Spargel ist eine Diva
Von Marina Delcheva
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Er liebt Wärme, aber bloß nicht zu viel davon. An Tagen mit Temperaturen um die 30 Grad Celsius wächst weißer Spargel sechs bis sieben Zentimeter pro Tag; der grüne sogar bis zu zwölf. Fällt das Thermometer hingegen unter zehn Grad, wächst er nur wenige Millimeter täglich. Es darf nicht zu trocken und nicht zu feucht sein. Licht ist auch nicht gut, zumindest für den weißen Spargel, der unter der Erde geschützt vor der Photosynthese gedeiht, um sich nicht zu verfärben. All das macht seine Ernte, die irgendwann im März oder April beginnt und im Juni endet, sehr unberechenbar. Wenn es warm ist und genug geregnet hat, ist in sehr kurzer Zeit viel Spargel auf dem Feld und muss schnell geerntet werden – per Hand, mit einem kleinen Gemüsemesser.
Beim grünen Spargel sticht man dabei leicht schräg seitlich in die Erde und schneidet den vertikal gen Himmel wachsenden grünen Stiel ein paar Millimeter unter der Erde ab. Geübte Hände schaffen so an einem Arbeitstag 1000 bis 4000 Stück. Ungeübte nicht einmal ein Drittel. Feldarbeit ist anstrengend. Sie geht auf die Knie und ins Kreuz. Und sie ist nicht besonders gut bezahlt. Deshalb spricht auf den heimischen Äckern auch so gut wie niemand Deutsch, seit Jahrzehnten nicht.
Auch hier nicht, auf den Feldern von Werner Magoschitz im niederösterreichischen Marchfeld, in Mannsdorf an der Donau. Die Spargelernte läuft noch bis zum 10. Juni, und aktuell beschäftigt Magoschitz 120 Ernte- und Landarbeiter. Die Menschen kommen aus Rumänien, der Slowakei, ein paar aus Polen, viele Frauen stammen aus der Ukraine, und heuer ist auch eine Gruppe aus Vietnam auf dem Hof beschäftigt. „Früher hatten wir viele Grenzgänger aus der Slowakei, aber heute kaum noch“, erzählt der Spargelbauer. Um Fachkräfte zu finden, muss er mittlerweile weiter weg suchen. „In der Pandemie, als die Saisonarbeiter nicht einreisen konnten, haben wir es auch mit Österreichern versucht“, sagt Magoschitz. Die seien aber schnell wieder weg gewesen.
Werner Magoschitz ist seit 49 Jahren Spargelbauer und führt seinen Bauernhof in dritter Generation. Seine Eltern hatten einen Gasthof mit einer kleinen Nebenerwerbslandwirtschaft. Heute bewirtschaftet der Saatguttechniker über 200 Hektar und führt einen Hofladen. Neben Spargel werden hier auch Saatmais sowie Kraut, Kochsalat und Kürbis für die Tiefkühlindustrie angebaut. Magoschitz ist außerdem Obmann des Vereins „Marchfeld Spargel“. Seit 1996 ist dieser Spargel als Marke geschützt, weil er noch ein bisschen spezieller und divenhafter ist als herkömmlicher Spargel. Er darf zum Beispiel nur 22 Zentimeter lang sein, die EU-Norm erlaubt bis zu 25 Zentimeter. Es gibt strengere Vorgaben für das Kühlwasser und den Mengenfluss. Die Spargelbauern im Verband unterwerfen sich unter der Initiative „Fairantwortung“ höheren Sozial- und Umweltstandards und tragen das AMA-Gütesiegel.
Geschützte Ware
Trotz seiner Popularität ist Spargel ein Nischenprodukt. „Die Produktion ist 2020 wegen der Grenzschließungen massiv eingebrochen und hat sich (im Vergleich zu 2019, Anm.) auf deutlich niedrigerem Niveau bei rund 760 Hektar eingependelt“, sagt Johann Zimmermann von der Österreichischen Landwirtschaftskammer (LKÖ). „Der jährliche Ertrag wird nicht nur durch die Fläche, sondern auch durch das Wetter bestimmt“, erklärt er. Und heuer war ein gutes Erntejahr für das wetterfühlige Gemüse. Berechnungen der LKÖ zufolge betrug der Branchenumsatz im Vorjahr 25 Millionen Euro. Heuer sind die heimischen Spargelbauern aber deutlich zufriedener mit der Ernte, der Großhandelspreis lag laut AMA zuletzt bei etwas unter elf Euro pro Kilogramm.
Mit seinen 200 Hektar, auf denen allerdings nicht nur Spargel angebaut wird, gehört Magoschitz zu den größeren Produzenten in Österreich. Der Spargel wird kistenweise in die Werkshalle gefahren, wo er gewaschen, geschnitten und in kleine Bündel für die Supermärkte verpackt wird. Schachbrettmusterartig teilen sich violetter und grüner Spargel eine Kiste und warten auf die Lkw. Zwischen Ernte und Anlieferung vergehen oft nur wenige Stunden. Sowohl das Gemüse selbst als auch die Großkunden verlangen viel Flexibilität.
Der Marchfelder Spargel ist eine geschützte Marke und wird dementsprechend in den heimischen Supermarktregalen ausgewiesen und beworben. Der regionale heimische Spargel hat aber viel billige Konkurrenz aus dem Ausland. Aus Peru etwa, wo in der Wüste Spargel angebaut wird und zwei Ernten pro Jahr möglich sind. Der peruanische Spargel wird sechs Wochen lang im CO2-Sackerl nach Europa verschifft und ist günstiger als der heimische. Österreichische Bauern tun sich aber auch schwer, mit den Preisen deutscher Spargel-Landwirte mitzuhalten.
Spargelbauer
Werner Magoschitz ist seit 49 Jahren Spargelbauer. „Unser Problem sind nicht die Lohnkosten, sondern die Lohnnebenkosten", sagt er.
„In Deutschland ist der Mindestlohn für die Feldarbeiter höher, aber dort fallen kaum Lohnnebenkosten an“, erklärt Magoschitz. Und das schlage natürlich auf die Einkaufspreise und die Preise für die Endkunden durch. „Unser Problem sind nicht die Lohnkosten, sondern die Lohnnebenkosten. Die Leute sollen ja etwas verdienen, und ohne Überzahlung ist es schwierig, das Stammpersonal an den Betrieb zu binden“, meint der Bauer in Richtung Politik. Auf einem benachbarten Feld fiel die Spargelernte heuer aus, weil der Landwirt nicht genug Saisonniers gefunden habe. Deshalb sind die zarten, höchstens 22 Zentimeter langen Stiele zu einen Meter hohen, weitverzweigten Sträuchern gewachsen.
Von der Köchin zur Spargelstecherin
Zurück zu den Feldarbeitern: Angelika kommt aus der Ukraine und ist eigentlich Köchin. Russlands Angriffskrieg auf ihre Heimat hat nicht nur ganze Landstriche in ein Trümmerfeld verwandelt, sondern die ohnehin schwierige wirtschaftliche Situation massiv verschlechtert. Anders als in den Jahren vor dem Krieg kommen jetzt aber vor allem Frauen als Saisonfachkräfte nach Österreich. Die Männer dürfen kriegsbedingt nicht ausreisen. Nach der Spargelernte fährt Angelika wieder zurück nach Hause und wird voraussichtlich nach einigen Wochen für die nächste Ernte, die ansteht, wiederkommen.
Sie ist eine von knapp über 4000 Personen aus dem EU-Ausland, die laut Dachverband der Sozialversicherungsträger im April in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt waren. Das Kontingent für Saisonarbeitskräfte beträgt heuer laut dem Arbeits- und Wirtschaftsministerium 3481 Personen und kann zu Spitzenzeiten um 30 Prozent überzogen werden. Zusätzlich arbeiten aktuell über 12.000 EU-Bürgerinnen und -Bürger in der Landwirtschaft.
Wer wie viel verdient, ist aber gar nicht so leicht zu eruieren. Es gibt in Österreich eine Vielzahl an Kollektivverträgen für die Land- und Forstwirtschaft, in den einzelnen Ländern gelten unterschiedliche Bestimmungen, und die Einkommen können mitunter weit auseinanderklaffen. Magoschitz muss seinen Erntehelfern mindestens 1700 Euro brutto auf Vollzeitbasis bezahlen. Für die Unterbringung und Energiekosten behält er sich rund 70 Euro pro Monat und pro Person ein. Für einen Hektar Ernte fallen hier 800 Arbeitsstunden in 60 bis 70 Tagen an. Je nachdem, wie schnell der Spargel wächst.
Dumpinglöhne weit unter dem gesetzlichen Kollektivvertrag, Elendsquartiere und überzogene Mieten kann sich Magoschitz nicht leisten, sagt er. So etwas spricht sich schnell herum, ist schlecht für das Image und damit schlecht fürs Geschäft. Außerdem will dann im nächsten Jahr womöglich niemand mehr auf seinem Hof arbeiten. Als vor vier Jahren medial bekannt wurde, dass ein Bauernhof aus der Region seine Erntehelfer in überbelegten, menschenunwürdigen Quartieren mit desolaten Sanitäranlagen und Schimmel an den Wänden untergebracht hatte und sich auch Berichte über Dumpinglöhne mehrten, wurde der betroffene Betrieb aus dem Verband der Marchfelder Spargelbauern ausgeschlossen.
Geschützte Herkunft
Marchfelder Spargel ist so etwas wie eine eigene Marke. Er muss besondere, noch strengere Auflagen erfüllen als herkömmlicher Spargel. Zum Beispiel darf er nur 22 Zentimeter lang sein.
Meist braucht es für solche Schritte aber öffentlichen Aufruhr, der auf Fehler im System zeigt. „Die Erntearbeiter sind in besonderem Ausmaß darauf angewiesen, dass der Chef alles richtig macht“, sagt Sónia Melo von „Sezonieri“. Die Initiative wird von der Metallergewerkschaft PRO-GE, dem mächtigsten Arm der Gewerkschaft, finanziert und berät seit 2014 Erntehelfer direkt auf den Feldern. Das Ziel sei Aufklärung über die eigenen Rechte und Unterstützung bei Verstößen oder Rechtsstreitigkeiten.
Melo findet gleich zu Beginn des Gesprächs auch lobende Worte: „Stundenlöhne von drei oder vier Euro, wie das noch vor ein paar Jahren vorkam, sehen wir heute nicht mehr. Das ist eine gute Entwicklung, und es hat sich schon einiges verbessert.“ Was heute bei den Beratungen auf den Feldern aber immer wieder auffalle, sei, dass die Arbeitnehmer oft gar nicht wüssten, wie sie angestellt seien, also ob Teilzeit oder Vollzeit. In der Praxis sehe das dann so aus: Eine Person arbeitet Vollzeit und bekommt auch den versprochenen Stundenlohn ausbezahlt. Tatsächlich ist sie aber „nur“ als Teilzeitkraft bei der Sozialversicherung gemeldet.
Dass es bei der Unterbringung deutlich weniger Verstöße gibt, habe laut der NGO-Mitarbeiterin auch mit einer neuen Verordnung aus dem Wirtschaftsministerium im Vorjahr zu tun. Für drei Wochen dürfen je drei Menschen auch in Containern mit knapp 14 Quadratmeter Fläche untergebracht werden. Wie lange die Arbeiter aber tatsächlich darin wohnen, sei schwer zu kontrollieren.
Melo macht auch einen immer deutlicher werdenden Pay-Gap zwischen Saisonfachkräften aus den EU-Ländern und den Drittstaaten aus. EU-Bürger dürfen sich jederzeit in jedem EU-Land einen Job suchen, und wenn die Bezahlung oder die Arbeitsbedingungen nicht passen, ziehen sie einfach weiter. Außerdem ist der Lebensstandard in vielen östlichen EU-Ländern in den vergangenen Jahren gestiegen, und der Druck, monateweise auf Österreichs Feldern und Obstgärten zu arbeiten, ist nicht mehr so groß. „Früher hatten wir auch Arbeitnehmer aus Polen. Heute kommen nur noch wenige. Viele betreiben dort eine eigene Landwirtschaft“, erklärt Magoschitz. Auf dem europäischen Markt werden so ehemalige Mitarbeiter zu Konkurrenten.
Und noch eine interessante Erfahrung hat Melo während der Pandemie gemacht. Als damals das Land in den Lockdown ging und viele Erntearbeiter wegen der geschlossenen Grenzen nicht einreisen konnten, haben sich erstmals seit vielen Jahren auch Österreicher oder zumindest Menschen, die schon länger hier leben, für die Erntearbeit gemeldet. Darunter waren viele Studenten, die wegen der Lockdowns nicht in der Gastro arbeiten konnten. „In dieser Zeit haben sich besonders viele Menschen bei uns gemeldet und sich wegen der Arbeitsbedingungen oder der Bezahlung beschwert. Die haben dann meist nach zwei oder drei Wochen aufgegeben.“
Preisdruck auf allen Ebenen
Verhältnismäßig niedrige Einkünfte, Preisdruck und prekäre Arbeitsbedingungen sind Dinge, mit denen Erntehelfer und Bauern zu kämpfen haben. Vor allem in kleinen Landwirtschaftsbetrieben. Während vor ein paar Jahren die großen Handelsketten noch ein größeres Augenmerk auf die Qualität und Regionalität der Produkte gelegt haben, zählt nach der hohen Lebensmittelinflation im Vorjahr heute vor allem der Preis. Oder anders gesagt: Die Konsumenten und Konsumentinnen schauen heuer genauer auf den Preis und weniger genau auf Qualität und Regionalität. Für heimische Bauern ist das besonders bitter. „Wir können die heuer gestiegenen Lohnkosten nur sehr bedingt im Verkaufspreis weitergeben“, sagt Magoschitz. Eine Arbeitsstunde auf dem Feld kostet ihn in Summe 16 Euro. Die Erntehelferin bekommt netto davon aber knapp unter neun Euro. Weder die Supermärkte noch die Kunden wollen derzeit höhere Preise zahlen.
Hinzu kommt, dass der heimische Lebensmittelhandel stark konzentriert ist. Rewe (Billa, Penny, Anm.), Spar und Hofer haben zusammen einen Marktanteil von über 90 Prozent. Also eine Handvoll Chefeinkäufer verhandelt mit einer Vielzahl von Bauern, nicht nur in Österreich. „Wir merken immer wieder, dass sich kleine Betriebe schwertun mit dem Preisdruck im Handel“, erklärt Melo von „Sezonieri“. Die Erntearbeiter seien da am untersten Ende der Nahrungskette.
In zwei Wochen ist die Ernte vorbei, und die letzten Spargel-Bündel müssen in die Supermarktregale. Werner Magoschitz’ Handy läutet – der Einkäufer einer großen Supermarktkette ist am anderen Ende der Leitung. „Über den Preis müssen wir noch reden“, sagt er.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".