Die RBI steht wegen ihres anhaltenden Russland-Geschäfts seit Kriegsbeginn in der Kritik.
Wirtschaft

Gute Geschäfte im Land des Kriegstreibers

Seit einem Jahr stehen Hunderte westliche Unternehmen vor der Frage, ob sie sich aus dem einstigen Hoffnungsmarkt Russland zurückziehen sollen oder nicht. Österreich spielt hier eine besondere Rolle. Warum manche Firmen trotz heftiger Kritik immer noch zuwarten – und andere bereits gegangen sind.

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Kaviar, Krimsekt, Wodka, wilde Partys und rollende Rubel: Unter dem hehren Motto „Wandel durch Handel“ jubelten österreichische Unternehmen in Osteuropa über goldene Jahre und großzügige Gewinne – nicht zuletzt in Russland. Rund 650 österreichische Firmen verfügten dort vor einem Jahr über eigene Niederlassungen, Tochtergesellschaften oder Repräsentanzen. Dann folgte der russische Angriff auf die Ukraine. Wer jetzt Geschäfte im Land von Wladimir Putin betreibt, steht in der Kritik. Westliche Investoren müssen sich schon länger die Frage gefallen lassen, weshalb zwar der „Handel“ blendend funktioniert hat, der „Wandel“ hin zu Demokratie und Rechtsstaat aber ausgeblieben ist. Mittlerweile   lässt sich das Problem aber kaum noch schönreden: Russland führt einen menschenverachtenden Krieg in Europa. Wer da immer noch bleibt, läuft endgültig Gefahr, als Komplize gesehen zu werden.
24. Februar 2022: In den frühen Morgenstunden startet Russland einen koordinierten Angriff auf die Ukraine. Wenige Stunden später überqueren Bodentruppen die Grenze. Wochenlang hat Moskau beteuert, im Nachbarstaat Belarus lediglich Militärmanöver durchzuführen. Nun ist der Schleier  gefallen.

Ab diesem Tag brennt bei einer Reihe großer österreichischer Unternehmen der Hut. Ein wesentliches davon, das bis heute zunehmend heftiger Kritik ausgesetzt ist: Die Raiffeisen Bank International (RBI). Raiffeisen ist seit den 1990er-Jahren in Russland aktiv und stolz darauf, bisher alle Krisen in dem schwierigen Markt überdauert zu haben. Doch nun muss die Bankführung in Wien mit einer Situation umgehen, die an Dramatik alles Bisherige übertrifft. Was soll man tun?

Kurz nach Kriegsbeginn kündigten viele Unternehmen an, ihre Aktivitäten in Russland zu reduzieren, stillzulegen oder zumindest kritisch zu prüfen. Andere haben sich tatsächlich zurückgezogen – mitunter nicht ganz ohne Probleme. Die Wirtschaftskammer Österreich schätzt, dass 20 bis 30 Prozent der Firmen den Markt verlassen wollen, eine genaue Zählung gibt es nicht. Eine Studie der Universität St. Gallen ergibt, dass sich per Ende November 2022 gerade einmal 8,5 Prozent jener Firmen aus EU- oder G7-Staaten, die in Russland aktiv waren, von dortigen Tochterfirmen getrennt hatten. profil ist den Fragen nachgegangen, wie ein Abzug in der derzeitigen Situation  funktionieren kann, was mit den Beschäftigten passiert und wer mitunter von Schnellverkäufen profitiert. Und warum manche Unternehmen bis heute keine klare Entscheidung treffen.

Wie soll die Raiffeisen Bank International (RBI) mit ihrer Tochter in Russland umgehen?

Konzern-Chef Johann Strobl will sich nicht auf einen Ausstieg festlegen. Nun ist die RBI ins Visier der US-Sanktionsbehörde geraten, die ein Schreiben mit Fragen nach Wien schickte. Die Bank betont, man kooperiere vollumfänglich und verfüge über Prozesse, die sicherstellen würden, dass die Russland-Sanktionen eingehalten würden.  

Zurück zur RBI: In den ersten Tagen nach der russischen Invasion in der Ukraine setzt die Bankführung die Scheuklappen auf.  Man habe „keine Pläne, Russland zu verlassen“, tönt es am 1. März 2022 aus Wien. Die Raiffeisen-Banker in Moskau finden noch klarere Worte: Man wolle Finanzdienstleistungen für die Kunden weiterhin ununterbrochen zur Verfügung stellen. Denn der Abschied fällt schwer: 2021 stammte fast ein Drittel des Nettogewinns der Bankengruppe aus dem Russland-Geschäft.

Erst Mitte März 2022 schlägt die RBI andere Töne an. Allfällige Erwartungen eines schnellen russischen Siegs in der Ukraine haben sich zu diesem Zeitpunkt in Luft aufgelöst. RBI-Chef Johann Strobl lässt nun wissen, man prüfe alle Optionen bis hin „zu einem sorgfältig gesteuerten Ausstieg aus der Raiffeisenbank in Russland“.  Etwas später behauptet die Bankführung dann zusätzlich, man habe mit Ausbruch des Krieges „das Neugeschäft in Russland weitgehend eingestellt“. Ein Ausstieg ist bis heute nicht erfolgt – nicht einmal ein klares Bekenntnis dazu. 

War der russische Markt bereits vor dem Kriegsausbruch eine Cashcow für Raiffeisen, so sollte er sich danach sogar umso stärker dazu entwickeln. Nach vorläufigen Geschäftszahlen verzeichnete die RBI-Gruppe im Jahr 2022 insgesamt einen Gewinn nach Steuern von rund 3,8 Milliarden Euro. Mit rund 2,1 Milliarden Euro entfiel der Löwenanteil davon auf Russland. Der Nachteil: Diese Gewinne können laut RBI derzeit nicht an die Muttergesellschaft ausgeschüttet werden.

Dennoch sind die Zahlen mehr als beachtlich für ein Bankinstitut, das angeblich das Neugeschäft „weitgehend eingestellt“ hat: Der Zinsüberschuss, der sich unter anderem aus dem Geschäft mit Krediten ergibt, fiel mit 1,5 Milliarden Euro doppelt so hoch aus wie 2021. Der Provisionsüberschuss aus Gebühren für bestimmte Dienstleistungen  hat sich im Vorjahr beinahe verfünffacht: Auf rund zwei Milliarden Euro. Die Zahl der Filialen in Russland ist praktisch gleich geblieben (127 statt vorher 132). Zwar war die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwischendurch rückläufig. Im vierten Quartal 2022 lag sie dann jedoch mit 9537 sogar über jener aus dem Schlussquartal 2021.  Die Kundenzahl ist im Vergleich mit dem Vorjahreswert zwar deutlich gefallen – von 4,3 auf 3,2 Millionen. Doch selbst hier zeigte sich nach einem Tiefstand von 2,9 Millionen Kundinnen und Kunden im zweiten Quartal 2022 im weiteren Jahresverlauf ein deutlicher Aufwärtstrend.

Die Einschränkung des Neugeschäfts erfolgte offenbar recht selektiv. Auf profil-Anfrage teilte die RBI mit, die Raiffeisenbank in Russland habe das Kreditvolumen in lokaler Währung im Jahresvergleich um 30 Prozent reduziert. Auf der anderen Seite gab es starke Zuwächse bei den Einlagen – laut Bank durch Bestandskunden. Neue Kunden gab es jedoch auch: im Zahlungsverkehrsgeschäft. Im Unterschied zu Raiffeisen wurden einige große russische Banken vom Westen mit Sanktionen belegt und etwa auch vom Zahlungsverkehrssystem Swift ausgeschlossen. Als indirekte Folge des Krieges hob die russische Zentralbank zudem ihren Leitzins zwischenzeitlich auf zwanzig Prozent an – ein wesentlicher Grund für den hohen Zinsüberschuss von Raiffeisen in Russland. Und die staatlichen Devisenbeschränkungen zur Rubel-Stabilisierung führten zu Zwangskonvertierungen, die nicht zuletzt auch via Raiffeisen abgewickelt wurden und zum Provisionsüberschuss beigetragen haben – wie stark will die Bank nicht sagen.

Die RBI verbuchte in Russland also aufgrund des Krieges beträchtliche Zufallsgewinne. Doch nicht nur das: Finanzdienstleistungen sind weit mehr als reines Kundenservice. Sie zählen in gewisser Weise zur kritischen Infrastruktur. Raiffeisen gehört zu den größten Banken am russischen Markt – und hilft durch den Verbleib automatisch mit, das Wirtschaftssystem am Laufen zu halten. Dies zu Putins Nutzen und von Putins Gnaden. Wie alle anderen russischen Banken muss auch Raiffeisen einberufenen Soldaten auf Geheiß des Staates Kreditmoratorien gewähren. Faktisch heißt das, dass Soldaten während der Zeit in der Armee ihre Kreditraten nicht bezahlen müssen – erst später wieder. Wie die RBI auf profil-Anfrage mitteilt, geht es dabei aktuell um Kredite von insgesamt rund 7,7 Millionen Euro, die an weniger als eintausend Kunden vergeben worden seien. Der Imageschaden ist freilich enorm. Die Ukraine hat empfohlen, Sanktionen gegen zwei Manager der Bank zu verhängen – darunter Konzernchef Strobl. Fällt ein Kreditnehmer im Krieg, ist die Bank übrigens verpflichtet, das aushaftende Volumen einfach abzuschreiben. Inwieweit das bisher der Fall war, will die RBI „auch aus Rücksicht auf die Betroffenen und deren Familien“ nicht bekanntgeben. Grimmige Realität in einem einst goldenen Markt. Der Arm des Putin-Regimes reicht übrigens so weit in die Banken hinein, dass die Raiffeisenbank Russland zuletzt keine Quartalsberichte mehr veröffentlichte. Man folge damit einer „Anregung der Russischen Zentralbank“, heißt es von der RBI.

Welche Folgen hätte ein Rückzug? Wie hoch der direkte finanzielle Verlust für die RBI bei einer sofortigen Abspaltung oder Abwicklung der Russland-Tochter ausfallen würde, will die Bank mit Verweis auf „vertrauliche Geschäftsangelegenheiten“ nicht sagen. Nur so viel: Wäre die Tochterbank in Russland zum Jahresende 2022 zu einem Preis oder Buchwert von null Euro aus der Gruppe ausgeschieden, hätte sich eine der wesentlichen Eigenkapitalquoten („CET1-Ratio“) des RBI-Konzerns von 16 auf 14 Prozent verringert – immer noch mehr als drei Prozentpunkte über der Mindesterfordernis. Mit anderen Worten: Eine Abspaltung würde die RBI wirtschaftlich nicht unmittelbar ins Wanken bringen. Wegfallen würde freilich ein enormes Gewinnpotenzial.

AVL-CEO Helmut List

Im Sommer wurde die Entscheidung zum Rückzug getroffen, der Verkaufsprozess gestartet. 

Für Raiffeisen stellt sich nicht nur die Frage, ob man aus moralischen Gründen auf diese Gewinnchancen verzichten will – sondern auch, wem man sie gegebenenfalls überlässt. RBI-Chef Strobl erklärte zuletzt, dass es sehr wohl Interessenten für die Russland-Tochter gebe. Aus westlichen Ländern seien ihm solche allerdings nicht bekannt. Die französische Großbank Société Générale etwa kündigte rasch nach Beginn des Krieges ihren Rückzug aus Russland an. Den Zuschlag erhielt ein russischer Oligarch, der kurze Zeit danach auf der Sanktionsliste von Großbritannien landete und später auch auf jener der USA. 

„Es handelt sich um einen äußerst komplexen Prozess, deren Rahmenbedingungen sich laufend verändern“, heißt es seitens der RBI zu profil. Anteilsverkäufe bei Banken würden grundsätzlich viel Zeit benötigen. „Selbst wenn beide Parteien im selben regulatorischen Raum wie beispielsweise der EU ansässig sind, kann eine Transaktion deutlich länger als zwölf Monate dauern“, erklärt die Bank. „Wir wissen um die Erwartung unserer vielen Stakeholder, inklusive unserer Kunden, zügig zu handeln. Wir operieren unter noch nie dagewesenen Rahmenbedingungen. Darunter fallen rechtliche und regulatorische Notwendigkeiten, die beachtet werden müssen, um die Integrität und finanzielle Stabilität des Konzerns zu erhalten.“

Dass die Suche nach einem geeigneten Käufer für russische Assets ihre Tücken haben kann, zeigt auch ein Beispiel aus Österreich. Der Verpackungskonzern Mayr-Melnhof hat es geschafft. Er zählt zu den wenigen österreichischen Großunternehmen, die dem russischen Markt den Rücken gekehrt haben. Das Unternehmen hat den Kartonhandel mit Russland zur Gänze eingestellt, wie es auf Anfrage von profil heißt – und die Produktionsstandorte verkauft. Konkret ging es dabei um Werke in St. Petersburg und Pskov. Ende 2022 wurde der Verkauf öffentlich bekanntgemacht. Die beiden Standorte gingen demnach für einen Preis von rund 134 Millionen Euro an ein russisches Unternehmen namens Granelle.

Granelle – wahlweise auch Granel – ist profil zuletzt im Rahmen einer ausgedehnten Recherche zu russischem Staats-Lobbying und Reisen von rechtspopulistischen Politikern auf die von Russland schon 2014 annektierte Krim untergekommen. profil wertete im Rahmen einer Kooperation mit dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), der estnischen Wochenzeitung „Eesti Ekspress“, der russischen Aufdeckerplattform „iStories“ und dem italienischen Investigativ-Zentrum IRPI geleakte E-Mails aus. Es handelt sich dabei um Nachrichten eines gewissen Sargis M.: Der PR-Experte war einst Mitarbeiter der russischen Staatsduma – also des Parlaments – und spielte augenscheinlich eine Schlüsselrolle beim Versuch Russlands, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim nachträglich gegenüber dem Westen zu legitimieren. 

Eine Methode stellte die Organisation von öffentlichkeitswirksamen Reisen westlicher Politiker auf die Schwarzmeer-Halbinsel dar. Ein derartiges Projekt war allem Anschein nach der Besuch europäischer Politiker beim „Yalta International Economic Forum“ auf der Krim im April 2016. Mit von der Partie: die ehemalige blaue Präsidentschaftskandidatin und damalige Nationalratsabgeordnete Barbara Rosenkranz sowie ihr Nationalrats-Kollege Axel Kassegger. Vorliegenden E-Mails zufolge lief die Organisation der Reise – insbesondere der Flüge – teilweise über Granel. Eine Mitarbeiterin des Unternehmens, das unter anderem im Immobiliengeschäft tätig ist, übermittelte Sargis M. Details zu den Flügen und den entsprechenden Kosten. Ob diese letztlich vom Unternehmen bezahlt wurden, geht aus den E-Mails nicht hervor. Granel ließ eine Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet. 

Im Herbst 2016 wiederum reiste eine Delegation rechtspopulistischer Politiker sowie Unternehmensvertreter aus Italien auf die Krim. In die Organisation waren erneut Vertreter von Granel involviert – ebenso wie in die Übersetzung von Video-Grußbotschaften europäischer Politiker für das Yalta-Forum im Frühjahr 2017. Eine davon stammte laut vorliegenden E-Mails vom damaligen Wiener FPÖ-Vize-Bürgermeister Johann Gudenus. Der damalige Granel-Chef Andrei Nazarov galt als eine der treibenden Kräfte hinter dem Yalta-Forum. Später wurde er Ministerpräsident der russischen Republik Baschkortostan.

Warum kam nun ausgerechnet Granel bei Mayr-Melnhof zum Zug? Seitens des österreichischen Unternehmens verneint man entschieden, dass die russische Politik dabei die Finger im Spiel gehabt haben könnte: „Wir hatten einen organisierten Verkaufsprozess mit Unterstützung unserer internationalen Berater, aus welchem Granelle als Bestbieter hervorging“, teilt ein Sprecher auf profil-Anfrage mit. Der Verkauf sei die „relativ beste Lösung für die Standorte und ihre Mitarbeiter sowie für Mayr-Melnhof“. Die politisch und wirtschaftlich unsichere Entwicklung und Perspektive habe zu dieser Entscheidung geführt. Dem Rückzug sei ein längerfristiger Sondierungsprozess vorangegangen, bei welchem lange Zeit noch alle Optionen offen gehalten worden seien. 

WARimpex-CHEF  Franz Jurkowitsch

"Die hohen Gewinne müssen in Russland bleiben."

Der Verkaufspreis wird sich laut Unternehmensangaben „neutral“ auf das Ergebnis auswirken – somit keinen Gewinn bringen. Ein Schnäppchen für Granel? „Wir haben einen den Umständen entsprechenden guten Preis erzielt“, heißt es von Mayr-Melnhof. Wahrscheinlich wäre der Marktwert der Standorte vor dem 24. Februar 2022 „etwas höher“ gewesen. Eine konkrete Bemessung wäre retrospektiv jedoch „spekulativ“. Granel sei ein „verlässlicher Käufer“ gewesen, der das Geschäft mit den vormaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiterführe.

Das Russland-Engagement des oberösterreichischen Feuerwehrgeräteherstellers Rosenbauer zeigt indes sehr wohl Auswirkungen auf das Ergebnis. Knapp ein Monat ist es her, dass das Unternehmen eine Gewinnwarnung ausgab. Aufgrund des fehlenden Zugriffs auf das Joint Venture in Russland werde dieses im Jahresabschluss 2022 mit einem Effekt von rund minus sechs Millionen Euro entkonsolidiert, also aus dem Konzernverbund gestrichen.

Seit 2009 fertigte Rosenbauer in dem Gemeinschaftsunternehmen mit einem lokalen Partner Feuerwehrfahrzeuge für den russischen Markt. Bei der Gründung der PA FFST (Fire-fighting special technics) in Moskau war man vom enormen Potenzial des Engagements überzeugt. Nach mehreren tragischen Brandkatastrophen war von den Behörden ein Programm zur Modernisierung der kommunalen Feuerwehren gestartet worden, an dem Rosenbauer teilnahm. Russland galt damit als einer der größten Feuerwehrmärkte der Welt.

„In der besten Zeit haben wir dort mit 70 Mitarbeitern rund 20 Millionen Euro Umsatz gemacht“, sagt Rosenbauer-Sprecher Tiemon Kiesenhofer. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat der damalige Vorstandsvorsitzende Dieter Siegel schnell reagiert und binnen zwei Wochen das aktive Geschäft eingestellt. Seither habe man nur noch Ersatzteile geliefert. „Weil es da ja darum geht, Menschenleben zu retten und Sachwerte zu schützen“, sagt Kiesenhofer. Das Ersatzteilgeschäft habe sich in den vergangenen zwölf Monaten auf wenige tausend Euro belaufen.

Allerdings sei es in Russland schon seit einigen Jahren recht mau gelaufen. „Die Sanktionen aufgrund der russischen Annexion der Krim 2014 haben gewirkt“, so Kiesenhofer. 2020 etwa habe man mit einem Umsatz von nur mehr einer Million Euro ein negatives Ergebnis verbuchen müssen.

Für das Immobilienunternehmen Warimpex ist Russland derzeit so etwas wie der Firmentresor. Jahrelange baute das Unternehmen am St. Petersburger Flughafen Büroturm um Büroturm. Im März vergangenen Jahres machten sie 36 Prozent des Immobilienvermögens des gesamten Konzerns aus, im September 2022 waren es – bedingt durch den starken Rubel –  rund 51 Prozent, wie dem Geschäftsbericht zu entnehmen ist. 

Die russischen Türme sind voll vermietet und die Mieten werden pünktlich in Rubel gezahlt. In den ersten drei Quartalen 2022 konnte Warimpex seinen Gewinn im Vergleich zum Jahr davor auf 13,6 Millionen Euro verfünffachen. Etwa die Hälfte davon wurde in Russland verdient. Weniger wohlmeinende würden hier wohl eher von einem Klumpenrisiko als von einem Tresor sprechen. Denn die hohen Gewinne müssen einstweilen in Russland bleiben. Im Rahmen der aktuellen Kapital-Vorschriften können lediglich kleinere Beträge außer Landes überwiesen werden. Offizielle Rückzugspläne gibt es seitens Warimpex derzeit nicht. Man sehe von Neuentwicklungen ab und beobachte die aktuelle Diskussion, heißt es aus dem Unternehmen.

Ein Team der Universität Yale verfolgt seit Kriegsbeginn akribisch, was westliche Unternehmen in Russland so treiben. Auf ihrer sogenannten Hall-of-Shame-Liste stehen nach wie vor einige heimische Firmen. Der Kranhersteller Palfinger, der sich nicht weiter dazu äußern möchte; Fischer Ski, die nach der blamablen Langlaufeinladung der Wirtschaftskammer Moskau auch nicht erpicht darauf sind, weiter über das Thema zu sprechen. Und die OMV, die das Gasfeld in Juschno Russkoje zwar in den Bilanzen abgeschrieben hat, aber noch immer die Lizenz für ein Viertel dieses Feldes besitzt. 

Doch wie kann sich ein Unternehmen jetzt noch zurückziehen? Im Laufe der vergangenen zwölf Monate haben sich die Regeln verschärft. Seit dem Sommer benötigen Erdölunternehmen aus feindlich gesonnenen Staaten eine Genehmigung des Kremls, um sich zurückzuziehen. Seit Herbst gilt das auch für Banken. Bei allen anderen Unternehmen aus sogenannten feindlichen Staaten muss eine neugegründete russische Behörde zustimmen. Ein wichtiges Kriterium hier: Der Preis muss halb so hoch sein wie der Marktwert, wenn das Unternehmen an Russen verkauft wird, erklärt der Ökonom Artem Kochnev vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Firmen, die kurz nach Kriegsbeginn Russland verließen, hätten damals auch einfach an die russische Geschäftsführung oder an jene in Drittstaaten, wie China oder Saudi Arabien, verkauft – vermutlich mit geheimen Rückkaufoptionen.

Als Beispiele für einen gelungenen Ausstieg aus dem Russland-Geschäft führen die Yale-Wissenschafter den Baukonzern Strabag an – bei dem freilich der mit Sanktionen belegte Miteigentümer Oleg Deripaska, beziehungsweise dessen Holding Rasperia Trading, eine schwere Hypothek bilden. Sowie den Ziegelkonzern Wienerberger, der sich im Zuge eines Management-Buy-Outs zurückzog. 

Auf der berüchtigten Liste der Universität Yale stand bis vor einigen Tagen noch der steirische Automobilzulieferer AVL List. „Aber nicht mehr berechtigterweise“, wie Sprecher Markus Tomaschitz betont. 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt AVL in Russland und erwirtschaftete dort ein Prozent des Umsatzes. Im Sommer entschied man sich für den Rückzug, die Aktivitäten vor Ort sind bereits eingestellt, der Verkaufsprozess ist im Laufen. Dieser gestalte sich jedoch nicht ganz einfach. „Das wird in der Öffentlichkeit unterschätzt. Es geht nicht nur um die moralische Entscheidung; betreibe ich Geschäfte in Russland, sondern auch, was passiert mit den Mitarbeitern, wenn das Unternehmen schließt oder verkauft wird?“, sagt Tomaschitz. Sperrt ein ausländisches Unternehmen zu, erhalten die Mitarbeiter häufig kurz danach Einberufungsbefehle. „Die anderen beiden Themen waren: Wird man bei einem Rückzug vertragsbrüchig, und wie könnte  Russland reagieren?“, so Tomaschitz. Es sollen auch Firmen enteignet worden sein. Die russische AVL-Tochter wird derzeit von der erwähnten Behörde bewertet und soll dann verkauft werden. Interessenten gebe es bereits, sagt Tomaschitz, das Okay der Behörde kann allerdings noch dauern. Die Hall-of-Shame der Universität Yale durften sie aber bereits verlassen.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.

Clara Peterlik

Clara Peterlik

ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.