KTM-Chef Stefan Pierer machte kein Geheimnis aus seiner bevorzugten Koalitionsvariante. Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, war dem Vernehmen nach ein Befürworter von Blau-Schwarz. Auch der Wirtschaftsflügel der ÖVP um Wirtschafts- kammerpräsident Harald Mahrer wirkte nicht übertrieben enttäuscht, als die Verhandlungen mit SPÖ und Neos scheiterten.
Die Erwartungen der österreichischen Unternehmerschaft an eine blau-schwarze Wirtschaftspolitik waren hoch. FPÖ und ÖVP versprachen, den Standort Österreich zu entfesseln. Schluss mit den lästigen Berichtspflichten, den zähen Umweltverträglichkeitsprüfungen und der Regulierungswut aus Brüssel. In dem vergangene Woche geleakten Verhandlungspapier von Freiheitlichen und Volkspartei kommt der Begriff „Entbürokratisierung“ 29 Mal vor, „Gold Plating“ – also das Übererfüllen von Vorschriften – 24 Mal, „Bürokratieabbau“ 17 Mal. Aber hätten die beiden Parteien darüber hinaus geliefert, was die Wirtschaft bei ihnen bestellt hatte?
Nach nur drei Tagen Verhandlungen einigten sich FPÖ und ÖVP auf einen Konsolidierungspfad. Um einem Defizitverfahren der EU zu entgehen, legten die beiden Mitte Jänner einen Entwurf für ein Budget mit Einsparungen von 6,4 Milliarden Euro für das Jahr 2025 vor. Es enthielt konkrete Maßnahmen wie die Abschaffung von Klimabonus und Bildungskarenz, aber auch vage Ankündigungen wie einen „Stabilitätsbeitrag“ von 1,1 Milliarden Euro, der durch Kosteneinsparungen in allen Ministerien aufgestellt werden soll. Der interimistische Finanzminister Gunter Mayr hat das Papier bereits der EU-Kommission präsentiert. Bloß: Jetzt fehlt die Regierung, die hinter diesem Entwurf steht. Mit jedem Tag, der ohne Budgetbeschluss vergeht, werden die Sparziele unrealistischer.
Lohnnebenkosten senken
In den Wochen vor der Wahl kam kaum ein Interview mit Wirtschaftstreibenden und Industriellen ohne den Satz aus: „Die Lohnnebenkosten sind in Österreich zu hoch. Sie ruinieren den Standort.“ Im Österreich-Plan des ehemaligen Bundeskanzlers Karl Nehammer hieß es dazu: „Deshalb senken wir die Lohnnebenkosten um 0,5 Prozent pro Jahr.“ Vor allem die ÖVP-nahe Industrie erwartete, dass nach dem betont wirtschaftsliberalen FPÖ-Programm dieser Punkt kein Problem sein werde. Einig war man sich bei der „Senkung der Dienstgeber-Lohnnebenkosten auf zumindest deutsches Niveau (Senkung über 5 Prozentpunkte)“. In dem Satz ist allerdings ein Wort noch gelb markiert – also noch nicht endgültig geklärt –, und zwar „Dienstgeber“. Die FPÖ wollte nämlich, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils zur Hälfte davon profitieren. Das war aber nicht im Sinne der ÖVP-nahen Wirtschaft.
Die FPÖ sprach sich zudem für ein Arbeitnehmerpaket mit Maßnahmen wie die Einführung einer steuerfreien Mitarbeitererfolgsprämie bis 3000 Euro aus sowie für weniger Steuern auf Überstunden und eine Abschaffung einer der beiden Kammerumlagen. Auch das war keine Option für die ÖVP. Insgesamt zahlten Arbeitgeber rund 47 Milliarden Euro im Jahr 2023 an Lohnnebenkosten. Mit dieser Summe werden Sozialversicherungsbeiträge bezahlt, aber auch der Wohnbau gefördert (0,7 Milliarden) oder Familienleistungen (6,5 Milliarden) finanziert. ÖVP und FPÖ überlegten, diese Leistungen nicht mehr über die Lohnnebenkosten zu zahlen, sondern aus dem Budget. Diese Diskussion sei sinnvoll, sagt Ökonomin Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Aber jetzt sei nicht der Moment dafür. Denn diese Posten sind keine Leichtgewichte. „Angesichts des Konsolidierungsbedarfs scheint eine umfangreiche Senkung derzeit wenig realistisch.“ Die Lohnnebenkosten wurden auch in der Dreierkoalition diskutiert, zeigen die ebenfalls publik gewordenen Verhandlungsprotokolle. Die ÖVP wollte auch hier eine „signifikante Senkung“, die SPÖ war dagegen. Konsens war ein „inhaltliches Verständnis in Bezug auf Entlastung des Faktors Arbeit“.
Auf den Satz mit den Lohnkosten folgte meist ein Lamento über die zu hohen Energiekosten seit Beginn des Ukraine-Krieges. Die FPÖ-ÖVP-Verhandler formulierten billigere Energie als frommen Wunsch, der Weg dorthin blieb aber ziemlich unklar.
„Ich bin der Meinung, dass man die Grundsteuer stärken und Erbschaftssteuern wieder einführen sollte. Aber die kommende Regierung sollte das in eine größere Abgaben-Strukturreform einbinden.“
Ökonomin Margit Schratzenstaller
Keine Bankenabgabe
Die SPÖ-Forderung nach einer Bankenabgabe war einer der zentralen Gründe, an denen eine rot-schwarze Zusammenarbeit scheiterte. Da wurde der Druck aus dem ÖVP-Wirtschaftsflügel zu groß. Und zumindest dieses Thema sollte bei den Verhandlungen mit der FPÖ kein Problem sein, nahm man an. Doch einige Tage später grub FPÖ-Chef Herbert Kickl überraschend die Bankenabgabe aus. Im Wahlprogramm der FPÖ kam sie unter dem Titel „Die heimischen Banken müssen im Sinne der Fairness endlich zur Kasse gebeten werden“ vor. FPÖ-Chef Kickl beharrte darauf, und das Thema wurde zur Chefsache hochgestuft. In den geleakten Protokollen kam ein „Standortbeitrag“ der Energiewirtschaft in der Höhe von 100 Millionen Euro 2025 vor. Ob und wie viel die sogenannten starken Schultern beitragen sollen, wurde in der Zuckerl-Variante besprochen. Angesichts des Budgetminus plädierten die sozialdemokratischen Verhandler für eine einnahmenseitige Konsolidierung. Im Protokoll der Verhandlungen folgen diverse Vorschläge: Millionärssteuern, Erbschaftssteuern, Krisengewinner-Beitrag mit einer Übergewinnsteuer für Energieunternehmen, eine Stiftungssteuer, eine Lkw-Maut, eine Plastiksteuer oder die Einführung einer Düngemittel- und Pestizidabgabe. Die Farbmuster wiederholen sich. Rot von der ÖVP, Grün von der SPÖ und Rot von den Neos. Eine Mehrheit für nur ausgabenseitige Konsolidierung findet sich offenbar nicht.
Wer auch immer in den kommenden Monaten regieren wird, ein Beitrag der viel zitierten starken Schultern war in allen Koalitionsgesprächen Thema und auch Konflikt. Ökonomin Margit Schratzenstaller schlägt vor: „Ich bin der Meinung, dass man die Grundsteuer stärken und Erbschaftssteuern wieder einführen sollte. Aber die kommende Regierung sollte das in eine größere Abgaben-Strukturreform einbinden.“ Die Abgabenquote solle langfristig nicht steigen. „Wenn die Konsolidierung geschafft ist, müssen wir die hohen Abgaben auf Arbeit eindeutig senken.“
„Dass die FPÖ das auf Rot stellt, ist absurd“
Ein ÖVP-Verhandler
über die Gespräche zur Rot-Weiß-Rot-Karte
Qualifizierte Zuwanderung ermöglichen
Der Westbalkan ist politisches Ziel-1-Gebiet für die ÖVP. Außenminister Alexander Schallenberg betont bei jeder Gelegenheit die Zukunft der Region als Teil der Europäischen Union, er hat mit mehreren Amtskollegen sogar die diplomatische Gruppe „Freunde des Westbalkans“ ins Leben gerufen. Aber auch wenn es um Fachkräfte aus dem Ausland geht, steht die Region bei der Volkspartei hoch im Kurs. In seinem programmatischen „Österreich-Plan“ versprach der mittlerweile zurückgetretene ÖVP-Chef Karl Nehammer „den Abbau von Bürokratie bei der Rot-Weiß-Rot-Karte“, mit der Schlüsselarbeitskräfte aus dem Nicht-EU-Ausland einen Aufenthaltstitel in Österreich bekommen können. Nehammer stellte den Beitrittskandidaten über eine eigene „Westbalkanregelung“ mit „beschleunigtem Zugang“ und „unbefristeten Beschäftigungsperspektiven“ sogar eine Art Schnellstraße in den österreichischen Arbeitsmarkt in Aussicht. Was auf diplomatischen Empfängen als große europäische Integrationsidee gerühmt wird, ist vor allem auch eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit.
Selbst in einem Rezessionsjahr wie 2024 gaben mehr als 80 Prozent der österreichischen Unternehmen in einer Befragung der Wirtschaftskammer an, dass sie vom Mangel an Arbeits- und Fachkräften betroffen sind. Mitten in der Pensionierungswelle der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge ist klar: Das Problem wird sich nur weiter verschärfen. Bei den gescheiterten Verhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos hatten sich alle drei Parteien auf eine Fachkräftestrategie geeinigt, die explizit den „Zugang internationaler Fachkräfte“ beinhaltete, inklusive Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte und Ausweitung der Kontingente für Saisonarbeiter. Der Fachkräftemangel war ein roter Faden, der sich bei den Gesprächen zur Zuckerl-Koalition durch zahlreiche Untergruppen zog: Ob Bildung, IT, Pflege, Tourismus oder Verkehr – überall adressierten die Verhandler das Problem. Die ÖVP hatte eine Reihe von Vorschlägen zur Entbürokratisierung der Rot-Weiß-Rot-Karte „zur effektiveren Anwerbung von ausländischen Fachkräften“ gemacht. Von der FPÖ kam: „Zurückfahren der Kontingente der Rot-Weiß-Rot-Karte auf den Stand von 2019.“ Selbst in der Pflege lautete die FPÖ-Strategie bloß lapidar: „Fokus auf in Österreich selbst ausgebildete Pflegekräfte.“ „Dass die FPÖ das auf Rot stellt, ist absurd“, sagt ein ÖVP-Verhandler verständnislos.
Die geleakten Papiere zeigen, bei der Rot-Weiß-Rot Karte waren die Differenzen groß, bei den Lohnnebenkosten weniger.
Die Bilanz ist gemischt
Die geleakten Papiere zeigen, bei der Rot-Weiß-Rot Karte waren die Differenzen groß, bei den Lohnnebenkosten weniger.
Die Steuerzuckerl
In den Gesprächen mit der wirtschaftsliberalen Ökonomin Barbara Kolm und dem Manager Arnold Schiefer wähnten sich die Schwarzen auf einem guten Weg. FPÖ und ÖVP machten dort weiter, wo sie 2019 nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos und dem Platzen der letzten gemeinsamen Koalition aufgehört hatten. Die in den vergangenen Wochen paktierten Instrumente zur Belebung der Wirtschaft sind in weiten Teilen dieselben wie schon bei der damaligen schwarz-blauen Steuerreform. Unter dem Titel „Ansiedelungsturbo und Investitionsoffensive“ hatten sich die beiden Parteien auf eine Standortstrategie geeinigt. Als volkswirtschaftliche Allzweckwaffe dient dabei die Körperschaftsteuer (KÖSt), mit der Unternehmensgewinne besteuert werden. Sie liegt derzeit bei 23 Prozent. Die Theorie: Wird die KÖSt gesenkt, bleibt den Unternehmen mehr Geld für Investitionen, die wiederum das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Dazu sollte ein „Evaluierungsmechanismus“ eingeführt werden, mit dem regelmäßig überprüft wird, ob die österreichische KÖSt über dem EU-Schnitt liegt. „Sofern dies der Fall ist, soll die KÖSt um 0,5 Prozent unter den EU-Schnitt gesenkt werden“, lautet ein Vorschlag aus dem Verhandlungspapier von FPÖ und ÖVP, bei dem es allerdings noch keine finale Einigung gab.
Eine KÖSt-Steuererleichterung hätte auch als Lockangebot funktionieren sollen: Unternehmen, die ihren Sitz nach Österreich verlegen, „hier investieren“ und „eine Standortgarantie für zehn Jahre“ abgeben, müssen in den ersten fünf Jahren überhaupt nur 15 Prozent an Steuern auf ihre Gewinne zahlen. In den Dreier-Verhandlungen teilten Neos und SPÖ den KÖSt-Optimismus nicht. „Der Staat verzichtet zwar sicher auf Einnahmen, ob die Unternehmen tatsächlich mehr investieren, bleibt offen. Dazu kommt, dass damit keinerlei strukturelle Reformen verbunden wären“, so ein roter Verhandler.
Fazit
Und das Fazit? Die Bilanz ist gemischt, bei den Lohnnebenkosten gestalteten sich die Verhandlungen einfacher als in der Zuckerlvariante. Bei der Rot-Weiß-Rot-Karte stellte sie sich allerdings gegen jeglichen Zuzug und der Fachkräftemangel kam nicht vor. Jetzt sind die Verhandlungen gescheitert, wir werden sehen, was die nächste Runde bringt.