Vermögensverteilung: Superreich und super im Fokus
Von Marina Delcheva
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Bernard Arnault hat in der französischen Presse zwei Spitznamen. Der freundlichere lautet Conquistador – der Eroberer. Die weniger nette Zuschreibung: Terminator. Arnault ist Vorstandsvorsitzender von „LVMH Moët Hennessy Louis Vuitton“. Zu seinem Imperium gehören 75 Marken, darunter der Luxusjuwelier Tiffany und eben Louis Vuitton. Forbes schätzte sein Vermögen heuer auf 233 Milliarden US-Dollar, und damit ist er aktuell der reichste Mensch der Welt. Für manche zu reich.
Wenn die Staats- und Regierungschefs der 20 größten Industrienationen (G20) Anfang Juni in Rio de Janeiro zusammenkommen, reisen vier von ihnen mit einer bisher ungewöhnlichen Forderung an – zumindest in diesen Kreisen: Superreiche sollen weltweit eine Vermögenssteuer von zwei Prozent zahlen. Deutschland, Spanien, Südafrika und Brasilien, das heuer Gastland der G20 ist, haben dazu einen gemeinsamen Antrag unterzeichnet und wollen ihn nun auf breiter Basis diskutieren. Der Vorschlag stammt aus der Feder des französischen Ökonomen Gabriel Zucman und richtet sich an 3000 Milliardäre weltweit. Also eine ganz eigene Steuer für die Elon Musks, Mark Zuckerbergs und Arnaults dieser Welt.
Im „Global Tax Evasion Report 2024“, den Zucman vergangenen Mittwoch in Wien präsentierte, gehen er und seine Kollegen davon aus, dass man damit Einnahmen von umgerechnet 232 Milliarden Euro generieren könnte, um etwa die Folgen des menschengemachten Klimawandels zu adressieren oder Vermögen von oben nach unten zu verteilen. Auch andere Staaten wie Belgien oder Frankreich zeigen sich im Vorfeld diskussionsbereit. Die Initiative hat trotzdem wenig Aussicht auf
Erfolg. US-Finanzministerin Janet Yellen hat schon abgewunken. Vermutlich auch deshalb, weil laut Forbes fast ein Drittel dieser Superreichen aus den USA kommt. Aber allein die Tatsache, dass globale Vermögenssteuern breit diskutiert werden, ist ein Novum.
Die Rufe nach mehr Umverteilung und höheren Steuern für Superreiche und multinationale Konzerne haben im Superwahljahr Hochkonjunktur – in Österreich und international. Die Coronapandemie, die Energiekrise und die hohe Inflation haben Spuren bis weit in die Mittelschicht hinterlassen. Die Staatsfinanzen sind nach den milliardenschweren Corona-Hilfen und den Anti-Teuerungs-Maßnahmen massiv unter Druck. Parolen wie „Tax the rich“ treffen gerade einen empfindlichen Nerv.
Steuerwettbewerb blüht
Auch wenn Steuern nationale Materie sind: Wie und welche Steuern in welcher Höhe wir einheben, ist heute auch eine Standortfrage. Einige Staaten haben ihre niedrigen Steuersätze für Unternehmen und Kapital zum Geschäftsmodell gemacht. EU-Länder wie Irland oder Ungarn werben so gezielt um internationale Investoren. In Irland zahlt man 12,5 Prozent an Körperschaftssteuern, in Ungarn gar nur neun.
Als Gabriel Zucman 2015 sein erstes Buch, „Steueroasen, veröffentlichte, rechnete er vor, dass weltweit 5,8 Billionen Euro steuerschonend in Steueroasen liegen und dass den Staaten dadurch weltweit 177 Milliarden Euro an Einnahmen aus Kapitalerträgen und Erbschaften entgehen. Und heute? Sowohl in der EU als auf internationaler Ebene wurde seitdem tatsächlich einiges umgesetzt, um bis dahin weit klaffende Steuerschlupflöcher zu stopfen.
Nachdem sich 2016 zahlreiche Staaten weltweit auf einen automatisierten Austausch von Bankdaten einigten, ging der Anteil an nicht versteuertem Vermögen in Steueroasen schlagartig zurück. Nicht aber das Gesamtvermögen, das besonders steuerschonend offshore veranlagt ist, so der aktuelle Steuerbericht von Zucman. 2021 einigten sich 130 Staaten auf allen Kontinenten auf Betreiben der OECD auf eine globale Mindeststeuer für Unternehmen von 15 Prozent. Die jetzt verhandelte Lösung ist freilich ein Kompromiss und geht linken Ökonomen wie Zucman nicht weit genug. Es gibt eine Reihe von Ausnahmen für Staaten, damit sie im Einzelfall auch niedrigere Steuersätze anwenden dürfen. Die Mindeststeuer richtete sich an Unternehmen mit einem Umsatz von 750 Millionen Euro pro Jahr und trifft nur Giganten wie Alphabet – Googles Mutterkonzern – oder Amazon. Aber auch das wäre noch vor der Pandemie undenkbar gewesen.
Österreich hat mit rund 43 Prozent eine der höchsten Abgabenquoten in der EU. Bei den Steuern und Abgaben auf Arbeit liegen wir mit 47,2 Prozent sogar an dritter Stelle unter den OECD-Ländern. Vermögensbezogene Steuern, also auf Erbschaften oder bestehendes Vermögen, gibt es hingegen so gut wie nicht. Die Debatten darüber werden im anlaufenden Wahlkampf umso hitziger geführt – und zwar in allen politischen Lagern. Die SPÖ schlägt unter ihrem neuen Chef Andreas Babler neue Vermögens- und Erbschaftssteuern vor, die sich an Vermögen ab einer Million Euro richten; beziehungsweise ab zwei Millionen inklusive Wohneigentum. Dem Fiskus soll das fünf zusätzliche Milliarden Euro ins Budget spülen, rechnet die SPÖ vor.
Die Frage, ob, wie und in welcher Höhe wir umverteilen, ist keine ökonomische, sondern eine rein politische. „Ökonomen können nicht beurteilen, wie Vermögen verteilt sein sollen. Das ist eine Entscheidung, die die Wählerinnen und Wähler treffen müssen“, sagt Ludwig Strohner vom Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria. „Wir können nur beurteilen, welche Instrumente ökonomisch effizienter sind, das Verteilungsziel zu erreichen.“ Er und seine Kolleginnen haben kürzlich im Rahmen einer Studie im Auftrag der ÖVP-nahen Julius-Raab-Stiftung und der Raiffeisen Landesbank NÖ/Wien mögliche Effekte einer Vermögenssteuer untersucht. „Auch wenn das Geld über die Vermögenssteuer reinkommt, an anderer Stelle geht wieder etwas verloren“, meint der Ökonom. So würden am Ende nicht fünf, sondern zwei Milliarden übrig bleiben.
Laut Studie sei damit zu rechnen, dass die Investitionstätigkeit bei einigen Unternehmen dadurch zurückgeht, was wiederum Effekte auf die Beschäftigung hätte. Von bis zu 40.000 Arbeitsplätzen ist hier die Rede. Außerdem hat Vermögen die unangenehme Angewohnheit, sich zu verflüchtigen, wenn es Gefahr läuft, besteuert zu werden. „Es ist natürlich auch mit Effekten der Steuervermeidung zu rechnen“, sagt Strohner. Diese Erfahrung hat das französische Finanzministerium gemacht. Dort wurde die Vermögenssteuer 2017 wieder abgeschafft, auch weil die Liste der Vermögenden, die zahlen sollten, immer kleiner wurde. Und sie warf auch nicht mehr als 5,3 Milliarden Euro ab – bei einer Bevölkerungsgröße von 68 Millionen.
Strohner hält die Grundsteuer für die bessere Vermögenssteuer. „Immobilien sind da, und sie können ihren Wohnsitz nicht einfach ins Ausland verlagern.“ Die Einnahmen würden an die Länder und Gemeinden fließen und deren Steuerautonomie stärken. Im Gegenzug könnten kommunale Steuern reduziert werden.
Personen statt Unternehmen
Einen eigenen Vorschlag für Vermögenssteuern macht ein anderer SPÖ-Funktionär, der nach der kommenden Wahl für die SPÖ in den Nationalrat einziehen möchte. Der promovierte Ökonom Nikolaus Kowall möchte das sogenannte nichtproduktive Vermögen anzapfen. Also eben nicht jene Einkommen, die aus Lohnarbeit oder der direkten unternehmerischen Tätigkeit entstehen, sondern zum Beispiel in Aktienpaketen oder Immobilien stecken. Steuerpflichtig wären damit Personen, die aufgrund ihrer privaten Einkommenssituation ein beachtliches Vermögen angehäuft haben, und nicht Unternehmen, erklärt Kowall. Und – das ist vermutlich der größte Unterschied zum aktuellen SPÖ-Modell – alles soll aufkommensneutral sein. Alles andere sei politisch nur schwer durchsetzbar, meint er.
„Was man hier an Vermögen einnimmt, muss bei der Arbeit runter“, sagt Kowall. „Ich bin davon überzeugt, dass mit Blick auf eine Kreislaufwirtschaft, wo wir viel mehr reparieren und wiederverwerten müssen, statt neu zu produzieren, die Entlastung des Faktors Arbeit absolut notwendig ist. Eine ressourcenschonendere Produktion ist viel arbeitsintensiver.“ Von geringeren Lohnnebenkosten würden auch die Unternehmen profitieren. Auf konkrete Steuersätze möchte sich Kowall nicht festlegen. Man müsse sich überlegen, welche Steuersätze gerade volkswirtschaftlich verkraftbar seien.
Doch auch in diesem Modell gilt: Vermögen kann schnell flügge werden. Deshalb müsse die Steuerdebatte immer auch auf EU-Ebene geführt werden. „Das bedeutet trotzdem nicht, dass wir in Österreich keine Vermögenssteuern einführen können.“
Also doch wieder ein Mindeststeuersatz, der für alle ab einer gewissen Vermögens- und Umsatzgröße gelten soll? EcoAustria-Ökonom Rohner ist skeptisch. „Das nimmt den Nationalstaaten ein Stück weit die Steuerautonomie.“ Aber auch hier gilt: Steuern sind vor allem eine politische Entscheidung. Bleibt nur die Frage, wofür sich der Wählerwille diesmal entscheidet.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".