Sie ist die Königin der Nerds. Mariana Karepova hat das Patentamt irgendwie cool gemacht. Das graue Amtsgebäude in der Wiener Dresdner Straße wirkt wie ein bunter Start-up-Hub mit moderner Kunst und bunten Neon-Lichtern in den Gängen. Auf Social Media werden „Nerd Shirt“-Tage gefeiert, und ganz generell lautet das Credo: Nerds don’t cry. Jetzt geht die gebürtige Moskauerin als Hauptdirektorin des Europäischen Patentamts nach München. Zeit für ein Abschiedsgespräch über KI-Codes, die grottenschlechte Erfinderinnen-Quote in Österreich sowie den Streit um Impf-Patente. Und am Ende wurde es auch ein Gespräch über Russland und die Scham des Krieges.
Frau Karepova, landen bei Ihnen oft Erfindungen, bei denen Sie sich denken: Wie kommt man eigentlich auf so etwas?
Karepova:
Tatsächlich landen leider nicht alle Patente auf meinem Schreibtisch. Ich bin sehr viel mit Managementaufgaben beschäftigt. Es gibt aber viele Gelegenheiten, mit Erfindungen in Berührung zu kommen. Wir veranstalten jedes zweite Jahr den „Österreichischen Staatspreis Patent“, und spätestens da sehe auch ich, was alles bei uns eingereicht wird. Da staune ich nicht schlecht! Den letzten „Staatspreis Patent“ hat TU-Professor Michael Harasek gewonnen. Mit seinen Kollegen hat er eine neue Methode entwickelt, wie man Wasserstoff transportiert. Sie wissen, wir brauchen jetzt viel Wasserstoff.
Wieso ist er so schwer zu transportieren?
Karepova:
Er ist schwer zu speichern, schwer zu transportieren, und es ist schwer, ihn in einer guten Qualität zu bekommen. Haraseks Idee war genial: Wir haben ein europaweites ganz dichtes Gas-Netzwerk. Er mischte Wasserstoff den anderen Gasen in der Pipeline bei. Er hat eine Methode entwickelt, wie man diesen Wasserstoff ganz sauber von den anderen Gasen trennt. So kann man ihn im Gasnetz transportieren und ihn dort, wo der Wasserstoff gebraucht wird, mit seiner chemischen Trenn-Methode wieder extrahieren. Das ist ein großer Durchbruch.
Haben Sie eine Lieblingserfindung?
Karepova:
Viele Jahre lang habe ich am liebsten mechanische Erfindungen gehabt, weil sie so greifbar sind. Aber reine Mechanik gibt es heutzutage einfach nicht mehr. Überall sind IT und Sensorik, vom Geschirrspüler bis zum Mülleimer. Und ich beginne jetzt, mich immer mehr für digitale Erfindungen zu begeistern. Eine meiner Lieblingserfindungen der letzten Jahre kam von einem Start-up: Scarletred. Sie haben ein Tool im Bereich der Telemedizin für Menschen entwickelt, die zum Beispiel in Chemotherapie sind. Sie bekommen oft Hautflecken, die monitort werden müssen. Damit diese schwerkranken Menschen nicht dauernd zum Arzt müssen, kann man diese Flecken abfotografieren und zum Arzt schicken. Im Prinzip banal, aber damit man diese Flecken auf den Fotos vergleichen kann, haben sie ein kleines Pflaster entwickelt, das man neben den Fleck pickt und das praktisch die Kamera kalibriert. Auch wenn das einfach klingt, es ist eine hochtechnologische Erfindung. Das ist für mich auch ein Beispiel, wie man seine Technologie sehr strategisch vor Nachahmungen schützt. Sie haben auf dieses Pflaster ein Design angemeldet. Sie haben die Technologie mit Patenten geschützt. Sie haben eine Software-Architektur gewählt, bei der sensible medizinische Daten nicht in der App gespeichert werden, weil man sie hacken könnte, sondern auf der Cloud und auf ihrem Stand-Computer, ein bisschen was in der App, das schützt sie jetzt schon vor Nachahmern.
Vergangenes Jahr wurden bei Ihnen 2231 Erfindungen angemeldet. Mehr als die Hälfte davon von großen Unternehmen wie AVL List oder Siemens. Gehört der Erfindergeist heute den großen Konzernen?
Karepova:
Erfinden tun immer die Menschen. Ein Unternehmen kann in ein Labor, in Forschung und Entwicklung, in gute Leute investieren. Aber eine Erfindung kommt immer aus dem Kopf und aus dem Erfahrungsschatz eines Menschen. 50 Prozent unserer Kunden sind Unternehmen mit unter 15 Mitarbeitern. Mittlere Unternehmen mit über 15 Mitarbeitern machen 28 Prozent, Großunternehmen 14 Prozent aus. Aber natürlich ist es so, dass dieses kleine Segment am meisten forschen und anmelden kann, weil sie auch am meisten Ressourcen – Budget und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – dafür aufbringen können.
Nur acht Prozent der Patente werden in Österreich von Frauen angemeldet. Das ist EU-Schlusslicht und sehr weit hinter Lettland oder Portugal, wo jedes dritte beziehungsweise jedes vierte Patent von einer Frau stammt. Warum ist die Frauenquote in Österreich so miserabel?
Karepova:
Wir sind sogar Europa-Schlusslicht unter 38 Ländern, und hier sind wir in einer kulturell ähnlichen Gesellschaft mit Deutschland und Liechtenstein. Obwohl wir bei den Patentanmeldungen insgesamt weltweit an elfter Stelle sind. Ich glaube, das hat ganz viel mit dem konservativen Frauenbild hier zu tun. In den 1920er-Jahren war das Frauenbild relativ progressiv in Österreich. Und dann ist der Nationalsozialismus gekommen und hat die Frauen stark zurückgeworfen. Ich weiß nicht, ob es mir zusteht, darüber zu urteilen, ich bin ja nicht hier geboren. Aber ich finde, diese Ära wirkt wirklich lange nach. Bis in die 1970er-Jahre durften Frauen hier ohne Erlaubnis des Ehemannes nicht einmal arbeiten. Man kann auch nicht oft genug über die lückenhafte Kinderbetreuung sprechen. Patente werden meistens im Alter zwischen 25 und 35 Jahren angemeldet. Das ist auch das Alter, in dem viele Menschen Kinder bekommen. Wenn ich gerade ein chemisches Experiment am Laufen habe, kann ich nicht einfach aufstehen und gehen, weil der Kindergarten bestenfalls um 17 Uhr schließt. Wenn ich einem Bug in einem Software-Programm nachlaufe, kann das unter Umständen die ganze Nacht dauern. Und hier tun sich Männer oft leichter als Frauen, einfach dranzubleiben. Außerdem sind unsere Forschungsnetzwerke – die Forschungsleiter, Firmenchefs – sehr männlich dominiert. Ich glaube, es ist auch sehr wichtig, dass Chefs akzeptieren, dass auch der Mann früher zu arbeiten aufhören muss und zum Kindergarten oder zum Hort geht. Das würde allen Eltern sehr helfen.
„Ein Drittel der ersten Autos am Anfang des 20. Jahrhunderts war elektrisch, wurden aber als Frauenautos vermarktet. Stellen Sie sich nur vor, wie weit wir heute wären, hätten wir diesen „weiblichen“ Mobilitätsbereich gleich ohne Umweg über Verbrennungsmotoren weiterentwickelt?“
Mariana Karepova
über weibliche Erfindungen
Ist es wirklich nur eine Frage der Kinderbetreuung?
Karepova:
Historisch betrachtet waren Erfindungen von Frauen keine gute Story. Eine Wiener Opernsängerin hat zum Beispiel wasserfeste Wimperntusche erfunden, heute verdienen Kosmetikfirmen Millionen mit dieser Formel. Und dann gab es Erfindungen, die zwar nicht von Frauen stammen, aber als weiblich abgetan und deswegen kaum vermarktet wurden. Ein Drittel der ersten Autos am Anfang des 20. Jahrhunderts war elektrisch. Sie waren leise, sauber und wurden deshalb als Frauenautos vermarktet, sie hatten einen Schminkspiegel eingebaut und Vasen für Blumen. Das war aber nicht männlich genug und hatte zu wenig Brumm-Brumm. Stellen Sie sich nur vor, wie weit wir heute wären, hätten wir diesen „weiblichen“ Mobilitätsbereich gleich ohne Umweg über Verbrennungsmotoren weiterentwickelt? Wie viele CO2-Emissionen wir eingespart hätten, wie weit die Speichertechnologien wären? Und dann gibt es eine richtig schwarze Liste: Frauen, deren Erfindungen einfach gestohlen wurden. Rosalind Franklin hat mit ihrer Röntgenforschung die Doppelhelix in unserer DNA entdeckt. Den Nobelpreis dafür bekamen aber James Watson und Francis Crick, obwohl die Entschlüsselung der DNA gänzlich auf den Forschungsergebnissen von Franklin fußte.
Sie sind ab 1. Juli Hauptdirektorin im Europäischen Patentamt und haben kürzlich das neue EU-Einheitspatent als eine Art Euro für Erfindungen bezeichnet. Was macht es denn für einen Unterschied, ob ich meine Erfindung in Österreich oder beim Europäischen Patentamt gegen geistigen Diebstahl sichere?
Karepova:
Ein Patent ist ein geografisches Monopolrecht. Wenn ich meine Erfindung nur in Österreich anmelde, ist sie in Österreich geschützt. Wenn ich das beim Europäischen Patentamt mache, dann kann sie in den 39 Mitgliedstaaten geschützt werden. Mit dem EU-Einheitspatent bekommen ich einen automatischen Schutz in 17 EU-Mitgliedstaaten. Übrigens: Die meisten Patente, die Österreicherinnen und Österreicher anmelden, sind in den USA angemeldet, danach folgt das Europäische Patentamt und erst danach das österreichische. Unsere Forschung und Industrie sind sehr hoch internationalisiert. Wo ich anmelde, hängt von drei Faktoren ab: Wo ist mein Markt? Wo produziere ich? Und wo ist meine Konkurrenz? Vor allem Konkurrenz, von der ich nichts Gutes erwarte. Wenn ich etwas verkaufe, kann man relativ schnell herausfinden, wie das Produkt funktioniert. Und wenn ich nicht geschützt bin, habe ich Pech gehabt. Unser Geschäft sollte nicht sein, jedem und jeder eine österreichische Patentanmeldung anzubieten. Unser Geschäft sollte sein, jeder und jedem einen geeigneten Schutz anzubieten, egal, wo sie oder er diesen Schutz braucht. Weil wir damit nicht nur die Investitionen von Erfindern und Erfinderinnen und Unternehmen schützen, sondern auch unsere öffentlichen Forschungsinvestitionen, die wir alle in Österreich gemeinsam finanzieren.
Wozu brauche ich eigentlich ein Patent? Coca-Cola hütete lange seine Rezeptur wie ein Staatsgeheimnis, hat aber kein Patent darauf.
Karepova:
Stimmt. Aber warum konnten Sie das so lange geheim gehalten? Weil es ein Familienunternehmen war. Nur ein paar Familienmitglieder kannten das Rezept. Der ganze Abfüllprozess war so organisiert, dass die Arbeiter am Fließband nicht mit der Rezeptur in Verbindung kamen. Und rundherum haben sie eine Weltmarke aufgebaut, das Flaschendesign, das Logo geschützt. So etwas funktioniert nur dann, wenn ich das super geheim halten kann. Heute geht das kaum. Ich habe in jeder Erfindung eine Software. Es ist alles so multidisziplinär, und das geheim zu halten, ist wahnsinnig schwierig. Das heißt nicht, dass man immer ein Patent braucht. Manchmal ist es eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen, wie Patent, Marke, Design, Geheimhaltung oder Softwarearchitektur.
Während der Pandemie gab es eine Debatte um die Freigabe von Impfpatenten. Wissenschafter und NGOs forderten eine Aufhebung des Patentschutzes etwa der mRNA-Impfstoffe, um Impfungen auch für Entwicklungsländer erschwinglicher und schneller zugänglich zu machen. Was halten Sie von der Debatte?
Karepova:
Das ist ein sehr heikles Thema. Als Organisation, die für Patente zuständig ist, müssen wir natürlich ganz strikt nach dem gesetzlichen Rahmen handeln. Das schafft Vertrauen. Nicht nur der Staat finanziert Forschung, sondern auch Firmen. Sie verlassen sich darauf, dass, wenn sie ein Patent haben, das Monopolrecht bei ihnen ist. Auf der anderen Seite hat die Gesellschaft natürlich ein Recht darauf, dass Technologien, die ein Riesenproblem für viele Menschen lösen können, zugänglich sind. Diese Fragen sind aber auch im österreichischen Patentgesetz verankert. Insofern darf ich hier keine Meinung haben, sondern muss das Gesetz anwenden. Die Gesellschaft, unsere Interessen und technologischen Möglichkeiten ändern sich aber, also müssen wir auch die Gesetze anpassen. Die EU-Kommission hat zum Beispiel kürzlich einen Vorschlag zum Thema Zwangslizenzen und Technologietransfer in bestimmten Bereichen vorgelegt. Ich muss jemandem erklären, wie ich etwas mache und wie die Gegenseite das selbst bewerkstelligen kann, etwa in kritischen medizinischen Bereichen. Hier läuft der Diskussionsprozess.
Sie sind gebürtige Moskauerin. Wie geht man als Russin mit dem brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine um?
Karepova:
Ich bin die letzte Person, der Mitleid zusteht. In der Ukraine sterben Menschen, andere werden um ihre Existenz gebracht. Wir haben Menschen in Russland, die in Opposition sind und hohe Haftstrafen riskieren. Ich habe Bekannte, die jetzt ihre Kinder verstecken, weil sie einen Einberufungsbefehl vom Militär bekommen haben. Dieser sinnlose Krieg ist für mich noch immer einen Riesenschock. Spätestens seit 2014 ist es klar, in welche Richtung die Entwicklung in Russland geht. Wie die Medien immer unfreier wurden. Ich habe letztes Jahr wie alle meine russischen Freundinnen in Wien am Bahnhof mitgeholfen, als die Geflüchteten aus der Ukraine gekommen sind. Der Kontakt mit ihnen hat mir geholfen, diesen Wahnsinn für mich ein bisschen einzuordnen. Und ich bin sehr, sehr traurig, weil Moskau mein Zuhause ist. Das ist der Ort meiner Jugend, später bin ich mit meinem Sohn, der zweisprachig ist, hingefahren. Das war unser Biotop. Und ich weiß nicht, wann ich wieder dorthin kann. Obwohl ich Putin nie gewählt habe, schäme ich mich für diesen Krieg!
Wie konnte das alles so weit kommen? Es gab in den Städten eine gebildete, offene Mittelschicht.
Karepova:
Russland ist ein riesengroßes Land, und die Mehrheit hat Putin gewählt. Man konnte immer gut mit der Angst spielen, dass nur Putin dieses große Land zusammenhalten kann und ohne ihn noch größeres Unheil droht. Viele aus der Mittelschicht, die sie ansprechen, haben Russland schon verlassen, viele meiner Jugendfreunde und Studienkolleginnen. Wenn Sie sich heute mit einem Blatt Papier mit einer weißen Friedenstaube auf die Straße stellen, riskieren Sie, für lange Zeit eingelocht zu werden. Trauen Sie sich das, wenn Sie wissen, dass zwei kleine Kinder zu Hause auf ihre Mama warten?
Sie sind in Ihrer Moskauer Wohnung mit den Patenturkunden Ihrer Mutter – eine Bauingenieurin und Mathematikerin – aufgewachsen. Das prägt. Womit prägen Sie Ihren Sohn?
Karepova:
Mein Sohn ist Feminist, vermutlich hat er das von mir. Er interessiert sich für Politik. Es fällt ihm sehr stark auf, wenn etwas in die falsche Richtung geht. Zum Beispiel diese ganze Rammstein-Geschichte, das hat ihn zuletzt sehr beschäftigt. Ich glaube, ich habe ihm die Liebe zum Film mitgegeben. Er kennt sich sehr gut aus und liebt nicht-banale Filme. Und er hat meinen Humor, wir lieben alte, politische, russische Witze. Ich konnte ihm leider nicht meine Leidenschaft für Technologie vermitteln.