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Spieltrieb: Niederösterreich sitzt auf 700 Millionen Euro an riskanten Veranlagungen

Niederösterreich. Das Bundesland sitzt auf 700 Millionen Euro an riskanten Veranlagungen

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Wolfgang Sobotka beim Händeschütteln. Beim Kinderkosen. Beim Spatenstich. Wolfgang Sobotka mit Trachtenpärchen, Freiwilliger Feuerwehr, Blaskapelle, Pensionisten, Kindergärtnerinnen. Wer auf YouTube nach Bewegtbildern von ­Niederösterreichs ÖVP-Finanzlandesrat und Landeshauptmann-Stellvertreter sucht, wird unweigerlich auf einen Imagefilm des ­gebürtigen Waidhofners stoßen. Eine Minute und 57 Sekunden Jubel, Trubel, Weißweingläser. Und das ganz ohne Worte, musikalisch unterlegt mit „Traumschiff“-Melodie. Ein Mann, ein Volksfest.
647 Aufrufe seit September 2010 – immerhin. Bedauerlicherweise wurde die Kommentarfunktion „deaktiviert“. Und das kommt Sobotkas Wesen schon näher. Sehr viel mehr als bedingungslosen Zuspruch kann er nicht verkraften. Das mag auch erklären, warum das Filmchen keine Szene à la „Sobotka beim Veranlagen von Steuergeldern“ mitliefert.

Wolfgang Sobotka, gelernter Musikpädagoge, steht im Zentrum einer Affäre, deren Aufklärung er konsequent verweigert. Er schweigt umso beharrlicher, als Niederösterreich am 3. März einen neuen Landtag wählt und die jüngsten Vorkommnisse an der Salzach nun auch zu einem handfesten Problem für die ÖVP Niederösterreich werden könnten.
Nach profil-Recherchen irrlichterte nicht nur Salzburg auf den Finanzmärkten – auch St. Pölten sitzt auf teils sehr riskanten Investments, finanziert aus Steuergeldern.

Spekulative Finanzinstrumente
3,3 Milliarden Euro – das ist jener Betrag, den Niederösterreich über die landeseigene Vermögensverwaltung Fibeg (Land Niederösterreich Finanz- und Beteiligungsmanagement GmbH) aktuell veranlagt hat: in Aktien, in Anleihen von Staaten und Unternehmen, in Immobilien, in Leitwährungen wie dem US-Dollar, in klassischen Einlagen bei Banken.
Aber eben nicht nur. Nach einem profil vorliegenden Rechenschaftsbericht der Fibeg vom Herbst vergangenen Jahres steckten zum Stichtag 31. Oktober 2012 bis zu 700 Millionen Euro in Finanzins­trumenten, die als spekulativ einzustufen sind: Hedgefonds-Strukturen, Rohstoffnotierungen, so genannte strukturierte Anleihen und High-Yield-Bonds – also hochverzinste Schuldverschreibungen von Emittenten schlechter Bonität. Gemeinhin werden diese Papiere „Junk-Bonds“ genannt. Mit im Paket auch Wertpapiere, die an keiner Börse gehandelt werden und/oder kein Rating haben. Allein die Position „High Yield + Wertpapiere ohne Rating“ belief sich Ende Oktober 2012 auf elf Prozent des gesamten Portfolios und somit auf 363 Millionen Euro.

Die genaue Aufschlüsselung des umfangreichen Portfolios und der damit einhergehenden Risiken wird unter Verschluss gehalten. Obwohl hier das Geld der Steuerzahler auf dem Spiel steht, macht das Land Niederösterreich daraus ein Staatsgeheimnis. Finanzlandesrat Wolfgang Sobotka wollte sich zu Art und Umfang der Geschäfte nicht äußern. Einmal mehr. Auf profil-Anfrage verwies sein Sprecher auf die Fibeg. Deren seit Dezember 2010 amtierender Geschäftsführer ­Johannes Kern stellt Parallelen zu den chaotischen Verhältnissen in Salzburg entschieden in Abrede: „Sämtliche Positionen werden durch das interne Risikomanagement sowie von einem extern bestellten unabhängigen Risikomanager im Risikosystem abgebildet und hinsichtlich Markt-, Kredit- und Ausfallsrisiko laufend quantifiziert.“ Den Begriff „spekulativ“ will Kern erst gar nicht gelten lassen: „Der Risikogehalt des Gesamtportfolios ist mit den konservativen Veranlagungsstrategien der österreichischen Pensionskassen vergleichbar.“

Dennoch steht die Frage unbeantwortet im Raum, was Niederösterreich im Jahr 2013 etwa in Hedgefonds, dem Handel mit „Edel- und Industriemetallen“ und Ramschanleihen verloren hat. Und welche tatsächlichen Ausfallsrisiken damit einhergehen – immerhin dürfte fast ein Fünftel des bei der Fibeg geparkten Landesvermögens in teils sehr labilen Finanzinstrumenten stecken.

Dass es überhaupt so weit kommen konnte, erklärt sich aus den Machtverhältnissen im ÖVP-regierten Bundesland. Bereits 2001 wurde mit der schrittweisen Verwertung von Hunderttausenden Wohnbaudarlehen begonnen. Aus dem Verkauf einer ersten Tranche flossen dem Land netto 2,442 Milliarden Euro zu, die von der Fibeg in dem Fonds „NOE I“ gebündelt wurden. Der niederösterreichische Landtag, in welchem die ÖVP damals noch nicht mit absoluter Mehrheit regierte, legte der Veranlagung zunächst strenge Richtlinien zugrunde: 60 Prozent des Vermögens sollten in Anleihen investiert werden, 40 Prozent in Aktien. Von Kreditwetten wie strukturierten Anleihen, Hedgefonds oder sonstigen exotischen Spielarten war damals noch keine Rede.

Unter den Erwartungen
Der Fonds „NOE I“ wurde im Februar 2002 aufgesetzt, im gleichen Jahr schaffte die ÖVP die Absolute. Bereits 2003 lag die Performance von „NOE I“ im Lichte schwächelnder Aktienkurse unter den Erwartungen. Und diese waren hoch. Auf dem Papier waren die Darlehen an Hausbesitzer mit einer durchschnittlichen Laufzeit von 20 Jahren insgesamt 4,7 Milliarden Euro wert gewesen. Weil das Land schnell Geld brauchte, mussten die Forderungen mit einem Abschlag verkauft werden – der so genannte Abzinssatz lag damals bei 4,6 Prozent. Um also wirtschaftliche Vorteile aus der vorzeitigen Verwertung der Darlehen zu erzielen, mussten jährlich mehr als 4,6 Prozent Rendite eingefahren werden. Offiziell wurde damals eine Mindestverzinsung von fünf Prozent angepeilt, intern war man allen Ernstes sogar von bis zu sechs Prozent per annum ausgegangen. Die Wahrheit ist: Seit 2002 wurden weder sechs noch fünf noch 4,6 Prozent erreicht – die Durchschnittsrendite der Veranlagungen lag zuletzt bei gerade einmal zwei Prozent im Jahr.

Und selbst dieser Wert konnte nur um den Preis hoher Risiken erzielt werden. Ab 2003 begann das Land, weitere Einnahmequellen anzuzapfen und die Zuflüsse in drei weiteren Fonds zu investieren – aus der Hausbesitzern angebotenen vorzeitigen Tilgung ihrer Wohnbaudarlehen flossen im August 2003 insgesamt 245 Millionen Euro zu („NOE II“), der Verkauf von Landesbeteiligungen im Juli 2005 brachte 860 Millionen („NOE III“), der Verkauf weiterer Wohnbaudarlehen an die dem Land nahestehende Hypo Niederösterreich spülte im Mai 2007 noch einmal 840 Millionen Euro in die Kassen („NOE IV“).

Somit verwaltete die Fibeg ab 2007 in Summe 4,4 Milliarden Euro. Weil die Renditen gar so mau waren, wurde der Pfad der Tugend alsbald verlassen. Schon ab 2003 hatte Finanzlandesrat Sobotka die Fibeg – mit Duldung von Landeshauptmann Erwin Pröll – zunehmend ins Risiko gehen lassen. Und das so sehr, dass später selbst der gemeinhin zurückhaltende Rechnungshof dafür scharfe Worte fand. In einem Prüfbericht aus dem Jahr 2010 heißt es dazu wörtlich: „Mit der ab Mitte 2003 geänderten Strategie … veränderte sich systematisch die gesamte Risikostruktur der Veranlagungen. Damit entfernte sich die Fibeg weit von der ursprünglichen Veranlagungsstrategie, ohne jedoch die Entscheidungsorgane des Landes in Kenntnis zu setzen.“
Bis 2008 häufte Niederösterreich ein Portfolio exotischer Veranlagungen im Gegenwert von rund 800 Millionen Euro an, die teilweise in – mittlerweile liquidierten – obskuren Zweckgesellschaften mit Sitz in Irland und auf den Cayman Islands geparkt waren (profil berichtete ausführlich). Oder wie es der Rechnungshof 2010 formulierte: „Ende 2008 befanden sich schwer bewertbare und wenig liquide Produkte … im Veranlagungsportfolio, die ein erhöhtes Verlustrisiko in sich trugen.“
All das passierte zunächst ohne Einbindung der politischen Gremien. Erst im Juli 2009, die Rechnungshofprüfung war kurz zuvor angelaufen, legte die ÖVP im Landtag einen Antrag vor, der die bereits getätigten Spekulationen ex post legitimieren sollte. Bezeichnenderweise stimmten SPÖ, FPÖ und Grüne nicht zu. Der Antrag wurde mit den Stimmen der ÖVP – siehe absolute Mehrheit – durchgebracht. „In Niederösterreich hat sich Sobotka ein eigenes Kasino gemeinsam mit der Hypo Niederösterreich gebaut“, so die grüne Landtagsabgeordnete Helga Krismer. „Damit niemand sieht, ob er Black Jack oder Roulette spielt, hat er das Kasino schwarz verglast. Seit Jahren versuche ich vergeblich, Auskunft zu erhalten, wo genau wie viel Steuergeld eingesetzt wurde. Zum Schein beschloss sich die ÖVP auch noch eine Veranlagungsrichtlinie, welche eine Spielanleitung für eh alles ist.“

Prinzip Intransparenz
Als wäre all dies nicht bitter genug, lässt sich bis heute nicht mit Bestimmtheit sagen, ob und wie viel Gewinn das Land aus der komplexen Struktur gezogen hat. Denn auch hier gilt das Prinzip Intransparenz: Laut Sobotka sind dem Landesbudget aus den Veranlagungen in den Fonds I–IV bis heute insgesamt 1,9 Milliarden Euro zugeflossen. Was er nicht laut sagt: Dabei handelte es sich zum größten Teil nicht um tatsächliche Profite. Um das Landesbudget zu unterfüttern, griff die Finanzverwaltung ab 2002 systematisch auf das Fondsvermögen zurück. Die Summe der Auszahlungen an das Land lag stets über den erwirtschafteten Gewinnen – mit dem Ergebnis, dass die Fondssubstanz von ursprünglich 4,4 Milliarden auf zuletzt 3,3 Milliarden Euro schrumpfte. Mit anderen Worten: 1,1 Milliarden Euro waren keine Gewinne – sondern Teile des ­Tafelsilbers.
Somit blieben 800 Millionen Euro, welche die einzelnen Fonds seit 2002 als ­Nettoerträge abgeworfen haben sollen. Doch auch diese Zahl hält einer kritischen Würdigung nicht annähernd stand. Tatsächlich hat Niederösterreich aus seinem Fondsgeschäft zwischen 2002 und 2012 nur 600 Millionen verdient. Satte 200 Millionen Euro nämlich, welche hier als Erlöse ausgewiesen werden, entfallen auf eine „Garantieprämie“, die sich das Land in letzter Konsequenz selbst bezahlt hat.
Und somit sind wir wieder im Jahr 2001 und also am Anfang der Geschichte. Zur Erinnerung: Das Land brauchte schon damals dringend frisches Geld und wollte daher die Wohnbaudarlehen veräußern. Diese wurden jedoch nicht etwa direkt verkauft. Vielmehr setzten die Alchimisten an der Traisen am 1. Oktober 2001 eine „Wohnbaudarlehen Privatstiftung“ mit Sitz in St. Pölten auf und dotierten diese mit einer Million Schilling. Als Stiftungszweck wurde neben der obligaten „Erhaltung, Verwaltung und Veräußerung von Vermögenswerten aller Art, insbesondere auch von Beteiligungen“ eine Passage in die Stiftungsurkunde eingeflochten, die staunen macht: „Die wirtschaftliche Förderung im weitesten Sinne von künstlerischen und karitativen Einrichtungen, die im Land eingerichtet oder zumindest teilweise tätig sind.“

Künstler? Karitative Einrichtungen? Mitnichten. Der tatsächliche Zweck der Stiftung war und ist die Verwaltung einer Beteiligung mit dem beziehungsreichen Namen Blue Danube Loan Funding GmbH (BDLF), eingetragen am 12. Oktober 2001. Nur wenige Wochen nach der Gründung machte sich diese Gesellschaft – Stammkapital heute: 35.000 Euro – daran, Geld für das Land Niederösterreich aufzustellen. Über den Finanzplatz Luxemburg wurde eine Anleihe bei Großbanken im Volumen von 2,539 Milliarden Euro, Laufzeit bis 2049, aufgelegt. Um die Verbindlichkeit mit Vermögen zu unterlegen, übertrug das Land der BDLF Ansprüche aus den Wohnbaudarlehen in entsprechender Höhe.
Nun war aber kaum ein Investor weltweit bereit, einer gerade erst geschlüpften kleinen GmbH aus dem beschaulichen St. Pölten 2,5 Milliarden Euro auf künftige Einnahmen aus Wohnbaudarlehen vorzustrecken. Also musste das Land einspringen – und gewährte jener BDLF, die bis heute im Einflussbereich einer auf die Förderung von Künstlern und karitativen Organisationen ausgerichteten Privatstiftung steht, eine Ausfallshaftung über besagte 2,539 Milliarden Euro.

Im Gegenzug verpflichtete sich die BDLF, für diese Garantie eine Prämie an das Land abzuführen – bereits 2002 wurden auf einen Schlag 126 Millionen Euro überwiesen, bis 2012 wuchs der Betrag auf exakt 200,3 Millionen Euro. Absurd: Die Blue Danube Loan Funding macht bis heute nichts anderes, als die Zuflüsse aus den Tilgungen der Wohnbaudarlehen gegen die Zinsen und Tilgungen der Anleihe zu rechnen. In letzter Konsequenz steht das Land Niederösterreich hier für das Land Niederösterreich gerade – und zahlt sich die Prämie dem Grunde nach selbst. Man könnte das auch als In-sich-Geschäft titulieren.

Die Einrechnung der Garantieprämie in die Erträge aus den Fondsveranlagungen zeugt von gesteigerter Kreativität. Und täuscht nur allzu leicht darüber hinweg, dass das Land unter dem Strich in zehn Jahren eben nur 600 Millionen Euro Gewinn erzielen konnte. Das war einerseits zu wenig, um die Effekte aus der Diskontierung der Wohnbaudarlehen nachhaltig wettzumachen – und wäre andererseits auch ohne riskante Verrenkungen auf den Finanzmärkten zu holen gewesen.
Zwischen Jänner und Februar des Vorjahres schaute der Rechnungshof noch einmal in die Bücher der Fibeg. Die Prüfer fanden zwar einerseits lobende Worte für die Umsetzung ihrer früheren Empfehlungen hinsichtlich des Risikomanagements – doch von einem Kritikpunkt rückten sie nicht ab: „Mit den seit dem Jahr 2002 durchschnittlich erzielten 1,8 Prozent an jährlicher Performance lag die Fibeg deutlich unter ihrem langfristigen Performanceziel von fünf Prozent. Der bis Ende 2008 im Vergleich zum langfristigen ­Ergebnisziel des Landes festgestellte Fehlbetrag von knapp 1 Mrd. Euro konnte unter anderem auch aufgrund der ungünstigen Marktentwicklung nicht aufgeholt werden.“

Diese Feststellung hat bis heute Gültigkeit – und wohl auch bis zu den Wahlen am 3. März.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.