Schattendiplomaten: Lukaschenkos stählerner Konsul
Sie sind Geschäftsleute, Führungskräfte, Rechtsanwälte, Ärzte, ehemalige Politiker, Personen des öffentlichen Lebens; sie vertreten ganz offiziell die Interessen eines Landes in einem anderen. Wenngleich sie das nur ehrenamtlich machen, dürfen sie einen klangvollen Titel tragen und sich des einen oder anderen Privilegs erfreuen: Honorarkonsuln.
„Shadow Diplomats“: Unter diesem Titel publizierten vergangenen Montagabend weltweit 61 Medienhäuser zeitgleich die ersten Ergebnisse einer aufwendigen Recherche, die vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und der Investigativplattform ProPublica angestoßen wurde. Aus Österreich war einmal mehr profil beteiligt (den ausführlichen Bericht dazu finden Sie hier).
Die „Schattendiplomaten“ beschreiben eine Welt weit abseits des Jetsets eines Hans-Hermann Weyer, dem ikonischen deutschen Titelhändler, der als „schöner Consul“ einst den deutschsprachigen Boulevard verzückte. Es geht um Verbrechen aller Art: Terrorismusfinanzierung, Waffen- und Menschenhandel, Geldwäsche, Korruption sowie um internationale Netzwerke, die ihre wirtschaftlichen oder privaten Ziele mit einem quasi-diplomatischen Stempel veredeln.
Honorarkonsuln sind keine Berufsdiplomaten und haben im Gegensatz zu diesen auch keine vollwertige diplomatische Immunität, sie sind daher vor einer Strafverfolgung im Empfangsstaat grundsätzlich nicht geschützt. Und doch haben sie laut der Wiener Konsularrechtskonvention aus dem Jahr 1963 eine „funktionelle Immunität“: Wenn sie in ihrer ehrenamtlichen Funktion tätig werden, sind sie vor Strafverfolgung geschützt, auch ihre dienstliche Korrespondenz und die Archive sind für Behörden tabu.
In gemeinsamen Recherchen entstand eine mehr als 500 Namen fassende Datei von aktiven und ehemaligen Honorarkonsuln rund um den Globus, die über die Jahre in Kontroversen, Skandale und/oder Strafverfahren verwickelt waren oder es bis heute sind. Die insgesamt rund 160 beteiligten Journalistinnen und Journalisten stießen auf verurteilte Mörder, Drogenhändler, Sexualstraftäter, Waffenschieber, Betrüger und Handlanger der korruptesten Regierungen der Welt. Neun Honorarkonsuln lassen sich mit Terrororganisationen in Verbindung bringen, allen voran die Hisbollah. Annähernd drei Dutzend Honorarkonsuln waren während ihrer Amtszeit in Straftaten verwickelt, die in Verurteilungen mündeten. Zahlreiche Konsuln fanden sich auf internationalen Sanktionslisten wieder, unter ihnen der russische Oligarch Andrei Kozitsyn, bis vor einigen Monaten Österreichs Honorarkonsul im russischen Jekaterinenburg.
Die Recherchen zeitigten bereits vor der Veröffentlichung erste Konsequenzen. Nach einer Medienanfrage beendete das Wiener Außenministerium schlagartig die Zusammenarbeit mit der brasilianischen Geschäftsfrau Tania Kramm da Costa, die seit Oktober 2020 Österreichs Honorarkonsulin im brasilianischen Cuiabá gewesen war – eine Funktion, die sie ab dem Jahr 2012 auch für die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt hatte. Kramm da Costa war vor ihrer Ernennung zur Honorarkonsulin Österreichs in Brasilien in eine Affäre um Dokumenten-Beglaubigungen involviert, diese Information war aber jahrelang nicht bis nach Wien durchgedrungen. „Aufgrund der nun bekannt gewordenen Umstände haben wir die Zusammenarbeit mit Frau Kramm da Costa selbstverständlich unverzüglich beendet“, so das Außenministerium in einer Stellungnahme.
Ein Honorarkonsul, der zwar nicht Österreich vertritt, aber doch einen wesentlichen Bezug zur Alpenrepublik aufweist, ist Roberto Gotti. Der 47-jährige Unternehmer aus dem norditalienischen Brescia ist in seinem Heimatland seit 2018 für Weißrussland aktiv.
Beruflich betreibt Gotti eine Stahlhandelsfirma. Von dieser führt die Spur zu einer bisher öffentlich kaum beachteten Unternehmensstruktur in Österreich. Diese sorgte – über Jahre hinweg – für den Vertrieb von Stahlprodukten aus staatlicher weißrussischer Herstellung. Exportiert wurde in eine Vielzahl von Ländern. Die Umsätze beliefen sich in den vergangenen Jahren jeweils auf dreistellige Millionen-Euro-Beträge. Ein blühendes Geschäft, das – allem Anschein nach – Mitte 2022 ein jähes Ende fand. Im Juni schoben nämlich Sanktionen der Europäischen Union dem Import von weißrussischen Stahlprodukten in die EU einen Riegel vor.
Die Connection nach Belarus reicht bis in die 1980er-Jahre zurück: Damals errichtete die damalige VÖEST (heute voestalpine) ein modernes Stahlwerk im weißrussischen Zhlobin. Finanziert wurde das Unterfangen von österreichischen Banken. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion musste sich die staatliche Stahlfirma BMZ jedoch neue Absatzmärkte im Westen suchen – und dabei führte der Weg nicht zuletzt über Österreich. Von hier aus managten jahrelang zwei Firmen den Vertrieb der Produkte der BMZ-Gruppe in zahlreiche weitere Länder. Eine davon ist die Belmet Handelsgesellschaft m.b.H. mit Sitz in Linz. An ihr war BMZ bis vor Kurzem direkt beteiligt – und zwar mit 50 Prozent. Der zweite wesentliche Vertriebskanal in Österreich lief über die RMZ Vertriebsgesellschaft m.b.H. in Wien. An dieser hielt wiederum die Belmet 50 Prozent. Ein wohlgeflochtenes Import-Export-Netzwerk – das jedoch nach und nach Risse bekam.
Ab Oktober 2020 verhängte die EU wegen Menschenrechtsverstößen schrittweise immer härtere Sanktionen gegen Weißrussland. Bereits Ende 2021 kam es in der Belmet-Gruppe zu einer ersten Anteilsverschiebung. Im Juni 2022 stieg dann die weißrussische BMZ aus. Die EU-Strafmaßnahmen richten sich mittlerweile gezielt gegen Stahlprodukte, das trifft die Belmet-Gruppe ins Mark: Insgesamt seien fast 300 Millionen Euro Umsatz pro Jahr weg, sagt der langjährige Manager und Mitgesellschafter von Belmet, Walter Ortner: Belmet werde geschlossen und liquidiert, man habe bereits die Gläubiger ausbezahlt. Das Geschäft der RMZ soll in geringerem Umfang mit Lieferanten aus anderen Ländern weitergeführt werden. Bei RMZ dürfte der Umsatz von zuletzt rund 90 Millionen Euro heuer auf etwa 35 Millionen Euro sinken, wie Geschäftsführer Eduard Pinchasov erklärt.
Geschäftlich umorientieren muss sich auch Honorarkonsul Gotti in Italien: Der Unternehmer hat bisher über eine Firma namens Dismas Stahlprodukte aus Belarus in seinem Heimatland vertrieben. An der Dismas hielten Belmet und RMZ aus Österreich bis vor einem halben Jahr zusammen 50 Prozent der Anteile. Dismas war also – via Österreich – Teil der BMZ-Vertriebsstruktur.
Die Belmet verkaufte allerdings ihren 33-Prozent-Anteil – am 24. Februar 2022, just am Tag des russischen Einmarschs in der Ukraine. Ortner spricht bezüglich des Timings von einem glücklichen Zufall: Einen Tag später, und der Verkauf hätte wahrscheinlich nicht mehr stattgefunden. Die RMZ ist immer noch mit 17 Prozent an Dismas beteiligt.
Dismas-Chef Gotti stand bei den Weißrussen jedenfalls bis zuletzt hoch im Kurs. Einem Rechercheverbund aus „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR wurde ein Brief der belarussischen Botschaft in Rom an das Sportministerium des autoritär regierten Landes zugespielt. In diesem Schreiben, das mit 5. September 2022 datiert ist, bezeichnete die Botschaft Gotti als „unseren Freund“ und als den „aktivsten Honorarkonsul der Republik von Belarus in Italien“. Gotti habe „die wirtschaftlichen Verbindungen mit Belarus“ auch nach Verhängung der EU-Sanktionen „nicht unterbrochen“, sondern „alle Anstrengungen unternommen, um diese Beziehungen weiter auszubauen“.
Beziehungen ausbauen trotz Sanktionen? Gotti erklärte auf Anfrage der italienischen Wochenzeitung „L’Espresso“, dass jeder verrückt sei, der glaube, er könne Sanktionen umgehen. Er beliefere italienische Kunden nicht mehr mit Stahl aus Belarus, habe allerdings überlegt, nicht sanktionierte Güter aus dem Land einzuführen, sagt Gotti. Er habe 22 Jahre lang Geschäfte mit Belarus gemacht. Honorarkonsul sei er geworden, weil ihn ein Mitarbeiter der Botschaft in Rom darum gebeten habe.
Sein besonderes Standing nutzte Gotti übrigens auch für ein privates Anliegen: Der Unternehmer ist großer Fan des Fecht-sports. Vor einigen Wochen intervenierte er – wie der Botschafts-Brief zeigt – über seine diplomatischen Kanäle zugunsten eines italienischen Fechtkameraden. Belarus sollte bei der Wahl zum Präsidenten der Europäischen Fechtföderation für Gottis Wunschkandidaten stimmen. Tatsächlich wurde der Mann gewählt. Da die Abstimmung geheim ablief, ist letztlich unklar, ob Weißrussland Gottis Bitte nachkam.
In der Fechthalle gilt Lukaschenkos italienischer Stahl-Konsul übrigens als Spezialist für das zweihändig geführte Langschwert der Renaissance.
Mitarbeit: Mauritius Much, Natalie Sablowski, Paolo Biondani, Leo Sisti, Alexander Yarashevich und Aliaksei Hulitski