Die Kabarettisten Fleischhacker, Pöchacker, Seberg und Roubinek (v.l.n.r.): "Es gibt verschiedene Wege dem Bösen beizukommen".

Gregor Seberg: "Die Korruption kommt von unten"

Dürfen Misswirtschaft und Korruption Spaß machen? Das 2015 ausgestrahlte TV-Satire-Format "Bist du deppert!“ scheint zumindest einen Nerv getroffen zu haben - und geht nun in die zweite Staffel. Michael Nikbakhsh traf die Kabarettisten Susanne Pöchacker, Gerald Fleischhacker, Rudi Roubinek und Gregor Seberg zu einem launigen Gespräch über das System Österreich.

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Im Großraum St. Pölten, Niederösterreich, laufen die Westautobahn und die Westbahnstrecke ein Stück weit parallel - wobei eine Lärmschutzwand die Straße von den Gleisen trennt. Sie erfüllt anscheinend ihren Zweck. Die Autofahrer hören die Eisenbahn nicht, die Bahnfahrer die Autos nicht. Aber wer hat diese Wand da hingestellt - und warum? Es waren Fragen wie diese, denen Kabarettisten und Schauspieler in der ersten Staffel des Satire-Formats "Bist du deppert! Steuerverschwendung und andere Frechheiten“ 2015 auf Puls4 nachgingen. Dem Publikum gefiel’s. In der Altersgruppe der Zwölf- bis 49-Jährigen kamen die sechs Sendungen auf einen nicht unansehnlichen Marktanteil von durchschnittlich 7,1 Prozent. Am 2. Februar, 20.15 Uhr, geht das Blödeln mit ernsten Absichten in die nächste Saison.

profil: Was muss eine Geschichte haben, um Ihr Interesse zu wecken? Fleischhacker: Es muss Steuergeld verschwendet worden sein, und das auf eine Art, wo man hinterher sagen kann, das hätten die Entscheidungsträger vorher wissen müssen … Roubinek: Es soll ja vorkommen, dass Steuergeld auch sinnvoll eingesetzt wird. Es müssen ja nicht immer Eurofighter sein.

Manche Dinge muss man nicht überhöhen, die sind an sich schon absurd genug.

profil: Wer entscheidet, ab wann Steuergeld als verschwendet gilt? Fleischhacker: Wir diskutieren das in der Redaktion intensiv mit den Kollegen von "dossier“ (Anm. eine von Journalisten betriebene Rechercheplattform). Viele Dinge sind aber ohnehin bereits vom Rechnungshof dargelegt worden. Wir bereiten Sie halt anders auf. Roubinek: Man mag es kaum glauben, aber wir lesen Rechnungshofberichte. Also zumindest in Auszügen. Seberg: Zahlen und Fakten sind in der Vorbereitung sehr wichtig. Rechnungshofberichte sind stilistisch allerdings ziemlich fad. Und frei von Humor, das ist schrecklich.

profil: Wie viel Satire darf in einen Skandal? Pöchacker: Ich muss die Leute emotionalisieren, damit sie das besser aufnehmen können. Das geht über Humor leichter. Auch wenn einem das Lachen letztlich im Halse stecken bleibt. Seberg: Ich habe oft Reaktionen von Leuten, die sich das im Fernsehen anschauen und sagen: "Das war schon lustig, aber wenn man darüber nachdenkt …“ Dann denke ich mir: Ziel erreicht. Roubinek: Die Geschichten, die wir vorstellen, sind natürlich teilweise komplex. Teilweise sind sie öffentlich auch nicht bekannt. Daher müssen wir das zunächst fachlich und sachlich stimmig ausbreiten. Erst dann koffern wir ab. Wir leisten uns dabei eine satirische Überhöhung. Wir versuchen zu imaginieren, wie sich Szenen hinter verschlossenen Türen abgespielt haben könnten. Wir halten uns zwar an das Ergebnis. Aber als Satiriker oder Kabarettist versucht man, manche Gedankengänge etwas drastischer oder plastischer darzustellen. Seberg: Es gibt verschiedene Wege, dem Bösen beizukommen. Ich nenne das jetzt einfach mal das Böse. Man kann es mit seriösem Journalismus machen, mit dem Vorschlaghammer, mit Ignoranz oder eben satirischer Überhöhung. Das ist unser Weg, den Mächtigen ans Bein zu pinkeln. Pöchhacker: Manche Dinge muss man nicht überhöhen, die sind an sich schon absurd genug.

Viele sind mit Situationen einfach überfordert, weil es ihnen am nötigen Fachwissen fehlt.

profil: Zum Beispiel? Pöchacker: Mein Schladming-Besuch. Die Umstände der Recherche (Anm.: zu den vom Rechnungshof heftig kritisierten Vorgängen rund um die Austragung der Ski-WM 2013) waren arg. Niemand wollte so recht mit uns reden. Ein Geschäftsmann hat vor laufender Kamera auf eine harmlose Frage hin eingepackt und war weg. Wie bei den Sopranos. Seberg: Mir taugt am meisten eine Geschichte, die in der Wiener Josefstadt spielt. Die Bezirksvorsteherin hat sich irgendwann eingebildet, sie muss jetzt mehr Parkplätze für die Anwohner schaffen. Dann wurde gebaut und gebaut und verändert und gebaut. Am Ende hat das 60.000 Euro gekostet und man hatte einen Parkplatz weniger. Roubinek: Das kann passieren! Seberg: Dann würde ich es wenigstens geheim wieder zurückbauen. Manche wissen ja gar nicht, was sie da anstellen. Andere schon. Aber die können irgendwie nicht mehr zurück. Es fällt eine Entscheidung, und die war falsch. Dann die nächste Entscheidung … Pöchacker: … und es wird schlimmer und schlimmer. Seberg: Erschwerend kommt hinzu, dass die, die solche Entscheidungen oder Zusagen treffen, ja keine Experten sind, sondern eben Politiker. Roubinek: Gerade Leute, die öffentliche Ämter bekleiden, haben es immer wieder mit wirklichen Profis zu tun, die ihnen offenbar eine Nasenlänge voraus sind. Das sehen wir zum Beispiel bei Grundstückgeschäften auf kommunaler Ebene. Aus meinen Gesprächen mit Regionalpolitikern habe ich nicht den Eindruck gewonnen, dass die alle miteinander unlauter oder gar Pülcher wären. Viele sind mit Situationen einfach überfordert, weil es ihnen am nötigen Fachwissen fehlt.

Wie bei allen Dingen, die mir nahe gehen, muss ich irgendwann einen Witz darüber machen.

profil: Umgekehrt fehlt es gerade auf politischer Ebene durchgehend an Problem- und Verantwortungsbewusstsein. Fleischhacker: Umso schlimmer, wenn eine Entscheidung gleich einmal ein paar hunderttausend Euro gekostet hat. Wir haben in der neuen Staffel den Fall der Familien-Apps. Da kann man online Erziehungsthemen abfragen. Die eine App wurde vom Familienministerium realisiert. Und das, obwohl es da bereits eine Familien-App gab, die das Bundeskanzleramt programmieren hatte lassen. Beide Apps können genau dasselbe. Die App des Familienministeriums war übrigens fast zehnmal teurer. Roubinek: Du verstehst das nicht. Die eine App ist für rote Familien, die andere für schwarze.

profil: Zum Lachen ist das eigentlich nicht. Seberg: Am Ende eines Aufzeichnungstages schwirren mir doch Zahlen durch den Kopf. Wenn ich nur daran denke, wie eine alleinerziehende Mutter in dem Land am 18. eines Monats nicht mehr weiß, wie sie ihr Baby ernähren soll, und wie andererseits politische Entscheidungsträger mit Steuergeld umgehen … Fleischhacker: Wir haben die in der zweiten Staffel gezeigten Fälle mal zusammengerechnet. Da kommen wir auf 900 Millionen Euro, die verschwendet wurden. Seberg: Diese Summen wären lebensverändernd, wenn man sie richtig einsetzen würde. Da entwickle ich eine Ohnmacht. Aber wie bei allen Dingen, die mir nahe gehen, muss ich irgendwann einen Witz darüber machen … Pöchacker: Du sublimierst. Seberg: Ja. Sonst würde ich deppert werden. Ich bin aber schon zufrieden, wenn sich nach der Sendung nur ein paar Leute denken: "Jetzt hört endlich auf, so mit unserem Geld umzugehen.“

Ein bisschen Blödstellen schadet jedenfalls nie.

profil: Ein Element der Sendung sind Lokalaugenscheine und Interviews mit Bürgermeistern, Behördenvertretern und Funktionären. Die lassen sich da einfach so vorführen? Fleischhacker: Keineswegs! In der ersten Staffel hatten wir noch das Überraschungsmoment auf unserer Seite, mittlerweile ist das nicht mehr ganz so einfach. Roubinek: Ich versuche da gar nicht der Journalist zu sein, der ich nicht bin. Ich stelle mich in der Interviewsituation halt dumm. Da bekommt man ganz andere Antworten.

profil: Das mache ich auch. Was nicht heißt, dass ich Antworten bekomme. Roubinek: Ein bisschen capture braucht es auch: "Sie wissen eh wie das ist, Sie wohnen ja auch am Land.“ Seberg: Ein bisschen Blödstellen schadet jedenfalls nie.

Man glaubt ja nicht, wie offensichtlich man manchmal angelogen oder NLPet wird.

profil: Die eigene Prominenz dürfte beim Besuch in Amtsstuben kein Hindernis sein. Roubinek: Erinnerungsfotos gehören dazu. Seberg: Ich höre immer wieder: "Werde ich jetzt verhaftet?“ Ich sage dann: "Sie sind bereits verhaftet.“ Man glaubt ja nicht, wie offensichtlich man manchmal angelogen oder NLPet wird.

profil: Willkommen in meiner Welt. Roubinek: Bei mir ist es eher der Hinweis: "Das gab es schon zu Zeiten der Monarchie, da hat der Kaiser selbst vorbeigeschaut!“ Seberg: Ich war in einer Gemeinde in einem befreundeten Bundesland, das zum Beispiel Osttirol heißen könnte. Da ging’s um Förderungen für die lokalen Bergbahnen. Der Bürgermeister war zunächst bereit, ein Interview zu geben. Als wir dann dort waren, wollte er das plötzlich nicht mehr. Er hat dann zwar schon mit mir geredet, aber nie in die Kamera. Ich sagte immer wieder: "Sie müssen in die Kamera sprechen.“ Doch das wollte er nicht. Und redete doch unentwegt auf mich ein. Bis ich meinte: "Dann hören wir auf.“ Er ist mir dann bis zum Hotel nachgelaufen und hat weiter geredet und geredet. Und ich wieder: "Sagen Sie das in die Kamera.“ Und er: "Nein, sicher nicht!“ Der hat mir dann sogar ein bisschen leid getan.

Es gibt vage Gerüchte, dass manche Abteilungen bei Puls4 mit der Sendung nicht restlos glücklich sind.

profil: Und Interventionen? Der Österreichische Skiverband zum Beispiel soll im Hinblick auf die nahende Ausstrahlung eines Beitrags zu den Kosten der Ski-WM in Schladming 2013 angemessen ungehalten sein. Fleischhacker: Ich weiß mittlerweile, dass der ÖSV viel mehr Rechtsanwälte hat als Skifahrer. Ab dem Tag, wo Susanne das Interview mit dem Geschäftsführer der Planai-Bergbahnen gemacht hat, gab’s erboste Korrespondenz. Der Herr Schröcksnadel hat ja gesagt, dass er auch den Rechnungshof klagen würde, wenn er könnte. Jetzt warten wir auf die Ausstrahlung. Pöchacker: Es braucht oft ja gar keine direkten Interventionen. Geschäftsleute in Schladming zum Beispiel haben mir allen Ernstes gesagt, sie dürften sich nicht äußern, das könnten sie sich nicht leisten. Da lag ein Geigenflirren in der Luft. Wie im Thriller. Eine Frau aus dem Ort meinte, sie sei "zu gut integriert“ und wolle das nicht ändern. Ich muss mich jetzt ausklinken. Ich muss zu einem Theater-Workshop (Frau Pöchacker geht ab). Roubinek: Mir wurde eine Drehgenehmigung in einem Wirtshaus von anwaltlicher Seite widerrufen. Dabei ging’s gar nicht um das Wirtshaus selbst, sondern um die Gemeinde. Und den Landeshauptmann. Ich habe dort den Sachverhalt moderiert und einen kleinen Sketch angehängt. Die Wirtin meinte, wenn sie gewusst hätte, worum es geht, hätte sie das nicht erlaubt, weil sie gut im Ort angeschrieben sei und keinen Ärger mit der Politik wolle. Zwei Tage später gab’s einen Brief vom Anwalt. Wir haben die Szene daraufhin in einem anderen Lokal in einem anderen Ort gedreht. Fleischhacker: Es gibt vage Gerüchte, dass manche Abteilungen bei Puls4 mit der Sendung nicht restlos glücklich sind. Weil auch der eine oder andere Inserent mit den Inhalten der ersten Staffel nicht ganz happy gewesen sein soll.

Dort, wo Korruption möglich ist, findet sie statt.

profil: Das liegt irgendwie in der Natur der Sache. Roubinek: Wenn die Anzeigenabteilung anruft und fragt, ob wir ein bisserl deppert sind … Seberg: Anzeigenabteilung, grüß Sie! Sie sind ab jetzt bitte im Krankenstand.

profil: Erzählen Sie über Österreich! Sie sind ja im Zuge der Recherchen für die ersten beiden Staffeln quer durchs Land gereist. Seberg: Österreich ist ein absolut föderales Land. Es besteht nicht nur aus neun Bundesländern, sondern aus genau so vielen politischen Bezirken, Gemeinden oder auch nur Ortsteilen, wie man sich vorstellen kann. Ich habe es als unfassbar undurchschaubaren, sumpfigen Staat kennengelernt. Die kleinste Einheit mag sein: du und dein Nachbar. Aber selbst da regiert einer über den anderen. Es ist ein obrigkeitshöriges Kumm-redma-nix-sogma-nix-Land. Wie Susanne schon sagte: Viele Bürger haben tatsächlich Angst, sich vor laufender Kamera zu äußern. Irre. Selbst der kleinste Bürgermeister der kleinsten Gemeinde verfügt über viel mehr Macht, als ich mir je gedacht hätte. Und: Korruption kommt von unten. Ich bin nicht mehr der Meinung, dass nur die wirklich Mächtigen korrupt sind. Dort, wo Korruption möglich ist, findet sie statt. Fleischhacker: Sehe ich auch so. Wo es geht, passiert’s. Roubinek: Österreich ist ein vollkommen strukturiertes Aussagensortiersystem. Jede Aussage zu einem bestimmten Sachverhalt wird zunächst einmal danach sortiert, vom wem sie kam, in welchem Zusammenhang sie getroffen wurde und welches Interesse dahintersteckt. Wenn du mit politisch Handelnden zu tun hast, hörst du stets: "Das kommt vom politischen Gegner, die wollen uns nur eintunken.“ Oder eine andere Interessensgruppe. Oder der böse Nachbar. Das ist schon sehr österreichisch.

Föderalismus heißt ja, dass der Durchschnittslandeshauptmann lacht, wenn der Minister etwas sagt.

profil: Hinzu kommt, dass gerade im kommunalen Bereich Kontrolldefizite bestehen. Fleischhacker: Wir mussten feststellen, dass etwa auf Ebene der Gemeinderäte viele Informationen zu Projekten einfach nicht verfügbar sind. Die Gemeinderäte haben nicht selten keine Ahnung, was da um sie herum passiert. Roubinek: Weil sie es nicht verstehen. Fleischhacker: Oder weil Ihnen die Informationen gezielt vorenthalten werden. Roubinek: Föderalismus heißt ja, dass der Durchschnittslandeshauptmann lacht, wenn der Minister etwas sagt. Und ich könnte mir vorstellen, dass es auch Bürgermeister gibt, die lachen, wenn der Landeshauptmann etwas sagt. Seberg: Ich denke da an diese Osttiroler Gemeinde.

profil: Welche? Seberg: Matrei. Da gibt es zwei Fraktionen. Die eine regiert seit 500 Jahren mit absoluter Mehrheit, die andere ist aus der ersten Fraktion heraus entstanden und ist quasi die Opposition. Nur ist diese Opposition so stimmenohnmächtig, dass sie keinen Einblick in die Gebarung der Gemeinde hat. In gewisser Weise kontrolliert sich die absolute Mehrheit damit selbst. Fleischhacker: Bis zu einem gewissen Grad ist da auch eine Das-geht-sich-schon-aus-Haltung zu beobachten. Selbst dann, wenn es sich eben nicht mehr ausgeht. Seberg: Klar, wenn du nicht dein eigenes Geld verwaltest. Und man weiß ja, dass man nicht fallen gelassen wird. Irgendwann springt halt der Bund ein. Siehe Kärnten.

profil: Gab es Anfütterungsversuche? Seberg: Ach nein, nichts.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.