Unklare Rubbellos-Regeln: Hunderte Spieler fordern den Jackpot
Bevor Sie jetzt in die nächstgelegene Trafik stürmen, lesen Sie doch folgenden Satz: Das Los, um das es geht, wird nicht mehr verkauft. Es handelt sich um die Serie 446 der Österreichischen Lotterien, besser bekannt unter dem Titel: „1 Jahr Weihnachten!“. Der verheißungsvolle Hauptgewinn: monatliche Zahlungen von 5000 Euro, ein ganzes Jahr lang; in Summe also 60.000 Euro.
Etwas mehr als 1,2 Millionen dieser Lose haben die Lotterien um den Jahreswechsel 2023/2024 aufgelegt, zu einem Stückpreis von drei Euro. Wie immer hätten die Rubbellose ein gutes Geschäft für das teilstaatliche Unternehmen werden sollen. Bei einer Gewinnausschüttungsquote von 57 Prozent für die Loskäufer wären den Lotterien immerhin knapp 1,6 Millionen Euro übrig geblieben.
Auslegungsstreit um die Rubbellos-Regeln
Doch die Losserie 446 könnte sich als die teuerste in der Geschichte der Lotterien herausstellen. Denn eigentlich hätte es nur zwei Lose geben sollen, die den Hauptpreis bringen. Weil aber die Spielbedingungen auf der Rückseite missverständlich formuliert waren, gibt es nun etwa 200 Losbesitzer, die je 60.000 Euro für sich reklamieren. Würden sie alle recht bekommen, müssten die Lotterien zwölf Millionen Euro ausschütten.
Die entscheidenden Sätze in den Spielregeln: „Auf diesem Rubbellos befinden sich 2 Spiele. Rubbeln Sie ,Spiel 1‘ und ,Spiel 2‘ auf. Finden Sie 3 x den gleichen Geldbetrag pro Spiel, so haben Sie diesen Geldbetrag 1 x gewonnen.“ Und weiter: „Finden Sie 3 x das Geldschein-Symbol ,5000‘, gewinnen Sie EUR 5.000,- monatlich, 1 Jahr lang!“
Beim letzten Satz dürften die Lotterien den Zusatz „pro Spiel“ vergessen haben. Und jetzt kann man die Spielregeln so interpretieren, dass der Hauptpreis nicht nur dann winkt, wenn drei „5000er“-Symbole in einem Spielfeld aufscheinen, sondern auch dann, wenn sich in beiden Feldern insgesamt drei „5000er“ befinden (siehe Faksimile).


links: © Faksimile
rechts: © Faksimile
Sieg oder Niederlage?
Das Ergebnis mit vier 5000er-Symbolen wäre laut Auslegung der Kläger ein Sieg, laut Auslegung der Lotterien eine Niete.
Ein findiger Losbesitzer brachte diese Sichtweise vor dem Wiener Bezirksgericht für Handelssachen und – nach Berufung der Lotterien – auch vor dem Handelsgericht Wien vor. Dieses gab ihm Ende Oktober 2024 in zweiter Instanz recht: Gerade von einer „professionellen Spielanbieterin erwartet der durchschnittliche Erklärungsempfänger eine besondere Genauigkeit und Klarheit beim Verfassen der Spielbedingungen“, urteilt die Richterin. Die Lotterien mussten dem Mann 60.000 Euro auszahlen.
Weitere Klagen folgen
Sein Anwalt Oliver Peschel sagt: „Beim Glücksspiel gewinnt man und verliert man. In diesem Fall haben viele gewonnen, auch wenn das vielleicht nicht ganz intendiert war.“ Er will nun weitere Klagen einbringen. Peschel vertritt aktuell 180 Losbesitzer, die er durch einen Aufruf auf seiner Website zusammentrommelte.
Die Rechtsabteilung der Lotterien unter ihrem Leiter Michael Czermak sieht das anders: Folge man der Rechtsansicht der Kläger, hätten knapp 270.000 Lose der Serie den Hauptgewinn gezogen. Dadurch könnten die Gewinnauszahlungen im Extremfall Milliarden kosten. Wobei die meisten Lose wohl inzwischen weggeschmissen wurden, weil die Spieler gar nicht auf die Idee gekommen sind, die Regeln zu lesen oder so zu interpretieren wie die Kläger. Ansprüche machten – wie erwähnt – bisher 200 Loskäufer geltend.
Czermak: „Offenbar wurden auch Lose weitergegeben. Ein Kläger hat sechs Lose und fordert vor Gericht sechs Mal den Hauptgewinn. Dabei gibt es bei diesem Rubbellos den Hauptgewinn nur zwei Mal.“ Das zeige, dass hier ein „unredliches Geschäftsmodell“ verfolgt werde.
Lotterien ändern ihre Strategie
Nach dem ersten Urteil haben die Lotterien ihre Strategie geändert: Sie sprechen nun von einem „offensichtlichen Erklärungsirrtum“. Kläger erhalten von den Lotterie-Anwälten einen Schrieb. Inhalt: Der Spielvertrag werde wegen „Irrtums“ aufgehoben. Die Lotterien seien bereit, „den Lospreis zu erstatten“. Ganz nach dem Motto: Außer Spesen nichts gewesen.
So einfach wollen sich die Kläger nicht abspeisen lassen. Der Wiener Anwalt Philipp Kalser vertritt einen weiteren Kläger, der in der Finanzbranche im IT-Bereich arbeitet und berufsbedingt ein Zahlenfuchs ist. Ein Irrtum „mag möglicherweise vorliegen, aber die Aufklärung darüber ist schlicht nicht rechtzeitig erfolgt“, sagt Anwalt Kalser. Eine Klage seines Mandanten kündigt er noch für März an. Ausgang offen.
Schlechte Nachrichten für Glücksritter: Die Wahrscheinlichkeit für Zufallsfunde in den Rubbellos-Regeln ist gesunken. Die Lotterien prüfen nun noch genauer.