Mikrochips bestimmen über den wirtschaftlichen Erfolg ganzer Erdteile - in einem Ausmaß, wie wir das bisher nur vom Erdöl kannten.
Mikrochips

Warum Halbleiter das neue Erdöl sind

Ohne Halbleiter geht heute gar nichts – sie sind in jedem Smartphone, in jedem Windrad, in jeder Waschmaschine. Zwischen den USA und China tobt ein beinharter Chip-Krieg mit harten Sanktionen und Gegensanktionen. Die EU und Österreichs Halbleiter-Industrie geraten dabei zwischen die Fronten.

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Halbleiter sind überall. Sie nehmen elektrische Signale auf, verarbeiten sie und leiten sie weiter. In einem Smartphone sind rund 50 Mikrochips verbaut, allein vier braucht das Mikrofon, damit uns das Gegenüber beim Telefonieren hören kann. Eine Wärmepumpe für ein Einfamilienhaus hat 100 Halbleiter. Der Fernseher: 200 Mikrochips; Bankomat- und e-card: je ein Chip; der Laptop: rund 50; das Netzteil für die LED-Leuchte: ein Halbleiter. Je nach Lebensstil hat jeder von uns mit rund 1000 Mikrochips zu tun – pro Tag. Unser hoch technologisierter Alltag findet im Grenzbereich zwischen >104 und <10−8 Siemens pro Zentimeter statt. Das ist jener physikalische Bereich zwischen elektrischen Leitern und Nichtleitern, in dem Mikrochips operieren, Halbleiter also. Die physikalische Messeinheit für die elektrische Leitfähigkeit ist nach dem deutschen Physiker und Erfinder Werner von Siemens benannt und teilt sich den Namen mit einem großen deutschen Industriekonzern.

Ohne Halbleiter gibt es keine Energiewende, keine Umwelttechnologie, keine künstliche Intelligenz, keine E-Mobilität, keine Digitalisierung. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) hängt fast die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung direkt oder indirekt von der Halbleiterindustrie ab. Kurz: Mikrochips bestimmen den wirtschaftlichen und technologischen Erfolg ganzer Erdteile – in einem Ausmaß, wie man es bisher nur vom Erdöl kannte. Wohl auch deshalb ist ein beinharter globaler Handelskrieg darum entbrannt. Ganz nach dem Motto: Auge um Auge, Sanktion um Sanktion. Die Hauptfront verläuft zwischen den USA und China. Europa versucht bisher, sich tunlichst aus diesem Konflikt herauszuhalten. Aber auch kleine Länder wie Österreich, die selbst Mikrochips in die ganze Welt exportieren, geraten zunehmend unter Druck.

China beschränkt Export

Ab dem 1. August beschränkt China die Ausfuhr von Gallium und Germanium. Beide seltenen Metalle, wobei Germanium streng genommen ein Halbmetall ist, sind ganz wesentliche Bestandteile der Halbleiterproduktion. Künftig brauchen chinesische Unternehmen, die eines dieser Elemente in die USA oder in die EU verkaufen wollen, eine staatliche Ausfuhrlizenz. „Eine Beschränkung ist noch kein Embargo“, sagt Klaus Friesenbichler. Er ist stellvertretender Direktor des „Supply Chain Intelligence Institute Austria“ (ASCII) und Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO). Wie viel Germanium und Gallium die USA und die EU-Länder bekommen, entscheidet die Führung in Peking. „Welches Unternehmen diese Lizenzen bekommt, obliegt also der Willkür der Partei.“

Germanium kommt zum Beispiel in der Solar- und Weltraumtechnologie zum Einsatz. Es ist so widerstandsfähig, dass es kosmischer Strahlung standhält. Gallium wird wiederum in der Medizintechnologie eingesetzt. Beide Elemente finden sich auf der Liste der kritischen Rohstoffe der EU wieder und beide kommen großteils aus China. „80 Prozent des Galliums und 60 Prozent des Germaniums importieren wir derzeit aus China“, sagt Friesenbichler. Es ist nicht so, dass diese Elemente besonders selten sind. Früher wurden Gallium und Germanium zum Beispiel von Kasachstan und bis Kriegsbeginn auch in größeren Mengen von der Ukraine und Russland exportiert. Heute ist aber China der Hauptlieferant. Weil viele Anbieter nicht mit den Preisen chinesischer Unternehmen mithalten konnten, sind sie aus dem Markt ausgeschieden. Wie bei vielen anderen Rohstoffen und Seltenen Erden kontrollieren auch hier chinesische Unternehmen große Teile des weltweiten Rohstoffhandels.

Ob und in welchem Ausmaß China den Export beschränkt, ist noch unklar. Es ist aber der nächste absehbare Eskalationsschritt im globalen Chip-Streit und kann als Vergeltungsmaßnahme und Antwort auf den US-Chips-Act und die Bemühungen der EU um Diversifikation ihrer Lieferketten interpretiert werden. Im Dezember des Vorjahres erließen die USA mit dem Chips-Act so etwas wie ein digitales Total-embargo gegen China. Fabriken in China dürfen demnach nicht mehr mit Mikrochips aus den USA beliefert werden. Auch Japan und die Niederlande beteiligen sich am Embargo. Die Niederlande wollen zum Beispiel den Verkauf von Maschinen für die Produktion von Chips in Ländern außerhalb der EU beschränken. Japan hat den weltweit relevanten Halbleiterproduzenten JSR vollverstaatlicht und von der Börse genommen.

Branche nervös

Szenenwechsel nach Villach: 9,4 Milliarden Mikrochips verlassen jährlich das Werk von Infineon Österreich, einer Tochter des deutschen Chip-Riesen Infineon, um später in Windräder, E-Autos, Solaranlagen verbaut zu werden. Das Chip-Labor erinnert ein bisschen an eine Corona-Station während der Pandemie. Die Technikerinnen und Techniker tragen weiße Ganzkörperanzüge, Handschuhe, Schutzbrillen, Kapuzen. Alles im sogenannten Reinraum muss de facto steril sein. Mikrochips haben nämlich so etwas wie eine Stauballergie. Ein Staubkörnchen oder eine winzige Hautschuppe auf einem Mikrochip wirkt wie ein Meteoriteneinschlag in einer Stadt.

Infineon erwirtschaftet ein Drittel seines gesamten Konzernumsatzes in China (siehe Interview). Um die Chips, die später dorthin exportiert werden, zu produzieren, ist man in der gesamten Branche auf Rohstoffe aus China angewiesen. Der Handelskrieg zwischen den USA und China samt Verkaufsverbot da und Ausfuhrbeschränkungen mittels Lizenzen dort sorgt in der gesamten europäischen Chipindustrie für Anspannung. Wie viel Germanium und Gallium Infineon aus China importiert, wird nicht kommuniziert. „Zu einzelnen Materialien können wir keine Aussagen treffen. Grundsätzlich verfolgt Infineon eine Multi-Sourcing-Strategie und unterhält Lieferbeziehungen zu Lieferanten in verschiedenen geografischen Regionen“, heißt es von der Pressestelle in Deutschland auf Nachfrage. „Derzeit sehen wir keine nennenswerten Auswirkungen auf die Materialversorgung, die unsere Produktionskapazitäten beeinträchtigen würden.“

Im weltweitne Halbleiter-Wettrüsten investieren Staaten mittlerweile Milliarden. Der Chips-Act der USA, der neben einem China-Embargo auch Investitionen in den Ausbau eigener Halbleiterfabriken vorsieht, ist mit 52 Milliarden US-Dollar dotiert. China hat in den vergangenen Jahren 150 Milliarden US-Dollar in die Hand genommen. Und die EU-Staaten haben im April einen 43 Milliarden Euro schweren EU-Chips-Act beschlossen. Damit soll der EU-Weltmarktanteil bei der Chip-Produktion von zehn auf 20 Prozent steigen. 3,3 Milliarden Euro kommen direkt aus dem EU-Budget, das restliche Geld müssen die Länder selbst stemmen.

In Österreich reagierte man am Donnerstag mit einem Chip-Gipfel im Bundeskanzleramt auf das globale Halbleiter-Wettrüsten. „Mikrochips in Österreich sollen so ein Begriff werden wie Lipizzaner und Mozartkugeln“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Auch wenn Touristinnen und Touristen die heimischen Chip-Fabriken eher nicht wie eine Lipizzaner-Show stürmen werden, ganz holprig ist der Vergleich nicht. Österreich ist der viertgrößte Halbleiterproduzent der EU und an erster Stelle bei der Wertschöpfung pro Kopf. Mehr als 80 Betriebe und 72.000 Arbeitsplätze umfasst die heimische Halbleiterindustrie. Sabine Herlitschka, Chefin von Infineon Österreich und stellvertretende Obfrau des Fachverbands für Elektro- und Elektronikindustrie, bezifferte die Investitionsbereitschaft der Branche bis 2030 mit sieben Milliarden Euro.

Das US-Chip-Embargo gegen China und die drohenden Kürzungen von Rohstoffen aus dem Reich der Mitte bedrohen aber sowohl die Ausbauziele der EU als auch Österreichs Halbleiterindustrie. „Dieser Handelskrieg kommt zu einer Unzeit“, meint Friesenbichler vom ASCII. Das Institut erforscht unter anderem die Resilienz von Lieferketten und Möglichkeiten zur Diversifikation. Einerseits bemühen sich jetzt alle Wirtschaftsblöcke um eine autarke Chipindustrie, andererseits seien die Lieferketten, Fertigungsprozesse und Märkte stark globalisiert und verwoben. „Schon allein aus humanistischer Sicht sollten wir im Moment etwas anderes tun, nämlich den Klimawandel global bekämpfen. Alle Länder brauchen derzeit Umwelttechnologien.“ Vor allem in der EU lautet aus diesen Gründen die Devise: Diversifikation der Lieferquellen, nicht nur beim Gas, sondern auch bei den Rohstoffen.

Lieferstopp von Rohstoffen wie Gasembargo

Zurück nach China und zur Rohstoffproblematik: „Falls sich China als Monopolist aus dem Markt nimmt, wird das natürlich zu Disruptionen führen“, meint Ökonom Friesenbichler. Er vergleicht das mit dem Gaslieferstopp aus Russland, der die Energiepreise im Vorjahr massiv in die Höhe schnellen ließ. Sollten chinesische Unternehmen tatsächlich ab August dieses Jahres weniger Gallium und Germanium liefern, würde das kurzfristig die Preise in die Höhe treiben. Aber mittel- und langfristig würden neue Anbieter diese Lücke schließen. Wie das auch bei den LNG-Lieferungen passiert ist, wo ausbleibendes Erdgas aus Russland mit Flüssiggas (Anm.: Liquefied Natural Gas, LNG) aus anderen Weltregionen ersetzt wurde. „China nutzte bereits in der Vergangenheit das Instrument einer Exportbeschränkung, um Druck auf westliche Hersteller zu erzeugen“, heißt es Nachfrage seitens des FEEI. Bei Gallium „gestaltet sich dieser Markt hektisch. Europa benötigt eine nachhaltige Strategie hinsichtlich der Frage, was in Europa direkt hergestellt werden muss – auch wenn dies höhere Kosten bedeuten könnte –, und wo zugekauft werden kann.“

Die Angelegenheit hat nicht nur eine wirtschafts-, sondern auch eine geopolitische Dimension: Für Taiwan sind Mikrochips eine Art Lebensversicherung. China droht dem Inselstaat im Chinesischen Meer immer offener und aggressiver mit einem Einmarsch. Die Taiwan Semiconductor Manifacturing Company (TSCM) produziert 92 Prozent des weltweiten Bedarfs an sogenannten Logik-Chips. Diese Hightech-Chips sind zehn Nanometer klein – ein Hunderttausendstel eines Millimeters. Das ist die Königsklasse der Mikrochips. Bisher ist es keinem anderen Land gelungen, diese Technologie nachzubauen. Wenn die Werke in Taiwan zum Beispiel wegen eines militärischen Einmarsches die Produktion stoppen, stehen auch weite Teile der Weltwirtschaft still. Autos, Handys, Haushaltselektronik, Umwelttechnik können dann nicht zusammengebaut werden. Auch nicht in China, das selbst ebenfalls noch stark auf Chiplieferungen aus dem Ausland angewiesen ist.

Die nächste Schlacht im Chip-Krieg ist jedenfalls eröffnet.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".