Wie die Tiroler Seilbahnen um ihre Zukunft ringen
Von Clara Peterlik
Schriftgröße
Dreizehn Jahre lang war der berühmt-berüchtigte Franz Hörl das Gesicht der Tiroler Seilbahnen. Polternd, laut, rücksichtslos und überzeugt, „dass wir in den nächsten 30 Jahren keine Probleme haben werden“. Damit ist seit ein paar Monaten Schluss. Der weit über die Grenzen Tirols bekannte Seilbahnchef übergab das Amt an seinen Nachfolger Reinhard Klier. Die nächste Generation. In seinem Innsbrucker Büro schlägt der drahtige 44-Jährige in hellblauem Hemd einen anderen Ton an. Weniger laut, weniger konfliktbereit, ruhig und analytisch, in der Sache aber ähnlich. „In Österreich wird der Skitourismus sehr negativ gesehen.“
Es ist fast Sommer, aber in Tirol wird gerade heftig über den Wintertourismus diskutiert. Ende des Jahres läuft das aktuelle Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramm (TSSP) aus. Wie wird es dann weitergehen? In dieser Geschichte sind die Rollen klar verteilt. Auf der einen Seite stehen Forscher und Umweltorganisationen, die ein Ende des Seilbahnausbaus fordern. Auf der anderen Seite stehen Seilbahnwirtschaft und Touristiker, die viel investierten und dem Bergvolk Wohlstand brachten. Der Streitgegenstand – ein milliardenschweres Geschäft, das durch die Klimakrise in Bedrängnis kommt. Die Politik zeigt sich vor allem an einem schnellen Festschreiben des Status quo interessiert. Also auf nach Tirol!
Seilbahnprogramm: „Ausgehöhlt und aufgeweicht“
Die Skisaison ist hier wirklich vorbei. In Mayrhofen im Zillertal steigen ein paar vereinzelte Touristen mit Wanderschuhen aus dem Zug aus, die Kühe sind auf der Weide, die Berge leuchtend grün, die Gletscherbäche fließen. Die Gondeln der Horbergbahn stehen nebeneinander aufgereiht in der Talstation, bereit für den nächsten Winter. Auch Willi Seifert – er ist ehrenamtlich für Naturschutz beim Alpenverein tätig und beruflich Geschäftsführer vom Naturpark Zillertaler Alpen – hat seine Skier schon vor ein paar Monaten in den Keller gestellt. „Ohne Tourismus wäre Tirol ein armes Land. Ohne Natur aber auch.“
Neben ihm steht das sogenannte Urgestein des Naturschutzes in der Region – Paul Steger. Bei jedem Bergrücken fällt ihm eine Geschichte ein, wie Menschen ihn touristisch erschließen wollten. Manche scheiterten, andere schafften neue Geschäftsmodelle. Auch ganz aktuell gebe es – inoffizielle – Pläne für eine weitere Seilbahn hier im Zillertal, zu Seiferts Unverständnis. Er fordert ein Ende des Tiroler Wegs: „Leistungsstärkere Lifte, mehr Betten, mehr Verkehr, wir sind in einem Teufelskreis.“
Rückgrat dieses Kreises ist das Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramm. Während im Winter gerne über den Wandel des Skitourismus geredet wird, liegt hier tatsächlich die regulatorische Kraft. Das Programm regelt seit den frühen 2000er-Jahren die Entwicklung des Skivergnügens in Tirol und dessen Grenzen. Also die Zukunft und Entwicklungsmöglichkeiten der 93 Skigebiete und 877 Lifte. Die aktuelle schwarz-rote Tiroler Landesregierung verankerte die Weiterführung in ihrem Koalitionsabkommen. Sie will das Programm fortschreiben und hat einen Prozess mit Einbindung anderer Verbände gestartet. Seilbahnwirtschaft, Umweltanwalt, Alpenverein, Landwirtschaftskammer, Arbeiterkammer und einige andere saßen vier Mal gemeinsam am Tisch und konnten ihre Positionen vorbringen. Einigen Teilnehmern war das zu wenig. Die Landesregierung legte einen Entwurf vor, der geringfügige Änderungen zum Status quo vorschlägt. Dann wurde begutachtet. Vergangenen Donnerstag stimmte der Raumordnungsbeirat zu, und kommenden Dienstag will die Landesregierung das Programm beschließen, heißt es in der „Tiroler Tageszeitung“.
Für Landeshauptmannstellvertreter Josef Geisler von der ÖVP ist die „vorliegende Novelle ein enges Korsett, das den Seilbahnen und dem Sommer- und Wintertourismus aber nicht von vornherein die Luft zum Atmen nimmt und Qualitätsverbesserungen grundsätzlich zulässt. Was es sicher nicht ist – es ist kein Kniefall vor der Seilbahnwirtschaft.“
Doch nicht alle finden das so bärig. Denn die Krux des Programms ist: Es verbietet grundsätzlich Neuerschließungen. Und verbietet sie aber nicht ganz. Es gibt großzügige Ausnahmen, und der Begriff Erweiterung ist sehr breit gewählt. Der österreichische Alpenverein, der Naturbeirat und der Tiroler Umweltanwalt Johannes Kostenzer nennen die alte Verordnung und den Entwurf der neuen „ausgehöhlt“. Sie fordern Endausbaugrenzen der bestehenden Skigebiete und einen strengeren Gletscherschutz. Wenn das Seilbahnprogramm „so aufgeweicht wie jetzt“ bleibe, dann sei ihnen lieber, es gäbe gar keines. Es gäbe ja eine Reihe an Gesetzen, die außer dem TSSP noch gelten. „Der Prozess war sehr kurz. Wirkliche Einbindung schaut anders aus“, sagt Florian Steiner, Biologe von der Universität Innsbruck, der auch im Naturschutzbeirat sitzt.
„Neuerschließungsverbot ist eine Worthülse“
„Doch was heißt genau „aufgeweicht“? Das bestehende Seilbahnprogramm wurde 2011 und 2018 novelliert. Ein Beispiel: Als keine Neuerschließung gilt etwa „die Errichtung von Anbindungen ohne Talabfahrt, wenn die Talstation in räumlicher Nähe zum Siedlungsraum der zentralen Orte Imst, Innsbruck, Lienz, Kitzbühel, Kufstein, Schwaz oder Wörgl situiert.“ Auch als Erweiterung geht es durch, wenn „eine aus regionalwirtschaftlicher und verkehrstechnischer Sicht verbesserte Anbindung an bestehende Skigebiete erfolgt.“
Auch in Mayrhofen im Zillertal gibt es Pläne für weitere Seilbahnen. Sommerbedingt steht die Horbergbahn gerade still, das „Après Ski Stadl“ genauso. Zum Beispiel steht ein Zusammenschluss des Penken mit dem Skigebiet Hochzillertal zur Diskussion, wenn auch erst inoffiziell. Das ist zulässig, solange es nicht mehr als eine Geländekammer – das ist der Raum zwischen zwei Bergkämmen – betrifft. „Neuerschließungsverbot ist inzwischen wirklich eine ziemliche Worthülse“, sagt Seifert, der als Vertreter des Alpenvereins im Naturschutzbeirat ist. Seine Sorge ist, dass Geländekammer um Geländekammer stetig vergrößert wird.
In den 1990er-Jahren wurde tatsächlich ein Ausbauende diskutiert, davon sei man jetzt weit entfernt. „Ein gänzlicher Entwicklungsstopp, wie es etwa Endausbaugrenzen wären, ist verfassungsrechtlich nicht zulässig“, heißt es in der Aussendung des Landes Tirols. Seifert sieht das anders: „Momentan fehlt der politische Wille dazu.“ Oft werde damit argumentiert, dass mehr Seilbahnen zu mehr Arbeitsplätzen führen. Er frage sich aber langsam, warum? „Wir haben einen massiven Arbeitskräftemangel hier, und viele Jobs, die im Tourismus entstehen, wollen Einheimische gar nicht machen.“
„Neuerschließungsverbot ist inzwischen wirklich eine ziemliche Worthülse.“
Gletscherausbau: „Sehe keinen Spielraum“
Offene Baustellen gibt es in Tirol einige. Im Pitztal, im Ötztal und im Kaunertal wollen Seilbahnbetreiber neue Gletscher erschließen, zwischen Osttirol und Südtirol sollen die Skigebiete Sillian und Sexten zu einem Riesenskigebiet werden. Je nachdem, was im neuen TSSP steht, erhöhen sich die Chancen auf den Bau – oder eben nicht. Die UVP-Behörde hat festgestellt, dass es für die Pläne im Pitztal und im Kaunertal eine Umweltverträglichkeitsprüfung braucht, die Seilbahnbetreiber vor Ort bekämpfen diese aber. Seilbahnchef Klier versteht den Unmut. Die Verfahrenskosten lägen dann bei drei bis fünf Millionen Euro. „Die meisten Projekte muss man dann ohnehin lassen“, sagt er.
Klier stammt aus einer Seilbahnfamilie. Er übernahm als jüngstes von vier Kindern den Betrieb im Stubaital von seinem Vater, einem Pionier am Stubaier Gletscher. Im Innsbrucker Besprechungsraum argumentiert er ruhig und vorwärtsgerichtet: Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien, Qualität statt Quantität. Klier war das letzte Mal im April Skifahren, die Bedingungen seien wunderbar gewesen. Neue Skigebiete brauche es nicht, nur „eine gewisse Flexibilität“. Der Skitourismus verändere sich, aber „mit den Gegebenheiten und nicht davor“. Durch die Klimakrise werden Skigebiete in tieferen Lagen vermutlich weniger. Das könne schon zu einem Nächtigungsminus im Winter führen. Aber muss man deswegen gleich auf den Gletscher ausweichen? „Ich sehe in der öffentlichen Diskussion keinen Spielraum. Auch wenn wir als Seilbahnen darauf setzen, in höhere Lagen auszubauen, das ist einfach chancenlos.“
Die Diskussion wird aber noch kommen, da ist sich Tourismusökonom Oliver Fritz vom Wirtschaftsforschungsinstitut sicher. „Ich glaube, der Druck wird wachsen.“ Denn wenn niedrig gelegene Gebiete den Betrieb einstellen, werde der Ausbau höherer Lagen tatsächlich positive wirtschaftliche Effekte erzielen. Umgekehrt sei aber das Hochgebirge noch einmal ökologisch sensibler. „Ein Interessenskonflikt ist vorprogrammiert.“
Seilbahnobmann Reinhard Klier
Seilbahnobmann Reinhard Klier
„Politik zu 100 Prozent hinter Seilbahnwirtschaft“
In Innsbruck werden Zahlen und Gegenzahlen ausgetauscht. Die Zahl der Lifte sinke sowieso, heißt es von der Seilbahnwirtschaft und der Landespolitik. „Das ist relativ“, kontert Liliana Dagostin vom Alpenverein. Die Zahl der Lifte sank zwar in absoluten Zahlen, aber aus zwei Schleppliften wurde oftmals eine leistungsstärkere Seilbahn – die einen stärkeren Eingriff in Natur und Umwelt darstellt. Insgesamt kann Tirol mit seinen 700.000 Einwohnerinnen und Einwohnern 1,4 Millionen Menschen pro Stunde auf die Berge bringen. „Das ist doch genug, oder?“ Für Dagostin liegt das Problem woanders: „Die Politik steht zu 100 Prozent hinter der Seilbahnwirtschaft. Wir werden 2035 komplett andere Voraussetzungen für den Wintertourismus vorfinden als heute, aber das ist noch nicht angekommen.“
In einem offenen Brief, unterzeichnet von mehr als 40 Forscherinnen und Forschern der Universität Innsbruck, an die Landespolitik, fordern die Wissenschafter eine weitere Diskussion über das Programm statt eines voreiligen Beschlusses. Das Seilbahnprogramm wurde immer wieder evaluiert, es gibt auch einen Umweltbericht dazu. Doch einer der Verfasser des offenen Briefs, der Biologe Florian Steiner von der Uni Innsbruck, kritisiert diesen heftig Das Fazit des Berichts sei, die Belastung für Natur und Umwelt sei im Rahmen, die vorliegenden Daten würden das aber so nicht hergeben. „Beamte agieren proaktiver für die Seilbahnwirtschaft, als man von ihnen erwarten würde“, meint Steiner.
„ Auch wenn wir als Seilbahnen darauf setzen, in höhere Lagen auszubauen, das ist einfach chancenlos.“
Doch wo steht Tirol?
Bei einem Punkt sind sich alle Gesprächspartner einig: Die Tiroler Täler waren sehr arm und wurden durch den Tourismus wohlhabend. Im letzten Winter kam das Bundesland auf 26 Millionen Nächtigungen. Das ist ein Plus im Vergleich zum Vorjahr (1,2 Prozent), ein Minus im Vergleich zu der Zeit vor Corona
(-5,3 Prozent). Jede dritte touristische Nächtigung in Österreich entfiel zuletzt auf Tirol. 50.000 Menschen arbeiten im Tourismus. Tirol habe viel Angebot, aus demografischen Gründen schrumpfe die Kundschaft allerdings eher, erklärt Ökonom Fritz. Die meisten Skigebietserweiterungen hätten nur geringe volkswirtschaftliche Effekte, da Touristen statt nach Kitzbühel nach Ischgl fahren, nicht aber Urlauber, die statt in die Schweiz plötzlich nach Österreich kommen. Für den Sommertourismus sieht Ökonom Fritz gute Chancen. Die Nächtigungen nehmen zu, Südeuropa werde zu heiß, die Sommer-Urlauber lassen allerdings weniger Geld pro Nacht im bergigen Bundesland.
Und in einem zweiten Punkt stimmen alle überein: Die Stimmung in der Bevölkerung hat gedreht. 170.000 Menschen haben eine Petition gegen den Gletscher-Zusammenschluss im Pitztal-Ötztal unterschrieben. Eine Volksabstimmung darüber ging negativ aus, obwohl Wahlhelfer einige Karten eigenmächtig ausfüllten und dafür stimmten – sie standen dafür im Herbst vor Gericht und erhielten eine bedingte Haftstrafe, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In der Landespolitik ist davon aber noch nicht allzu viel zu spüren. SPÖ und ÖVP begrüßen die kaum veränderte Fortschreibung des Programms. Vor der Landtagswahl hätte das noch anders ausgesehen, betont Seifert. „Der jetzige SPÖ-Naturschutzlandesrat René Zumtobel hat sich auf unsere Seite gestellt, nach der Wahl war alles anders.“ Unter den Wirtschaftstreibenden sieht er aber durchaus Bewegung. Im sogenannten „Team Schneelos“ arbeiten Tourister, Hoteliers und Forscher gemeinsam an Szenarien für ein Supertourismusland mit drohendem Schneemangel.
Im Bahnhof Mayrhofen am Ende des Zillertals fährt der Zug gleich ein. Ganz ohne Franz Hörl geht es hier aber auch nicht. Die Seilbahnen hat Franz Hörl zwar verlassen, als echter Zillertaler sitzt er allerdings noch im Aufsichtsrat der hiesigen Verkehrsbetriebe und wollte aus der alten Diesellok eine Wasserstoffbahn machen. Eine Paradeprojekt. Daraus wird aber wohl nichts. Jetzt bekommt die Bahn einfach einen Elektroakku.
Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.