Warum bei Red Bull der Dosen-Krieg herrscht
Von Marina Delcheva
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Fuschl am See gehört eigentlich nicht zu den Top-Destinationen für Reisende aus Thailand. Üblich sind eher Trips in die andere Richtung. Und das galt auch jahrelang für den heimischen Getränkehersteller Red Bull. Zuletzt ging die Reise aber von Thailand an den Fuschler See in Salzburg. Was für reichlich Wirbel in der Firmenzentrale sorgt. „An die Thailänder (Miteigentümer von Red Bull, Anm.) hat hier bis vor Kurzem niemand gedacht“, erzählen Mitarbeiter des Konzerns hinter vorgehaltener Hand. Üblicherweise reiste man nach Bangkok, um Ergebnisse zu versprechen und zu liefern – in Form von satten Gewinnen, und das jahrzehntelang.
Es war eine Milliarden Euro schwere, routinierte Symbiose. Dietrich Mateschitz leitete das Unternehmen. Er war das Unternehmen. Und die thailändische Yoovidhya-Familie hat Jahr für Jahr üppige Gewinne kassiert. Sie ist über die TC Agro Trading Company mit 49 Prozent an der Red Bull GmbH beteiligt. Chalerm Yoovidhya hält selbst weitere zwei Prozent am Unternehmen. Seit dem Ableben von Dietrich Mateschitz am 22. Oktober 2022 ist aber einiges anders im sonst erfolgsverwöhnten Weltkonzern, der aus dem idyllischen Salzburger Land gesteuert wird. Und der Besuch aus Thailand sorgt für ein noch sanftes, aber nicht mehr überhörbares Grummeln in der Belegschaft.
Schmutzwäsche, Belästigungsvorwürfe gegen einen hochrangigen Manager, Graben- und Machtkämpfe finden immer wieder ihren Weg in die Presse. Es ist ein Drama mit zahlreichen Schauplätzen und vielen Hauptrollen. Zu vielen vielleicht. Dabei war Red Bull jahrelang äußerst verschwiegen. Zu berichten gab es nur Gutes, und wer tiefer bohren wollte, stieß jedes Mal auf die gleiche Antwort: „Kein Kommentar.“ Was ist da los in der Welt von Red Bull? Und bedeuten die offen ausgetragenen Machtkämpfe auch eine Schwächung der einst mächtigen Österreich-Achse?
Im Schnitt trinkt jede und jeder von uns 30 Dosen Red Bull jährlich. Allein hierzulande wurden zuletzt rund 300 Millionen Dosen des Energydrinks verkauft – in nur einem Jahr. Weltweit waren es 2023 übrigens 12,138 Milliarden Dosen. Also eineinhalb Dosen pro Jahr für jeden Erdenbürger. Red Bull ist Weltmarktführer bei Energydrinks und das wertvollste Unternehmen Österreichs. Das Branchenportal „Brand Finance“ bezifferte den Markenwert im Vorjahr mit 6,7 Milliarden Euro.
Von der Dose zum Weltkonzern
Das Kerngeschäft war und ist die Dose. Daran verdient der Konzern bis heute am besten, und damit wurden zwei Unternehmerfamilien – in Salzburg und in Bangkok – sehr reich. Laut eigenen Angaben setzte Red Bull 2023 fast 10,6 Milliarden Euro um.
Der Erbe
Mark Mateschitz (l.) erbte nach dem Ableben seines Vaters Dietrich Mateschitz dessen Unternehmensanteile. Er ist Gesellschafter von Red Bull, hat aber keine operative Management-Funktion im Unternehmen.
Rückblende: 1982 reiste Dietrich Mateschitz nach Thailand und trank dort wohl das erste Mal das taurinhaltige Energiegetränk Krating Daeng (auf Deutsch „Roter Bulle“, Anm.). In Asien verbreiteten sich Energy-Drinks schon ab dem Zweiten Weltkrieg. Japanische Piloten sollen die aufputschenden Getränke konsumiert haben, um ihre Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit zu steigern. Mateschitz soll es geholfen haben, den Jetlag zu überwinden.
Produziert wurde Krating Daeng damals von T.C. Pharmaceuticals des thailändischen Unternehmers Chaleo Yoovidhya. Mateschitz und Yoovidhya gründeten die Red Bull GmbH. 1987 erfolgte die Markteinführung in Österreich. Es folgten Ungarn, Deutschland, später die USA. Wasser, Zucker, Koffein, Taurin, Vitamine – rund um diese im Grunde simple Rezeptur wuchs Red Bull mit viel Marketing Jahr für Jahr zum Weltkonzern. Heute kann man die Dose in mehr als 170 Ländern kaufen. Und rund um das Dosengeschäft ist ein ganzes Imperium gewachsen – Formel-1-Rennstall, Fußballklubs, ein Medienhaus, Extremsport.
Über all dem stand Dietrich Mateschitz – der Leitbulle. „Mateschitz ist bei Red Bull nicht zu ersetzen“, sagte der langjährige Red-Bull-Berater Volker Viechtbauer schon im Vorjahr in den „Salzburger Nachrichten“. Tatsächlich scheint seit seinem Ableben nicht ganz klar, wer das Sagen im Unternehmen hat. Alleiniger Erbe von Mateschitz ist sein Sohn Mark. Über die „Distribution & Marketing GmbH“ (D & M GmbH) hält er heute 49 Prozent an Red Bull. Für 2022 wies die D & M übrigens laut Firmenbuch (Wirtschaftscompass) ein Ergebnis vor Steuern von 824 Millionen Euro aus. Unter dem Dach der D & M sind zahlreiche weitere Unternehmen und Beteiligungen gebündelt, zu denen nicht nur Firmenbeteiligungen, sondern auch ein beachtliches Immobilien-Imperium gehört.
Nur: Mark Mateschitz lasse sich in den Firmenstandorten in Fuschl und in Elsbethen in Salzburg, so erzählen es Mitarbeiter, nicht unbedingt oft sehen. Nach dem Tod seines Vaters erklärte er, dass er sich auf seine Rolle als Gesellschafter konzentrieren und sich operativ aus dem Unternehmen zurückziehen wolle. Eine Zeit lang verantwortete er die Organics-Schiene von Red Bull. Also das gesündere, hippere, bio-affine Red Bull. Zahlenmäßig soll die Sparte aber nicht ansatzweise an den Erfolg des Energy-Drinks anknüpfen können.
Operativ geleitet wird der Betrieb heute von einem Geschäftsführer-Trio: Oliver Mintzlaff ist für die Beteiligungen zuständig. Franz Watzlawick verantwortet das Dosengeschäft und Alexander Kirchmayr die Finanzen. So wollte es Dietrich Mateschitz haben, und so hat er das selbst noch vor seinem Ableben orchestriert.
Führungsspitze
Oliver Mintzlaff (r.) führt zusammen mit Franz Watzlawick (l.) und Alexander Kirchmayr Red Bull operativ im Triple-Pack von Salzburg aus. Die Anschuldigungen gegen Horner bringen den ganzen Konzern unter Druck.
Das aktuelle Gesicht von Red Bull mit doch zweifelhaftem Ruhm ist aber er: Christian Horner. Von London aus leitet er die Formel-1-Sparte von Red Bull, durchaus mit Erfolg. Horner sei eine Rampensau, attestieren Red-Bull-Insider. Er war selbst Rennfahrer und ist mit dem Spice Girl Geri Halliwell verheiratet. Ende 2004 wurde bekannt, dass Red Bull das damalige Formel-1-Team von Jaguar kauft, und Dietrich Mateschitz machte Horner zum Teamchef von Red Bull Racing. Horner sei von Mateschitz selbst nicht als zentrale Figur in der Firmenzentrale vorgesehen gewesen, berichten Kenner. Wie das Verhältnis zwischen Dietrich Mateschitz und Christian Horner tatsächlich war, lässt sich heute wohl nicht mehr rekonstruieren.
In den Schlagzeilen ist Horner aber derzeit wegen einer anderen Geschichte: Er soll eine ihm unterstellte Mitarbeiterin mittels Textnachrichten massiv sexuell belästigt haben – mutmaßlich. „Kein Manager überlebt normalerweise einen solchen Vorwurf“, sagt ein Insider. Zu diesem Schluss sollen auch Mark Mateschitz und das Geschäftsführer-Trio gekommen sein. Sie wollten Horner entfernen.
Heute ist aber die betroffene Mitarbeiterin suspendiert, Horner wurde von allen Vorwürfen nach einer internen Untersuchung durch einen Anwalt freigesprochen. Und beide Seiten dürfen nicht mehr über den Vorfall sprechen. Dass dieser eine Manager die Vorwürfe nicht nur überlebt hat, sondern sogar medial womöglich als der neue starke Mann bei Red Bull aufschlägt, liegt an Machtkämpfen und Seilschaften, die schon vor dem Bekanntwerden des Skandals geknüpft wurden.
Machtkampf der Erben
Und hier kommt Chalerm Yoovidhya ins Spiel. Auch er hat seine Red-Bull-Anteile von seinem Vater, Chaleo, geerbt. Dieser starb bereits im März 2012 in Bangkok. Auch er hatte sich bisher eigentlich auf eine reine Gesellschafterrolle konzentriert und das operative Geschäft der Österreich-Connection überlassen.
London-Connection
Der Teamchef von Red Bull Racing, Christian Horner, lässt sich neuerdings besonders gern mit Chalerm Yoovidhya (l.) ablichten. Nicht nur zur Freude der Salzburger. Die Familie Yoovidhya hält insgesamt 51 Prozent an der Red Bull GmbH.
Forbes schätzt das Vermögen der beiden Männer übrigens auf umgerechnet auf 36,3 Milliarden (Mateschitz) und 30,74 Milliarden Euro (Yoovidhya-Familie). Christian Horner und Chalerm Yoovidhya wird ein besonderes Naheverhältnis nachgesagt, das schon vor Dietrich Mateschitz’ Ableben zu gedeihen begonnen haben könnte. Yoovidhya soll auch Horners Ablöse verhindert haben, und zwar gegen den Willen der Geschäftsführung in Salzburg.
Streng genommen hat Yoovidhya auch alle Macht dazu – seiner Familie gehört mit 51 Prozent die knappe Mehrheit des Weltkonzerns. „Überraschend ist eher, dass sie sich bisher offenbar so wenig für das Unternehmen interessiert haben“, kommentiert ein Insider. Die Einigkeit zwischen Horner und Yoovidhya wird auch immer wieder offen zur Schau gestellt. Zum Beispiel posierten beide medienwirksam und demonstrativ innig beim Formel-1-Rennen am 2. März in Bahrain. Nur drei Tage zuvor wurde Horner seitens des Konzerns von den Belästigungsvorwürfen freigesprochen. Auf Nachfrage zur Causa Horner wollte sich die Pressestelle von Red Bull nicht äußern.
Seilschaften
Red Bulls Motorsportchef, Helmut Marko (l.), gilt als Entdecker und Förderer von Formel-1-Weltmeister Max Verstappen. Keiner der beiden stellte sich öffentlich hinter Christian Horner während der Untersuchungen um mutmaßliches Fehlverhalten gegenüber einer Mitarbeiterin.
Dabei birgt die Rennstall-Affäre die Gefahr, das heilige Dosengeschäft in ein schlechtes Licht zu rücken, vor allem in den USA, wo Red Bull einen Marktanteil von über 40 Prozent hat. Es ist der größte und wichtigste Absatzmarkt des Konzerns, mit einem eigenen, durchaus imposanten Abfüllwerk inmitten der Wüste im Bundesstaat Arizona.
Ausgerechnet dort forderten Frauenrechtsorganisationen einen Boykott von Red Bull und einen Bann des Getränks aus den Supermarktregalen des Landes. Bei Walmart kann man Red Bull zwar immer noch kaufen, schön und absatzfördernd ist das alles aber nicht.
Der Umgang mit Horner und die ihm nachgesagten Ambitionen, im Konzern trotz der Causa aufzusteigen, haben nicht nur eine Führungsdebatte entfacht. Es stellt sich auch die Frage, wie mächtig die Führung in Salzburg noch ist und was das für den Standort bedeutet.
Aus der Firmenzentrale ist zu hören, dass man nun Investments genauer unter die Lupe nimmt. Zumindest etwas genauer als noch vor ein paar Jahren. Zudem werde die Absatzentwicklung in Österreich genau beäugt, wie auch die „Salzburger Nachrichten“ berichteten. Red Bull wuchs zwar zuletzt, wie eigentlich jedes Jahr, aber nicht mehr ganz so rekordverdächtig wie in den Pandemie-Jahren, als der Verkauf explodierte.
Nach wie vor gilt unser Grundsatz, dass wir uns zu Gerüchten nicht äußern, so unplausibel sie auch sein mögen.
Und dann ist da noch das Gerücht um eine mögliche Verlegung der Firmenzentrale weg aus Salzburg in Richtung Thailand oder eines Standorts mit einem deutlich niedrigeren Steuerniveau als Österreich. Dubai zum Beispiel, dem Asia-Headquarter von Red Bull. Zu all dem gab es seitens Red Bull keine Stellungnahme. Mark Mateschitz ließ auf Nachfrage in seinem Büro ausrichten: „Nach wie vor gilt unser Grundsatz, dass wir uns zu Gerüchten nicht äußern, so unplausibel sie auch sein mögen. Herrn Mateschitz ist es wie bereits seinem Vater ein Anliegen, seine persönliche mediale Präsenz im engsten möglichen Rahmen zu halten.“
Kein Steuerflüchtling
Zu Lebzeiten konnte man Dietrich Mateschitz einiges vorwerfen. Als „Servus TV“ einen Betriebsrat gründen wollte, drohte Mateschitz kurzerhand, den ganzen Sender abzudrehen. Und skurrilerweise taucht Red Bull als Randnotiz auch in der Causa Egisto Ott auf, der jetzt als mutmaßlicher russischer Spion enttarnt wurde und in Untersuchungshaft sitzt. Ott soll vor vielen Jahren, als er in Ankara stationiert war, Red Bull Informationen zu einem türkischen General weitergegeben haben. Ein entsprechendes Verfahren wegen Geheimnisverrats gegen Ott wurde eingestellt.
Was man Dietrich Mateschitz aber wohl nicht vorwerfen kann, ist Steuer-optimierung im großen Stil, wie sie bei Unternehmen in dieser Größe zumindest nicht unüblich ist. Red Bull kommt weitestgehend ohne komplizierte Firmenverschachtelungen, Stiftungskonstruktionen und Steueroasen aus. Ein ehemaliger Weggefährte berichtet, dass Mateschitz immer abgewunken haben soll, wenn man ihm steuerschonendere Firmenkonstruktionen vorgeschlagen habe. Ein Steuerflüchtling wollte er nicht sein.
2022 zahlte allein die Red Bull GmbH laut Jahresabschluss 506 Millionen Euro an Ertragssteuern, für Löhne und Gehälter rund 39 Millionen. Hinzu kommen noch kommunale Abgaben und Beiträge für die Sozialversicherung. Von den 17.878 Mitarbeitern weltweit arbeitet fast jeder zehnte in Österreich.
Hinzu kam Mateschitz’ Vorliebe fürs Lokale. Zu den Firmenbeteiligungen zählen nicht nur Red Bull, sondern auch Immobilienfirmen. Er übernahm Hotels, Gaststätten und Schlösser und wertete sie auf. Mateschitz hat auch im Mürztal, in der Steiermark, wo er geboren und aufgewachsen ist, investiert. All das verwaltet jetzt sein Sohn.
Wenn eine Firma in dieser Größe ihre Steuerlast auch nur ein bisschen ins Ausland verlagert, wird das auch schnell mal zur Standortfrage, und dem Fiskus entgehen dadurch Millionen. Für möglich hält das in Salzburg derzeit wohl niemand. Solche Szenarien liegen auch off the record noch außerhalb der Vorstellungskraft der roten Bullen. Dafür hat Dietrich Mateschitz’ Erbe noch zu viel Gewicht. Das Grummeln in und um die Firmenzentrale will nicht verstummen. Und der Raum für Ambitionen und Spekulationen wächst.
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".