Salzburger Finanzskandal: die Memoiren von Monika Rathgeber
Wenn ich morgens aufwache, glaube ich manchmal, dass all das, was in diesem letzten Jahr passiert ist, nur ein böser, böser Traum war. Die Vorgänge, denen ich ausgesetzt war, übersteigen noch immer mein Fassungsvermögen. Sie sind für einen einzelnen auch kaum fassbar. Dann wache ich auf und denke für einen kurzen Moment, dass die Pressekonferenz am 6. Dezember 2012 nie stattgefunden hat.
An jenem 6. Dezember, um exakt 13.53 Uhr, schickte die Austria Presse Agentur (APA) ein Aviso aus: Das Land Salzburg lade kurzfristig für 14.30 Uhr zu einem Pressegespräch. David Brenner, SP-Finanzlandesrat und Landeshauptmann-Stellvertreter, werde dabei über aktuelle Ressortfragen informieren.
Was die anwesenden Journalisten dort zu hören bekamen, ließ sie mit den Ohren schlackern: Eine leitende Beamtin soll 340 Millionen Euro Steuergeld verspekuliert haben. Jahrelang soll die Referatsleiterin eigenmächtig risikoreiche Finanzgeschäfte getätigt und dafür Unterschriften, Protokolle und Berichte gefälscht haben. Und sich dabei so geschickt angestellt haben, dass dieses Kartenhaus sogar zwei Rechnungshof-Prüfungen standhielt.
Sie hatten mich hingerichtet! Und das in aller Öffentlichkeit. Ich war völlig fassungslos. Sie hatten mir tatsächlich jene Verluste untergeschoben, die sie selbst verursacht hatten. Vor denen ich sie noch gewarnt hatte. Das war doch absurd. Wie konnten sie das tun?
Und alle diese Unterstellungen. Sie taten so, als hätten sie nichts gewusst davon, als hätte ich völlig im Alleingang gearbeitet. Und zwar immer, insbesondere im Falle von Derivaten, Veranlagungen und Protokollen. Das war einfach nicht zu glauben. Sie stellten mich als Kriminelle hin. Sie diskreditierten mich in der Öffentlichkeit. Und ich war entlassen? Das musste ich aus den Medien erfahren?
In Salzburg führt die Nachricht zu einem politischen Erdbeben. SP-Landeshauptfrau Gabi Burgstaller kämpft im Landtag mit den Tränen. Die Koalition mit der ÖVP zerbricht. Das Thema wird die Öffentlichkeit auf Monate intensiv beschäftigen.
Laut Rathgebers Schilderung begann ihr persönlicher Albtraum im Frühjahr 2012:
Nicht vorhersehbar war jedoch die momentane Stimmungslage meines Abteilungsleiters (Anm.: Eduard Paulus, Rathgebers direkter Vorgesetzter). Seitdem er zu Besuch in Linz gewesen war, verhielt er sich anders als sonst. Dies lag daran, dass in Linz ein Rechtsstreit zwischen der Stadt und einer Bank über einen verlustreichen Swap ausgetragen wurde. Ich verstand nicht, weshalb die Affäre in Linz Auswirkungen auf uns haben sollte. Anders als die Stadt Linz hatten wir schließlich stets darauf geachtet, dass es unbegrenzte Risiken, wie sie in Linz eingegangen worden waren, bei uns nicht gab. Das wusste Hofrat Dr. Paulus. Ganz offensichtlich machte ihn an der Affäre in Linz nervös, dass die Politiker dort und wahrscheinlich nicht nur dort nach einer Möglichkeit suchten, sich im Bedarfsfall aus der Verantwortung zu stehlen und die Verantwortung ausschließlich anderen, nämlich der Verwaltung und dem Geschäftspartner aufzuhalsen. Er hatte während seines Aufenthaltes in Linz auch erfahren, dass sich unser Ressortchef (David Brenner, Anm.) bereits danach erkundigt hatte, wie man als Politiker agieren muss, um für Fehlspekulationen weder in rechtlicher noch in politischer Hinsicht zur Verantwortung gezogen werden zu können.
Was Rathgeber nicht erwähnt: Das Land Salzburg war mit seinen Finanzgeschäften längst schwer in der Bredouille. Schon im Dezember 2008, drei Monate nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, empfahl Jakob Stott, damals Chief Operating Officer Europe der Investmentbank J. P. Morgan in einem Schreiben an Paulus, das Land sollte ernsthaft und dringend erwägen, Risiken durch Glattstellung von Geschäften abzubauen. Im Juli 2009 gab es für die Derivatgeschäfte einen schweren Rüffel des Rechnungshofes (RH). Anfang 2012 verdichteten sich die Informationen, dass sich seit der RH-Prüfung kaum etwas zum Besseren gewendet habe. Auf eine diesbezügliche profil-Anfrage wiegelte Paulus ab. Die recht dichten Gerüchte konnten nicht belegt werden. Intern sorgten sie jedoch für hektische Betriebsamkeit.
Die Sitzung des Finanzbeirates am 20. März 2012 verlief daher auch völlig anders als sonst. Sowohl Hofrat Dr. Paulus als auch die externen Mitglieder des Finanzbeirates nahmen die Berechnungen und Analysen, die ich im Vorfeld hatte erstellen lassen, zwar zur Kenntnis, hielten sich aber in ihren anschließenden Empfehlungen nicht daran. Ihre Empfehlungen entsprachen weder den budgetären Vorgaben, noch den Zielen des Ressortchefs, die die Risikoreduktion betrafen und schon gar nicht den Anforderungen der Richtlinien des Landes. Ihr Agieren war mir unverständlich, da der Finanzbeirat im Grunde lediglich die Kompetenz hatte, Vorschläge zur Risikostrategie zu machen, nicht aber konkrete Handelsempfehlungen abzugeben. Umso erstaunlicher war, dass die Empfehlungen des Finanzbeirates zu einer Erhöhung der Zinskosten und zu einer Risikoerhöhung führten. (
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Wir sollten also wissentlich Geschäfte abschließen, die für das Land mit einem höheren Risiko verbunden waren und zu einer Zinskostenerhöhung führen würden, die den budgetären Rahmen für Zinsausgaben sprengte. Hofrat Dr. Paulus schloss die Diskussion, nachdem er wiederholt festgestellt hatte, ihm seien zusätzliche Zinsausgaben in der Höhe von 25 bis 30 Mio. Euro pro Jahr lieber, als Swaps, die der Finanzbeirat nicht empfohlen hätte, und zwar selbst dann, wenn sich diese für das Land als vorteilhafter herausstellen sollten. (
) Höhere Zinsausgaben schätze er als unproblematisch ein, sofern dies nur der Empfehlung der externen Experten des Finanzbeirates entspräche und somit weniger politische Probleme zu erwarten wären. (
) In Zukunft seien die Mitarbeiter des Budgetreferates dazu angehalten, nur mehr Geschäfte abzuschließen, die der Finanzbeirat ausdrücklich genehmigt hätte.
Den Finanzbeirat hatte der damalige Finanzlandesrat Othmar Raus (SPÖ) bereits im Jahr 2007 eingesetzt. Diesem gehörten auch zwei externe Experten an der Deutsche Utz Greiner und der Lette Lauri Karp. Weil der Verdacht bestand, dass nicht nur allgemein strategische, sondern auch Empfehlungen für konkrete Einzelgeschäfte abgegeben wurden, für die aber gemäß Wertpapieraufsichtsgesetz eine Konzession notwendig wäre, über die weder Greiner noch Karp verfügen, nahm die Finanzmarktaufsicht (FMA) im Februar des heurigen Jahres Ermittlungen gegen die beiden auf. Mittlerweile wurden diese laut Angaben von FMA-Sprecher Klaus Grubelnik ergebnislos eingestellt.
Die diversen Weisungen und Vorgaben differierten immer stärker. Während im Budget des Landes keine Erhöhung der Zinsausgaben eingeplant war, führten die Empfehlungen des Finanzbeirates zu einer signifikanten Kostenerhöhung, die budgetär nicht bedeckt war. Die neuen Anweisungen verstießen damit gegen ein Landesgesetz, nämlich das Haushaltsgesetz. Offenbar war ich die einzige Person, die sich darüber Gedanken machte. Für meinen Abteilungsleiter und meinen Kollegen war das kein Thema. Ich verstand die Welt nicht mehr. (
) Meine Vorgesetzten konnten mich zur Verantwortung ziehen. Also war ich gezwungen, alles zu unternehmen, um diese zusätzlichen, ins bodenlose ausufernden Belastungen für das Landesbudget zu vermeiden.
Es war meine Pflicht.
In diesen Wochen spitzt sich die Situation immer mehr zu. Auf Empfehlung des Finanzbeirats werden einige der Geschäfte gekündigt. Rathgeber ist mit diesen Entscheidungen nicht einverstanden. Sie meint es besser zu wissen und kopiert Unterschriften ihres Kollegen Christian M. in Dokumentationen, schließt auf eigene Faust Geschäfte ab und macht andere rückgängig.
Anfang Juli wurden weitere Zinsswaps bei anderen Banken gekündigt. Ich ließ mir als Ersatz dafür einen Multi-Callable-Swap anbieten. Diese Ausgestaltung hatte der Finanzbeirat ja ausdrücklich genehmigt. Die Risikoauswertung machte jedoch auch in diesem Fall klar, dass das Risiko bei diesem Produkt höher war als bei einem alternativen Range-Accrual-Swap mit kürzerer Laufzeit und geringerem Risiko. Also noch einmal schwarz auf weiß dasselbe Dilemma wie zuvor. Ein Range-Accrual-Swap brachte eindeutig Kosten-, Kredit- und Risikovorteile für das Land. Im Wissen um diesen Sachverhalt bat ich die Bank, den weniger riskanten Swap abzuschließen.
Natürlich war mir bewusst, dass das für mich negative Folgen haben würde.
Diese ließen nicht lange auf sich warten. Rathgeber werden alle Kompetenzen genommen, der Computer gesperrt, das Diensthandy weggenommen. Sie wird für zwei Monate auf Zwangsurlaub geschickt.
Während meiner Abwesenheit wurden im Amt sämtliche Zahlungsflüsse im Finanzmanagement der vergangenen drei Jahre überprüft. Dies geschah im Auftrag von LH-Stv. Brenner. Es gab keine Auffälligkeiten und keinerlei Beanstandungen. Jede Zahlung konnte einem konkreten Geschäft zugeordnet werden, alles war ordnungsgemäß dokumentiert. Es wurde auch eine Liste von allen Derivaten (das sogenannte Schattenportfolio, Anm.) erstellt. Diese Liste schickte Christian an Hofrat Dr. Paulus und an die anderen Mitglieder des Finanzbeirates. Es war der Freitagnachmittag des 3. August 2012.
Nach ihrer Rückkehr ins Amt wurde Rathgeber sowohl bei Finanzlandesrat Brenner als auch bei Landeshauptfrau Burgstaller vorstellig. Beiden schilderte sie ihre Sorge, dass die künftigen Portfolioentwicklungen das Budget massiv belasten würden. Den erhofften Erfolg brachten die Unterredungen jedoch nicht:
Mein persönliches Gespräch mit LH-Stv. Brenner auf das ich so lange hatte warten müssen begann mit einer Verspätung von über einer Stunde, verlief aber in freundlicher Atmosphäre. LH-Stv. Brenner stellte klar, dass die Umsetzung der Empfehlungen des Finanzbeirates für ihn absolut unabdingbar sei, völlig unabhängig davon, was diese Empfehlungen für das Land in finanzieller Sicht bedeuteten. Dies war für ihn aus politischer Sicht essentiell.
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Das beklemmende Gefühl, dass sie am Ende mich für einen etwaigen Verlust verantwortlich machen würden, nahm zusehends Gestalt an. Dieses Szenario entwickelte sich immer deutlicher vor mir. Ich war dabei mit der Rolle eines Statisten bedacht, Regie führten die anderen. Die Angst lähmte mich. Ich wusste nicht, wem ich mich anvertrauen sollte. Wem konnte ich von meinem Verdacht erzählen? Ich fühlte, dass die Waffen meiner Vorgesetzten alle schussbereit geladen und auf mich gerichtet waren. Lediglich wann sie abdrücken würden, wusste ich nicht.
Die Führungsriege gerät zunehmend unter Druck. Die Grünen begehren im Rahmen einer Landtagsanfrage detailliert Auskunft zu den Derivatgeschäften. Zudem sind die Prüfer des Rechnungshofes erneut im Haus. Harald Kutschera, zuvor jahrelang Rathgebers Handelspartner bei der Deutschen Bank, war inzwischen als Ausputzer in der Finanzabteilung des Landes tätig geworden. Sein Auftrag: die Geschäfte aus dem Schattenportfolio zu schließen. Ende November kommt es in Brenners Büro zu einer Unterredung. Von dieser gibt es zwei Versionen: Brenner sagt, Rathgeber habe ein Geständnis abgelegt und einen Verlust von 340 Millionen Euro zugegeben. Rathgeber wiederum erklärt, sie habe vor einem Verlust in dieser Größenordnung gewarnt, wenn alle bestehenden Geschäfte aufgelöst würden.
LH-Stv. Brenner warnte davor, dass er bei einem Verlust in dieser Höhe zurücktreten müsse, Hofrat Dr. Paulus unehrenhaft entlassen würde, und auch Christian und ich müssten sich wohl um einen neuen Job umsehen. Der Pressesprecher von LH-Stv Brenner meinte daraufhin, er würde dafür sorgen, dass eher ich über die Klinge springen müsse, bevor LH-Stv. Brenner etwas geschehe.
Kaum einer der Involvierten hat den Salzburger Finanzskandal beruflich
überlebt. Die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sind im Laufen. Insgesamt führt die Behörde acht Personen als Beschuldigte. Neben Rathgeber, Paulus und Christian M. sind dies die ehemaligen Finanzlandesräte David Brenner, Othmar Raus und Josef Eisl. Auch gegen Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden und einen Mitarbeiter der Stadt wird ermittelt. Noch immer ist die WKStA mit der Auswertung der bei mehreren Hausdurchsuchungen sichergestellten Unterlagen befasst. Wie hoch der Schaden tatsächlich ist, ist bis jetzt nicht klar.
In der ersten Zeit nach dem 6. Dezember stand ich ohnmächtig neben den Dingen. Ich konnte mich kaum mehr bewegen, verbrachte die meiste Zeit im Bett, weil ich keine Kraft mehr dazu hatte aufzustehen. An Essen war gar nicht zu denken. Mein Kreislauf brach zusammen. Ich befand mich in einem Schock-Zustand. Meine Haare gingen mir büschelweise aus, und die, die nicht ausgingen, ergrauten beinahe über Nacht.
Irgendwann wird die Wahrheit ans Licht kommen. Das weiß ich ganz bestimmt.