Siegfried Wolf: Die Gemeindewohnung des Multimillionärs
Siegfried Wolf hat nichts zu verschenken – jedenfalls nicht an den Staat. Als es im Jahr 2016 darum ging, bei einer drohenden Steuernachzahlung Millionen zu sparen, intervenierte er persönlich auf höchster Ebene im Finanzministerium – so dokumentiert in Chat-Nachrichten, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sichergestellt hat. Als er danach noch einmal eine Extra-Reduktion wollte, soll er gar einen verbotenen Deal mit der zuständigen Finanzbeamtin vereinbart haben – diesen Verdacht prüft die WKStA derzeit bekanntlich im Rahmen von Korruptionsermittlungen (Wolf bestreitet die Vorwürfe, dazu später mehr).
Möglichst wenig Steuern zahlen zu wollen ist – per se – legitim. Wolf ist noch dazu seit vielen Jahren international im Big-Business unterwegs. Dort gibt es eine ganze Industrie aus Beratern, die dafür sorgen, dass Bestverdiener möglichst wenig von ihren Millionen an die Allgemeinheit abliefern müssen. Je größer das Vermögen, umso kreativer fallen mitunter die Lösungen aus. Ob legal oder nicht, das Resultat bleibt gleich: Am Ende fließt weniger Geld in die öffentlichen Kassen, aus denen unter anderem Leistungen für sozial Schwächere finanziert werden. Aber was geht das einen Multimillionär an, der solche Leistungen doch sicher nicht in Anspruch nimmt? Im Fall von Siegfried Wolf mehr, als man eigentlich glauben würde.
Die Wohnung im Gemeindebau
profil-Recherchen zeigen, dass Siegfried Wolf bis vor kurzem in einem Gemeindebau in Wien Favoriten amtlich gemeldet war – dies seit 1978, somit seit mehr als vier Jahrzehnten. Bis März 2003 handelte es sich bei der Gemeindewohnung offiziell um einen Hauptwohnsitz des Managers, der da schon längst hochrangige Managementfunktionen beim Autozulieferer Magna bekleidete. Damals war Wolf „Executive Vice Chairman“ von Magna International mit Sitz in Toronto. Ab März 2003 wurde aus der Gemeindewohnung dann ein Nebenwohnsitz. Die Abmeldung erfolgte im November 2021. Ungeachtet dessen hängt (Stand Ende Jänner 2022) ein Schild mit der Aufschrift „Wolf“ neben der Tür.
Siegfried Wolf war von 1995 bis 2010 im Top-Management von Magna tätig. Danach verdingte er sich im Unternehmensimperium des russischen Oligarchen Oleg Deripaska. Entsprechend hoch dürfte sein Einkommen in den vergangenen Jahrzehnten gewesen sein. Im Vorjahr übernahm Wolf übrigens ein Werk des Lastwagenherstellers MAN in Oberösterreich. Der Belegschaft verlangte er im Zuge des Rettungsdeals eine Lohnreduktion ab. Gleichzeitig war er selbst nach wie vor in einer Sozialwohnung der Stadt Wien gemeldet.
Die Immobilien des Managers
Leistbarer Wohnraum gilt in der Bundeshauptstadt längst als Mangelware – jedenfalls für jene, die nicht allzu viel in der Geldbörse haben. Wolf hingegen verfügt selbst über ein beachtliches Immobilienvermögen. In Weikersdorf in Niederösterreich residiert der Manager auf einem prächtig ausgebauten Bauernhof. Das Grundstück umfasst laut Grundbuch rund 50.000 Quadratmeter, es gehört Wolf und seiner Frau – und zwar bereits seit 1986. Da war die Gemeindewohnung in Wien offiziell noch für viele Jahre ein gemeldeter Hauptwohnsitz des Managers.
Doch auch in der Bundeshauptstadt hätte Wolf eigentlich ausreichend Wohnraum in bester Lage zur Verfügung: Über Zwischenfirmen gehören dem Manager zwei Häuser in der Elisabethstraße – in allerbester Lage knapp außerhalb der Ringstraße. Im Jahr 2015 vermietete der Manager über eine seiner Firmen in einem der Häuser drei Wohnungen beziehungsweise Büro und Wohnräumlichkeiten an die Group DF International GmbH des ukrainischen Oligarchen Dmitry Firtash. Laut Mietvertrag, der profil vorliegt, wurde die Monatsmiete mit 39.500 Euro festgesetzt (inklusive Garage, exklusive Betriebs- und Nebenkosten). Eine ordentliche Summe Geld. Wie hoch gleichzeitig die monatlichen Kosten für die Gemeindewohnung in Favoriten waren, ließ Wolf auf Anfrage offen.
Regierungskritik an der Eingangstür
Bemerkenswert sind jedenfalls zwei Aufkleber an der Wohnungstür in Wien Favoriten: Einer davon stammt vom „Verein gegen Tierfabriken“ und enthält die Aufschrift: „Niemand braucht Polizei-Pferde“. Der andere kommt von der Sozialistischen Jugend Wiens und zeigt Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache kräftig durchgestrichen in einem roten Kreis. Da sich diese politischen Bekundungen unzweifelhaft auf die Zeit der türkis-blauen Koalition von Dezember 2017 bis Mai 2019 beziehen, liegt nahe, dass sie bereits damals dort angebracht waren. Da war Siegfried Wolf noch in der Wohnung gemeldet.
profil wollte von Wolf wissen, wie er zu diesen politischen Aussagen stehe – insbesondere zur Ablehnung von Türkis-Blau. Im Vorfeld der Übernahme der ÖVP durch Sebastian Kurz im Jahr 2017 äußerte sich Wolf in einem Interview jedenfalls höchst positiv über den aufstrebenden Politiker. Zur Zeit der türkis-blauen Regierung galt Wolf dann als potenzieller Wunschkandidat von Sebastian Kurz für die Position des Aufsichtsratschefs der Staatsholding ÖBAG (obwohl er diesen Job letztlich nicht bekommen sollte).
Auch diese Frage blieb – wie alle anderen – unbeantwortet. Ein Sprecher ließ lediglich wissen, Wolf habe die Wohnung „vor mehr als 50 Jahren als Lehrling bezogen“, wohne aber „schon sehr lange nicht mehr dort“. Wolf beendete seine Ausbildung zum Werkzeugmachermeister im Jahr 1981. Völlig offen bleibt somit, weshalb er bis 2021 im Gemeindebau gemeldet war – und offenbar 2003 eine Ummeldung von Haupt- auf Nebenwohnsitz erfolgte. profil-Recherchen zufolge dürften im Laufe der Zeit auch nahe Verwandte Wolfs in der Wohnung gemeldet gewesen sein, die zu seiner Lehrlingszeit teils noch gar nicht auf der Welt waren. Meldete er sich deshalb nicht früher ab, weil er die Gemeindewohnung für Verwandte aufheben wollte? Er wäre nicht der Erste – aber möglicherweise der Reichste.
Verdächtiger Steuernachlass
Zurück zu Türkis-Blau und zur ÖBAG. Deren Chef wurde bekanntlich Thomas Schmid, gegen den in der eingangs erwähnten Korruptionscausa ebenfalls ermittelt wird: Wolf soll der zuständigen Finanzbeamtin gemäß Verdachtslage mit Hilfe des damaligen Ministeriums-Generalsekretärs Schmid zu einem Wunschjob verholfen haben – im Gegenzug für einen Steuernachlass von mehr als 600.000 Euro. profil berichtete ausführlich. Alle Betroffenen haben – soweit sie sich dazu öffentlich geäußert haben – sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Der Steuernachlass beschäftigt übrigens schon zum zweiten Mal die Justiz: Ursprünglich führte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt – nach einer Anzeige des Finanzministeriums im Jahr 2019 – ein Ermittlungsverfahren gegen drei Finanzamtsmitarbeiter. Diese Ermittlungen wurden jedoch im Oktober 2020 eingestellt. Damals lagen freilich zahlreiche Chat-Nachrichten noch nicht vor, die die WKStA in anderem Zusammenhang sichergestellt hat und nun als verdächtig einstuft.
Der verschwundene Akt
Unter anderem geht es dabei um den persönlichen Kontakt zwischen Wolf und der erwähnten hochrangigen Mitarbeiterin des zuständigen Finanzamts Neunkirchen/Wiener Neustadt. Im ersten Ermittlungsverfahren führte einer der Beschuldigten in einer schriftliche Stellungnahme an, die Finanzbeamtin habe bereits im Jahr 2004 den Steuerakt Wolfs auf ihre hierarchische Zuständigkeitsebene gehoben. „Der Abgabepflichtige kam in den Folgejahren des Öfteren mit seiner Abgabenerklärung in das Finanzamt und wurde regelmäßig von der (Anmerkung: nunmehr Beschuldigten) direkt an eine Mitarbeiterin des Amtsfachbereiches … zur inhaltlichen Besprechung der Abgabenerklärungen weitergeleitet.“
Als 2017 ein Mitarbeiter der Fachabteilung des Finanzamts den Steuerakt von Siegfried Wolf einsehen wollte, um sich auf eine Besprechung mit dessen Steuerberatern vorzubereiten, stieß er auf überraschende Schwierigkeiten: Der Akt war im Lager nicht auffindbar. Das geht aus internen Vermerken und E-Mails hervor, die den Ermittlern vorliegen. Nachdem dem Beamten dann von einem Vorgesetzten ein Akt ausgehändigt worden war, schrieb er in einem Mail, er habe „Zweifel“, dass dieser „vollständig ist, zumal Akteninhalte fehlen, von denen ich weiß, dass sie einmal Bestandteil dieses Aktes waren“.
Der Mitarbeiter wollte der Sache auf den Grund gehen und korrespondierte mit mehreren anderen Beamten. Einer davon bestritt vehement, den Akt einst bekommen zu haben, und schrieb: „Und wenn ich den Akt erhalten hätte, frage ich mich schon, wie er dann in den Kasten (Anm.: der nunmehr beschuldigten Beamtin) gekommen ist.“ Es eine jener Fragen, denen die WKStA nun wohl genau auf den Grund gehen wird.