Stefan Kroll
Es beschädigt sie in einer Zeit, in der die Frage, welche Protestformen wirksam sind, sowieso schon ein großes Thema ist. In der Vergangenheit hatten wir eine Bewegung, die sehr fokussiert und erfolgreich an einem bestimmten Ziel arbeitete. Dass es nun innere Probleme gibt, schmälert die Überzeugungskraft der Bewegung.
Der Vorsitzende der Weltklimakonferenz, Sultan Al Jaber, ist Chef von Adnoc, einem der größten Ölkonzerne der Welt, der auch Anteile am österreichischen Mineralölkonzern OMV hält. Al Jaber verpflichtete Adnoc weder dazu, seine Ölproduktion zu reduzieren, noch zeigte er einen Weg auf, wie der Konzern auf erneuerbare Energien umstellen könnte. Wie ernst kann man ihn als Vorsitzenden der Weltklimakonferenz nehmen?
Stefan Kroll
Wir müssen ihn natürlich sehr ernst nehmen. Es gibt Länder, die aus Eigeninteressen versuchen, über technologische Lösungen Emissionen einzusparen. Dann gibt es andere Länder, die daran nicht glauben, weil diese Technologien noch nicht reif sind. Sie wollen Emissionen einsparen. Dann gibt es wiederum Länder, die auf Nuklearenergie setzen. Genau das muss in einer solchen Konferenz verhandelt werden. Wir haben in internationalen Organisationen die Schwierigkeit, dass eben nicht alle Positionen gleich ernst genommen wurden und werden. Das ist die wichtigste Lehre für den Multilateralismus in der Zukunft: hier wieder inklusiv zu sein.
Al Jaber setzt, anders als die bisherigen Vorsitzenden, weniger auf die Staaten, sondern auf die privaten Unternehmen. Ist das eine gute Idee?
Stefan Kroll
Das ist eine gute Idee mit viel Potenzial. Wenn wir eine Krisenlage haben, die sich akut zuspitzt, dann braucht es gesamtgesellschaftliche Verantwortung – das haben wir auch in der Pandemie gesehen. Damit meine ich jetzt nicht die viel zitierte Eigenverantwortung der Einzelnen, sondern diejenigen einzubinden, die direkt wirksame Maßnahmen treffen können. Das ist ein richtiger Weg, wird aber allein nicht reichen.
Auch der Ukraine-Krieg beschäftigt uns schon sehr lange. Welchen Einfluss hat er auf die Verhandlungen in Dubai?
Stefan Kroll
Wir konnten in den letzten zwei Jahren beobachten, dass der Multilateralismus, also die Zusammenarbeit mehrerer Staaten wie bei den G20, vor drei Problemen steht: Erstens konnte die Katastrophe des Krieges nicht verhindert werden, zweitens zieht der Krieg Ressourcen und Aufmerksamkeit für die Klimakrise ab. Drittens sind die Institutionen des Multilateralismus belastet, weil der Krieg die Zusammenarbeit erschwert. Aber auch hier würde ich gern das Positive hervorheben: Beim G20-Gipfel im Herbst war es fraglich, ob man zu einer gemeinsamen Gipfelerklärung bezüglich der russischen Invasion in der Ukraine finden würde. Es gab dann einen Kompromiss, der zwar stark kritisiert wurde, aber gleichzeitig konnten globale Herausforderungen in den Bereichen Umwelt und Gesundheit wieder aufgenommen werden. Es wurde also eine Möglichkeit gefunden, an diesen Fragen zu arbeiten. Und das wäre jetzt auch die Hoffnung für die COP28.
Die aktuellen Kriege sind wahrscheinlich erst der Anfang. Seit Jahren wird vor Verteilungskämpfen und massiven Fluchtbewegungen als Auswirkung der Klimakrise gewarnt. Worauf müssen wir uns da einstellen?
Stefan Kroll
Auf genau das, was Sie gerade beschrieben haben. Die Klimaveränderung hat jetzt schon Auswirkungen auf Ernährungssicherheit und Migration. Wir wissen auch, dass sie Konflikte befördert. Gleichzeitig haben die aktuellen großen Konflikte auch direkte Auswirkungen auf Klima, Umwelt, Natur und Böden. Das ist für den Ukraine-Krieg gut dokumentiert. Wir erleben unterschiedliche Krisenphänomene, die sich gegenseitig verschärfen.
Heuer im Sommer beschlossen die fünf BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, sechs neue Mitgliedsländer aufzunehmen. Ab 2024 gehören auch Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zu dem Bündnis. Wie sehr verschärft das den Spalt zwischen dem Westen und dem sogenannten Gobalen Süden?
Stefan Kroll
Es ist tatsächlich eine Art Gegenallianz, die wir hier sehen. Es ist aber auch ein verständlicher Prozess, weil die internationalen Institutionen in der Vergangenheit Legitimationsprobleme hatten. Die G20 nahmen im Herbst dafür die Afrikanische Union auf. Das war ein sehr guter Schritt, weil es im Globalen Süden die Wahrnehmung gibt, die internationale Politik sei in vielen Teilen nicht gerecht. Die europäische Außenpolitik muss das Vertrauen des Globalen Südens gewinnen, um eine Spaltung zu verhindern. Sowohl beim Ukraine-Krieg als auch bei der Klimakrise geht es darum, diesen Staaten konkrete finanzielle Angebote zu machen, um mit den Folgen zurechtzukommen.
Es gibt vonseiten des Globalen Südens die Klage, der Westen setze die falschen Prioritäten. Man müsse zuerst die Armut bekämpfen, nicht die Klimakrise. Sehen Sie das auch so?
Stefan Kroll
Wir sehen in unserer Forschung, dass die Klimaveränderungen zu Konflikten führen – aber es gibt noch wichtigere Gründe für Konflikte, zum Beispiel Armut. Insofern hat der Globale Süden hier einen Punkt. Wenn man, wie jetzt, in multiplen Krisenlagen steckt und eine Krise sehr stark priorisiert, dann birgt das Folgeprobleme.
Wie optimistisch oder pessimistisch blicken Sie auf die kommende Klimakonferenz?
Stefan Kroll
Ich bin vorsichtig optimistisch, auch weil ich nicht der Typ bin, der den Kopf in den Sand steckt. Allein die Tatsache, dass es die COP jedes Jahr gibt, ist bei aller Kritik ein großer Kooperationserfolg. Wenn wir global weiterkommen wollen, wird es ohne die Klimakonferenz nicht gehen. Die vorhin genannten positiven Beispiele geben Anlass zur Hoffnung. Also die Annäherung zwischen China und den USA sowie die Lösung des Wasserkonflikts zwischen Israel und Jordanien. Auch wenn der Gaza-Krieg Letzteres unterbrochen hat, sieht man, dass über kulturelle Divergenzen hinweg Zusammenarbeit möglich war. Und darauf sollten wir setzen.