„Sehr geehrter Investor“: So will Signa an frisches Geld kommen
Von Marina Delcheva, Anna Thalhammer und Jakob Winter
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Es ist der nächste Beleg, wie ernst die Lage bei Signa Prime und Signa Development wenige Tage vor der Insolvenz tatsächlich war und weiterhin ist – jener Brief, den Restrukturierungsvorstand Erhard Grossnigg nur zwei Tage vor Weihnachten, am 22. Dezember, an Investoren schickte: „Wir benötigen 350 Mio. schnell“, heißt es in dem profil vorliegendem Schreiben. Der Betrag sollte die Signa Prima und die Signa Development „durch die nächsten 3 - 4 Monate“ tragen. Und er kündigt an, dass beide Gesellschaften, Signa Development und Signa Prime, „in den nächsten Tagen“ Insolvenz unter Eigenverwaltung anmelden werden.
Der Aufruf Grossniggs richtet sich offenbar an einen Adressatenkreis, der bereits vor den massiven Problemen in den Konzern investiert hatte – und bei einem Kollaps von Signa um sein Investment fürchten muss. Dieser Kollaps trat dann wenige Tage später ein. Das vergangene Jahr endete für Signa in einem Milliarden Euro schweren Trümmerhaufen. Und es geht im neuen Jahr mindestens genauso unruhig weiter. Nur zwei Tage vor dem Jahreswechsel mussten die zwei wohl werthaltigsten Gesellschaften im Signa-Komplex – die Signa Prime Selection und die Signa Development Selection – doch noch Insolvenz anmelden, weil sie massiv überschuldet und zahlungsunfähig sind; profil berichtete. Benkos Prunkvilla in Igls ist gleich doppelt verpfändet. Zahlreiche Signa-Baustellen stehen still, weil das Geld für die Fertigstellung fehlt. Sie müssen jetzt als Mahnmal für ein Geschäftsmodell herhalten, das so einfach nicht mehr funktioniert.
Restrukturierungsvorstand Grossingg bittet in seinem Brief die Investoren nicht bloß um frisches Geld, er baut ordentlich Druck auf: Die von Signa angestrebte Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren könne „nur funktionieren, wenn ‚wir‘ Liquidität erhalten, um unsere wesentlich werthaltigen Bauprojekte fortzusetzen und den wahren Wert erhalten, anstatt Vermögen zu vernichten“. Bestehende Aktionäre und Risikokapitalgeber werden – in Grossniggs Diktion – zu einer Kapitalspritze „eingeladen, um Ihnen eine Schadensminderung zu ermöglichen“.
Das Angebot könnte man also als wenig subtile Aufforderung an Investoren verstehen: Wer nicht zahlt, würde im Falle einer Pleite noch viel mehr draufzahlen.
Radikales Sparen und üppige Zinsen
Grossnigg kündigt auch einen radikalen Sparkurs bei den beiden Signa-Gesellschaften an: „Wir sparen, wir kündigen ca. 300 Mitarbeiter, schließen viele Standorte und konzentrieren uns ausschließlich auf ‚unsere‘ Immobilienprojekte und Bestandsimmobilien. Wir rechnen mit erheblichem Werterhalt im Vergleich zum Zerschlagungswert. Daran sollten Sie teilhaben können.“
Potenzielle Geldgeber sollen mit einer Rendite gelockt werden, von der Durchschnittssparer nur träumen können. Das Massedarlehen werde in Form eines Genussrechts gestaltet. Zur Erklärung: Das Genussrecht bietet einen gewissen Anteil am Reingewinn oder am Liquidationserlös eines Unternehmens, ohne dass man dabei Stimmrechte oder direkt Anteile am Unternehmen hält. „Wir verzinsen es mit 9% antizipativ bei halbjährlicher Zinszahlung und beteiligen Sie am Mehrwert (Verkaufswert vs. Zerschlagungswert) und wollen Ihnen daher neben den Zinsen einen attraktiven Ertragsanteil zukommen lassen“, heißt es im Brief dazu. „Antizipativ“ bedeutet in diesem Zusammenhang quasi ein Fixzinssatz.
Angesichts der andauernden Turbulenzen im Konzern, der zahlreichen Pleiten und der Ungewissheit, ob, wann und welche Signa-Gesellschaft als nächstes in Schieflage gerät, sind solche Investitionen naturgemäß mit Risiko behaftet. Und: Im Liquidationsfall werden zunächst einmal alle Gläubiger, die mittels Pfandrecht im Grundbuch stehen, bedient. Das sind vorrangig jene Banken, die die zahlreichen Signa-Immobilien mit Krediten finanziert haben. Diese müssen in der aktuellen Situation wohl am wenigsten um ihr Geld fürchten. Danach kommen alle anderen; also Anleihengläubiger und sonstige Investoren. Auch im beigefügten Term-Sheet zum Investoren-Brief ist Signa zumindest um Aufklärung im Worst Case bemüht: „Da ein Investment signifikante Risiken beinhaltet, ist es nur für professionelle Anleger geeignet, die das Risiko eines erheblichen Verlusts oder sogar eines Totalverlusts ihres Investments akzeptieren können“, steht dort.
„Es ist meine Aufgabe als Restrukturierungsvorstand, das Unternehmen zu retten.“
Auf profil-Anfrage zum vorliegenden Brief antwortete Restrukturierungsvorstand Grossnigg: „Es ist meine Aufgabe als Restrukturierungsvorstand, das Unternehmen zu retten.“ Und weiter: „Wir haben eine große Anzahl an werthaltigen Immobilien und Baustellen, die jetzt stillstehen. Wir brauchen dieses Kapital, um unsere Projekte fortzuführen.“ Das Angebot Grossniggs an die potenziellen Geldgeber gilt bis 15. Jänner. Zahlen sie bis dahin ein, bekommen sie die versprochenen Konditionen: Also eine Laufzeit von zwei Jahren, die zwei Mal um ein Jahr verlängert werden kann und neun Prozent Zinsen – antizipativ bei halbjährlicher Zinszahlung, plus weiterer Erträge aus Einnahmen beziehungsweise Verwertungen.
„Die erste Resonanz auf den Brief war positiv und ich hoffe und bin optimistisch, dass wir das benötigte Geld auch bekommen werden“, sagt Grossnigg. Fixe Zusagen gebe es allerdings noch nicht. Er hält das Investment jedenfalls für sicher und auch die versprochenen neun Prozent seien angesichts des werthaltigen Portfolios gut zu argumentieren.
Signa massiv überschuldet
Beide Signa-Gesellschaften – Signa Prime Selection und Signa Development – sind massiv überschuldet. Zählt man die Passiva, also die Verbindlichkeiten, der drei großen Signa Holding, Prime und Development zusammen, kommt man auf fast elf Milliarden Euro. Das ist jetzt schon die mit Abstand größte Firmenpleite in Österreichs Wirtschaftsgeschichte.
Zum Immobilen-Portfolio der Signa Development zählen 39 Projekte, etwa die Wohn- und Gewerbehochhäuser Vienna Twentytwo in Wien Donaustadt oder das Bürohochhaus Stream in Berlin, in dem Online-Versandriese Zalando Hauptmieter ist. Der Signa Prime werden aktuell 54 Immo-Projekte zugeschrieben. Viele davon sind aber zum Teil noch in Bau, wie etwa der halbfertige Elbtower in Hamburg oder das fast fertige Nobelkaufhaus Lamarr in Wien. Die meisten von ihnen liegen in eigenen, ausgelagerten Besitzgesellschaften, in sogenannten Property Companies oder PropCos. Im Gegensatz zu Bestandsimmobilien, die zum Beispiel gewinnbringend vermietet sind, stellen halbfertige Baustellen immer ein Investitionsrisiko dar. Stehen Baustellen länger still oder müssen sie mitten in der Bauphase schnell verwertet werden, kann das ihren Verkaufswert ganz erheblich mindern. Auch deshalb braucht Signa nun dringend viel frisches Geld. Um begonnene Bauprojekte tatsächlich fertigstellen zu können und dann – bestenfalls – gewinnbringend zu verkaufen.
Das Investment-Angebot Grossniggs gilt übrigens weiterhin, trotz der mittlerweile eingeleiteten Sanierungsverfahren. Auch in den Insolvenzanträgen der Signa Prime und Signa Development, die profil vorliegen, ist von einer Überbrückungsfinanzierung „durch Emission eines Substanzgenussrechts/Massekredits“ die Rede. Um diese Projekte vor einer Pleite zu retten und den Fortbestand der Gesellschaften zu sichern, braucht allein die Signa Prime laut Insolvenzantrag 300 bis 500 Millionen. Die Signa Development braucht nochmal mindestens 50 Millionen Euro an Überbrückungsfinanzierung, um die Projektgesellschaften solvent zu halten. Ansonsten drohen völlig unkontrollierte Panikverkäufe weit unter dem Wert der Immobilien und noch mehr Pleiten.
Schon länger kämpfen zahlreiche Signa-Gesellschaften mit Liquiditätsschwierigkeiten. Wie schnell es wie eng wurde, zeigen zum Beispiel noch unveröffentlichte Unternehmenszahlen der Signa Development Selection aus dem ersten Halbjahr 2023, die profil vorliegen und über die auch der „Spiegel“ berichtete. Der Nettoverlust betrug bereits in den ersten sechs Monaten 148,5 Millionen Euro. Die sofort verfügbaren Barmittel der Signa Development schmolzen auf 32 Million Euro, trotz einiger Verkäufe von Immobilien und Entwicklungsprojekten wie etwa die kika/Leiner-Liegenschaften. Ende 2022 verfügte die Gruppe noch über 125 Millionen Euro an Cash und Cash-Äquivalenten.
Und mehr noch: Am 9. November informierte das Management Anleihegläubiger in einem Call, dass die Signa Development sogenannte Cash-Management-Transaktionen, dazu zählen auch Zahlungen an andere Signa-Gesellschaften, eingestellt habe, schreibt die britische Anleger- und Kreditplattform „9fin“ anlässlich des Calls in einem Bericht an seine Kunden. Das war drei Wochen, bevor die Muttergesellschaft Signa Holding beim Handelsgericht in Wien einen Antrag auf Sanierung mit Eigenverantwortung einbringen musste. Und wenn kein Geld mehr fließt, fehlt es irgendwann in den vielen anderen Gesellschaften der Signa. Allein die Development ist laut Insolvenzantrag an 290 Gesellschaften direkt oder indirekt beteiligt. Kritisiert wurde zudem, dass es an Transparenz über die wirtschaftliche Situation anderer Signa-Gesellschaften fehle, weil es keine konsolidierte Konzernbilanz gibt.
Vertrauen dahin
„Das Vertrauen in die Signa ist dahin. Wir sehen, dass sogar schon ganz kleine Lieferanten oder Dienstleister – wenn überhaupt – nur mit Vorauszahlung oder Garantien für Signa-Gesellschaften arbeiten wollen.“ Das sagt ein Immobilien-Unternehmer, der nicht namentlich genannt werden will und selbst schon länger auf offene Rechnungen in Zusammenhang mit Signa-Projekten wartet. Die drei großen Signa-Gesellschaften wollen sich in Eigenverwaltung sanieren und müssen deshalb ihren Gläubigern eine Mindestquote ihrer Forderungen von 30 Prozent anbieten. Zu bezahlen binnen zwei Jahren, nachdem der Sanierungsplan angenommen wurde. Allein bei der Prime wären das 1,4 Milliarden Euro, bei der Signa Development sind es um die 390 Millionen.
So viel Geld muss also das Management nun in Absprache mit den Sanierungsverwaltern auftreiben. Denn wird die Quote von 30 Prozent unterschritten, ist auch die Sanierung in Eigenverwaltung nicht mehr möglich und theoretisch müsste dann ein Masseverwalter eingesetzt werden, der die Unternehmen abwickelt. Grossniggs Job ist es auch, das zu vermeiden.
Für die Sanierung der Signa Holding hat Gründer René Benko immerhin 3,3 Millionen Euro zugesichert. Vor Weihnachten war die Auszahlung der zweiten und letzten Tranche aus Benkos Privatvermögen noch ausständig. Ob das Geld mittlerweile da ist? Dazu schweigt Signa auf Nachfrage, wie so oft in den vergangenen Wochen.
Und dann ist da noch die Prunkvilla in Igls, die derzeit in den Schlagzeilen ist und die gleich doppelt verpfändet ist. Neben der Liechtensteiner Landesbank Österreich, die für einen Kredit von 15 Millionen Euro im Grundbuch steht, fordert jetzt auch der heimische Fiskus 12 Millionen Euro mittels Pfandrecht. In dem Anwesen soll René Benko mit seiner Familie leben. Das Objekt steht über die Schlosshotel Igls Betriebs GmbH im Eigentum einer Privatstiftung Benkos. Laut Firmenbuch (Wirtschaftscompass) gehört diese der Laura Privatstiftung und der Laura Harmonia Gesellschaft, die wiederum auch der Laura Privatstiftung gehört. Als wirtschaftlicher Eigentümer ist unter anderem René Benko gelistet. Und nun streiten Finanzamt und Eigentümer darüber, ob die Liegenschaft nun gewerblich oder doch rein privat genutzt wird und seit 2016 die Vorsteuer zu Unrecht geltend gemacht wurde. profil berichtete online.
Ganz unabhängig davon, wer am Ende über die Art der Nutzung Recht behält, reiht sich der Fiskus mit der jüngsten Steuerforderung jedenfalls in eine immer länger werdende Liste von Gläubigern, die Geld von Signa und von René Benko höchstpersönlich fordern. Der nächste Akt im Signa-Drama folgt bestimmt.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".
Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.
Jakob Winter
ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.