Superlang: Der Buwog-Prozess ist geschlagen
Dieser Artikel erschien im profil Nr. 51 / 2020 vom 13.12.2020.
Für junge Erwachsene in den frühen Zwanzigern ist die Ära Schwarz-Blau I nicht einmal eine vage Erinnerung. Dafür liegt die Amtszeit von ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zu lange zurück. Im Februar 2000 hatte Schüssel mit der FPÖ eine Koalition gebildet, die einen gewissen Karl-Heinz Grasser, damals 31, als Finanzminister hervorbrachte. Es war die große Zeit von Jörg Haiders "Buberlpartie", in den darauffolgenden sieben Jahren gab es für die Clique einiges zu tun (von einer Parteispaltung einmal abgesehen). Der Staat privatisierte (unter anderem Telekom Austria, Dorotheum, Austria Tabak und Buwog), der Staat beschaffte (unter anderem Kampfjets und ein digitales Behördenfunksystem). Und immer wieder der Verdacht, dass es bei den Geschäften der Republik Österreich nicht nur mit rechten Dingen zugegangen war.
Vergangenen Freitag wurde über das System Schwarz-Blau I Recht gesprochen; fast auf den Tag genau drei Jahre nach Beginn des Buwog-Prozesses gegen mehr als ein Dutzend Angeklagte.
Um 10.33 Uhr hob Richterin Marion Hohenecker im Großen Schwurgerichtssaal des Landesgerichts für Strafsachen Wien zur Urteilsverkündung an, wenig später war Karl-Heinz Grasser ein in erster Instanz verurteilter Straftäter.
Der heute 51-Jährige fasste wegen Untreue, Geschenkannahme und Beweismittelfälschung acht Jahre Freiheitsstrafe aus, dazu muss er der Republik Schadenersatz in noch zu bestimmender Höhe leisten. Der Schöffensenat unter Hoheneckers Vorsitz sah es als erwiesen an, dass Grasser als Finanzminister bei zwei Geschäften des Bundes die Hand aufgehalten hatte: bei der Privatisierung der Bundeswohnbaugesellschaften (Buwog, 2004); bei der Einmietung der oberösterreichischen Finanzbehörden in den Linzer Terminal Tower (2006). Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hatte ermittelt, dass dabei insgesamt 9,8 Millionen Euro an Provisionen flossen, Grasser erhielt davon laut Anklage rund 2,5 Millionen Euro auf ein Liechtensteiner Konto.
Als einstmaliger Amtsträger hätte KHG auf Grundlage einer Sonderbestimmung des Strafgesetzbuches auch bis zu 15 Jahre ausfassen können. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Grassers Anwälte Norbert Wess und Manfred Ainedter haben noch am Verhandlungstag Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde angekündigt, die Causa landet damit auf jeden Fall vor dem Obersten Gerichtshof. Die Liste der aus Sicht der Verteidiger aufgelaufenen Nichtigkeiten ist lang. Die Befangenheit der Richterin (ihr Ehemann, selbst ein Richter, hatte vor Prozessbeginn gegen Grasser via Twitter ausgeteilt und wurde dafür später disziplinär belangt); die Videomitschnitte in Verhandlungspausen (die Kameras und Mikros zeichneten unter anderem vertrauliche Anwaltsgespräche auf), die überlange Verfahrensdauer (elf Jahre ab den ersten Ermittlungen), die mediale Vorverurteilung (für welche die Justiz allerdings nur bedingt in die Pflicht genommen werden kann). Ganz grundsätzlich wird Grasser aber auch die Beweiswürdigung des Erstgerichts angreifen: Aus seiner Sicht hätten "150 Zeugen" entlastend ausgesagt. Es habe "in mehr als elf Jahren keinen einzigen Beweis" gegen ihn gegeben.
Bis zu einem rechtskräftigen Urteil und einem allfälligen Haftantritt Grassers werden noch Jahre vergehen, dazu später.
Grasser selbst sprach am Freitag von einem "politischen Schuldspruch": Er habe erwartet, freigesprochen zu werden, nun sei er "traurig, schockiert und erschrocken". Der Spruch der Richterin sei "falsch, nicht korrekt und ein glattes Fehlurteil". Der Ex-Finanzminister setzte hinzu: "Ich weiß, dass ich unschuldig bin." Jedenfalls gilt für Grasser - wie für jeden nicht rechtskräftig Verurteilten - weiterhin die Unschuldsvermutung.
Grassers Trauzeuge Walter Meischberger fasste nicht rechtskräftig sieben Jahre Haft aus (und wurde umgekehrt in zwei weiteren mitverhandelten Causen freigesprochen). Der bereits in anderem Zusammenhang verurteilte Ex-Immofinanz-Manager Karl Petrikovics bekam eine nicht rechtskräftige Zusatzfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Dem Lobbyisten Peter Hochegger, auch er bereits verurteilt, wurden noch einmal nicht rechtskräftig sechs Jahre aufgebrummt, wenn auch nicht nur in Zusammenhang mit dem Buwog-Verfahren (sein frühes "Teilgeständnis" half da offenbar nicht). Drei weitere Angeklagte kamen mit teilbedingten Haftstrafen davon: der frühere stellvertretende Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich Georg Starzer (drei Jahre), ein Anwalt (zwei Jahre) und ein Schweizer Vermögensberater (20 Monate), auch diese Verurteilungen sind nicht rechtskräftig. Die übrigen Angeklagten wurden freigesprochen.
Ganz en passant und im Schatten der Buwog wurde an diesem Freitag noch ein zweiter bedeutender Korruptionsfall der Ära Schwarz-Blau I abgehandelt. Der bereits anderweitig verurteilte frühere Telekom Austria-Direktor Rudolf Fischer wurde wegen Untreue gegenüber seinem Ex-Arbeitgeber zu einer teilbedingten Zusatzhaftstrafe von einem Jahr verurteilt. Auch Peter Hochegger wurde hier für schuldig befunden. Seinen Firmen waren von der Telekom Austria zwischen 2004 und 2008 rund fünf Millionen Euro ohne erkennbare Gegenleistung überlassen worden. Auch dieser Teil des Urteils ist nicht rechtskräftig.
Buwog - das Akronym steht zunächst einmal für einen Sündenfall der an Sündenfällen nicht armen schwarz-blau-orangen Bundesregierungen unter Wolfgang Schüssel. Siehe die Eurofighter-Beschaffung. Siehe die Affäre um den Behördenfunk Tetron. Siehe den Parteispendenskandal rund um die Telekom Austria. Siehe eine Reihe nebuloser Privatisierungen. Siehe also Buwog. Mit Karl-Heinz Grasser wurde erstmals eines der damaligen Regierungsmitglieder wegen krummer Amtsgeschäfte verurteilt.
Das Akronym Buwog steht aber auch für ein Verfahren, das sich zog wie ein Strudelteig, nichts worauf Österreichs Rechtsstaat stolz sein kann. Gewiss-das Verfahren war komplex, berührte auch die Schweiz und Liechtenstein und da gleich mehrere Banken und Treuhänder, was dem raschen Abarbeiten von Rechtshilfeansuchen nicht förderlich war. Und dass es gerade Grassers Anwälte (zumindest in einer frühen Phase) nicht allzu eilig hatten und viele Eingaben erzeugten, war dem Verfahrensfortgang auch nicht zuträglich.
Aber elf Jahre für ein nicht rechtskräftiges Urteil?
Im September 2009 hatte die Staatsanwaltschaft Wien ein Ermittlungsverfahren wegen vermuteter Unregelmäßigkeiten rund um die Buwog-Privatisierung angestoßen, das über zwei Jahre vor sich hinplätscherte, ehe die damals noch junge Korruptionsstaatsanwaltschaft den Fall übernahm. Diese benötigte noch einmal fünf Jahre, ehe sie die Anklageschrift im Juli 2016 fertigstellte. Mehr als ein weiteres Jahr später, am 12. Dezember 2017, startete schließlich der Buwog-Prozess, der später um zwei Verfahren mit zusätzlichen Angeklagten erweitert wurde (Telekom und Meischbergers Villa).
Elf Jahre - das ist selbst für österreichische Verhältnisse arg lang. Zwei zentrale Akteure verstarben in dieser Zeit: der frühere Porr-Chef Horst Pöchhacker 2014 und der ehemalige Generaldirektor der RLB Oberösterreich Ludwig Scharinger 2019. Der ursprünglich mitangeklagte Immobilienunternehmer Ernst Karl Plech erkrankte, ihm blieb ein Urteil erspart (zumindest bisher).
Die überlange Verfahrensdauer ließe sich auch so vermessen: Seit 2009 sind in profil mehr als 200 Artikel mit Bezug zur Buwog-Affäre erschienen, darunter mehrere Titelgeschichten. "Der Fall Grasser wird zur Belastungsprobe für den Rechtsstaat", schrieben wir im Jänner 2014 (Nr. 04/14) und stellten die naive Frage: "Nimmt diese Causa nie ein Ende?"
Richtig ins Rollen hatte den Fall übrigens ein Interview gebracht, das profil im Oktober 2009 veröffentlichte-Grassers ehemaliger Kabinettsmitarbeiter Michael Ramprecht bezeichnete die Buwog-Privatisierung damals als "abgekartetes Spiel" (Nr. 41/09).Das hatte auch für dieses Magazin rechtliche Implikationen. Grasser klagte Ramprecht und profil. Er gewann 2010 zwar in erster Instanz, doch die zweite Instanz kippte das Urteil wegen grober Verfahrensmängel und verwies die Causa an die erste zurück. Das Verfahren wurde schließlich bis zu einer Entscheidung im Strafprozess ruhend gestellt. So gesehen ist das Verfahren Grasser vs. profil auch im Jahre 2020 nicht erledigt.
Aber warum dauerte all das nun so lange - und wie lange dauert das noch?
Zeit ist für Österreichs Justiz bekanntlich eine unerschöpfliche Ressource. Als Grasser im Herbst 2009 ins Visier der Justiz geriet, lag die Buwog-Privatisierung auch schon fünf Jahre zurück. Dass er überhaupt ins Visier geriet, war einem Zufall geschuldet - bei Hausdurchsuchungen in einem ganz anderen Zusammenhang waren obskure Rechnungen eines zypriotischen Briefkastens sichergestellt worden, die zu Peter Hochegger und der Buwog führten.
Wie der konkrete Fall zeigt, müssen Korruptionsermittler sehr harte Bretter bohren, wenn sie mit Treuhändern, Bankern und Anwälten in Offshore-Destinationen konfrontiert sind, die das Prinzip der professionellen Diskretion - wenn nicht gar der Verschleierung - auf die Spitze treiben.
Auch in diesem Fall waren die Staatsanwälte gezwungen, sich mittels langwieriger Rechtshilfeersuchen voranzutasten. Das kann dauern. Ein Beispiel: Am 11. November 2010 richtete Österreich ein Rechtshilfeansuchen an die Staatsanwaltschaft Zürich bezüglich diverser Bankunterlagen. Übermittelt wurden diese erst am 23. Dezember 2013. Ein zweites: Im April 2011 waren bei einem Treuhänder in Liechtenstein auf österreichisches Ersuchen hin Unterlagen beschlagnahmt worden. Der Mann wehrte sich mit Händen, Füßen und Rechtsmitteln gegen eine Übermittlung nach Österreich. Erst im Jänner 2013 hielt die WKStA diese in Händen.
Wenn Berufs- und Bankgeheimnisse auf behördliche Anordnungen prallen, sind Reibungen garantiert. Das schafft Probleme, die ein gesamtes Verfahren aufhalten. Gutachten können nicht fertiggestellt, nächste Ermittlungsschritte nicht eingeleitet werden.
Die WKStA verbucht in ihrer Buwog-Leistungsbilanz 700 Einvernahmen von Zeugen, Beschuldigten und Auskunftspersonen, 660 Ermittlungsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen, Kontenöffnungen und Telefonüberwachungen und 40 Rechtshilfeersuchen an ausländische Staaten. Die Causa zeigt: Stößt man, wie im Fall Buwog, auf keine "Smoking gun" - keinen unumstößlichen, eindeutigen Beweis -, lassen sich schnelle Ermittlungserfolge in international weit verzweigten Korruptions- und Wirtschaftsfällen eigentlich nur auf zwei Wegen erzielen: a) durch einen Deal zwischen Justiz und Beschuldigten und b) mittels eines Kronzeugen, der auspackt, um die eigene Haut zu retten. Erstere Variante ist in Österreich grundsätzlich nicht vorgesehen, und Kronzeuge war in der Causa Buwog letztlich auch keiner zu finden. Das späte "Teilgeständnis" Hocheggers in der Hauptverhandlung wertete das Gericht lediglich als Taktik und nicht als Beitrag zur Wahrheitsfindung.
So musste die Staatsanwaltschaft aus zahlreichen Indizien - von Zahlungsströmen über Flugdaten bis hin zu mutmaßlichen Verschleierungshandlungen - ein Gesamtbild formen. Dieses dürfte bereits 2014 grundsätzlich fertig gewesen sein. Und eigentlich hätte die Anklage auch viel früher fertig sein sollen. Die WKStA schickte noch 2014 einen "Vorhabensbericht" an ihre Oberbehörden, die Vorstufe zur Anklage. Doch nach monatelanger Prüfung wanderte der Vorhabensbericht wegen einer schweren Verfahrenspanne wieder zurück. Das Straflandesgericht Wien hatte in Zusammenhang mit der Sichtung von beschlagnahmten Unterlagen eines beschuldigten Rechtsanwalts einen Fehler gemacht. Was nach einer Lappalie klingt, schlug voll auf das ohnedies bereits strapazierte Zeitkonto des Buwog-Verfahrens durch. 14 Monate dauerte es, bis die Angelegenheit aus der Welt geschafft war.
Nachdem die Anklageschrift Mitte 2016 endlich eingebracht war, entschlossen sich einige Angeklagte dazu, diese zu beeinspruchen, das stand diesen auch zu. Wieder verging Zeit. Tatsächlich kippte das Oberlandesgericht Wien zwei Anklagepunkte.
Doch auch nachdem der Prozess im Dezember 2017 endlich gestartet werden konnte, lag das Hauptaugenmerk nicht unbedingt darauf, ihn möglichst zügig zu beenden. Stattdessen wurden noch zwei weitere Anklagen miteinbezogen - eben jene zur Causa Telekom und ein weiterer Vorwurf gegen Meischberger rund um seine frühere Villa. Dies ist rechtlich so vorgesehen, wenn es in parallelen Gerichtsverfahren Vorwürfe gegen gleiche Personen gibt. Eine praktikable Lösung für ein derart zentrales Verfahren, das ohnedies bereits für seine Überlänge bekannt ist, sieht freilich anders aus.
Richterin Hohenecker kam übrigens am Ende ihrer dreistündigen Urteilsverkündung auf das Thema der Verfahrensdauer zu sprechen: Der Richtersenat habe geprüft, ob diese unverhältnismäßig gewesen sei - was man durch eine Strafmilderung ausgleichen hätte müssen. "Dieses Erfordernis ist nicht gegeben", meinte Hohenecker. Dennoch habe man "mildernd veranschlagt", dass das Verfahren lange gedauert habe. Für Hohenecker ist die Causa erledigt, wenn man davon absieht, dass sie das mündliche Urteil noch niederschreiben muss.
Für Österreichs Rechtssystem ist der Fall indes lange nicht durch. Der Weg zu einem rechtskräftigen Urteil ist noch weit, vor 2023 wird Karl-Heinz Grasser, wenn überhaupt, wohl kein Gefängnis von innen sehen. Die Verurteilten haben, wie auch die Staatsanwaltschaft, ab der Urteilsverkündung drei Tage Zeit, Rechtsmittel anzumelden. Die WKStA hielt dazu noch am Freitag in einer Aussendung fest, dass eine Entscheidung dazu erst nach Rücksprache mit der Oberstaatsanwaltschaft Wien (de facto wohl auch mit dem Justizministerium) getroffen werde.
Grassers Anwälte (und wohl auch die einiger anderer Angeklagter) werden diese Rechtsmittel ergreifen - womit aus dem langen Buwog-Verfahren ein episches wird. Irgendwann wird sich womöglich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte damit befassen müssen. Und es ist nicht auszuschließen, dass auch dieses Jahrzehnt endet, ehe sich die Richter in Straßburg dazu äußern. Das Buwog-Verfahren hätte dann zwei Dekaden überspannt.
Wirklich anfechten können erstinstanzlich Verurteilte jeweils nur das schriftliche Urteil. Und es wird wohl einige Monate dauern, bis Richterin Hohenecker das Geschehen aus 168 Verhandlungstagen, an welchen jeweils gut 100 Seiten Protokoll entstanden, mit den rechtlichen Evaluierungen des Senats vermengt (der Buwog-Gerichtsakt fasst rund 4500 Ordnungsnummern mit Zigtausenden Seiten). Die Anklageschrift hatte knapp mehr als 800 Seiten, das Urteil könnte noch umfangreicher ausfallen, vor Mitte 2021 ist eher nicht damit zu rechnen.
Nach neuester Judikatur haben die Angeklagten bei komplexen Verfahren nun nicht mehr nur vier Wochen Zeit für ihre Rechtsmittel - sie können den gleichen Zeitraum geltend machen, wie das Gericht für die Urteilsausfertigung benötigte. Schwupps, noch ein halbes Jahr drauf. So gerechnet würde die bereits angekündigte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung Grassers erst Ende kommenden Jahres beim Obersten Gerichtshof einlangen. Und es ist nicht gesagt, dass der OGH die Arbeit unverzüglich aufnehmen kann.
Denn parallel dazu wollen Grassers Verteidiger auch den Verfassungsgerichtshof im Wege eines "Parteienantrags auf Normenkontrolle" anrufen. Sie argumentieren, dass die Ausritte von Hoheneckers Ehemanns gegen KHG auf Twitter den "objektiven Anschein einer Befangenheit" der Richterin begründet hätten, wie das bei Juristen so heißt. Das wurde zu Prozessbeginn auch geltend gemacht, doch der Befangenheitsantrag der Anwälte wurde von der Richterin (gemeinsam mit den Schöffen) abgelehnt. In letzter Konsequenz hatte Hohenecker selbst über ihre "Anscheinsbefangenheit" entschieden. Das ist rechtlich gedeckt, aber möglicherweise verfassungsrechtlich anfechtbar.
So oder so bliebe das Verfahren beim OGH unterbrochen, bis der Verfassungsgerichtshof sich äußert. Apropos VfGH-hier scheint Kurzweil garantiert. Zwei Juristen mit Bezug zu Karl-Heinz Grasser sind heute Verfassungsrichter: Michael Rami, Grassers langjähriger Medienanwalt, der auch profil im Verfahren gegenüberstand, und Wolfgang Brandstetter, Justizminister a. D. Brandstetter war einst unter anderem Rechtsberater des nunmehr mitverurteilten Ex-Immofinanz-Chefs Karl Petrikovics. Im Oktober 2009 hatte Brandstetter mit Grasser und Meischberger an einer Sitzung teilgenommen, bei welcher - Zitat aus der Anklageschrift - "vor allem besprochen wurde, wie man die geleisteten Zahlungen im Rahmen des Verkaufs der Bundeswohnbaugesellschaften anders darstellen bzw. gar rechtfertigen könnte". Wer immer aufseiten des VfGH mit Grassers Antrag befasst sein wird - ein halbes Jahr könnte das durchaus dauern, womit wir bereits Mitte 2022 wären. Erst dann könnte der OGH die Generalprokuratur einbinden und um Würdigung der Nichtigkeitsrügen ersuchen. Die Stellungnahme der Generalprokuratur ("Croquis") ist für die Höchstrichter nicht bindend, in aller Regel folgen sie aber den Empfehlungen. Aber auch ein schönes Croquis braucht seine Zeit, bei einem komplexen Verfahren zumal, ein weiteres halbes Jahr ist keinesfalls übertrieben. Wenn man dann noch einrechnet, dass die Angeklagten sich auch zu diesem Croquis äußern dürfen, wird die entscheidende mündliche Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof kaum vor Anfang 2023 angesetzt sein.
Der OGH könnte Grassers Urteil dem Grunde nach bestätigen, er könnte die Strafe bei gegebenen Nichtigkeitsgründen reduzieren. Sollte die StA Rechtsmittel ergreifen, wäre auch eine Erhöhung der Strafe möglich. Sollte der OGH keine Nichtigkeitsgründe sehen, hat das Oberlandesgericht über die Strafberufung zu entscheiden. Die Höchstrichter könnten mit Hinweis auf Verfahrens -oder Urteilsmängel allerdings auch das Urteil kippen, was, siehe einst Bawag, die Neuaustragung des Buwog-Prozesses zur Folge hätte. "Buwog II" - das wäre unzweifelhaft die für jeden Beteiligten schlimmste aller Variationen.
Sollte der OGH die Schuldsprüche dem Grunde nach bestätigen, bliebe den Betroffenen noch der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der sich gerne einmal Jahre Zeit lässt. Haftaufschub bedingt das allerdings nicht mehr (nur in sehr seltenen Fällen spricht der EGMR sogenannte vorbeugende Maßnahmen aus, die den Haftantritt aufschieben). So gesehen wäre der früheste Haftantritt Karl-Heinz Grassers irgendwann im Jahr 2023.
Hieße auch: Er verkaufte die Buwog als junger Minister und musste dafür als älterer Herr hinter Gitter.
Auch für Grassers früheren Arbeitgeber, die Republik Österreich, hat sich der Fall noch nicht erledigt. Die Immobilienfirma CA Immo hat die Republik Österreich und das Land Kärnten heuer auf insgesamt rund 1,9 Milliarden Euro Schadenersatz geklagt. Die CA Immo war 2004 Mitbieter um die Buwog gewesen und soll der Immofinanz aufgrund von Grassers Indiskretion unterlegen sein (Grasser hat das immer bestritten, profil berichtete ausführlich). Laut einer Aussendung der CA Immo am vergangenen Freitag würden die nicht rechtskräftigen Urteile "bestätigen, dass im Zusammenhang mit dem im Jahr 2004 durchgeführten BUWOG-Privatisierungsverfahren rechtswidrige und parteiliche Handlungen gesetzt wurden".
Aus dem Buwog-Urteil lassen sich zwar nicht zwingend Schadenersatzansprüche ableiten, Schaden tut es allerdings auch nicht. Auch dieser Rechtsstreit wird uns noch eine Weile beschäftigen. Die Buwog, ein unmögliches Verfahren.