Steigt die Inflation, weil Huthis Handelsschiffe angreifen?
Von Marina Delcheva
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Peter Fahrner verbringt gerade den Großteil seiner Arbeitstage mit Warten – auf Fracht, die nicht kommt, weil die Huthi-Rebellen im Roten Meer Handelsschiffe angreifen. Normalerweise schwirren seine Lkw um diese Zeit des Jahres aus, um Baumärkte, Gartencenter oder Bekleidungsgeschäfte mit neuer Frühlingsware zu beliefern. Gartenliegen und Terrassenmöbel, Sommerkleider, Solarpaneele und Autoersatzteile – all diese Dinge kommen zu einem Großteil aus China über die Suezkanal-Route und weiter über die Mittelmeerhäfen nach Österreich. Derzeit kommt aber so gut wie nichts hier am Cargo Center bei Graz an. Es ist eines der vier größten Container-Terminals in Österreich und der wichtigste Warenumschlagplatz für Südösterreich.
„Nicht einmal die Kräne, die die Container verladen, haben derzeit etwas zu tun“, klagt Fahrner. Seit Weihnachten würden hier bei Graz um 70 Prozent weniger Container ankommen. Er ist Geschäftsführer des Logistik-Unternehmens „Fahrner Overland“ mit 20 Mitarbeitern. 400 bis 500 Lkw-Fuhren pro Woche sind es üblicherweise um diese Jahreszeit. „Jetzt sind es gerade einmal 100 bis 150“, sagt er. Die Verwerfungen entlang der Lieferwege erinnern an die Corona-Lockdowns, als die gesamte Weltwirtschaft einige Wochen lang stillstand. Die Risse in den Lieferketten hatten Engpässe in fast allen Warengruppen, Preissteigerungen und hohe Inflation zur Folge. Und jetzt? Alles halb so schlimm und zumindest besser als zu Corona-Zeiten, sagen Ökonomen. Aber eben auch nur halb so gut in einer wirtschaftlich ohnehin angespannten Zeit.
Der Krieg in Gaza infolge der Hamas-Angriffe gegen Israel am 7. Oktober ist zum Problem für die Weltwirtschaft geworden. Mitte Dezember haben die vier weltgrößten Frachtunternehmen – MSC, Maersk, CMA CGM und Hapag-Lloyd – angekündigt, ihre Frachtfahrten durch das Rote Meer einzustellen. Das Risiko, dass die Containerschiffe von Huthi-Rebellen angegriffen werden und die Besatzungsmitglieder als Geiseln genommen oder gar getötet werden, ist derzeit groß. Zum Hintergrund: Die vom Iran unterstützten Huthis greifen aus dem Jemen gezielt internationale Handelsschiffe an, um den Druck für ein baldiges Ende des Gaza-Krieges auf die internationale Staatengemeinschaft zu erhöhen.
Ein Drittel des Schiffshandels betroffen
Fast ein Drittel des weltweiten Schiffsfrachtverkehrs passiert regelmäßig die nur 27 Kilometer breite Meerenge von Bab al-Mandab zwischen dem Jemen und Djibouti und Eritrea. Das sind zwölf Prozent des weltweiten Warenhandels. Weil diese Route nicht mehr sicher ist, umfahren die Handelsschiffe, die die Häfen von Schanghai oder Taiwan verlassen, jetzt den afrikanischen Kontinent am Kap der Guten Hoffnung und weiter entlang der Westküste Afrikas. Die Folge sind Lieferverzögerungen, höhere Kosten und ein bisschen Chaos in Europas Häfen, die bis nach Graz zu spüren sind.
„Wir kennen diese Geschichte schon aus Covid-Zeiten“, sagt Harald Oberhofer. Er ist WU-Professor und forscht am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) zum Thema internationaler Handel. Wenn auch die Situation diesmal nicht ganz so angespannt ist, weil ja die Schiffe trotz allem die Containerhäfen Chinas verlassen und die übrigen Seerouten offen sind – für viele europäische und österreichische Abnehmer dieser Waren haben sich die Lieferwege wegen der Umfahrungen aber deutlich verlängert und verteuert.
Jetzt braucht ein Containerschiff aus Schanghai zwischen zehn und 30 Tage länger, bis es am Hafen von Triest oder Koper entladen kann. Die Versicherungsprämien für die wenigen Schiffe, die trotz der militärischen Unruhen durch das Rote Meer den Suezkanal ansteuern, sind um rund ein Drittel gestiegen. Jene, die die Umfahrung nehmen, müssen mehr Geld für Treibstoff und den längeren Seeweg einpreisen. Laut dem britischen Lieferkettenberater Drewry Shipping Consultants sind die Preise pro Schiffscontainer von 1150 US-Dollar Ende November des Vorjahres auf 4000 bis 5000 US-Dollar Anfang Jänner gestiegen. Und sie werden auch nicht sinken, bis die Handelsroute über den Suezkanal wieder sicher ist.
„Wir kennen diese Geschichte schon aus Covid-Zeiten.“
„Die Lieferverzögerungen an sich sind nicht so schlimm, weil die Ware ja trotzdem in absehbarer Zeit ankommt“, meint Ökonom Oberhofer. „Aber solche Verwerfungen auf den Weltmärkten sind nie gut, und sie bringen eine Reihe komplexer Folgen mit sich, vor allem wenn es sich bei den Waren um Vorleistungen für die Endfertigung in Europa handelt.“ Eine Konsequenz daraus ist auch, dass Fahrners Lkw-Fahrer derzeit nichts zu tun haben und er kaum Lieferaufträge hat. „Es kommt gerade kein Geld herein, aber ich kann die Menschen ja nicht kündigen.“ Irgendwann kommen Gartenliegen und Co nämlich wieder an, und dann ist binnen kurzer Zeit wieder viel Ware da. Tatsächlich haben viele Unternehmen aus der
Corona-Zeit gelernt, ihre Lager ausgebaut oder neue Lieferpartner gewonnen. Dass in vielen Bereichen aber nach wie vor sehr viel Ware und Vorprodukte aus China und über den Suezkanal zu uns kommen, daran hat sich trotz der vielen Ansagen und Bemühungen um Diversifizierung der Lieferketten nichts geändert.
Längere Lieferwege, höhere Preise
Und dann ist da noch die Preisfrage. Wenn die Versicherungsprämien für die Containerware steigen, die Kosten für Treibstoff höher werden und die Lieferwege länger, dann schlägt sich das natürlich auch irgendwann in den Konsumentenpreisen nieder. „Die Reedereien geben die Preisanstiege natürlich weiter“, erklärt Oberhofer. Allerdings machen die Transportkosten mittlerweile einen geringen Anteil an dem Preisen in den Geschäftsregalen aus.
Droht wegen der Verwerfungen in der Lieferkette wieder eine höhere Inflation? „Nein, oder zumindest nicht in dem Ausmaß wie nach Corona“, meint Sebastian Koch, Ökonom am Institut für Höhere Studien (IHS). Und das hat auch mit der allgemein düsteren Wirtschaftslage und der niedrigen Nachfrage zu tun. „Hier rettet uns die schlechte Konjunktur dieses Mal fast ein bisschen“, meint auch Ökonom Oberhofer. Anders als unmittelbar nach den Lockdowns können beziehungsweise wollen die Menschen derzeit weniger Geld für Kühlschränke, neue Sommerkleidung oder eben Gartenliegen ausgeben.
„Ich hoffe wirklich, dass die Lage dort nicht noch weiter eskaliert. Das stellt ganz klar ein Risiko für die Inflationsprognose dar. Nicht, dass wir in ein paar Monaten dann nach oben revidieren müssen.“
„Ich denke, dass sich die Effekte auf die Inflation im Zehntelprozentpunkt-Bereich abspielen“, sagt Inflationsexperte Koch. „Ich hoffe wirklich, dass die Lage dort nicht noch weiter eskaliert. Das stellt ganz klar ein Risiko für die Inflationsprognose dar. Nicht, dass wir in ein paar Monaten dann nach oben revidieren müssen.“ In der heimischen Inflationsstatistik können sich die Unruhen im Roten Meer und die Umfahrungen der Reedereien laut Koch in zwei Bereichen niederschlagen. Erstens an den Zapfsäulen. Die Ölmärkte reagieren immer nervös auf militärische Konflikte, und der Ölpreis steigt. Das spürt man dann an der Tankstelle.
Zweitens bei den Güterpreisen. Als 2020 zahlreiche chinesische Industriebetriebe in den Lockdown gingen, die Produktion zeitweise einstellten und die Frachtschiffe in Schanghai vor Anker gingen, schnellten die Preise für einzelne Güter in die Höhe, und sogar die gesamte deutsche Autoindustrie hatte große Mühe, Ersatzteile und Mikrochips auf den Weltmärkten zu beschaffen. Diesmal wurde aber eben nicht die Fertigung von Waren eingestellt, sondern „nur“ deren Lieferweg länger.
Für ein paar Industriebetriebe in Europa werden die längeren Transportwege aber jetzt schon zum Problem. Tesla musste beispielsweise in seiner Giga-Factory in der Nähe von Berlin wegen Lieferschwierigkeiten Teile seiner Produktion vorübergehend einstellen. Auch wenn die Lage diesmal nicht ganz so prekär ist, hat nun auch die EU nach den USA und Großbritannien militärische Maßnahmen gegen die Huthi-Angriffe angekündigt. Bald werden EU-Kriegsschiffe und luftgestützte Frühwarnsysteme zum Schutz der Handelsschiffe ins Rote Meer entsandt.
Zurück zum Cargo Center nach Graz und Frächter Fahrner. „Dieses Terminal ist besonders abhängig von den südlichen Häfen am Mittelmeer. Jeden Eingriff in die Lieferkette, egal wie klein er auch ist, bekommen wir hier direkt zu spüren“, erklärt Fahrner, der auch Obmann der Fachgruppe Gütertransport in der Wirtschaftskammer Steiermark ist. „Wir können nur hoffen, dass das alles jetzt schnell vorbeigeht und die Schiffe wieder fahren.“
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".