Strompreis verdoppelt, Gewinn verdreifacht

Die Energiemärkte spielen verrückt. Mittlerweile versuchen Politik und Energieunternehmen gemeinsam, die verärgerten Stromkunden zu besänftigen. Denn auf der Stromrechnung steht das dicke Ende noch bevor.

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Bad Aussee im steirischen Salzkammergut ist nicht nur der geografische Mittelpunkt Österreichs und die selbst ernannte "Trachtenhauptstadt". Der 4800-Seelen-Ort hat auch sein eigenes Elektrizitätswerk. Vor 130 Jahren begann das Familienunternehmen, ausgehend vom kleinen Wasserkraftwerk, die örtlichen Straßenlaternen und Kaffeehäuser zu erhellen. Heute versorgen Schwarz, Wagendorffer& Co. in vierter Generation 2250 Kunden im Ort. Doch 250 von ihnen wurden jüngst untreu und wechselten den Anbieter. Grund war der größte Preisanstieg in der Unternehmensgeschichte: plus 243 Prozent laut E-Control. "Übers Jahr gerechnet verlangen wir um 80 Prozent mehr",rechnet Geschäftsführer Bernhard Laimer zerknirscht vor. "Wir konnten nicht anders, denn wir produzieren nur 20 Prozent aus eigener Wasserkraft, 80 Prozent kaufen wir zu. Und dieser Strom wurde so teuer, dass wir selbst nach den Preiserhöhungen gerade einmal die Ausgaben decken können." Laimer stellt deswegen klar: "Bei mir gibt es nix abzuschöpfen."

Am anderen Ende der Skala könnte man kräftig abschöpfen: beim teilprivatisierten Verbund. 500.000 Kunden, 97 Prozent des Stroms aus eigener Wasserkraft. Der Gewinn im ersten Quartal verdreifacht. Erwarteter Jahresprofit: bis zu zwei Milliarden Euro. Auch hier: Preiserhöhungen um durchschnittlich 77 Prozent. Zwischen allen Stühlen sitzen die Stromkonsumenten, die unter der exorbitanten Teuerung ächzen. Warum steigen die Strompreise in einem Wasserkraftland wie Österreich derart an? Was tut die Politik, um den Preishammer abzudämpfen? Und wie stark soll sie am Ende in den Markt eingreifen?

Der hohe Gaspreis, zuerst befeuert durch die anziehende Wirtschaft nach den Corona-Lockdowns, erhielt durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine einen massiven Turbo. Und ein hoher Gaspreis führt zu hohen Strompreisen, lassen uns die Experten wissen. Moment! Da stammt der Großteil unseres Stroms aus erneuerbarer Energie, genauer gesagt, aus Wasserkraft-und dennoch schnalzen die Preise der heimischen Energieversorger in die Höhe?

Ohne Kenntnis des sogenannten Merit-Order-Prinzips bleibt nur ungläubiges Kopfschütteln über die paradoxe Situation. Merit-Order ist ein Modell zur Preisfindung auf den europäischen Strombörsen und bezeichnet die Einsatzreihenfolge von Kraftwerken. Beginnend mit jenen mit den niedrigsten Grenzkosten werden so lange Kraftwerke mit höheren Grenzkosten zugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist. Das letzte Gebot, welches an der Strombörse den Zuschlag erhält, bestimmt den Strompreis-und in Spitzenlastzeiten wird dieses meist von Gaskraftwerken gestellt. Dieser sogenannte "Market Clearing Price" gilt dann auch für die Anbieter, die bereit waren, billiger zu verkaufen. Jene Produzenten hingegen, die preismäßig über dem Market Clearing Price angeboten haben, werden aussortiert und dürfen nicht liefern. "Merit Order hat sich über Jahre bewährt, weil die effizienteren Kraftwerke zum Zug kommen. Mit dem Krieg in der Ukraine befinden wir uns nun in einer Ausnahmesituation. Das bedeutet aber nicht, dass das Modell nicht funktioniert", sagt Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand des Strom-und Gasregulators E-Control.

Je günstiger ein Stromerzeuger selbst produzieren kann, desto höher seine Gewinne. Und diese wecken nun Begehrlichkeiten. Die Ankündigung von ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer, die überschießenden Profite der Krisengewinner abzuschöpfen, schickte Schockwellen durch die Energiewirtschaft. Die Aktienkurse des Verbunds, aber auch des niederösterreichischen Energieversorgers EVN stürzten ab und verloren binnen eines Tages gemeinsam 5,4 Milliarden Euro an Börsenwert-und konnten sich seither nicht mehr erholen.

Und dennoch werden nun die ersten gemeinsamen Ansätze zwischen Politik und E-Wirtschaft sichtbar. Denn zwischen Vorstandsetagen und Ministerkabinetten ist klar: Wenn Italien eine Sondersteuer auf "Mehrgewinne" einführt, Frankreich, Spanien und Portugal die Energiepreise deckeln, sind auch Österreich und seine Energieversorger unter Zugzwang.

Ein Abgehen vom Merit-Order-Prinzip ist einer der aktuell viel diskutierten Ansätze, um die Bürger zu besänftigen. Finanzminister Magnus Brunner wünscht sich eine Debatte darüber auf EU-Ebene. Experten raten aber mangels überzeugender Alternativen ab. Schließlich garantiere dieser Marktmechanismus nicht nur, dass immer die effizientesten zur Verfügung stehenden Kraftwerke produzieren, sondern er setze auch Anreize, um in billigere und klimafreundlichere Anlagen zu investieren.

Urbantschitsch spricht eine weitere Besonderheit des Strommarktes an, die in normalen Zeiten Preise senkt, jetzt aber erhöht: "Aus Kundensicht wäre es derzeit besser, wenn die Energieunternehmen Strom aus der günstigen Erzeugung des eigenen Konzerns beziehen könnten, anstatt vom Markt zukaufen zu müssen",sagt Urbantschitsch. Auch dieses Paradoxon bedarf einer Erläuterung: Die großen Unternehmen haben Erzeugung und Verkauf in jeweils eigene Gesellschaften aufgesplittet. Die Tochterunternehmen, die Strom erzeugen, verkaufen ihre Mengen üblicherweise ein bis zwei Jahre im Vorhinein. Jene Gesellschaften, welche die Endkunden versorgen, kaufen den dafür benötigten Strom am Markt. "In normalen Zeiten ist das ein gutes Geschäftsmodell, weil sich so vielfach günstiger Mengen beschaffen lassen." Jetzt kehrt es sich ins Gegenteil.

Auf der Website der E-Control lässt sich ablesen, dass die heimischen Energieversorger ihre Kundschaft in sehr unterschiedlichem Ausmaß zur Kasse bitten: Die Spanne für die jüngsten Erhöhungen der Strompreise liegt zwischen zehn und 240 Prozent. profil-Leser Wolfgang G. kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Er wurde kürzlich über anstehende Strompreiserhöhungen an seinen zwei Wohnsitzen in Kirchberg in Tirol sowie im niederösterreichischen Klosterneuburg informiert. Während die Tiwag von 8,50 auf 9,72 Cent je Kilowattstunde-also um rund 14 Prozent-erhöht, steigt der Preis beim Verbund von 7,79 auf 17,58 Cent je Kilowattstunde, also um mehr als 125 Prozent.

Verbund-Chef Michael Strugl, der für das laufende Jahr mit einem Rekordgewinn rechnen kann, begründete die saftigen Preiserhöhungen zuletzt mit rechtlichen Vorgaben. Würde man billiger anbieten, käme man mit dem Wettbewerbsrecht in Konflikt. Zudem verpflichte auch das Aktiengesetz den Vorstand dazu, sich betriebswirtschaftlich zu verhalten und nicht etwa auf Gewinne zu verzichten. Folgt man jedoch dieser Argumentation, könnte wohl keine Aktiengesellschaft je Rabatte für Neukunden anbieten oder seinen Bestandskunden Treueboni offerieren. "Man ist als Stromerzeuger nicht in der Untreue, wenn man in die Preisgestaltung nicht nur die Großhandelspreise, sondern auch andere Erwägungen, wie etwa Marketingmaßnahmen, einbezieht",meint auch E-Control-Vorstand Urbantschitsch.
 

Oder anders gefragt: Wieso kann die Tiwag mit im österreichweiten Vergleich recht moderaten Preiserhöhungen ihr Auslangen finden? "Dazu geben wir keine Stellungnahme ab",so ein Sprecher gegenüber profil. Liegt es daran, dass der Energieversorger als Landesunternehmen den Wünschen der Politik folgt, die Tirolerinnen und Tiroler finanziell nicht zu stark zu belasten? Diese Frage könne man schon gar nicht beantworten, so der Tiwag-Sprecher.

Das Thema treibt die Österreicherinnen und Österreicher jedenfalls um: "Bis Ende April hatten wir bei unserer Energie-Hotline über 7000 Anfragen. Das sind so viele wie im gesamten Jahr davor",berichtet Urbantschitsch. Die dringendsten Anliegen der Anrufer? Neben den Preiserhöhungen die Frage, ob man bei einem Anbieterwechsel Geld sparen kann. Doch da haben die Berater schlechte Nachrichten: Bei einer Änderung des Lieferanten kommen auf die Konsumenten derzeit fast überall in Österreich massive Mehrkosten zu (siehe Grafik).Deshalb ist die Zahl der Wechselwilligen auch deutlich zurückgegangen. Eine warme Mahlzeit kochen, den Arzttermin im Netz buchen, das Handy laden, Homeschooling, Homeoffice-Strom ist Leben. "Die Rückstände werden immer größer. Zu uns kommen Menschen, die mit Nachzahlungen von 100 bis 5000 Euro konfrontiert sind",sagt Maria-Elisabeth Bruckl. Die Koordinatorin des Verbund-Stromhilfefonds der Caritas, weiß, wie existenzbedrohend eine schon geringfügig erhöhte Teilzahlung sein kann. "Sollte der Kühlschrank eingehen, könnten sich viele unserer Klienten die Reparatur nicht leisten."Den typischen Betroffenen gebe es nicht mehr. "Von der alleinstehenden Pensionistin ohne Handy und Computer, deren Stromrechnung sich plötzlich verfünffacht, über die Familie mit hohen Medikamentenkosten, weil der Mann in der Pandemie erkrankte, bis hin zur Familie mit Haus auf Kredit, deren Geschäft in der Pandemie schließen musste-das geht immer mehr in den Mittelstand hinein."

Um Geld aus dem Energiefonds zu erhalten, müssen sich die Betroffenen beim Energiesparen helfen lassen: Experten klären bei Hausbesuchen ab, ob der Fernseher auf Stand-by zu viel Strom frisst, der Thermostat falsch eingestellt ist oder die alte Therme mit staatlicher Unterstützung getauscht werden kann. Darauf lassen sich bisher pro Jahr nur ein paar Hundert Menschen ein. Denn der Weg zur Caritas-Sozialstelle ist auch mit Scham behaftet. Insgesamt sind in Österreich 1,2 Millionen Menschen armutsgefährdet und somit anfällig für Energiearmut.

Der Staat unterstützt mit einem Energiegutschein von über 150 Euro und hat für 2022 den Ökostromförderbeitrag gestrichen. Neben dem Bund stockten nun auch die Länder ihre Hilfen für die Ärmsten deutlich auf. So zahlt die Stadt Wien einerseits eine Energiekostenpauschale von 200 Euro an 260.000 Arbeitslose, Mindestsicherungsbezieher oder Mindestpensionisten direkt aus. Zusätzlich werden Jahresabrechnungen und Rückstände von Stadtbewohnern mit niedrigen Einkommen übernommen, wenn finanziell nichts mehr geht. Für beide Maßnahmen stehen 76 Millionen Euro zur Verfügung.
 

Und auch die Energieunternehmen beginnen verstärkt direkt zu helfen. Den Caritas-Energiefonds hat der Verbund auf 500.000 Euro aufgestockt. Weitere Hilfspakete für Härtefälle, die mit den Wettbewerbsregeln in Einklang sind, werden gerade geschnürt.

Sie werden dringend benötigt. Denn bei vielen Stromkunden ist der Preishammer noch nicht niedergegangen, weil sie von der Preisgarantie ihrer aktuellen Tarife profitieren. Bei anderen wiederum werden die monatlichen Teilzahlungen nicht automatisch an den gestiegenen Strompreis angepasst. Dann droht das dicke Ende mit der Jahresabrechnung.

Bis dahin will auch Finanzminister Magnus Brunner den Abschöpfungsauftrag seines Regierungschefs erfüllt haben. "Von steuerlichen Ideen über höhere Dividenden bis hin zu mehr Freiwilligkeit der Energieunternehmen", präzisierte Brunner bei einem Treffen mit seinem Schweizer Amtskollegen Ueli Maurer die möglichen Maßnahmen. An den Dividenden des Verbundes und anderer Landes-Energieversorger schneiden Bund und Länder als Großaktionäre schon kräftig mit. Von Sonderdividenden würden allerdings auch die privaten Aktionäre profitieren. Die Gewinne direkt in die öffentlichen Kassen umzuleiten, wäre wiederum ein heftiger Markteingriff.

Der Schweizer Maurer sieht in seinem Land von beiden Methoden ab. "Wir müssen Firmen animieren, mehr zu investieren für den Umstieg auf erneuerbare Energien",sagt er. "Wenn ich Gewinne abschöpfe, demotiviere ich sie. Das ist kein gutes Signal an die Industrie." Die sauberste Lösung für die Energiekrise und gegen Preisexzesse sind hundert Prozent Strom aus erneuerbarer Energie, ein Ziel, das sich die türkis-grüne Regierung ohnehin gesetzt hatte. An der Umsetzung hakt es jedoch enorm. Während das Potenzial der Wasserkraft hierzulande weitgehend ausgeschöpft ist, haben Wind-und Sonnenstrom gewaltigen Aufholbedarf (siehe Grafik auf Seite 30). Doch oft fehlt es am politischen Willen: "Wir appellieren an die Landeshauptleute und Bürgermeister: Gebt uns Flächen!",tönt es vonseiten der Energieversorger. Bisher verhallte der Ruf weitgehend. Vielleicht geht einigen Lokalpolitikern ein Licht auf, wenn sie selbst ihre neue Stromrechnung bekommen.

 

Und wie läuft eigentlich der Umstieg auf klimafreundliche Heizungen? Das lesen Sie nächste Woche.

 

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.