Russland-Abhängigkeit: Unser täglich Gas
Vergangene Woche verlangte E-Control-Chef Alfons Haber von den heimischen Energieversorgern, ihre Gasquellen offenzulegen. Also wer liefert woher wie viel Gas an heimische Unternehmen. Damit soll auch der Anteil von russischem Gas genauer dokumentiert werden. Die Forderung ist einigermaßen erstaunlich. Denn eigentlich weist das Energie-Dashboard des Klimaschutzministeriums auf Basis von Daten der E-Control seit dem Vorjahr unter anderem den Anteil russischer Gasimporte nach Österreich aus. Zuletzt für den Monat Juli, wo laut energie.gv.at 66 Prozent der Gasimporte aus Russland kamen.
Wie jetzt? Wissen wir nun, wie viel Gas Österreich aus Russland bezieht? Und stimmen die ausgewiesenen Zahlen? Ja, und dann doch irgendwie nicht so ganz, lautet die verkürzte Antwort. Die etwas längere ist komplizierter. Denn die E-Control weiß bis heute nicht, welche Energieunternehmen von wem und aus welchen Quellen Gas einkaufen. Bei den LNG-Lieferungen in die EU und damit wohl auch nach Österreich sind die Mengen aus Russland zuletzt gestiegen. Aber der Reihe nach.
Die Anteile von russischem Gas in Österreich errechnen sich im Wesentlichen aus der Differenz der Gasimporte an den Gasknotenpunkten an der Landesgrenze und den Transitmengen, die über Österreich in andere Länder weitergeleitet werden. Die zuletzt ausgewiesenen 66 Prozent aus Russland sind jene Mengen, die über die Ukraine-Route und den Gasknotenpunkt Baumgarten nach Österreich kommen und für den heimischen Verbrauch vorgesehen sind. Zu einem ganz kleinen Teil handelt es sich um LNG, das ganz eindeutig russischen Händlern zugerechnet werden kann. Woher aber ein Energieunternehmen wie etwa die Landesenergieversorger EVN oder Wien Energie sein Gas genau bezieht, ist nicht bekannt. Noch ein Beispiel: Die teilstaatliche OMV, die einen Energieliefervertrag mit der staatlichen russischen Gazprom bis 2040 hat, hat erst kürzlich einen zehnjährigen Flüssiggas-Liefervertrag mit BP abgeschlossen. Woher BP aber sein Flüssiggas bezieht, ist ebenfalls unbekannt.
Mehr LNG aus Russland
Seit Kriegsbeginn und dem EU-weiten Zurückfahren von russischem Pipelinegas sucht Russland neue Wege für seine Gasexporte nach Europa – durchaus mit Erfolg. Denn was nicht mehr direkt über die Pipelines in die EU-Länder fließt, nimmt jetzt den Umweg über Flüssiggas-Tanker und neue Lieferpartner. Laut einer Auswertung der britischen Umwelt- und Menschenrechts-NGO Global Witness, basierend auf Daten des französischen Branchenanalysten Kpler, haben die EU-Länder im ersten Halbjahr um 40 Prozent mehr LNG, im Wert von 5,29 Milliarden Euro, aus Russland importiert als im Vergleichszeitraum 2021, also vor Kriegsbeginn. Mehr noch: Laut Analyse sollen 52 Prozent aller russischen LNG-Exporte nach Europa geflossen sein und hier vor allem nach Spanien und Belgien, die zusammen beinahe doppelt so viel russisches Flüssiggas importiert haben wie China.
Die Bilanz liest sich wie ein Schlag ins Gesicht aller Bemühungen, sich von Gasimporten und damit einer hohen Energieabhängigkeit von Russland zu lösen. Denn eigentlich wollte die EU bis 2027 aus russischem Gas aussteigen. Russland hat Gas erst letzten Sommer mit den gedrosselten Gaslieferungen als geopolitische Waffe eingesetzt, und die milliardenschweren Einnahmen finanzieren den brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit.
Wie viel von dem in der EU ankommenden Flüssiggas aus Russland in Österreich landet, basiert auf Schätzungen. Je nach Monat und Berechnungsart macht der LNG-Anteil in Österreich derzeit zwischen 10 und 20 Prozent der Gaslieferungen aus, schätzt das zuständige Energie- und Klimaministerium (BMK). Laut dem Brüsseler Thinktank Bruegel soll der Anteil von russischem LNG am österreichischen Gasmix wiederum zwei Prozent betragen. „Man weiß, woher ein Tanker kommt, wer die Gasmengen eventuell abgerufen hat und wo er entladen wird. Ab dann wird es allerdings recht schleierhaft“, erklärt ein Brancheninsider gegenüber profil. Zum einen hat das technische Gründe: LNG wird ebenfalls in die Pipeline eingespeist, und einmal in der Röhre, lassen sich Gasmoleküle nicht mehr nach ihrer Herkunft dividieren. Zum anderen verunmöglichen zwischengeschaltete Händler und vertrauliche Unternehmensverträge eine Rückverfolgung.
„Die genaue Bestimmung des Herkunftsorts von Erdgas ist schwierig, weil es keinen Herkunftsnachweis für Gas gibt. Das gilt nochmals verstärkt für Flüssiggas, weil hier auch die Lieferrouten über Pipelines nicht nachvollzogen werden können“, heißt es auf Nachfrage aus dem BMK.
Die vergangenen Donnerstag in Kraft getretene Novelle der Erdgas-Energielenkungsdatenverordnung der E-Control soll das ändern. „Um den Anteil der russischen Gaslieferungen nach Österreich berechnen zu können, werden von E-Control im Wesentlichen die Daten zu den Gasflüssen von der ENTSOG Transparency Plattform verwendet. Anhand dieser können aber keine genauen Aussagen zum Stand der Diversifizierung der einzelnen Gasversorger in Österreich getroffen werden“, sagt Carola Milgramm, Leiterin der Abteilung Gas in der E-Control. „Mit der Novelle der Erdgas-Energielenkungsdaten-Verordnung ist es jetzt möglich, detaillierte Informationen über die Diversifizierung der Bezugsquellen der Gasversorger zu erhalten.“ Ab 1. Jänner 2024 müssen also die Landesenergieversorger, Energieanbieter oder Gas-Trader dem Regulator melden, bei wem sie das eingesetzte Gas in welchen Mengen einkaufen und woher es kommt. Das gilt auch für LNG.
„Die genaue Bestimmung des Herkunftsorts von Erdgas ist schwierig, weil es keinen Herkunftsnachweis für Gas gibt. Das gilt nochmals verstärkt für Flüssiggas, weil hier auch die Lieferrouten über Pipelines nicht nachvollzogen werden können."
Eine große Freude dürften die Energiefirmen damit übrigens nicht haben. In der Branche verweist man auf das EU-Wettbewerbsrecht und dass eine Offenlegung der Geschäftspraktiken geschäftsschädigend sein könnte. Eine Anfrage an den Landesenergieversorger Wien Energie zur Verordnungsnovelle blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Russisches Gas kommt aber nicht nur über den Seeweg in die EU, sondern auch mithilfe seiner Nachbarn. Im Juli vergangenen Jahres empfing Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Baku, um medienwirksam einen Gasliefervertrag für die EU zu unterzeichnen. 20 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich soll das kaukasische Land bis 2027 liefern. Einige Wochen später, am 15. November 2022, unterzeichneten wiederum die aserische Gasgesellschaft Socar und die russische Gazprom einen weiteren Gasliefervertrag, der diesmal russisches Gas nach Aserbaidschan befördern soll. Und so fließt auch hier – über Umwege – dann doch wieder irgendwie russisches Gas in die EU.