Wien

Wenn ein Wohnhaus zum Airbnb-Hotel wird: Jede Nacht neue Nachbarn

Am Wiener Franz-Josefs-Kai lässt sich beobachten, wie Wohnungen mit allen Mitteln zu Airbnb-Apartments umfunktioniert werden – und welche Folgen das für die Mieter hat. Forderungen nach restriktiveren Regeln werden lauter.

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Als Stefan Schmitz frisch geduscht aus dem Badezimmer kommt, steht eine fremde Frau im Vorzimmer seiner Wohnung. Ohne etwas zu sagen, dreht sie sich um und verschwindet im Stiegenhaus des Gründerzeithauses.

Schmitz kann nicht mit Gewissheit sagen, wer die Frau in seiner Wohnung war, und was sie wollte. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie in einer der Airbnb-Wohnungen eingemietet war, die es neuerdings in Schmitz’ Wohnhaus gibt – und sich einfach in der Tür irrte.

Mit dem unangenehmen Gefühl, das mit der Störung der Privatsphäre einhergeht, käme Schmitz schon zurecht. Es blieb allerdings nicht bei dem Versehen.

Vom Wohnhaus zum Hotel

Nachdem ein Immobilienentwickler im Vorjahr ein Eckhaus am Franz-Josefs-Kai im 1. Wiener Bezirk gekauft hatte, musste eine Wohnung nach der anderen einem Airbnb-Apartment weichen. Das Haus unweit des Donaukanals steht sinnbildlich für eine Entwicklung, die den angespannten Wiener Wohnungsmarkt weiter unter Druck bringt: Mieter werden mit üblen Methoden aus ihren Wohnungen verdrängt. Aus Wohnzonen werden Hotels. Eine fünfstellige Zahl an Airbnb-Apartments gibt es in der Bundeshauptstadt bereits. Nun verschärft die Stadt mit einer neuen Bauordnung die Gangart gegenüber der Plattformvermietung. Ob das etwas ändert?

Ein kleiner, faustgroßer Schlüsselsafe mit schwarzer Plastikhülle war der Vorbote für die Probleme.

Unliebsame Nachbarn

Am vergangenen Mittwoch treffen sich die Mieter am Franz-Josefs-Kai zur Versammlung, um profil über ihre Erfahrungen mit den ungeliebten Kurzzeitnachbarn zu berichten. Es sollte zweieinhalb Stunden dauern, bis sie sich alle Ärgernisse von der Seele geredet haben. Wobei eines bei dem Treffen klar wird: Die neuen Hauseigentümer sind mindestens so unbeliebt wie die Touristen.

Ein kleiner, faustgroßer Schlüsselsafe mit schwarzer Plastikhülle, der neben der Eingangstür des Hauses montiert wurde, war der Vorbote für die Probleme. Das war im September des Vorjahres.

Keine Vorwarnung

„Wie nett, die neuen Nachbarn sind Italiener“, dachte sich eine Bewohnerin des Hauses, als die ersten Gäste kamen. Der neue Eigentümer, so erzählt sie es, habe sie über seine Pläne zur touristischen Nutzung des Hauses nie informiert. Fünf der 24 Wohneinheiten werden inzwischen als Apartments, eine sechste Wohnung wird gerade umgebaut, berichten die Mieter. Auf Airbnb werden die Apartments so angepriesen: „Stylish experience at this centrally located residence in a typical Viennese building with high ceilings and double wing doors.“ Der Hauseigentümer behauptet gegenüber profil, dass es zu keinen Kurzzeitvermietungen gekommen sei. Die Inserate auf den Vermittlungsplattformen und die Berichte der Bewohner sagen etwas anderes.

Je mehr Touristen buchen, desto entnervter werden die Mieter.

Wie das bei Apartments eben ist, gibt es keine Rezeption. Alles soll vollautomatisch funktionieren. Und wenn nicht, müssen die Mieter als unfreiwillige Ersatz-Rezeptionisten herhalten.

Gewinnbringend

Plattformen wie Airbnb sind aus Vermietersicht so attraktiv, weil sich an guten Standorten problemlos der dreifache Umsatz erwirtschaften lässt; vorausgesetzt, es kommt zu keiner Pandemie.

Für Touristen sind die Apartments teils billiger als klassische Hotels, dazu überzeugt Airbnb mit dem Versprechen: „Live like a local“ (Lebe wie ein Einheimischer) – auch wenn das zulasten der „locals“ geht. Der Markenname Airbnb ist eine Abkürzung für „Airbed and breakfast“, der Ursprungsgedanke war, dass Touristen bei Einheimischen im Gästezimmer schlafen. Davon kann inzwischen keine Rede mehr sein: Nur bei 20 Prozent der 13.000 Unterkünfte in Wien handelt es sich um solche „shared apartments“. In den übrigen Apartments residieren die Touristen allein. Die Airbnbs machen etwa ein Prozent aller Wohnungen in Wien aus.

Partys und Pöbelei

An den Lärm der Koffer, der zu allen unmöglichen Uhrzeiten durch das Stiegenhaus der Immobilie am Donaukanal hallt, haben sich die Mieter auch nach neun Monaten noch nicht gewöhnt – er reißt sie aus dem Schlaf. Wenn sie nicht ohnehin bereits wach sind, weil ein Tourist den Schlüsselsafe nicht findet, und sturmläutet.

Das Schlimmste ist das Unsicherheitsgefühl, weil im Stiegenhaus ständig fremde Menschen sind.

Eine Bewohnerin des Hauses, das von Airbnb-Touristen gekapert wird

Die 75-jährige Mieterin Eva C. berichtet davon, wie ihr Mann spätabends am Gang von drei betrunkenen Männern angepöbelt wurde.

Partys, Zigarettenstummel im und vor dem Haus und überquellende Abfalltonnen im Müllraum sind bei der Versammlung die dominierenden Themen.

„Die Wohnung ist ein Rückzugsort, da sollte man durchatmen können. Viele Mieter sind schon alt, die stecken es nicht so leicht weg, wenn hier permanent Wirbel herrscht“, sagt die Vorbesitzerin des Hauses, die nach dem Verkauf als Mieterin in ihrer Wohnung blieb – und unglücklich über die Pläne des Eigentümers für die Immobilie ist.

„Das Schlimmste ist das Unsicherheitsgefühl, weil im Stiegenhaus ständig fremde Menschen sind“, ergänzt eine andere Bewohnerin.

Detektiv gegen Mieter

Die versammelten Mieter werden das Gefühl nicht los, dass der Immobilienentwickler sie am liebsten vor die Türe setzen würde. Eine Mieterin soll mittels Privatdetektiv bespitzelt worden sein, um herauszufinden, ob sie überhaupt dort wohnt. Eine andere sieht sich mit einer Räumungsklage konfrontiert, weil es unterschiedliche Auffassungen zum korrekten Mietzins gibt. Und mehrere Bewohner wandten sich an die Schlichtungsstelle der Stadt Wien, weil ihre Betriebskosten um bis zu 50 Prozent angehoben wurden. Ihre Vermutung: Die Mehrkosten für die Airbnb-Vermietung – etwa die Reinigung – könnten ihnen draufgeschlagen worden sein.

Fälle wie jener am Franz-Josefs-Kai haben sich bereits bis zur Wiener Stadtpolitik durchgesprochen. Das Haus am Donaukanal steht in einer Wohnzone, sie erstreckt sich vor allem über die Bezirke innerhalb des Gürtels. Dort dürfen – nur nach Genehmigung der Stadt – maximal 20 Prozent der Wohnnutzfläche eines Hauses an Touristen vermietet werden. Außerhalb dieser Wohnzonen will die Stadt ein neues Limit von 50 Prozent einziehen.

Wiener Grüne für strengere Regeln

Grünen-Stadträtin Judith Pühringer und ihr Parteikollege Georg Prack wollen, dass die Kurzzeitvermietung in Wohnzonen generell verboten wird.

„Wohnraub“

Der Grünen-Stadträtin Judith Pühringer geht das nicht weit genug: „Der Missbrauch des Sharing-Gedankens von Airbnb und Co. hat gravierende negative Folgen. Dazu zählen der Verlust von leistbarem Wohnraum, steigende Wohnkosten und Belästigung durch Lärm und Müll.“ Pühringer spricht wörtlich von „Wohnraub“, gemeinsam mit ihrem Parteikollegen, dem grünen Wohnbausprecher Georg Prack, fordert sie von der Stadt, „gegen die kommerzielle Umwandlung von Wohnungen in Tourismus-Apartments“ vorzugehen. Was das bedeutet? Prack: „Unser Zugang ist, dass es in den Wohnzonen überhaupt keine gewerbliche Kurzzeitvermietung mehr geben soll.“ Außerhalb von Wohnzonen solle sie deutlich unter 50 Prozent liegen; bei höchstens 20 Prozent.

Die rot-pinke Stadtregierung tickt liberaler. Ein Sprecher von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal (SPÖ) erklärt, dass die Stadtregierung Kurzzeitvermietungen von Wohnungen über Online-Portale „nicht pauschal verbieten will“: „Wenn beispielsweise eine Studentin eine Privatwohnung in den Sommerferien für ein paar Wochen vermieten will, dann ist das selbstverständlich in Ordnung.“ Folglich sollen in der Novelle der Bauordnung Vermietungen von weniger als 90 Tagen pro Jahr ohne Regulierung bleiben.

Stadt vs. Airbnb

Entscheidend ist aber weniger die Maximaldauer – sondern der Kontrolldruck. Die Stadt will seit Jahren die Daten der Vermieter bekommen, die ihre Wohnungen über Airbnb anbieten. Der Anbieter rückte sie aber bisher nicht heraus. Das SPÖ-geführte Wohnbauressort macht inzwischen, gemeinsam mit anderen europäischen Städten, bei der EU-Kommission Druck, damit es eine EU-weite Verpflichtung für die Plattformen zur Datenweitergabe gibt.

Die Stadt kennt zwar die Namen vieler Vermieter, weil diese Ortstaxe abführen müssen. Ob sie vollständig sind, weiß der Magistrat aber nicht. Und: Die Daten dürfen rechtlich derzeit nicht mit den besonders geschützten Wohnzonen abgeglichen werden. Auch das soll die aktuelle Novelle ändern. Dann würde die Datenbank automatisch jene Adressen ausspucken, an denen möglicherweise illegal an Touristen vermietet wird.

Zu wenig Personal

„Das ist ein großer Fortschritt“, anerkennt der Grüne Prack. Allerdings: „Mir sagen Baupolizisten, dass sie jetzt schon nicht nachkommen mit dem Kontrollieren.“ Schon im Jahr 2020 empfahl der Bundesrechnungshof im Bericht „Wohnbau in Wien“, „die Missachtung des Verbots gewerblicher Kurzzeitvermietungen in Wohnzonen konsequent zu verfolgen.“

Dafür wird es Personal brauchen. In der Folgenabschätzung zur neuen Novelle geht die Stadt von einem kurzfristigen Mehrbedarf von 16 Vollzeitkräften bei der Baupolizei aus. Die Grünen drängen darauf, die neuen Mitarbeiter rasch anzuwerben.

Wir sind auf Beschwerden von Mietern oder Anwohnern angewiesen.

Gerhard Cech

Leiter der Wiener Baupolizei

150 Fälle im Jahr

Gerhard Cech, der Leiter der Wiener Baupolizei sagt im Gespräch mit profil, dass er nur einen kleinen Ausschnitt des illegalen Airbnb-Marktes sieht: „Wir sind auf Beschwerden von Mietern oder Anwohnern angewiesen.“ Etwa 150 Fälle im Jahr schlagen bei der Baupolizei auf, meistens stellen die Magistratsbediensteten in der Folge einen Gesetzesübertritt fest, berichtet Cech.

Laut dem obersten Baupolizist der Stadt breiten sich in Wien große Player immer weiter aus: „Es ist zunehmend eine Konzentration festzustellen. Einzelne Anbieter haben relativ viele Wohnungen und oft wird gleich das ganze Haus vermietet. Das Ziel ist, dass wir genau gegen die vorgehen.“

Zwischenerfolg für Mieter

Und wie geht es mit den Mietern am Franz-Josef-Kai weiter? Sie wollen sich nicht aus dem Haus ekeln lassen. Stattdessen haben sie vor einigen Wochen die Baupolizei eingeschaltet, die prüfen muss, ob der Eigentümer die Wohnungen zu touristischen Zwecken vermietet hat – und ob nicht mehr als 20 Prozent der Wohnfläche dafür verwendet wurde. Die Prüfung ist laut profil-Infos noch im Laufen, doch aus Mietersicht gibt es einen ersten Zwischenerfolg: Auf den Plattformen booking.com und Airbnb ist zu lesen: „Leider ist es gerade nicht möglich, diese Unterkunft auf unserer Seite zu buchen.“

Für den Moment muss Stefan Schmitz also keine Fremden in seinem Vorzimmer fürchten.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.