erste Begegnung mit der berüchtigten Magistratsabteilung 35. Obwohl Kohlmaier schwört, alle Unterlagen gut sortiert an die MA35 übermittelt zu haben, verlangte die Behörde nach mehreren Wochen Wartezeit noch ein weiteres Dokument. Das Verfahren verzögerte sich. Der Akt ging weiter zum Arbeitsmarktservice (AMS), das prüfen muss, ob Maryams Ausbildung anerkannt werden kann. Außerdem wurde geprüft, ob qualifizierte Inländer für ihren Posten in Frage kämen.
Es dauerte zehn Wochen, bis Maryam Anfang Ende des Vorjahrers ihre RWR-Karte bekam - das sind ganze 1680 statt 72 Stunden. Sie gehört zu den rund 8000 Menschen, die im Vorjahr die begehrte Karte bekamen.
Ein durchschnittliches Verfahren bei der MA35 in Wien dauert 74 Tage, davon gehen 25 Tage für die Prüfungen des AMS drauf. Für gewöhnlich ziehen sich die Verfahren durch Rückfragen und das mehrmalige Nachreichen von Dokumenten in die Länge. Die mangelhafte Kommunikation und die lange Wartezeit sorgt bei vielen Einwanderern für Unverständnis.
„Es ist ein ordentlicher Verwaltungsaufwand, den man stemmen muss. Und das schreckt auch viele ab”, erzählt Kohmaier. Aber ganz unerfahren war er mit der Einwanderungsbehörde nicht. Viele seiner Stammmitarbeiter hatten schon einmal in ihrem Leben mit der Einwanderungsbehörde zu tun, es gab Erfahrungswerte.
Hat sich der Aufwand für Kohlmaier gelohnt? Der IT-Dienstleister habe schon vieles versucht, um Personal zu finden: Inserate geschaltet, Agenturen und Headhunter beauftragt – ohne Erfolg. „Es gibt zu wenig gute Leute”, sagt Kohmaier.
Hilflos
Ortswechsel in die Wiener Innenstadt. Selbst in den umsatzstarken Einkaufsstraßen unweit des Stephansdoms spüren die Händler den Arbeitskräftemangel. Durch die gute Innenstadtlage sei die Situation besser als in anderen Branchen, erzählt ein ansässiger Juwelier. Was ihn quält: Seit der Pandemie reduziere sein Stammpersonal auf Teilzeit - viele Mitarbeiter kämen auch mit weniger Stunden gut über die Runden. Bei ihm sind derzeit zwei Stellen im Büro frei. Empfehlungen für Personal bekommt er von Branchenkollegen, aber inländische Arbeitnehmer für Vollzeitstellen zu gewinnen, sei derzeit fast unmöglich, klagt er.
Arbeitnehmer aus Drittstaaten würden lieber Vollzeit bei ihm anheuern. Arbeitswille und Qualifikationen würden stimmen, aber die Bürokratie für RWR-Karten ist ihm schlicht zu mühsam. Er würde sich gerne um ein Arbeitsvisum für die Bewerber bemühen, bloß habe er keinen Schimmer, wie das Verfahren funktioniere und ob er wirklich eine Bewilligung für eine Bürokraft erhalte, sei offen. „Es macht keinen Sinn. Die Vorgaben sind so immens strikt, dass es sinnlos ist, ein Ansuchen zu starten”, sagt der Juwelier. Er beklagt auch, dass es an Unterstützung und Beratung mangle.
So wie dem Juwelier dürfte es vielen Betrieben gehen. Davon berichtet jedenfalls Marko Fischer, Vizepräsident der Wirtschaftskammer und Vorsitzender des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands Wien (SWV Wien). Er kenne die Beschwerden – auch er durfte Bekanntschaft mit der Einwanderungsbehörde für seine Mitarbeiter machen.
Das RWR-Karten-Verfahren ziele auf hochqualifizierte Spitzenkräfte wie Ärzte oder Bauingeniere ab. Im aktuellen Fachkräftemangel werden aber immer mehr Facharbeiter gesucht, die einen Lehrabschluss mitbringen. Unterschiedliche Ausbildungsordnungen, Lehrzeiten oder Berufsbilder machen schon innerhalb der Europäischen Union die Anerkennung von Ausbildungen schwierig, bemängelt Fischer, international werde das nochmal komplizierter. Der WKO-Vizepräsident fordert daher eine Datenbank zum schnellen Abgleich von Ausbildungen, um vor allem Klein- und Mittelbetriebe bei Personalrekrutierung aus Drittstaaten zu unterstützen.
„Internationale Konzerne, die hier einen Standort haben, tun sich natürlich leichter. Aber wir haben eine Vielzahl an kleinen und mittleren Betrieben, die keine große HR-Abteilung (Human Ressources, Anm.) haben”, sagt Fischer. Und: „Wir wollen nicht, dass die, die Personal brauchen, es nicht schaffen, weil sie nicht die Ressourcen oder die Kontake haben.”
Alte Kritik
Die Kritik an den Einwanderungsbehörden ist nicht neu. Schon vor zwei Jahren geriet die Magistratsabteilung in die Schlagzeilen. Die Behörde sei überlastet, Antragsteller bekamen keine Auskunft und Akten wurden nicht bearbeitet. Aufgrund der zahlreichen Beschwerden versprach die Politik Verbesserung. Haben sich die Zustände gebessert?
Die Rot-Weiß-Rot Karte hat insgesamt einen unglaublich schlechten Ruf. Deswegen sagen viele Arbeitgeber: Das fasse ich gar nicht an
Einer, der es wissen muss, ist der Rechtsanwalt Patrick Kainz von der Kanzlei Law&Beyond. Der Jurist berät zu fremdenrechtlichen Fragen – zu seinen Mandanten gehören Arbeitgeber, aber auch Spitzenkräfte, die Hilfe beim Verfahren brauchen.
„Die Rot-Weiß-Rot Karte hat insgesamt einen unglaublich schlechten Ruf. Deswegen sagen viele Arbeitgeber: Das fasse ich gar nicht an”, sagt Kainz. Aus Sicht des Experten seien viele größere Unternehmen grundsätzlich selbst in der Lage, die Verfahren zu bestreiten - aber scheuen sich, weswegen sie Profis wie ihn beauftragen.
Bis 2027 will das Arbeitsministerium die Anzahl der ausgestellten RWR-Karten auf 15.000 Stück verdoppeln. Wie das gelingen kann, konnte auf profil-Nachfrage nicht beantwortet werden, das Ministerium tage dazu noch im März.
Über das Kanzler-Versprechen, die Verfahrensdauer auf 72 Stunden zu reduzieren, kann Rechtsanwalt Kainz nur schmunzeln. Er würde sich schon darüber freuen, wenn die gesetzliche Bearbeitungsfrist von acht Wochen eingehalten würde. Potenzielle Antragsteller richten sich ihre Planung danach aus und seien dann verunsichert, wenn es länger dauere, so Kainz. Für gewöhnlich rechnet er in Ballungszentren mit einer Erledigung in durchschnittlich vier bis fünf Monaten.
Die Befürchtung: Im internationalen Wettstreit könnte Österreich durch Bürokratie und lange Wartezeiten das Nachsehen haben.
„Die wirklich guten Leute haben mehrere Angebote gleichzeitig – aus unterschiedlichen Ländern”, sagt Kainz. Wenn Österreich vorne mitspielen will, müssten die Verfahren so gestaltet sein, dass der Rechtsanwalt einem potenziellen Bewerber mit hoher Sicherheit sagen kann, wann dieser mit der Familie in Österreich sein kann, „falls nicht, werden sich viele Menschen vermutlich nicht auf diese Unsicherheit einlassen.”
Bei der MaxIT erzählt Maryam wie froh sie ist, endlich ihre RWR-Karte in ihren Händen zu halten. Alleine hätte sie den Amtsschimmel vermutlich nicht zügeln können. Bald übersiedelt ihr Ehemann nach Wien und wie auch sie, wird er um eine Arbeitserlaubnis ansuchen müssen – dank des hilfsbereiten Arbeitgebers und Kollegen wissen sie, wie es funktioniert.