Russland

Ökonom Vasily Astrov: ,,Krieg ist für viele Familien ein Geschäftsmodell“

Der Ökonom Vasily Astrov erforscht seit Kriegsbeginn die russische und ukrainische Wirtschaft. Ein Gespräch über die Effizienz von Sanktionen, Trumps Interesse an Russland und Putins Spiel auf Zeit.

Drucken

Schriftgröße

Wie steht die russische Wirtschaft drei Jahre nach Kriegsbeginn und Isolation durch die Sanktionen da? Viele haben den baldigen Untergang der russischen Wirtschaft prophezeit – und sich offenbar geirrt.

Vasily Astrov

2022 gab es eine leichte Rezession, 2023 und 2024 gab es schon wieder ein solides Wirtschaftswachstum. Was darauf hindeutet, dass Russland den anfänglichen Schock der Sanktionen relativ gut überwunden hat. Sie sagen Isolation, aber das ist keine Isolation, es ist nur die Entflechtung vom Westen. Gleichzeitig gab es eine massive Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen mit China, Indien und dem sogenannten Globalen Süden. China allein war vergangenes Jahr für 35 Prozent des russischen Außenhandels verantwortlich. Ein großer Teil des sanktionierten russischen Öls geht jetzt nach China und Indien. China ist auch eine Drehscheibe für sanktionierte und andere westliche Güter, vor allem für Dual-Use-Güter (solche, die auch militärisch genutzt werden können, Anm.). Außerdem haben sich in Russland neue Märkte für chinesische Hersteller geöffnet. Mittlerweile kommt jeder zweite Neuwagen aus China.

Denken Sie, dass es wirklich zu einer Annäherung zwischen Russland und den USA und einer Waffenruhe kommen kann? Die USA waren jahrelang das Feindbild.

Astrov

Ich bin skeptisch. Im Gegensatz zur Ukraine kann Russland jetzt aus der Position des Stärkeren verhandeln. Um Trump zu zitieren: Putin hat gute Karten. Militärisch macht die russische Armee langsam, aber stetig Fortschritte. In Moskau glaubt man sehr stark daran, dass Russland auf dem Schlachtfeld noch viel erreichen kann. Von Russland würde ich jetzt in puncto Waffenruhe jedenfalls keine großen Zugeständnisse erwarten. Russland braucht nicht unbedingt einen Frieden. Dass Menschen sterben, wird von der Führung im Kreml in Kauf genommen. Aber Trump braucht einen schnellen Friedenserfolg.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".