Wirtschaft

Spanien deckelt den Strompreis. Wie funktioniert das, Nacho Alvarez?

Spanien greift in den Markt ein und senkt den Strompreis. Wie das heiß diskutierte Modell funktioniert, erklärt Staatssekretär Nacho Álvarez.

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Während Spanien in den 2010er-Jahren als europäisches Sorgenkind mit Schulden und hoher Jugendarbeitslosigkeit gesehen wurde, werden zehn Jahre später spanische Maßnahmen in Brüssel als Vorbilder diskutiert. Spanien tanzte im Vorjahr öfter aus der Reihe. Das Land deckelte Gas beim Strompreis, führte Übergewinnsteuern ein und begrenzte den Anstieg der Mieten. Der Staatssekretär für soziale Rechte, Nacho Álvarez, im Interview mit profil über die spanischen Wege aus der Krise.

Alle sprechen von Deckeln, Töpfen und anderen Maßnahmen gegen die hohen Energiepreise. Sind Sie überrascht, dass spanische Modelle als EU-weite Vorbilder gesehen werden? 
Nacho Álvarez
Unser Strommarkt funktioniert nicht. Alle haben erkannt, dass das neoklassische Modell des Strommarkts in der derzeitigen Situation das falsche ist. Alle Länder haben solche und ähnliche Ideen diskutiert, wir haben sie einfach umgesetzt. Aber es ist keine rein spanische Maßnahme. Jedes Land in Europa kann das machen.  Wir haben einen temporären Mechanismus, der den Gaspreis bei 40 Euro pro Megawattstunde kappt. Dieser Preisdeckel hilft uns, den Anstieg der letzten Monate für die Haushalte abzudämpfen. 
Die Energieministerinnen und -minister der EU einigten sich auf eine Gaspreisobergrenze. Wie unterscheidet sich das EU-Modell vom iberischen Modell?
Nacho Álvarez
Der Gaspreisdeckel ist ein erster Schritt, er ist aber mit 180 Euro sehr hoch angesetzt. Das wird nicht reichen, um unsere Probleme zu bewältigen, sondern lediglich Preisspitzen vermeiden. Der erste Unterschied ist also die Höhe des Deckels. Wir sind bei 40 Euro, das ist besonders wichtig, um die Inflation zu verlangsamen. Seit wir diese Maßnahmen haben, hat Spanien die niedrigste Inflationsrate im Euroraum.

Nacho Álvarez

Wie hoch ist die Inflation in Spanien?
Nacho Álvarez
6,8 Prozent im Moment.
 
EU-weit sollen bis März 15 Prozent weniger Erdgas verbraucht werden. Doch wenn Strom billiger ist, wird dann nicht weniger Energie gespart?
Nacho Álvarez
Das stimmt nicht! Spanien hat viel Strom gespart, mehr als sieben Prozent. Wir machen beides! Wir reduzieren die Gasrechnungen der Haushalte, aber wir reduzieren auch den Konsum.
Aber wie genau?
Nacho Álvarez
Im öffentlichen Bereich, in Museen, in Büros, in Kinos beträgt die Temperatur im Winter maximal 19 Grad – und das wird auch kontrolliert. Im Sommer kühlten die Klimaanlagen nicht unter 26 Grad.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass andere Länder mehr dieser billigen Energie beziehen wollen. Dadurch wird verbilligter Strom exportiert und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler kommen dafür auf.
Nacho Álvarez
Spanien ist isoliert am europäischen Strommarkt, wie eine Insel. Wir haben wenig Importe und Exporte. Das macht es einfacher. Wenn Österreich, Deutschland oder Frankreich diese Maßnahme ergreifen, dann sollte es besser gemeinsam passieren, denn ihre Strommärkte sind viel enger verbunden.
Und wie viel kostet diese Maßnahme?
Nacho Álvarez
Es ist nicht teuer, die öffentliche Verwaltung zahlt nicht dafür. Wir haben den Gaspreis für die Stromerzeugung heruntergesetzt, das senkt die Energierechnungen. Gleichzeitig zahlen die Haushalte aber eine Entschädigung für Gaskraftwerke. Dennoch ist ihre Rechnung niedriger und die Inflationsraten auch. Wir haben auch eine Übergewinnsteuer für Firmen, die von der Krise profitieren, eingeführt. Das hilft uns, weitere Unterstützungen zu finanzieren.
Die hohen Preise haben Investitionen in erneuerbare Energie so interessant wie nie zuvor gemacht. Fällt bei gedeckelten Preisen dieser Anreiz nicht weg?
Nacho Álvarez
Letztes Jahr hatten wir die höchsten Investitionen in erneuerbare Energie. Wir haben fünf Milliarden Euro in grüne Energie gesteckt. Und übrigens: Unser Energiemix ist viel grüner als der deutsche.
Allgemein zum Thema Inflation: In Spanien wurden zuletzt die Mieten weniger stark erhöht als in anderen europäischen Ländern. Wie wurde das umgesetzt?
Nacho Álvarez
Wir haben den Anstieg der Mieten auf zwei Prozent pro Jahr begrenzt und werden das auch im kommenden Jahr so beibehalten. Die Mieten sind in den letzten Jahren schon stark gestiegen, es kann nicht sein, dass Mieter nun noch mehr zahlen. Ein Gedanke war, dass wir nicht zu Vermietern umverteilen wollen. Jene 20 Prozent der Spanier, die in Mietwohnungen leben, besitzen das geringste Vermögen. In Spanien kaufst du dir eine Wohnung oder ein Haus, sobald du kannst.
Eine umstrittene Maßnahme Ihrer Regierung war die Subvention von Diesel und Benzin – eine Unterstützung für fossile Treibstoffe. Wieso haben Sie das gemacht?
Nacho Álvarez
Wir wollten die Haushalte unterstützen. Aber das ist keine progressive Maßnahme, denn sie unterstützt jeden Haushalt, egal mit welchem Einkommen. Mit Ende 2022 sind viele unserer Maßnahmen ausgelaufen. Wir haben alle verlängert außer diese. Wir wählen nun einen anderen Weg.
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hat im Vorjahr eine Zeitenwende ausgerufen. Manche dehnten diesen Begriff auf die Wirtschaft aus. Sehen auch Sie einen Paradigmenwechsel?
Nacho Álvarez
Wir haben in den letzten zwei Jahren in der EU definitiv eine Zeitenwende gesehen. Zuerst mit der Pandemie, dann mit dem Krieg. Wir haben gesehen, dass neoliberale Rezepte gescheitert sind. Vor zehn Jahren haben wir versucht, die Eurokrise mit Sparen zu bekämpfen, wir haben ein verlorenes Jahrzehnt erlebt mit Wohlstandseinbußen. Aber in den letzten zwei Jahren haben wir versucht, auf eine andere Art aus einer Krise zu kommen. Da sehe ich auf jeden Fall eine Zeitenwende, vor allem in der Wirtschaftspolitik. Nach der Wirtschaftskrise 2008/09 haben wir zehn Jahre gebraucht, um wieder dasselbe Niveau bei der Arbeitslosigkeit zu erreichen. In der Pandemie haben wir es nach zwei Jahren geschafft.
Doch wie können wir dann die Zeit nach der Zeitenwende nennen? Gehört konservative Wirtschaftspolitik in Europa der Vergangenheit an?
Nacho Álvarez
Wir sind in einer Zwischenzeit, einem Interregnum, wie zwischen zwei Königen. Es ist noch nicht klar: Wird es eine neue Wirtschaftspolitik geben oder machen wir weiter wie davor? Ich finde, wir brauchen ein echtes Ende der Austeritätspolitik. Niedrigere Steuern, weniger Staatsausgaben – das ist gescheitert. Manchmal werden wir mehr Staatsausgaben tätigen müssen, manchmal weniger. Wir müssen pragmatisch sein, nicht ideologisch, und alle Maßnahmen, Möglichkeiten und Rezepte anwenden, die uns zur Verfügung stehen.
Clara Peterlik

Clara Peterlik

ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.