Einige Monate später, mitten im Winter. Die Schule ist offen, der Park fast fertig und das Restaurant im Vollbetrieb. Im Herzstück der renovierten Gösserhalle steht nun ein lichtdurchflutetes Atrium, umgeben von zwei Stockwerken, in denen die Büros untergebracht sind. Der Altersschnitt liegt hier klar unter 40 Jahren, im Keller wird während der Arbeitszeit auch trainiert. Die beiden Gründer und Brüder Martin und Henry Murray begrüßen mit einer Wasserflasche mit Markenlogo in der Hand. Natürlich.
Seit acht Jahren arbeiten sie an der Firma Waterdrop: kleine Würfelchen, die Wasser mit Eistee- oder Fruchtgeschmack versetzen. Ganz ohne Zucker und mit extra vielen Elektrolyten für Sportler oder Verkaterte. Sie verkaufen Tausende Packungen pro Jahr, haben im Vorjahr 100 Millionen Euro Umsatz gemacht und beschäftigen mittlerweile 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit. Die wasserlöslichen Würfelchen werden in Deutschland produziert. Aus Businesskreisen bekommen sie viel Lob und Respekt. Doch das Marktumfeld hat sich verändert. Investoren drängen auf mehr Profitabilität und weniger Geld für Marketing. Überzeugt das Produkt auch mit weniger Werbung? Und schaffen die Brüder den Sprung in die Gewinnzone?
Gesinnungswandel der Investoren
Es war ein ereignisreiches Jahr: Die Firma ist umgezogen, hat viele neue Investoren an Bord geholt und verkauft die kleinen Geschmackstabletten nun auch in den USA. „Es war ein anstrengendes Jahr“, sagt Martin Murray überraschend ehrlich für die glitzernde Start-up-Welt. „Das Ziel der Investoren hat sich stark geändert. Davor hieß es immer: Ihr sollt weiterwachsen! Jetzt sollen wir plötzlich vor allem profitabel werden. Das ist ein schwieriger Spagat.“ Waterdrop startete in einem Zeitalter niedriger Zinsen, in dem das Geld der Investoren lockerer saß. Die Devise war: Wachsen, wachsen, wachsen. In der Praxis hieß das: Geld ausgeben, extravagante Werbung machen, Events sponsern und größer werden, bevor es Nachahmer gibt.
Doch durch die Zinswende, die steigende Inflation und wachsende geopolitische Unsicherheiten drehte sich das Marktumfeld 2023. Die Bewertungen und damit auch die Finanzierungsvolumina gingen nach den Boomjahren deutlich zurück, und zwar weltweit. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des Beratungsunternehmens Ernst&Young. Wegen des hohen Risikos – 80 bis 90 Prozent aller Start-ups scheitern in den ersten Jahren – bekommen diese Firmen ihr Geld meist nicht von Banken, sondern von privaten Investoren. Und diese achten nun mehr auf die Geschäftszahlen und weniger auf die Wachstumspläne.
Die Trendwende bedeutet daher auch eine Strategiewende für Waterdrop. Doch wie wird man als Start-up schnell profitabel? „Wir haben sehr viel Geld für Marketing ausgegeben. Wir wurden oft gefragt: Wollt ihr dieses Event sponsern oder jenes? Jetzt rechnen wir jedes Mal genau durch, was uns das bringt. Wir haben eine Kostenkultur etabliert und machen vieles nicht mehr.“ 2022 hat Waterdrop rund 70 Millionen Euro umgesetzt. Unterm Strich blieb aber für das Gesamtjahr ein Minus von über 30 Millionen Euro. Um das Produkt bekannter und beliebter zu machen, dürfte damit sehr viel Geld in Marketingmaßnahmen geflossen sein. Die Zahlen für 2023 werden noch nicht kommuniziert. Das angekündigte Ziel, bis 2025 250 Millionen Umsatz zu schaffen, sei aber ohnehin nicht mehr so wichtig, sagt Murray.
Wassertrinken als Businessmodell
Das Unternehmen wächst dennoch weiter. 2022 erhielt Waterdrop im Zuge einer Finanzierungsrunde 60 Millionen Euro von Investoren. Das Start-up, das die Murray- Brüder gemeinsam mit Christoph Hermann gründeten, ist in vielen europäischen Ländern, in Singapur und Australien vertreten. Seit dem Vorjahr verkaufen sie ihre Ware auch in US-amerikanischen Geschäften. Der Markt sei anders, die einzelnen Drops stärker, denn die Wasserflaschen sind in den USA auch größer. „In Europa geht es mehr um Design und Lifestyle, in den USA heißt es Elektrolyte, Elek-trolyte, Elektrolyte“, erzählt einer der Murray-Brüder.
In den USA fragt im Einzelhandel niemand mehr, ob diese Geschmackswürfel ins Getränkeregal passen oder zu den Nahrungsergänzungsmitteln. Die Grundlage ihrer Businessidee – Hydration, also genügend Wasser trinken – ist etablierter. Das mag manche befremden, wie die Sängerin Christiane Rösinger in Stefanie Sargnagels neuem Buch „Iowa“: „Immer Wasser trinken. Es ist wie eine Religion für eure Generation. Das haben die Supermodels in den Neunzigern eingeführt […] Seitdem giltst du als selbstzerstörerisch, wenn du nicht dauernd an der Wasserflasche hängst.“ In einer spätkapitalistischen Gesellschaft, in der eine App ans Wassertrinken erinnert, optimieren Geschmackswürfel dann eben den Wasserhaushalt.
Djoker an Bord
Mit ihren extravaganten Werbeaktionen erinnert die Wiener Firma an das Red Bull der Wassergeneration. Vor zwei Jahren prangte beim Hahnenkammrennen das Logo der Firma auf den Bannern entlang der Piste. Doch Skisport passe nicht so gut zur Marke, erzählen die beiden Geschäftsführer. Skifans haben es wohl nicht so mit dem Wasser. Sie setzen jetzt eher auf Tennis. „Das entspricht mehr unserer Zielgruppe. Wohlhabende, sport- und gesundheitsaffine Menschen, die Tennis schauen.“ Außerdem werden Tennisspieler gerne beim Wassertrinken gefilmt, das ist auch von Vorteil. Im Vorjahr machten sie daher den Times Square zu einem Tennisplatz, Waterdrop leuchtete von allen Reklamebildschirmen auf den Wolkenkratzern. Mitten am Platz spielte der mit Abstand glamouröseste Investor des Wiener Start-ups auf – Novak Djokovic.
Der serbische Tennisstar hält 0,8 Prozent des Unternehmens und hat eine eigene Würfellinie. Er habe Waterdrop von sich aus kontaktiert, erzählt Murray nicht ohne Stolz, „weil er so begeistert vom Produkt war“. Beim Hinausgehen fragt der Waterdrop-Chef allerdings, woher wir das Start-up kennen, weil „irgendwie“ seien sie in Wien noch immer nicht so bekannt. Sie haben zwar die Start-up-Szene erobert, doch der gewünschte Erfolg im Supermarktregal lässt noch etwas auf sich warten. Die Großstadt mit dem vermeintlich besten Wasser der Welt scheint ein schwieriger Markt zu sein. Vielleicht wird es in Übersee einfacher.