Wie ein Österreicher den Kryptomarkt mit Stahl aufmischen will
Wie ein österreichischer Stahlhändler in den Kryptomarkt einsteigt und mit einem ziemlich einzigartigen Wertpapier für experimentierfreudige Kleinanleger an die Börse geht.
Es ist der hippe Teil der Wiener Leopoldstadt, und das Bild bedient so ziemlich jedes Klischee: Junge Frauen und Männer, in Kapuzenpullis und Sneakern, vapend am Gehsteig stehend. Ihren Kolleginnen und Kollegen an den großen Schreibtischen und riesigen Computermonitoren kann man von der Gasse aus beim Arbeiten zusehen. Vermutlich steht auch irgendwo ein Wuzeltisch herum.
Marcel Javor, 49, empfängt ein paar Türen weiter. In Büroräumen, die mehr nach Cocktail-Lounge denn Besprechungszimmer aussehen. Klassisches Internet-Start-up, möchte man denken. Doch weit gefehlt. Javor ist Boss des Stahlhandelsunternehmens Frankstahl, welches bis ins Jahr 1880 zurückreicht. Mehr Old Economy geht kaum.
Doch das Unternehmen ist eben auch ein Beispiel dafür, wie sich die traditionelle Wirtschaft der New Economy öffnet. Javor verbindet die Welt des Stahls mit jener des Kryptomarkts und hat kürzlich einen sogenannten Steelcoin herausgebracht. Damit will er Stahl als Investment für Krypto-Enthusiasten attraktiv und auch Kleinanlegern zugänglich machen. Und nun drängt er mit einem neuen Anlageprodukt an die Börse.
Vor der Pandemie habe er einige Zeit in New York verbracht, erzählt Javor. Dort sei seine Faszination für die Kryptowelt und die Blockchain-Technologie geweckt worden. „Während sich hierzulande nur wenige mit dem Thema beschäftigt haben, war es dort allgegenwärtig“, sagt der Unternehmer.
Seit 2004 führt Javor in dem Familienbetrieb die Geschäfte, seit 2014 ist er Alleingesellschafter. Frankstahl hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Als Flanschfabrik gegründet, wurde das Unternehmen unter den Nazis arisiert und erst Ende der 1960er- Jahre an die Witwe des Gründers, Bela Frank, restituiert.
1969 kaufte Marcels Vater Erwin Javor als damals 21-jähriger Student das Unternehmen und machte es zu einem internationalen Player. Heute ist Frankstahl in zehn europäischen Ländern tätig und beschäftigt 700 Mitarbeiter, die einen Umsatz von rund 600 Millionen Euro erwirtschaften. Die Kunden reichen von kleinen Installateurs- bis zu großen Industriebetrieben.
Das Unternehmen hat früh mit der Digitalisierung begonnen. Mittlerweile werden zwei Drittel aller Verkaufstransaktionen über eine Online-Plattform getätigt. Etwa 20 Prozent der Mitarbeiter in Österreich sind nur mit Software-Entwicklung beschäftigt. Und nun eben auch mit der Blockchain-Technologie.
Krypto-Stahl
Im Herbst vergangenen Jahres brachte Javor mit seiner SC Steelcoin GmbH, einer Hundert-Prozent-Tochter von Frankstahl, Steelcoins heraus. Dabei handelt es sich nicht um eine neue Kryptowährung, sondern um sogenannte ERC 20 Token. Das sind digitale Vermögenswerte, die auf der technologischen Infrastruktur der Ethereum-Blockchain verwahrt werden. Das heißt, man hält diese Geldanlage nicht über ein Wertpapierdepot auf der Bank, sondern in einer eigenen Wallet, wie man sie auch für das Aufbewahren von Kryptowährungen benötigt. Von den Aufsichtsbehörden werden solche Security Tokens regulatorisch wie traditionelle Wertpapiere behandelt. So sind Unternehmen auch verpflichtet, einen Wertpapierprospekt zu erstellen. Im Falle des Steelcoin wurde dieser von der Finanzmarktaufsicht (FMA) im September 2022 gebilligt.
„Es heißt immer, Gold gehört in jedes Portfolio. Wir sind der Meinung, auf Stahl trifft das noch viel mehr zu“, sagt Javor. Tatsächlich konnten Privatanleger bisher nur in Aktien von Stahlunternehmen investieren, nicht jedoch in den Werkstoff selbst.
Man erwirbt hier nicht wie beim Kauf einer Aktie Unternehmensanteile, sondern einen schuldrechtlichen Anspruch gegenüber der SC Steelcoin GmbH, eine bestimmte Menge an Stahlprodukten oder eine Barabgeltung zu erhalten.
„Damit positionieren wir uns gegen klassische Kryptowährungen. Hier steht ein realer Wert dahinter. Stahl wird auch in Zukunft unverzichtbar sein“, sagt Javor. Mit diesem Argument will der Unternehmer auch Anleger überzeugen, die Kryptowährungen skeptisch gegenüberstehen.
Das Unternehmen hält mehr als 50.000 Tonnen Stahl vorrätig.
Frankstahl-Lager in Guntramsdorf
Das Unternehmen hält mehr als 50.000 Tonnen Stahl vorrätig.
18.000 solcher virtueller Münzen hat Javor auf den Markt geworfen. Ab einer Mindestinvestition von 50 Euro ist man dabei. Wer Steelcoins erwerben möchte, kann dies derzeit nur über die Website des Unternehmens tun. Aktuell liegt der Preis für eine Steelcoin bei rund 2100 Euro.
„Damit kann man an der Wertentwicklung von Stahlprodukten partizipieren“, sagt Javor. Tatsächlich hat sich der Stahlpreis mit dem Ukraine-Krieg fast vervierfacht. Die Anstrengungen zur Dekarbonisierung der Stahlerzeugung könnten die Preise auch in Zukunft steigen lassen.
Lässt man sich den Steelcoin in Naturalien ablösen, bekommt man dafür im Jahr 2023 exakt 1814,39 Kilogramm Stahl. Danach reduziert sich das Gewicht jedes Jahr um drei Prozent. „Wegen unserer Lagerkosten. Wir halten jederzeit mehr als 50.000 Tonnen Stahl vorrätig. Nur um die Dimension zu verdeutlichen: Das ist zehn Mal der Eiffelturm“, so der Unternehmer. Der Stahl kann in Form von Blechen in verschiedenen Formaten und Stärken bezogen werden. Abholen muss man diese selbst; an einem von drei Frankstahl-Standorten in Guntramsdorf, Wels oder in Nußdorf am Haunsberg, nördlich von Salzburg.
Jede Geldanlage birgt ein Risiko. Wer investieren will, muss an die Entwicklung des Stahlpreises glauben und an uns als Emittenten.
Marcel Javor
Frankstahl
Will man den Steelcoin zu barem Geld machen, führt an der Unternehmenswebsite ebenfalls kein Weg vorbei. Einmal registriert, erfährt man dort auch die aktuellen Verkaufspreise. Allerdings: Welchen Preis man erhält, ist für Investoren nicht so leicht nachzuvollziehen. Dieser berechnet sich nach folgender Formel: die aktuelle Stahlmenge gemäß dem zuvor beschriebenen Reduktionsplan multipliziert mit dem sogenannten Fertigstahlwert dividiert durch 1000. Der Fertigstahlwert wird von SC Steelcoin selbst täglich berechnet. Hier fließen die durchschnittlichen Bestellpreise ein, zu denen Frankstahl oder andere Stahlhändler in den vergangenen 64 Tagen gekauft haben. In den unter den im Wertpapierprospekt angeführten „zentralen Risiken“ ist dazu zu lesen: „Der Verkaufspreis spiegelt möglicherweise nicht die Entwicklung der Preise an den Stahlmärkten wider“; und „der Zeichnungspreis kann erheblich über dem Verkaufspreis zum Zeitpunkt der Zeichnung liegen“. Im Klartext: Unter Umständen bekommt man weniger Geld heraus, als man einbezahlt hat.
Listing an der Börse
„Jede Geldanlage, die man macht, birgt ein Risiko“, sagt Javor. „Wer investieren will, muss an die Entwicklung des Stahlpreises glauben und an uns als Emittenten.“
Inzwischen ist auch ein Investment im klassischen Börsenumfeld möglich. Seit Ende November ist Steelcoin in Form sogenannter Exchange-traded Notes, also börsengehandelter Schuldverschreibungen, im Freiverkehr der Börse Stuttgart gelistet. Und somit auch über Banken und Onlinebroker beziehbar. Die 3,6 Millionen ausgegebenen Notes gewähren kein Recht auf Zins- oder Dividendenzahlungen, sondern können zweimal jährlich in bestimmten Einlösungszeiträumen – jeweils die ersten zehn Geschäftstage im Juni und Dezember – an die Emittentin zurückgegeben werden. Auch hier ist der Einlösungsbetrag wiederum vom Fertigstahlwert beeinflusst.
Ob der Steelcoin zum neuen Gold-, pardon, Stahlstandard wird, muss sich freilich erst weisen.