Das diskrete Netzwerk der Reichsten in Österreich
Von Clara Peterlik
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Im wahrlich letzten Zipfel von Österreich, nahe der Grenze zu Liechtenstein, hat die Firma Rauch ihren Firmensitz. Dort produziert sie seit über einem Jahrhundert Apfelsaft, Johannisbeersaft und füllt – noch nicht ganz so lange – Red Bull in Dosen ab. Das Vermögen der Familie Rauch wird im Ranking des Wirtschaftsmagazins „Trend“ auf rund zwei Milliarden Euro geschätzt. Im direkten Wirkungsbereich des Familiennetzwerks existieren zwölf Privatstiftungen. Dazu kommen zwölf Immobiliengesellschaften und über 250 weitere im erweiterten Familien-, Geschäfts-führer- und Investorenumfeld der Rauchs. Außerdem ist die Vorarlberger Familie eng mit neun politisch exponierten Personen verbunden, in ihrem direkten Netzwerk sind es sogar 59. Das geht zumindest aus einer aktuellen Studie im Auftrag der Arbeiterkammer hervor. Sie zeigt: Solche komplexen Verbindungen sind in den vermögendsten Familien Österreichs durchaus üblich.
Der Ökonom Stephan Pühringer von der Johannes-Kepler-Universität in Linz und sein Team analysierten im Auftrag der Arbeiterkammer die 60 reichsten Haushalte des Landes. Weil es in Österreich keine Vermögensregister gibt und die Datenlage lückenhaft ist, bezogen die Forscher ihre Daten aus dem Firmenbuch und gingen geschäftlichen und politischen Verbindungen nach. Die Ergebnisse sind teils anonymisiert und dadurch in ihrer Aussagekraft eingeschränkt. Das Fazit ist aber eindeutig: Reichtum ist stark konzentriert, vorwiegend in männlicher Hand und strukturell stets ähnlich aufgebaut. Diese Imperien sind komplex verschachtelt, mit zahlreichen Posten in unterschiedlichen Unternehmen. Viele Superreiche sind durch Unternehmensbeteiligungen oder Kontrollfunktionen miteinander verknüpft. Immer wieder tauchen die gleichen Vermögensverwalter, Anwälte und Steuerberater auf. Wie funktioniert das Reichsein also wirklich? Was verbindet diese Reichen?
© Arbeiterkammer
Netzwerk Familie Rauch
Auf diesem Bild befinden sich im im innersten Kreis - Familienmitglieder; im mittleren Kreis - Beteiligungen des Familiennetzwerk; im äußersten Kreis - Geschäftsführer:innen & weitere Investor:innen.Personen sind als graue Punkte dargestellt, politischexponierte Personen als rote Punkte, Unternehmen als schwarze Kästchen. Die rote Linien zeigen Verbindungen in andere Netzwerke.
Das komplizierte Netzwerk der Familie Rauch
Auf diesem Bild befinden sich im im innersten Kreis - Familienmitglieder; im mittleren Kreis - Beteiligungen des Familiennetzwerk; im äußersten Kreis - Geschäftsführer:innen & weitere Investor:innen.
Personen sind als graue Punkte dargestellt, politischexponierte Personen als rote Punkte, Unternehmen als schwarze Kästchen. Die rote Linien zeigen Verbindungen in andere Netzwerke.
Forschung per Hochglanzmagazin
Die Studie der Arbeiterkammer erscheint zu einem pikanten Zeitpunkt, und zwar mitten in den Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS. Erbschafts- und Vermögenssteuern waren ein Wahlversprechen der SPÖ, auch AK und Gewerkschaft sind dafür, ÖVP und NEOS strikt dagegen. In der öffentlichen Debatte war das Thema in den letzten Jahren sehr präsent, seit einigen Monaten dominiert allerdings die Sorge um den Wirtschaftsstandort. Die Wirtschaftsforscherin Julia Hofmann von der Arbeiterkammer betont: „Wir wollen kein Reichenbashing machen. Es geht uns nicht um die Einzelpersonen, sondern um den Rechtsrahmen.“
© privat
Stephan Pühringer
„Ich war erstaunt, wie eng die Netzwerke der Superreichen tatsächlich miteinander verflochten sind.“
Stephan Pühringer
„Ich war erstaunt, wie eng die Netzwerke der Superreichen tatsächlich miteinander verflochten sind.“
Die Datenlage zu privatem Vermögen in Österreich ist dürftig. Der Linzer Sozioökonom und sein Team begannen ihre Forschungsarbeit mit der Reichenliste des Wirtschaftsmagazins „Trend“. Interessanterweise nutzte das Finanzministerium diese Liste auch als Grundlage. „Es ist ernüchternd, dass die österreichische Vermögensforschung und -politik auf der Liste eines Hochglanzmagazins basieren muss“, fügt Hofmann hinzu. Ganz grundsätzlich gibt es wenige Daten, kaum Transparenz und komplizierte Strukturen.
Die Studienergebnisse sind im Übrigen auch ein Symptom dessen, was sie kritisieren wollen. Es werden darin keine konkreten Politiker oder Parteien genannt, die den 60 angeführten Familien zugerechnet werden. Es gibt keine Informationen über die konkreten Vermögenswerte, keine Auskunft darüber, wie viel Vermögen in den jeweiligen Stiftungen steckt oder wie viel die einzelnen Unternehmensbeteiligungen wert sind. Aus Sorge vor rechtlichen Konsequenzen, erklärt die Arbeiterkammer auf Nachfrage. Der Umgang mit persönlichen Daten sei rechtlich heikel.
In Österreich konzentriert sich der Großteil des Reichtums in den Händen weniger Personen. Eine Hochrechnung der Europäischen Zentralbank geht davon aus, dass die obersten fünf Prozent mehr als die Hälfte des Nettovermögens besitzen. Selbst unter den 60 reichsten Haushalten ist die Spanne groß: Die fünf reichsten Haushalte aus der Stichprobe halten fast die Hälfte (44 Prozent) des gesamten Vermögens dieser Gruppe.
© APA/HANS KLAUS TECHT
Fiona Swarovski und Karl-Heinz Grasser
Auch ihre Familie scheint im Netzwerk auf.
Fiona Swarovski und Karl-Heinz Grasser
Auch ihre Familie scheint im Netzwerk auf.
Je komplizierter, desto besser
Fast alle 60 untersuchten Personen und Familien stehen in unterschiedlichen Konstellationen miteinander in Verbindung. Das heißt nicht, dass sie sich regelmäßig zum Kaffee treffen, sondern dass ihre Unternehmensbeteiligungen und Kontrollfunktionen große Schnittmengen aufweisen. Mit einer Netzwerkanalyse versuchte das Linzer Forschungsteam, die Verbindungen und Verzweigungen zwischen den Swarovski-Kristallerben, der ehemaligen Adelsfamilie Mayr-Melnhof und vielen weiteren nachzuzeichnen. In der Mitte der Netzwerkgrafik befindet sich die Familie, weiter außen die Beteiligungen und am äußeren Rand Geschäftsführer und Investoren (siehe Grafik). „Ich war erstaunt, wie eng die Netzwerke der Superreichen tatsächlich miteinander verflochten sind“, sagt Pühringer.
Beteiligungen und Immobilienbesitz sind hoch kompliziert strukturiert. „Es werden alle legalen und steueroptimierenden Möglichkeiten und Haftungsbeschränkungen genutzt. Diese Regelungen waren ursprünglich für kleinere Unternehmen gedacht. Deshalb stellt sich die Frage: Warum fördert und ermöglicht unser Rechtssystem solche Praktiken?“, erklärt Pühringer. Die komplexen Strukturen erlauben es zudem, persönliche Liebhaberei als verlustbringendes Unternehmen zu führen.
Julia Hofmann
„Wir sehen, dass Superreichtum weltweit aus dem Lot geraten ist, und das gefährdet die Demokratie.“
Bei seinen Analysen stieß Pühringer immer wieder auf dieselben Namen von Vermögensverwaltungen, Risikokapitalfirmen wie Speed Invest, Thinktanks, Anwälten und Immobiliengesellschaften, wie beispielsweise WINEGG. Einige Personen aus diesen Bereichen weisen eine Vielzahl von Funktionen auf, die für eine einzige Person unrealistisch anmuten. 13 Personen kommen sogar auf über 100 Funktionen im Firmenbuch – pro Kopf, wohlbemerkt. Pühringer nennt sie die „Agenten des Kapitals“.
Auch das Finanzministerium zeigte vor einiger Zeit Interesse an den sogenannten HNWI, den High-Net-Worth-Individuals, also Personen mit außergewöhnlich hohem Vermögen. Vom 1. Jänner 2017 bis 31. März 2018 untersuchte ein Team der Großbetriebsprüfung Superreiche in Österreich. Das Ergebnis war ernüchternd: Die Prüfungen brachten 66.744 Euro an Steuernachzahlungen, berichtete der „Falter“ – und das pro Prüfer pro Tag. Dennoch wurde das Projekt später von der türkis-blauen Regierung redimensioniert.
Diskret oder industriell
Für einen der schrillsten Unternehmer Österreichs endet eine turbulente Woche. Stefan Pierer, die Nummer 32 im jüngsten „Trend“-Ranking, gab zuerst bekannt, dass sein Konzern Pierer Industries in Schwierigkeiten stecke, kurz darauf hieß es, der Motorradhersteller KTM strebe ein Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung an. In der Öffentlichkeit ist Pierer als KTM-Chef und Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich bekannt.
© Arbeiterkammer
Auf diesem Bild befinden sich im im innersten Kreis - Familienmitglieder; im mittleren Kreis - Beteiligungen des Familiennetzwerk; im äußersten Kreis - Geschäftsführer:innen & weitere Investor:innen.Personen sind als graue Punkte dargestellt, politischexponierte Personen als rote Punkte, Unternehmen als schwarze Kästchen. Die rote Linien zeigen Verbindungen in andere Netzwerke.
Das Netzwerk des Stefan Pierer
Auf diesem Bild befinden sich im im innersten Kreis - Familienmitglieder; im mittleren Kreis - Beteiligungen des Familiennetzwerk; im äußersten Kreis - Geschäftsführer:innen & weitere Investor:innen.
Personen sind als graue Punkte dargestellt, politischexponierte Personen als rote Punkte, Unternehmen als schwarze Kästchen. Die rote Linien zeigen Verbindungen in andere Netzwerke.
Doch Motorräder sind bei Weitem nicht das einzige Geschäftsfeld von Pierer. Er saß laut Studie selbst im Vorstand von drei Stiftungen, außerdem ist er aktuell Geschäftsführer von fünf Immobiliengesellschaften. Auch das ist kein Einzelfall. Insgesamt lässt sich fast die Hälfte (genau 1389) der insgesamt 3000 heimischen Privatstiftungen auf die Netzwerke der rund 60 Superreichen zurückführen, heißt es in der Studie.
© FOTOKERSCHI.AT/WERNER KERSCHBAUM
Stefan Pierer
Eine turbulente Woche für einen der schrillsten Unternehmer Österreichs. DerMotorradhersteller KTM brachte am Freitag den Insolvenzantrag ein.
Ktm-Chef Stefan Pierer
Eine turbulente Woche für einen der schrillsten Unternehmer Österreichs. Der
Motorradhersteller KTM brachte am Freitag den Insolvenzantrag ein.
Die Studie unterscheidet zwischen dem Typus der industriellen – wie etwa Pierer – und der diskreten Reichen, wie zum Beispiel die Immobilienmogulin Bettina Breiteneder, die in der Studie genannt wird. Im Gegensatz zu den diskreten Reichen, die oft in der Immobilienbranche aktiv sind und kaum politische Kontakte haben, pflegen Unternehmer enge Beziehungen zur Politik. Die politischen Verbindungen variieren stark: In der Analyse fanden sich ehemalige Bundeskanzler, Ministerinnen und Minister sowie Mitglieder des Parlaments. „Das deutet auf sogenannte Drehtüreffekte hin, eine direkte Form politischen Einflusses“, erklärt Pühringer. Namentlich genannt wird in der Studie aber niemand, weder Personen noch Parteien. Auch enge Verknüpfungen zwischen Medien und Superreichen sind auffällig, wie das Beispiel der „Krone“-Eigentümerfamilie Dichand zeigt.
In der Netzwerkanalyse findet sich übrigens auch eine besonders berühmte Person, die die größte Pleite in Österreichs Wirtschaftsgeschichte hingelegt hat: Signa-Gründer René Benko. Obwohl Signa und er selbst als Privatunternehmer pleite sind, verfügt er nach wie vor über ein breites Netzwerk an Stiftungen, Polit-Kontakten und Jagdkumpanen. Wie (und ob überhaupt) seine Gläubiger auf das Stiftungsvermögen, dessen Begünstigte seine Mutter und Kinder sind, zugreifen können – das werden letztlich wohl die Gerichte entscheiden. Der Ausgang solcher Verfahren? Mehr als ungewiss.
Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.