Schweigen zu Abwässern: Kommt nun Gesetzesänderung?
Es ist ein juristischer Rüffel der besonderen Art, den der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) vor Kurzem der österreichischen Umweltpolitik mit auf den Weg gegeben hat. Die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach (NÖ) hatte einem Landwirt bestimmte Auskünfte zu Abwässern eines Chemiekonzerns, die in den Fluss Thaya eingeleitet werden, verweigert. Zu Unrecht, wie das Höchstgericht nunmehr entschieden hat. Die Richter bemängeln dabei aber nicht, dass ein Gesetz falsch ausgelegt worden wäre. Vielmehr stellten sie fest, dass Gerichte und Behörden die österreichische Gesetzeslage in einem wichtigen Punkt schlichtweg ignorieren müssen, um rechtskonform zu handeln. Eine bemerkenswerte Erkenntnis.
profil berichtete im Oktober 2020 erstmals über die Causa: Im nördlichen Niederösterreich leitet die Firma Jungbunzlauer, die in einem riesigen Werk vor allem Zitronensäure für die Lebensmittelindustrie produziert, Abwasser aus ihrer Betriebskläranlage in die Thaya ein. Ein Landwirt, der ein Stück flussabwärts angesiedelt ist, begehrte bei der Bezirkshauptmannschaft Einsicht in diverse Messdaten. Ein Teil wurde ihm übermittelt, ein anderer, in dem es um Messergebnisse zu bestimmten Inhaltsstoffen ging, jedoch nicht. Begründung: Betriebsgeheimnis. Jungbunzlauer hatte eingewandt, dass dadurch Rückschlüsse auf die Produktion gezogen werden könnten. Deshalb müssten diese Daten nicht herausgegeben werden. Das Landesverwaltungsgericht NÖ gab der Behörde und dem Chemiekonzern recht. In der obersten Instanz siegte nun aber der Landwirt. Mit potenziell weitreichenden Folgen.
Stein des höchstrichterlichen Anstoßes ist eine Passage im Umweltinformationsgesetz (UIG). Dieses soll Bürgern eigentlich Zugang zu behördlichen Daten über Umweltthemen – etwa zu potenziell schädlichen Emissionen – sichern, kann aber auch in die Gegenrichtung wirken. Das Gesetz sieht nämlich vor, dass bei Vorliegen von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen Informationen über Emissionen verweigert werden können, um wirtschaftliche Interessen zu schützen – außer wenn die Daten „in zeitlich aggregierter oder statistisch dargestellter Form“ vorliegen. Das bedeutet freilich, dass daraus nicht alle potenziell relevanten Details erkennbar sind.
Diese Beschränkung sei nicht mit dem Ziel der Umweltinformationsrichtlinie der EU vereinbar, heißt es nun in der Entscheidung des VwGH. Die nationalen Behörden und Gerichte seien somit verpflichtet, diese Einschränkung nicht anzuwenden. Nur das führe zum „richtlinienkonformen Ergebnis“, dass „Informationen über Emissionen in die Umwelt“ frei zugänglich sind. Das UIG datiert zurück bis 1993. Im Jahr 2005 wurde es unter der damaligen schwarz-blauen Bundesregierung jedoch novelliert, um die EU-Richtlinie umzusetzen. Das erfolgte offenbar auf ungenügende Weise: zulasten des Umweltschutzes, zugunsten der Unternehmen. Bisher hat niemand daran etwas geändert.
Der Anwalt des Landwirts, Wolfram Proksch, der den VwGH-Entscheid erkämpft hat, regte mittlerweile bei Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) eine Gesetzesänderung durch Streichung der einschränkenden Passage an. Aus dem Ministerium heißt es dazu auf profil-Anfrage, die Vollzugsbehörden seien bereits informiert worden, die VwGH-Entscheidung zu beachten. Eine Gesetzesnovelle befinde sich „derzeit in Planung“.
Zur Nagelprobe könnte zunächst das Verhalten des Landwirtschaftsministeriums von Elisabeth Köstinger (ÖVP) werden: Der Landwirt aus Niederösterreich hat nicht nur bei der Bezirkshauptmannschaft Daten zur Thaya angefordert, sondern auch einen Expertenbericht über die Belastung des Flusses aus dem Ministerium. Dieses stellte dem Bauern aber lediglich 24 Seiten des insgesamt 142 Seiten starken Berichts zur Verfügung, da der Rest Geschäftsgeheimnisse beinhalten würde. Auch hier zog der Landwirt vor Gericht. Der Fall liegt beim Verfassungsgerichtshof. Aktuell läuft die Frist, innerhalb der sich das Ministerium – wenn es möchte – zur Beschwerde äußern kann. Bisher wurde keine Stellungnahme abgegeben, heißt es dazu aus dem Ministerium.