Schwein gehabt: Russland-Sanktionen treffen Österreich nicht wie angenommen
Dieser Artikel erschien erstmals in profil Nr. 12/2015 vom 16.03.2015
Ein aktuelles Lockangebot aus dem österreichischen Lebensmittelhandel: ein Kilogramm Schweinsschulter um weniger als zwei Euro. Also nicht viel mehr, als derzeit beispielsweise Kartoffeln und Zwiebeln kosten. Schweinernes zum Schleuderpreis - eine direkte Folge geopolitischer Vorgänge weit jenseits der Landesgrenzen: Die Annexion der Krim durch Russland, der Krieg in der Ost-Ukraine, die damit einhergehenden Verwerfungen zwischen Europäischer Union und Russland.
Im August vergangenen Jahres verfügte Russlands Präsident Wladimir Putin ein Embargo auf den Großteil der europäischen Lebensmittellieferungen nach Russland - eine Reaktion auf die zuvor verhängten Sanktionen der EU.
Das traf Schweinezüchter quer durch Europa hart, und das gleich doppelt. Neben dem Ausfall von Fleisch-Exporten aus der gesamten EU im Gegenwert von zuvor zwei Milliarden Euro drückte das plötzliche Überangebot auch die Preise auf den Heimmärkten nach unten. Umso mehr, als die Russen ihren Schweinsbraten gerne fetter haben als etwa die Österreicher. Auch das ist dem Verkauf der eigentlich für den Export bestimmten Stücke nicht eben zuträglich. Und andere Exportdestinationen, etwa in Asien, vermochten die Ausfälle bisher nicht auszugleichen. Die EU musste mittlerweile helfend einspringen: Seit vergangener Woche werden den Züchtern Einlagerungsprämien gezahlt, wenn Schweinefleisch oder Speck in Kühlhäusern geparkt wird.
Ende dieser Woche werden die Sanktionen gegen Russland auf dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs für Streit sorgen. Wieder einmal. Die britische Regierung will die im Juli auslaufenden Strafmaßnahmen, welche die EU als Reaktion auf Putins Annexion der Krim und sein Vorgehen in der Ostukraine schrittweise eingeführt hatte, umstandslos verlängern. Doch einige Regierungschefs wollen davon nichts wissen: Es sind jene aus Ungarn, Tschechien, Griechenland, Italien und Österreich.
Für Bundeskanzler Werner Faymann etwa bewirken Sanktionen gegen Russland "kurz- und mittelfristig wenig bis gar nichts“. Auch Außenminister Sebastian Kurz sprach sich jüngst beim Treffen mit seinen EU-Kollegen in Riga dafür aus, bei einer positiven Entwicklung im Ukraine-Konflikt die Sanktionen zu lockern.
Die österreichische Haltung gegenüber Putin zeigt, dass man eine konsequente Außenpolitik nicht mit einer Krämerseele betreiben kann
In der EU wird Österreich schon länger zum Kreis der "Putin-Versteher“ gerechnet, spätestens seit Putins Wien-Besuch im Juni 2014, als der Kreml-Chef betont freundlich empfangen wurde. Österreichs Interessen kollidierten freilich mit einer härteren Gangart der EU gegenüber Moskau. "Die österreichische Haltung gegenüber Putin zeigt, dass man eine konsequente Außenpolitik nicht mit einer Krämerseele betreiben kann“, kritisiert der EU-Abgeordnete und SPÖ-Delegationschef im Europaparlament, Jörg Leichtfried.
Als größter Gegner der Sanktionen trat bisher der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, Christoph Leitl, auf. Im Vorjahr hätten diese Österreich 9000 Jobs gekostet, heuer würden dadurch weitere 45.000 Jobs verloren gehen, warnte Leitl. Er bezog sich auf eine Anfang 2015 präsentierte Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) über mögliche Auswirkungen der Russland-Krise und wählte dabei die schlimmste von drei Prognosen. Demnach müssten die Exporte nach Russland heuer um 40 Prozent sinken. "Die österreichischen Exporte nach Russland sind im Vorjahr weniger stark gesunken, als von uns angenommen“, gibt einer der Studienautoren, Oliver Fritz, mittlerweile zu. Die gesamten volkswirtschaftlichen Auswirkungen hingen aber - etwa durch Zulieferungen nach Deutschland - von der Entwicklung der Exporte anderer EU-Länder ab. Sollten etwa deutlich weniger deutsche Autos nach Russland verkauft werden, hätte das direkte Auswirkungen auf heimische Zulieferbetriebe.
Leitls Einsatz gegen Sanktionen geriet durch sein persönliches geschäftliches Engagement in Russland allerdings etwas ins Zwielicht. Denn dieser ist an zwei Firmen in Russland beteiligt, die Dämmstoffe und Isolierungen herstellen. Den Umsatz beider Firmen bezifferte Leitl öffentlich zuletzt mit "etwa 20 Millionen Euro“. Durch die Ausschaltung westlicher Konkurrenz könnten seine beiden Firmen von den Sanktionen sogar profitieren, wies Leitl den Vorwurf persönlicher Befangenheit zurück.
Der Rückgang ist noch keine Katastrophe und geht vor allem auf das schwierige Umfeld hier zurück
Aber ist das alles wirklich so schlimm? Haben die wechselseitigen Sanktionen der ohnehin schwächelnden Konjunktur in Österreich tatsächlich so stark zugesetzt? Vergangene Woche veröffentlichte die Statistik Austria die aktualisierten Außenhandelszahlen. Demnach schrumpften die heimischen Exporte nach Russland 2014 gegenüber dem Jahr davor um acht Prozent. Der Gesamtwert der österreichischen Ausfuhren nach Russland beträgt aber immer noch 3,2 Milliarden Euro. Umgekehrt sind Österreichs Ausfuhren in den Rest der Welt neuerlich gestiegen. "Der Rückgang ist noch keine Katastrophe und geht vor allem auf das schwierige Umfeld hier zurück“, erklärt der österreichische Handelsdelegierte in Moskau, Dietmar Fellner, mit Verweis auf Rubelabwertung, steigende Inflation und Rezession.
Von den russischen Gegenmaßnahmen ist nur der Agrarsektor in Österreich betroffen. Österreich lieferte 2013 Lebensmittel um 145 Millionen Euro nach Russland - bei weltweiten Agrarexporten im Gegenwert von rund zehn Milliarden Euro. Im Vorjahr waren es im Lichte des Embargos immer noch 105 Millionen Euro. Betroffen waren vor allem Fleisch, Milch und Käse sowie Obst. Von der EU gab es dafür Hilfsgelder, die einen Teil des Verlusts von 40 Millionen Euro ausgleichen konnten. "Durch das Embargo ist es europaweit zu einem Preisverfall gekommen“, betont Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter. "Das bekommen auch die österreichischen Bauern zu spüren. Die Agrarexporte nach Russland sind, wie erwartet, zurückgegangen. Unsere Exportwirtschaft hat jedoch rasch reagiert und konnte zum Teil auf neue Märkte ausweichen.“
Die Folgen der Russland-Sanktionen belasten das Investitionsklima und hinterlassen auch Spuren in der österreichischen Exportbilanz
Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner sieht die Auswirkungen der Sanktionen erst recht nicht dramatisch. "Die Folgen der Russland-Sanktionen belasten das Investitionsklima und hinterlassen auch Spuren in der österreichischen Exportbilanz. Trotzdem haben unsere Betriebe im Vorjahr wieder einen Exportrekord geschafft, vor allem, weil sie stärker als bisher auf neue Märkte setzen. Zum Beispiel hat China Russland im Ranking der wichtigsten heimischen Exportmärkte überholt und liegt erstmals auf Platz zehn“, so Mitterlehner.
"Die Sanktionen schaden der russischen Wirtschaft deutlicher stärker als den EU-Staaten“, analysiert Österreichs neuer Botschafter in Russland, Emil Brix. "Gemeinsam mit dem niedrigen Ölpreis und der starken Abwertung des Rubels haben sie erstmals seit der Finanzkrise 2008/2009 zu einem Schrumpfen der russischen Wirtschaft beigetragen.“
Der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, sieht die EU-Maßnahmen gegenüber Russland "nach wie vor skeptisch“. Falls sich Russland beim Handel und bei Rohstoffexporten mehr nach Asien ausrichten sollte, "könnten die negativen Folgen langfristig ein größeres Ausmaß annehmen“.
Und doch: Eine profil-Umfrage bei österreichischen Unternehmen mit Russland-Engagement zeigt, dass die Auswirkungen von Sanktionen und Gegensanktionen - jedenfalls vorläufig - alles andere als existenziell sind. Selbst im sensiblen Tourismusbereich konnte der Rückgang an zahlungskräftigen russischen Urlaubern (minus neun Prozent im Vorjahr auf 467.000 Touristen) mit einem Zuwachs aus anderen Ländern wettgemacht werden.
Im Bankensektor erwirtschaften die beiden größten heimischen Institute in Russland, Raiffeisen Bank International und Unicredit Bank Austria, weiterhin Gewinne. Die russische Tochterbank von RBI hat im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Gewinn von 342 Millionen Euro nach Steuern erzielt. Auch heuer wird mit schwarzen Zahlen gerechnet. RBI-Chef Karl Sevelda sieht vorerst kaum Auswirkungen der Sanktionen auf sein Unternehmen, betont aber, dass der "gegenwärtige Sanktionswettlauf kontraproduktiv für alle involvierten Parteien ist“. Bei der russischen Tochter der UniCredit Bank Austria wurden 2014 ebenfalls Gewinne erwirtschaftet, vor Steuern waren es 447 Millionen Euro.
Auch im Anlagen- und Maschinensektor blieben die Auswirkungen der Sanktionen vorerst eher überschaubar. Beim voestalpine-Konzern etwa macht das Russland-Geschäft nur 1,4 Prozent vom Gesamtumsatz von elf Milliarden Euro aus. Sogar das von Moskau abgesagte Pipeline-Projekt "South Stream“ sei nicht ergebnisrelevant, so voestalpine-Chef Wolfgang Eder. "Gehen Sie davon aus, dass wir South Stream ohne Probleme durch andere Projekte kompensieren können.“
Bei der OMV, die von der Absage des Baus der South-Stream-Pipeline überrascht wurde, setzt man weiter auf Kooperation mit Russland. Der Gewinneinbruch im Vorjahr geht vor allem auf den gesunkenen Ölpreis zurück.
Auch im Bausektor gab es bisher keine gröberen Einbrüche. Beim Ziegelkonzern Wienerberger AG, der drei Fabriken in Russland betreibt, wurde 2014 noch ein Umsatzplus erzielt. Auf den Wohnbaumärkten Moskau und Kazan seien noch "keine negativen Auswirkungen“ der Sanktionen und des Ölpreisverfalls registriert worden, so Wienerberger-Sprecherin Karin Steinbichler. Bei Strabag sieht man trotz "abgekühlten Investitionsklimas“ keine nennenswerten Rückgänge. Aber auch, weil Russland und Nachbarländer nur zwei Prozent des Gesamtgeschäfts von Strabag tragen. Strabag-Chef Hans-Peter Haselsteiner hatte die Verhängung der EU-Sanktionen nach der Annexion der Krim als "notwendig“ bezeichnet. Eine Verschärfung der Sanktionen lehnt er aber ab, weil damit das "System Putin“ nur gestärkt werde.
Beim Maschinenbau-Konzern Andritz stuft Konzernchef Wolfgang Leitner die Folgen der Sanktionen eher gering ein. Andritz sei vom Ukraine-Konflikt "nicht besonders betroffen“. Aber die europäische Industrie werde noch darunter leiden, dass sich Russland stärker an China annähere.
Bei den mittleren Betrieben baut man auf traditionelle Kontakte, die auch über schwierigere Zeiten hinweghelfen könnten. Für den Speckerzeuger Handl-Tyrol stellt Russland keinen "Fokusmarkt“ dar. Das Russland-Geschäft macht insgesamt nur ein Prozent vom Firmenumsatz aus.
Ein bedeutender Investor Österreichs in Russland, der Gewürzhersteller Kotányi, hat inzwischen einen legalen Ausweg aus dem Lieferstopp bewirkt. Anfangs wurde ein Produzent in Serbien verpflichtet, der Gewürze mit Rohstoffen außerhalb der EU, nach Russland liefern sollte. Inzwischen hat Firmenleiter- und Eigner, Erwin Kotányi, die russischen Zollbehörden überzeugt, dass wegen der Rohstoffe aus Drittstaaten gar kein Embargo gegen seine Produkte gerechtfertigt sei. "Wir liefern wieder wie früher von Österreich aus.“ Sorgen bereitet ihm, und wohl nicht nur ihm, allerdings der unberechenbare Rubelkurs. "Schwankungen bis zu 80 Prozent erschweren jede Planung.“