Von einer Kriegswirtschaft will der Ökonom trotzdem noch nicht sprechen. Im Fall einer echten Kriegswirtschaft, wie sie Europa im Ersten und im Zweiten Weltkrieg vielerorts erlebt hat, wird jedes wirtschaftliche Ziel einzig und allein dem Gewinnen dieses Krieges unterworfen, samt staatlicher Steuerung und Eingriffe bis hin zu Enteignung. Ganz so weit ist es in Russland noch nicht. Aber sowohl die staatlichen Eingriffe als auch der Umbau in der russischen Wirtschaft schreiten voran.
„Militärischer Keynesianismus“
Belastbare Zahlen über die Auswirkungen des Krieges auf die russische Wirtschaft gibt es – zumindest aus Russland – nicht. Das Stockholmer International Research Institute (SIRPI) hat kürzlich errechnet, dass 40 Prozent des russischen Wirtschaftswachstums in den ersten drei Quartalen des Vorjahres auf den Krieg zurückzuführen sind. „Der Krieg ist wie Doping für die russische Wirtschaft“, sagt Astrov. Das erklärt auch, warum Putins Regime noch immer die Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung genießt, obwohl es in der Ukraine für Russland alles andere als nach Plan läuft.
„Was in Russland gerade passiert, ist militärischer Keynesianismus und eine Umverteilung von oben nach unten“, erklärt der Ökonom. Die Staatsausgaben sind gestiegen, höhere Einkommen und Unternehmensgewinne werden stärker als vor dem Krieg besteuert. Russland fehlen Arbeitskräfte – weil Soldaten an der Front sterben oder weil viele das Land verlassen haben. Das treibt die Löhne und den Konsum in die Höhe. Die Bauwirtschaft hat massiv vom Ausbau der Militärinfrastruktur vor allem im Süden des Landes und auf der Krim profitiert. Und ein Soldat an der Front verdient 2000 Euro monatlich; das ist drei Mal so viel wie der Durchschnittslohn in Russland. Wenn ein Soldat fällt, gibt es 100.000 Euro Entschädigung für die Familien. „Das ist in der Provinz enorm viel Geld. Viele Familien haben noch nie solche Summen gesehen.“ Das sei auch ein Teil des Problems, das den Krieg eben auch populär macht.