Teuerung: Gibt es einen Ausweg aus der hohen Inflation?
Es geht aufwärts – aber leider an der falschen Stelle. Vergangene Woche haben sowohl die beiden großen österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitute WIFO und IHS als auch die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) ihre Inflationsprognosen nach oben korrigiert. WIFO und IHS rechnen demnach auch heuer noch mit einem Anstieg der Verbraucherpreise um mehr als sieben Prozent. Im Vorjahr betrug die Teuerung über das Gesamtjahr gerechnet 8,6 Prozent. Im März 2023 dürfte die zum Vorjahresmonat gemessenen Inflationsrate zwar erstmals seit Herbst 2022 wieder unter die Zehn-Prozent-Marke gesunken sein – allerdings nicht allzu weit. Und auch für 2024 erwarten WIFO und IHS immer noch eine durchschnittliche Preissteigerung von mehr als drei Prozent – deutlich über dem Inflationsziel von zwei Prozent, bei dem Wirtschaftsforscher von Preisstabilität sprechen. Ein Ende der Hochinflationsphase ist also nicht in Sicht. Und je länger die Situation dauert, desto dringender stellt sich die Frage: Wie kommen wir da heraus?
Im Vorjahr hat sich William Emmons, ein Ökonom an der Federal Reserve Bank of St. Louis in den USA, mit dieser Thematik befasst und drei Szenarien skizziert: ein mit Blick auf die wirtschaftlichen Gesamtauswirkungen schmerzfreies, ein schmerzhaftes sowie eines, das eine Art Mittelweg darstellt und Ursache und Nebenwirkungen über einen längeren Zeitraum verteilt.
Szenario eins sieht folgendermaßen aus: Arbeitgeber und Arbeitnehmer einigen sich rasch darauf, Preis- und Lohnvorstellungen wieder bei rund zwei Prozent zu verankern. Was einfach klingt, wirkt in der Praxis ziemlich optimistisch. Schließlich geht es dabei um die Frage, welche Seite welchen Anteil der bereits eingetretenen Wohlstandsverluste zu tragen hat. So tun, als wäre nichts geschehen, wird kaum möglich sein.
Szenario zwei: Die Notenbanken packen den Holzhammer aus und schicken mit dramatischen Zinsanstiegen die Wirtschaft in die Rezession und so viele Menschen in die Arbeitslosigkeit, dass Preis- und Lohnerwartungen nicht mehr steigen. Dass das funktionier en kann, exerzierte in den 1980er-Jahren der damalige US-Notenbankchef Paul Volcker vor, der damit einer Inflationsphase, aus der lange Zeit kein Ausgang gefunden werden konnte, ein jähes Ende gesetzt hat. Fed-Ökonom Emmons vergleicht den Vorgang freilich mit einer „Wurzelbehandlung ohne Narkose“.
Greift das erste Szenario nicht und will man das zweite vermeiden, kommt es automatisch zur dritten und letzten verbleibenden Möglichkeit: einem langen Herumlavieren bei schwachem Wirtschaftswachstum, wobei dauerhafte Preisstabilität nur langsam erreicht wird. Bis es so weit ist, herrscht „Stagflation“ – stagnierende Wirtschaft bei immer noch höherer Inflation. Treten neuerliche Schocks wie zum Beispiel große Energiepreisanstiege auf, wird es ganz schwierig.
Um zu verstehen, wohin in Österreich die Reise geht, reicht es nicht, einfach nur die Teuerungsrate zu betrachten. Es geht um deren konkretes Zustandekommen. Diesbezüglich hat es seit dem Vorjahr bereits mehrere grundlegende Veränderungen gegeben.
Aktuell manifestiert sich bereits eine zweite Runde sogenannter Überwälzungseffekte, beschreibt WIFO-Inflationsexperte Josef Baumgartner im Gespräch mit profil: Auf den unmittelbaren Energiepreisschock nach der Corona-Pandemie und dem russischen Einmarsch in der Ukraine folgte bereits seit dem Frühjahr 2022 ein Durchschlagen der Energiepreiserhöhungen auch auf andere Waren und Dienstleistungen. Seit Jahresbeginn wirken sich laut Baumgartner aber zunehmend auch die hohen Lohnabschlüsse vom Herbst preissteigernd aus.
Österreich hat es – im Unterschied zu einigen anderen Euro-Ländern – vermieden, von Beginn weg den Energiepreisschock selbst zu dämpfen. Statt direkt preissenkend einzugreifen, setzte die Regierung hierzulande in erster Linie auf Zuschüsse für Konsumentinnen und Konsumenten. Da sich Lohnabschlüsse in Österreich aber an der vergangenen Inflationsrate orientieren, fallen diese seit Herbst höher aus, als dies bei einer Dämpfung der Energiepreise und damit geringeren Zweitrundeneffekten der Fall gewesen wäre. Höhere Löhne führen in der Folge wieder zu höheren Preisen.
WIFO-Experte Baumgartner meint, es sei noch zu früh, um letztgültig beurteilen zu können, welcher Weg der bessere ist: Direkte Energiepreis-Eingriffe wie etwa in Spanien belasten den Staatshaushalt und könnten bei ihrer Beendigung erst recht einen Inflationsschub auslösen. Als Lehre aus dem Vorjahr könne man aber schon mitnehmen, dass zumindest ein Einwirken der Politik auf Energieversorger, Preiserhöhungen nicht so stark weiterzugeben, hilfreich gewesen wäre.
Die Geschichte der Inflation
In der österreichischen Inflations-Historie gibt es eine Phase, die durchaus gewisse Parallelen zur aktuellen Situation aufweist: die Zeit nach dem ersten Ölpreis-Schock in den 1970er-Jahren. Einer, der damals bereits als Ökonom wissenschaftlich tätig war, ist Ewald Nowotny. Der langjährige Universitätsprofessor wirkte darüber hinaus von 2008 bis 2019 als Gouverneur der OeNB und als Mitglied des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) – jenes Gremium, das mit seiner Zinspolitik die Preisstabilität in der Eurozone sichern soll.
In den 1970er-Jahren habe die österreichische Hartwährungspolitik bei einer gleichzeitig abgestimmten Lohn-Preis-Politik der Sozialpartner dazu geführt, dass die hohe Inflation letztlich keine dauerhafte Schädigung der Volkswirtschaft mit sich gebracht hat, fasst Nowotny im Gespräch mit profil zusammen. Die Gefahr einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale, welche die Inflationsrate immer höher und höher treibt, ortet Nowotny aktuell zwar nicht. Er sehe aber schon das Risiko einer Verfestigung der Inflation auf höherem Niveau. „Inflationskämpfe sind immer auch Verteilungskämpfe“, sagt der frühere OeNB-Gouverneur. Man brauche deshalb einen gewissen gesellschaftlichen Konsens.
Ein weiterer wissenschaftlicher Zeitzeuge der 1970er-Inflation ist der langjährige WIFO-Ökonom und WU-Professor Fritz Breuss. Damals habe man „fiskalpolitisch“ nicht mit so viel Geld herumgeworfen wie heute, sagt Breuss mit Blick auf die milliardenschweren Unterstützungspakete der Regierung, die schon mit der Corona-Pandemie einsetzten. Man habe durch die Stimulierung seit 2020 eine Übernachfrage produziert, konstatiert der Ökonom. „Ein Teil des Preisauftriebs ist ein politischer Preis“, meint Breuss. Diesbezüglich könnte man sich nun langsam zurückhalten. Heute sei die Politik allerdings ängstlicher als damals.
Dass die Inflation in Österreich weiterhin über jener der Eurozone bleibt, führt OeNB-Inflationsexperte Fabio Rumler nicht zuletzt auf eine „Quasi-Indexierung“ der Löhne zurück. Bei den Kollektivvertragsverhandlungen ziehen die Sozialpartner traditionell die Teuerung der vorangegangenen zwölf Monate heran. Durch höhere Löhne steigen die Preise: Einer OeNB-Analyse zufolge führt zum Beispiel eine zehnprozentige Lohnsteigerung zu einem Anstieg der Inflation um drei Prozent. Allerdings verweist Rumler darauf, dass in Ländern, in denen die Lohnabschlüsse mit der Inflation nicht schritthalten, bereits jetzt höhere reale Einkommensverluste eingetreten sind. Eine Rolle für Preis- und Lohnentscheidungen spielt auch, welche Teuerungsentwicklung Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die Zukunft erwarten. Rumler zufolge liegt die aktuelle Inflationserwartung im Bereich der ohnehin prognostizierten Teuerung. Dass sich die längerfristige Erwartung jenseits einer Inflationsrate von drei Prozent bewegt, gebe jedoch „schon Anlass zur Sorge“.
Was kann getan werden, um die Inflation rasch zu dämpfen? „Möglichst wenig indexieren“, meint der langjährige OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny mit Blick auf automatische Erhöhungen – etwa bei Mieten, Gebühren, aber auch im Lohnbereich. Ergänzend könne man mit Zins- und Währungspolitik sowie mit einer Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gegensteuern. Man werde „eine Kombination aus allem brauchen“.
IHS-Inflationsexperte Sebastian Koch verweist darauf, dass die Notenbanken geldpolitisch bremsen möchten und der Staat nicht dagegen arbeiten sollte. Man könnte zum Beispiel Subventionen zurückfahren, die klimaschädliche Auswirkungen haben und sich nicht unmittelbar auf Preise auswirken – etwa im Bereich des Pendlerpauschales. Grundsätzlich sollte man die Nachfrage dämpfen und das Angebot ausweiten, sagt Koch: „Das geht aber nicht von heute auf morgen.“
Bis morgen wird das Inflationsproblem aber ohnehin nicht verschwunden sein.