Herr Strugl, laut E-Control zahlen wir derzeit durchschnittlich 20,91 Cent netto pro Kilowattstunde Strom. Das ist etwas mehr als vor einem Jahr, da waren es 16,8 Cent, und viel mehr als vor der Energiekrise. Wieso zahlen wir für Strom noch immer so viel?
Michael Strugl
Die Strompreise sind 2022 im Zuge der Gasversorgungskrise gestiegen. Der Zusammenhang zwischen Strom und Gas ist hinreichend bekannt. Österreichische Haushaltskunden haben diese Steigerungen mit Verzögerung und nicht im gesamten Ausmaß weitergereicht bekommen. In diesem Jahr sind die Preise auf den Großhandelsmärkten wieder gesunken und die Versorger haben begonnen, jetzt Preise zu senken. Aber das passiert ebenso zeitverzögert. Wir haben das kürzlich auch vom Energieberater e.venture untersuchen lassen und auch die Regulierungsbehörde E-Control hat uns bescheinigt, dass die Preisbewegung und Tarifbildung plausibel waren.
Dennoch sinken die Preise kaum.
Michael Strugl
Ich persönlich gehe davon aus, dass die Preise länger nicht auf das Vorkrisenniveau sinken.
Warum das?
Michael Strugl
Das hat zum einen damit zu tun, dass die Dekarbonisierung etwas kostet. Die Nachfrage nach Strom wird steigen. Wir brauchen mehr Strom bei der Dekarbonisierung der Industrie, in der Mobilität, in der Raumwärme. Das heißt: Wir müssen das Angebot massiv erhöhen, Speicher und Netze ausbauen. Wenn wir schnell genug sind, sinken auch die Preise schneller. Wir erzeugen nämlich noch immer 16 Prozent des Stroms in Österreich mittels Gaskraftwerken. Im Sommer weniger, aber im Winter sind es über 20 Prozent – das sind die richtig teuren Stunden, die die Preise in die Höhe treiben. Wir brauchen aber Gaskraftwerke, um die Grundlast im Netz zu gewährleisten, weil man sie jederzeit abrufen kann, anders als Wind und Sonne. Deshalb werden wir auch in Zukunft höhere Strompreise sehen. Hier spielt auch der CO2-Preis eine Rolle, der von den Gaskraftwerken eingepreist und weitergegeben wird.
Wir brauchen mehr Strom bei der Dekarbonisierung der Industrie, in der Mobilität, in der Raumwärme. Das heißt: Wir müssen das Angebot massiv erhöhen, Speicher und Netze ausbauen.
Michael Strugl
zur Rolle des Stroms in Zukunft
Sollte der Umbau unserer Energieversorgung nicht auch günstigere Preise mit sich bringen?
Michael Strugl
Die Dekarbonisierung kostet etwas, und das muss man den Menschen klar sagen. Auch der Umbau des Stromsystems wird kurzfristig höhere Kosten verursachen. Wir müssen im Übertragungsnetz die Investitionen in kürzester Zeit verdoppeln, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und auch das wird etwas kosten. Langfristig ist erneuerbare Energie natürlich billiger, aber kurzfristig werden sich die Investitionen niederschlagen.
Wie stehen Sie heute – nach allen Erfahrungen aus dem Vorjahr – zu Eingriffen in den Energiemarkt? Zuletzt hatten Sie sich zum Beispiel gegen einen Gaspreisdeckel wie in Spanien ausgesprochen.
Michael Strugl
Wir haben als Branche einen Vorschlag gemacht, den Gaspreis temporär vom Strompreis zu entkoppeln. Das geht nur auf europäischer Ebene. Der Vorschlag hat in Europa aber keine Mehrheit gefunden. In Österreich allein würde das nicht funktionieren. Wir würden die Gaskraftwerke subventionieren und den billigen Strom dann ins Ausland exportieren. In Spanien ging das, weil die Verbindung mit den anderen europäischen Strommärkten schwach ist. Wir finden Eingriffe grundsätzlich nicht gut, aber in einer Krisensituation mit derartigen Verwerfungen haben wir das befürwortet. Die Mitgliedstaaten haben sich stattdessen für die Abschöpfung von Gewinnen ausgesprochen.
Michael Strugl wäre fast Landeshauptmann in Oberösterreich geworden. Jetzt ist er einer der wichtigsten Männer der Energiewirtschaft.
Viele Energiekonzerne müssen sich dennoch den Vorwurf gefallen lassen, Nutznießer dieser Krise zu sein. Auch Verbund hat seinen Gewinn mit 1,7 Milliarden Euro verdoppelt und muss Übergewinne abführen. Sehen Sie sich als Nutznießer?
Michael Strugl
Natürlich profitieren wir von höheren Marktpreisen, so wie wir früher auch unter niedrigen Marktpreisen gelitten haben. Es gab eine Zeit, da lag der Strompreis bei 20 Euro die Megawattstunde und es gab keine große Diskussion darüber. Damals konnten viele Erzeuger ihre Erzeugungskosten am Markt nicht decken. Das hat dazu geführt, dass auch wir restrukturieren mussten und Personal abgebaut haben. Ja, wir haben von der aktuellen Situation profitiert, aber man sollte sich auch anschauen, was mit diesen Gewinnen passiert. Bei Verbund fließen die Dividenden mehrheitlich an die Republik und an andere öffentliche Eigentümer. Jeder Euro, der nach Steuern und der Gewinnabschöpfung übrigbleibt, wird in neue Kraftwerke, Netzleitungen und Speicher investiert. Deshalb sehen wir uns hier nicht als Gewinner. In der nächsten Dekade investieren wir mehr als 15 Milliarden Euro.
Was wurde eigentlich aus der geplanten Reform der Merit Order, wonach zuerst erneuerbare Energieträger ans Netz gehen, der Strompreis aber vom letzten zugeschalteten Kraftwerk determiniert wird? In Österreich ist es meist Gas.
Michael Strugl
In der Energiekrise hat man beschlossen, das Marktdesign, die Merit Order, neu zu bewerten. Dieses Marktmodell hat 20 Jahre lang hervorragend funktioniert, weil es Erneuerbare bevorzugt hat, weil es die Versorgungssicherheit gewährleistet hat und auch lange Zeit für niedrigere Preise gesorgt hat als im regulierten System davor. Aber in der Krise hat es nicht mehr funktioniert. Es gab einen umfassenden Konsultationsprozess mit hunderten Expertinnen und Experten aus allen EU-Ländern. Herausgekommen ist: Die Merit Order bleibt. Aber es soll flankierende Maßnahmen geben. Langfristige Lieferverträge werden gestärkt und es wird ein Krisenmechanismus eingezogen. Wenn Strompreise eine gewisse Zeit ein gewisses Niveau überschreiten, dann sollen Markteingriffe möglich sein, um exponierte Verbraucherinnen zu schützen.
Hätten wir diesen Mechanismus vor einem Jahr gehabt, wäre es dann zu derartigen Preissteigerungen samt Inflation gekommen?
Michael Strugl
Man wäre auf die Situation besser vorbereitet gewesen und hätte schneller reagieren können.
Natürlich profitieren wir von höheren Marktpreisen, so wie wir früher auch unter niedrigen Marktpreisen gelitten haben.
Michael Strugl
zu satten Gewinnen durch hohe Strompreise
Wieviel bekommt Verbund eigentlich heuer aus der Strompreisbremse?
Michael Strugl
Die Strompreisbremse garantiert für 80 Prozent des Durchschnittsverbrauchs zehn Cent pro Kilowattstunde netto, das gilt bis zu einem Preis von 40 Cent. Also wenn der Strompreis eines Versorgers 40 Cent überschreitet, zahlt der Staat nicht mehr dazu. Unser Tarif beträgt derzeit 19,7 Cent netto (für Bestandskunden, Neukunden zahlen 22,0 Cent netto, Anm.) das heißt rund zehn Cent davon übernimmt der Staat. Wieviel das in Summe ist, kann ich jetzt noch nicht sagen, da das Belieferungsjahr noch nicht abgeschlossen ist.
Die Bundeswettbewerbsbehörde und die E-Control sind in einer Branchenuntersuchung zum Schluss gekommen: Der Wettbewerb hat unter der Energiekrise massiv gelitten, kleinere Energiehändler sind aus dem Markt ausgeschieden, es gab kaum Tarifwechsel, starke Unterschiede bei Bestands- und Neukunden…
Michael Strugl
Es war der Regulator selbst, der letztes Jahr empfohlen hat, den Tarif und den Anbieter nicht zu wechseln. Damit das auch mal gesagt wird. Das war auch nachvollziehbar, weil neue Verträge teurer waren als Bestandsverträge, die gehedged waren. Das heißt: die Versorger hatten die Strommengen für ihre Kunden im Vorfeld zu noch günstigen Preisen besorgt und konnten gewährleisten, dass die gestiegenen Preise nicht sofort an diese Kunden weitergegeben wurden. Deshalb gab es eine sehr geringe Wechselrate. Anbieter, die nicht für ihre Bestandskunden vorgesorgt haben, sogenannte Alternativanbieter, haben ihre Kunden gekündigt und sich aus dem Markt zurückgezogen. Diese Kunden wurden dann von den klassischen Versorgern übernommen. Jetzt sind die Alternativanbieter wieder da, weil die Preise fallen, und sie werben jene Kunden wieder ab, die sie gekündigt hatten.
profil-Wirtschaftschefin Marina Delcheva im Gespräch mit Strugl
Es hat 13 Jahre gedauert, um die 128 Kilometer lange 380V-Salzburg-Stromleitung zu bauen. Zum Erreichen der Klimaziele fehlen uns gut 1000 Kilometer an Stromnetzen. Wie lange wird es dauern, bis das ausgebaut ist?
Michael Strugl
Die Verfahren dauern zu lang, und unser Rechtsrahmen ist nicht adäquat. Es wäre sehr wichtig, dass wir in den Genehmigungsprozessen und einschlägigen Gesetzen ein überwiegendes öffentliches Interesse für den Erneuerbaren-Ausbau samt Infrastruktur verankern; das empfiehlt die EU-Kommission, und Deutschland setzt es bereits um. Aktuelles Beispiel: die Anspeisung der Voest in Linz mit einer 220KV-Leitung, um die neue Hochofen-Route mit Elektrolichtbögen mit Strom zu versorgen. Das Projekt steht still, weil es Einsprüche gibt, denen aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Weil es keinen Vorrang des Erneuerbaren-Ausbaus im UVP-Gesetz gibt. (Die Leitung soll durch ein Natura 2000 Schutzgebiet führen, wogegen es drei Einsprüche gab, Anm.). Der Richter sagt nun: Wir müssen prüfen, was wichtiger ist. Wenn der Erneuerbaren-Ausbau Vorrang hat, soll es der Gesetzgeber auch ins Gesetz schreiben. Die Regierung will beschleunigen, und ich hoffe, dass das bald kommt.
Glauben Sie, dass das in dieser Legislaturperiode noch kommt?
Michael Strugl
Ich hoffe es, es wäre nämlich sehr wichtig, damit wir die Klimaziele erreichen. Es wäre gut, wenn wir das zumindest im Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz verankern. Wir sollten uns langsam entscheiden, was für uns Vorrang hat. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass – das wird nicht funktionieren, auch nicht bei der Energiewende.
Vergangenes Jahr forderte Bundeskanzler Karl Nehammer in der „Tiroler Tageszeitung" eine Abschöpfung von Übergewinnen bei Energiekonzernen, bevor das Thema politisch in Angriff genommen wurde. Er hat damit binnen eines Tages Milliarden an Börsenwert beim Verbund vernichtet und die Aktie auf Talfahrt geschickt. Der Aktienkurs hat sich wieder erholt, hat sich auch das Verhältnis zum Bundeskanzler erholt?
Michael Strugl
Wir haben ein professionelles, konstruktives Arbeitsverhältnis. Verbund gehört mehrheitlich der Republik, und der Bundeskanzler ist der oberste Repräsentant der Regierung.
Wir setzen stark auf Wasserkraft, aber in den letzten Jahren haben wir gesehen, dass der Klimawandel und lange Trockenperioden die Wasserkraft einschränken können. Wir müssen also diversifizieren.
Michael Strugl
zu Investitionsplänen des Verbund
Sie haben auch den Auftrag bekommen, das eingemottete Kohlekraftwerk in Mellach für den Notfall zu reaktivieren. Was ist eigentlich daraus geworden?
Michael Strugl
Wir haben in Mellach ein großes und ein kleineres Gaskraftwerk. Letzteres wurde mit Kohle betrieben und wurde vor längerer Zeit auf Gas umgestellt. Und weil wir eine Gaskrise hatten, gab es die Anfrage aus der Regierung, ob man dieses Kraftwerk wieder auf Kohle umstellen könne. Das Ergebnis: Man kann das machen, aber es braucht eine enorme Vorlaufzeit. Man muss die Anlage umrüsten. Anlagenteile, die für die Kohlelogistik gebraucht wurden, sind schon abgebaut. Wir hätten Personal aus der Pension oder aus anderen Kohlekraftwerken ausleihen müssen, weil das Fachpersonal dafür fehlt. Es war außerdem schwierig, Kohle am Weltmarkt zu beschaffen und es war noch schwieriger, sie nach Mellach zu bringen, weil sowohl Schiffskapazitäten als auch Schienenkapazitäten fehlen. Dafür müssten täglich zwei lange Züge mit Kohle in Mellach ankommen. Letzten Endes hat auch die gesetzliche Grundlage dafür keine Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen. Und es wäre sich zeitlich nie und nimmer für den vergangenen Winter ausgegangen. Stattdessen haben wir auf eigene Kosten Gas eingespeichert. Das war mit Abstand die bessere Lösung.
Wir haben ein professionelles, konstruktives Arbeitsverhältnis.
Beim Erneuerbaren-Ausbau setzen Sie neuerdings auf Spanien, dort haben sie zuletzt 340 Megawatt an Wind- und Solarkraft installiert. Wie läuft es – im Vergleich – in Österreich?
Michael Strugl
Strugl: Verbund ist ein europäisches Unternehmen, auch wenn wir unsere Kernmärkte in Österreich und in Deutschland haben. Dort steht der Großteil unserer Anlagen, und wir betreiben in Österreich auch das Netz. Wir haben aber auch Erzeugungsanlagen in Rumänien und jetzt eben Solar- und Windanlagen in Spanien. Wir investieren neuerdings auch in Italien. Dafür gibt es zwei wichtige Gründe: Wir setzen stark auf Wasserkraft, aber in den letzten Jahren haben wir gesehen, dass der Klimawandel und lange Trockenperioden die Wasserkraft einschränken können. Wir müssen also diversifizieren. Wir brauchen mehr Wind- und Solarerzeugung, und das führt eben auch zu einer geografischen Diversifizierung, weil Wind und Sonne in Österreich begrenzt sind. Jede Kilowattstunde grüner Strom, der in Europa erzeugt wird, hilft auch Österreich. Wir haben letztes Jahr zwölf Prozent unseres Strombedarfs durch Importe gedeckt. Im Winter sind es über 20 Prozent.