Wirtschaft

Schengen-Veto: Unmut bei österreichischen Unternehmen

Die Ablehnung des Schengenbeitritts von Rumänien und Bulgarien durch die österrreichische Regierung sorgt in der heimischen Wirtschaft nach wie vor für Ärger. Über den milliardenschweren Geschäftsaktivitäten in beiden Ländern hängt nun ein politisches Damoklesschwert.

Drucken

Schriftgröße

Manchmal reicht ein einziges Wort, um heftige Emotionen und enormen Handlungsbedarf hervorzurufen. Im konkreten Fall war es ein „Nein“. Und zwar jenes von ÖVP-Innenminister Gerald Karner beim EU-Gipfel am 8. Dezember. Er lehnte die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in den Schengenraum ab. „Das machte es notwendig, schnelle und klare Worte zu finden und Taten zu setzen“, sagt Robert Schmid, Chef der Schmid Industrieholding. Deren Baustoffhandelsgruppe Baumit ist in beiden Ländern mit Niederlassungen vertreten. Schmid weiß, wovon er spricht: Sein Unternehmen sah sich – wie einige andere vor Ort tätige Austro-Firmen – unversehens auf eine schwarze Liste gesetzt. Im Internet kursierten Boykott-Aufrufe gegen heimische Banken, Versicherungen, Bau- und Handelsunternehmen. Die österreichische Botschafterin in Bukarest wurde ins rumänische Außenministerium einbestellt. Wütende Rumänen protestierten vor der Botschaft und vor dem Bundeskanzleramt in Wien gegen die Regierung Nehammer. Da war bei den heimischen Unternehmen Schadensbegrenzung angesagt.

Sowohl Rumänien als auch Bulgarien warten seit mehr als einer Dekade auf den Einlass in das Schengengebiet. Das entsprechende Abkommen ermöglicht den freien Personenverkehr ohne Grenzkontrollen innerhalb der Mitgliedsländer. Während Schengen für Europas Bürger einen enormen Komfortgewinn bedeutet, ist es für die Unternehmen ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Die offenen Grenzen sollten somit auch für die Wirtschaftspartei ÖVP Priorität haben. Immerhin ist Österreich in beiden Ländern der zweitgrößte Auslandsinvestor. Doch auch drei Monate nach dem Eklat ist immer noch kein Einlenken absehbar. Welche Konsequenzen hat diese Haltung auf die österreichischen Unternehmen? Und wie wird sie sich langfristig auswirken?

„Dümmlich agieren“

„Dass die Regierung, wo doch Österreichs Wirtschaft so eine Osteuropa-Abhängigkeit hat, so dümmlich agieren kann, hätte ich nicht für möglich gehalten“, sagte Baumit-Chef Schmid dem „Kurier“ in einer ersten Reaktion im vergangenen Dezember.

Gegenüber profil beschreibt der Industrielle das Krisenmanagement im Detail: Auch in Rumänien habe man sich noch am selben Tag an die Presse gewandt: „Wir sind mit Kunden und Mitarbeitern in die Diskussion gegangen. Aus dem Team waren viele sehr
betroffen. Weil sie gerne für ein österreichisches Unternehmen arbeiten, aber ihr Land von Österreich zurückgewiesen wurde.“ In der rumänischen Öffentlichkeit wurden Ressentiments gezeigt: „Da gab es neben Aufrufen zum Boykott auch solche nach Finanzkontrollen, damit die österreichischen Firmen Schwierigkeiten bekommen und eventuell bestraft werden.“ Das sei zwar bisher nicht eingetreten, doch „Reibungen mit lokalen Behörden“ seien leider noch immer zu erwarten, sagt Schmid. Der Baustoffhändler ist recht deutlich in seinen Aussagen: „Lkw im innereuropäischen Verkehr stehen Stunden an den Grenzen. Dieses Veto führt zu Kostenerhöhung in der Logistik, aber auch Verspätungen in der Beschaffung von Genehmigungen.“ Baumit sei aufgrund seines soliden Markenrufs zwar nicht gefährdet, aber, so gibt Schmid zu bedenken, wenn es durch das Agieren der österreichischen Regierung zu lokalen Imageverlusten bei einzelnen Unternehmen komme, seien diese oft langfristig zu spüren.

„Die besten Investoren“

Von Bukarest nach Wien – ins ehrwürdige „Palais Landau“, Sitz der rumänischen Botschaft. Die Eingangshalle ziert eine zeitgenössische Statue – ein abstraktes Pferdefuhrwerk samt Kutscher. Das eigenwillige Kunstwerk wirkt mickrig im großen Raum und trifft nicht ganz den Geschmack des Botschafters. „So schauen unsere Beziehungen mit Österreich derzeit aus“, kommentiert Emil Hurezeanu schmunzelnd. Im Vorjahr habe er noch Innenminister Karner als Hauptredner für den rumänischen Nationalfeiertag am 24. November eingeladen. Das ist passé.

So sehr das offizielle Rumänien mit der österreichischen Politik im Clinch liegt (siehe auch Interview Seite 39), so sehr baut man andererseits auf die guten wirtschaftlichen Beziehungen: Österreich sei in Rumänien mit den „besten Investoren überhaupt“ vertreten, betont Hurezeanu. Raiffeisen, OMV und Erste Bank – alle seien besorgt gewesen und hätten sich auch solidarisch gezeigt. „Denn wir verlieren alle durch das Veto.“ Gerade auch in der Transportbranche seien nicht nur rumänische Unternehmen von den weiterhin verstopften Grenzen betroffen, sondern auch österreichische. Die finanzielle Auswirkung laut Hurezeanu: „200 Euro pro Lkw – insgesamt 2,4 Milliarden im Jahr.“

Kritik von Erste-Group-Chef

Ein österreichischer Konzern, der sich vom ersten Moment an besonders kritisch in Bezug auf das Schengen-Veto zeigte, war die Erste Group. Deren Chef, Willibald Cernko, äußerte sich ungewöhnlich emotional für einen Top-Banker auf LinkedIn: „Es gibt keine EU-Mitgliedstaaten zweiter Klasse.“ Der europäische Gedanke sei für die Erste keine Floskel, sondern tiefste Überzeugung.

Seit knapp 20 Jahren ist die Erste Group in Rumänien tätig. Mittlerweile ist Rumänien innerhalb des Bank-Konzerns der Markt mit den drittmeisten Kunden – rund 2,8 Millionen im Jahr 2022. Da läuten bei Boykottaufrufen naturgemäß die Alarmglocken. Prompt nach dem Veto stellten sogar staatliche Institutionen Vergeltungsmaßnahmen in Aussicht. Das rumänische Verkehrsministerium kündigte etwa an, der Erste-Tochter BCR als Kundin den Rücken zu kehren.

„Welle negativer Emotionen“

Kein Blatt vor den Mund nimmt man sich auch bei einer weiteren großen österreichischen Bankengruppe: „Die Raiffeisen Bank unterstützt den Beitritt Rumäniens zum Schengenraum voll und ganz und wird auch weiterhin die Bemühungen der Entscheidungsträger unterstützen, dieses Ziel zu erreichen“, heißt es seitens der Raiffeisen Bank International (RBI) auf Anfrage von profil. Die RBI-Tochter in Rumänien ist – gemessen am Kreditvolumen – die drittgrößte Bank im Land. Sie beschäftigt immerhin 4900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in rund 300 Geschäftsstellen.

Alle österreichischen Unternehmen in Rumänien seien nach dem Schengen-Veto „mit einer Welle negativer Emotionen konfrontiert“ gewesen, heißt es von der RBI: „Die Raiffeisen Bank in Rumänien war diesbezüglich keine Ausnahme.“ Kunden hätten ihre Enttäuschung zum Ausdruck gebracht. Die Bank habe ihrerseits „öffentlich kommuniziert, dass der Beitritt Rumäniens zum Schengenraum ein Thema von großem Interesse“ und dass man „über das Ergebnis dieses politischen Prozesses enttäuscht“ sei.

Unverständnis über die Blockadehaltung

Nicht alle tragen ihre Meinung so offen zur Schau. In Hintergrundgesprächen machen Unternehmer und Manager ihrem Ärger recht unverhohlen Luft und zeigen völliges Unverständnis über die andauernde österreichische Blockadehaltung. Doch öffentlich dazu äußern möchten sich nur die wenigsten. Zum einen möchte man nicht bei der Politik anecken. Zum anderen fürchtet man, die Kundschaft in der Heimat zu verprellen: Die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher, das haben Umfragen gezeigt, befürwortet das Veto bezüglich Rumänien und Bulgarien nämlich.

Österreichische Unternehmen haben als zweitgrößte Auslandsinvestoren einen ordentlichen Batzen Geld in die beiden Länder gesteckt. Auch aufgrund der Erwartung, dass diese in absehbarer Zeit Teil der Schengenzone werden würden. Rund fünf Milliarden Euro an Direktinvestitionen sind etwa von Österreich nach Bulgarien geflossen. Die 350 vor Ort tätigen Firmen beschäftigen 30.000 Menschen. In Rumänien belaufen sich die österreichischen Investments sogar auf zehn Milliarden Euro. Dort gibt es 3900 rot-weiß-rote-Unternehmen mit 100.000 Beschäftigten.

VIG: „Bedauern Situation“

Eines davon ist die Vienna Insurance Group. Mit Omniasig, Asirom und BCR Leben sind sogar drei VIG-Gesellschaften vor Ort tätig. Mit einem Anteil von rund 20 Prozent am Gesamtprämienvolumen sind sie Marktführer. „Vor allem unsere lokalen Gesellschaften in Rumänien waren in den ersten Tagen nach Bekanntwerden des Vetos mit negativen Kommentaren, vorwiegend auf Social-Media-Plattformen, konfrontiert“, sagt VIG-Vorstand Peter Höfinger: Die VIG habe zu beiden Ländern eine wirtschaftlich sehr erfolgreiche Beziehung aufgebaut. „Deshalb bedauern wir diese Situation und hoffen, dass sobald wie möglich eine positive und sachliche Lösung gefunden wird.“

Ähnlich sieht man das beim Mitbewerber Uniqa: Man hoffe, dass möglichst rasch ein „Fahrplan“ zur Lösung der politischen Probleme gefunden wird.

Boykott-Aufrufe und Hass-Fotos

Aufgrund der geografischen Lage wird das Thema in Rumänien viel intensiver diskutiert als in Bulgarien: Unter dem Hashtag #boicottaustria ging es im vergangenen Dezember heiß her. Bilder von Supermarktregalen ohne Pfanner und Red Bull, durchgestrichene Raiffeisen-, Billa- und OMV-Logos fluteten die Internet-Foren. Aber auch Hass-Fotos gegen ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer machten die Runde. „Es hat für viele Rumänen bestätigt, dass westliche Länder die ehemaligen Ostblockstaaten immer nur ausbeuten“, fasst Werner Braun, Vorstand des „Deutschen Wirtschaftsklub Kronstadt“ (ein Interessensverband für deutschsprachige Investoren in Rumänien), zusammen.

Mit ihrer medienwirksamen Unterstützung von Boykottaufrufen setzte die rumänische Regierung darauf, dass der Unmut der österreichischen Unternehmer die Regierung in Wien zum Einlenken bringen würde. Wobei die Folgen nicht immer unmittelbar zu spüren sind. So kündigte etwa auch die nationale Straßeninfrastruktur-Gesellschaft CNAIR  an, sich dem Boykott anzuschließen. Ungeachtet dessen gewann der österreichische Baukonzern Porr kurz nach dem Schengen-Veto eine Ausschreibung für ein Straßenprojekt rund um die Stadt Oradea, beauftragt von der regionalen Verwaltung. „Wir spüren derzeit weder bei laufenden Verträgen noch bei Neuaufträgen Gegenwind“, heißt es von Porr.

Politisches Kleingeld

Und auch im Einzelhandel fühlt sich aktuell beileibe nicht jeder österreichische Marktteilnehmer von Boykottmaßnahmen betroffen. Der Möbelhändler XXXLutz, der sowohl in Rumänien als auch in Bulgarien vertreten ist, teilt mit, es sei „überhaupt nichts“ zu spüren gewesen. Vom Spar-Konzern, der mit dem Sportartikelhändler „Hervis“ am rumänischen Markt aktiv ist, heißt es auf profil-Anfrage, man sei einige Tage lang von Boykottaufrufen – vor allem über Social-Media-Kanäle – betroffen gewesen. Am Anfang sei es zu einem kurzfristigen Geschäftsrückgang gekommen. Das habe sich aber „rasch wieder gelegt“.

Botschafter Hurezeanu ist um Beschwichtigung bemüht. Mit Blick auf die Bauwirtschaft meint der Diplomat etwa, sein Land brauche Autobahnen, und in diesem Bereich seien die österreichischen Unternehmen unschlagbar. Rumänien könne in Zukunft gar nicht darauf verzichten. Sogar die symbolträchtige orthodoxe „Kathedrale der Erlösung des rumänischen Volkes“, an der seit mehr als zehn Jahren im Zentrum Bukarests gebaut wird, liegt in den Händen der österreichischen Strabag. Auf der rot-weißen Abdeckung des imposanten Baugerüsts: das Firmenlogo von Baumit.  

Der erste Unmut ist verraucht, doch hängt ein Damoklesschwert über heimischen Unternehmen, die in Rumänien und Bulgarien tätig sind: Zeigt sich Österreich bei den weiteren Verhandlungen über eine Schengen-Aufnahme weiterhin stur, könnten die Ressentiments und Boykottaufrufe schnell wieder aufflammen. Politisches Kleingeld schlägt man schließlich nicht nur in Österreich.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Clara Peterlik

Clara Peterlik

ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.