Am Montag startet mit den Lohnverhandlungen der Metaller der heiße Herbst - unter denkbar schlechten Vorzeichen.
Wirtschaft

Inflation, Rezession, Lohnstreit: Wer für die Krise zahlt

Der Herbst wird heiß. Zu Beginn der Lohnverhandlungen in der Metallindustrie stehen die Zeichen auf Streiks. Die Teuerung bleibt hoch, das Wachstum bricht ein. Österreich schlittert in eine Rezession.

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Alle Autos stehen still, wenn der starke Arm der Gewerkschaft es will. Um 18 Uhr vergangenen Mittwoch schaltet ein Verkehrspolizist die Fußgängerampel an der Wiener Ringstraße auf Höhe des Heldenplatzes auf Dauer-Grün und die Ampel für Autofahrer auf Rot. Für die nächsten 20 Minuten wird der Verkehr stillstehen.  Auf der Ringstraße formieren sich Demonstranten mit Trillerpfeifen, Tröten und Transparenten. Es handelt sich um Arbeitnehmervertreter im Außeneinsatz. Der Gewerkschaftsbund rief zur Kundgebung „Löhne rauf, Preise runter“, knapp 5000 Menschen – vor allem Betriebsräte  – folgten. Ihr Ziel ist das Parlament, um das sie eine Menschenkette bilden. Drinnen tagt der Nationalrat, draußen prophezeit der Demo-Moderator an diesem Spätsommerabend: „Wenn ich mir das heute anschaue, steht uns wirklich ein heißer Herbst bevor.“ 

Am 25. September beginnen die heurigen Kollektivvertragsverhandlungen, traditionell mit den Metallern – und es werden tatsächlich heiße, eher: hitzige Auseinandersetzungen werden. Die Gewerkschaften fordern wie schon  vergangenes Jahr den vollen Inflationsausgleich, die Arbeitgebervertreter warnen vor einer düsteren Zukunft. Denn die österreichische Konjunktur trübt derzeit ein. Schon macht das R-Wort die Runde – Gabriel Felbermayr, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitutes, hält „eine Rezession“ im Herbst für „möglich“. 

Doch wer soll diesmal die herandräuende Krise zahlen? Abermals wie in der Corona-Pandemie der Staat – „Koste es, was es wolle“? Die Unternehmen? Oder wird es diesmal die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer treffen, die Bürgerinnen und Bürger – uns alle? 

Antworten darauf muss auch die schwarz-grüne Regierung liefern. Allerdings stecken Kanzler Karl Nehammer und sein Vize Werner Kogler in einer eigenen Krise. Trotz aller Maßnahmen bleibt die Inflation hoch. Und ein Jahr vor der Nationalratswahl ist die Koalition unbeliebt wie nie zuvor. In einer aktuellen profil-Umfrage geben nur noch 24 Prozent an, mit der Arbeit der Regierung zufrieden zu sein. Viel ist tatsächlich nicht mehr zu erwarten von Schwarz-Grün, obwohl Nehammer und Kogler schon bald abermals als Krisenmanager gefordert sein werden.

In der heimischen Metallindustrie sind insgesamt 200.000  Personen beschäftigt. Vor Beginn der Verhandlungen bringen sich die Sozialpartner, die bald Gegner werden könnten, in Stellung. „Wir können nur verteilen, was wir erwirtschaften“, sagte der Obmann der Metalltechnischen Industrie in der Wirtschaftskammer, Christian Knill. Die Chefverhandler der Arbeitnehmervertreter konterten: „Bisher war es gute Tradition, dass auch die Arbeitgeberseite ihre soziale Verantwortung wahrnimmt. Anscheinend will Christian Knill diesen Pfad verlassen“, sagen Reinhold Binder, Vorsitzender der Metaller-Gewerkschaft Pro-Ge und Karl Dürtscher von der Gewerkschaft der Privatangestellten. Zusatz: „Wir verzichten nicht.“ Beide Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, gehen davon aus, dass es bald zu Betriebsversammlungen, Warnstreiks oder gar mehrtägige Arbeitsniederlegungen kommen wird. Die Räder werden stillstehen.

Dunkelheit oder Licht?

Uneinigkeit herrscht bereits über die Ausgangssituation. Reinhold Binder hält es im Gespräch mit profil für übertrieben, von einer nahenden Krise zu sprechen. Den aktuellen Zustand der österreichischen Wirtschaft beschreibt er lieber mit den Worten „Abkühlung, nach einer Phase der Hochkonjunktur“. Er stehe mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in vielen Industriebetrieben in Kontakt, und da sei die Auftragslage für das kommende Jahr nicht schlecht. Binder: „Es ist eindeutig Licht am Ende des Tunnels erkennbar. Die Arbeitgeber reden unseren Standort madig.“

Christian Knill beschreibt den Sachverhalt so: Die Auftragseingänge bei den Unternehmen seien im ersten Halbjahr 2023 um 18 Prozent eingebrochen. Für das Gesamtjahr werde ein Produktionsrückgang von rund sechs Prozent erwartet. Für Großzügigkeit gebe es also keinen Spielraum. Knill: „Unsere Aufgabe ist nicht, die Kaufkraft in Österreich zu gewährleisten.“

Erst im August musste die heimische Statistikbehörde das Wirtschaftswachstum für das zweite Quartal 2022 einen Einbruch um 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung melden. Die Entwicklung verlief deutlich ungünstiger als erwartet.

Das Jahr 2023 ist auch nicht rosig. „Es schaut nicht gut aus. Wir rechnen gerade“, sagt Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS). Er und seine Kollegen vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) arbeiten derzeit  an der Herbstprognose, die am 6. Oktober vorgestellt wird. Noch im Frühling hatten Wifo und IHS mit einem ganz leichten Wachstum von 0,3 beziehungsweise 0,5 Prozent für das Gesamtjahr gerechnet. Ob sich das ausgeht, ist mittlerweile fraglich. Dass am Ende des Jahres eine Null oder sogar ein Minus vor dem Wachstum steht, scheint  zumindest nicht unwahrscheinlich.  

Es ist eine toxische Mischung aus Inflation, nach wie vor zu hohen Energiepreisen und sinkenden Aufträgen, die nicht nur den Sozialpartnern die Lohnverhandlungen massiv erschweren, sondern insgesamt den Wohlstand drücken. Während das vergangene Jahr auch aus Sicht der Wirtschaftsforscher „erstaunlich gut“ lief, so Hofer, deutet derzeit vieles auf eine Rezession hin. Und zwar nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland. „Wenn es der deutschen Industrie schlecht geht, geht es Österreich auch nicht gut“, erklärt der Ökonom. Das Nachbarland ist Österreichs wichtigster Handelspartner. Viele heimische Industriebetriebe sind auf Aufträge der deutschen Autobauer und Großkonzerne angewiesen. Dort schrumpft heuer das BIP laut OECD um 0,3 Prozent. 

Exportflaute

Im oberösterreichischen Steyr machen sich die Angestellten und Arbeiter von Steyr Automotiv, dem ehemaligen Werk von MAN, gerade Sorgen, ob sie überhaupt noch Lohn bekommen. Die Auftragslage ist so schlecht, dass das Unternehmen 260 Mitarbeiter beim Frühwarnsystem des Arbeitsmarktservice angemeldet hat. 100 Leiharbeiter werden nicht mehr weiterbeschäftigt, 200 Mitarbeiter könnten schon im Oktober zur Kurzarbeit gemeldet werden. Die Flaute bei Steyr Automotiv ist Sinnbild für die gesamte Industrie. Demnächst werden wohl weitere Betriebe – wie zu Corona-Zeiten – auf Kurzarbeit umstellen.

In seinem aktuellen Konjunkturtest beurteilt das Wifo die Lage in der österreichischen Industrie düster. Die Exporterwartungen sind so niedrig wie schon lange nicht mehr. Denn auch in den wichtigen Märkten USA und China verschlechtert sich die Wirtschaftslage.

Dabei war von Krise noch vor Kurzem keine Spur. 2022 war ein Traumjahr für die Industrie mit beeindruckenden Bilanzen und üppigen Dividenden für Aktionäre und Aktionärinnen. Österreichs größter Industriebetrieb zum Beispiel – die Voestalpine – wies in den ersten drei Quartalen des Geschäftsjahres 22/23 einen Gewinn vor Steuern von 864 Millionen Euro aus. Und jetzt? Möglicherweise wäre es besser gewesen, die Profite im Unternehmen zu halten statt auszuschütten. 

Aus dem Umfeld der Voestalpine ist zu hören, dass die Auftragslage heuer etwas schlechter ist. Voranmeldungen beim AMS wie in Steyr gibt es beim viergrößten Arbeitgeber Österreichs nicht. Aber auch dort wird derzeit bei Leiharbeitern gespart, zehn Prozent von ihnen werden nicht weiterbeschäftigt. Urlaube werden abgebaut.

Lohnabschlüsse von acht bis zehn Prozent plus schlagen sich bei Großkonzernen wie der Voestalpine mit mehreren hundert Millionen Euro pro Jahr zu Buche. Aber Streiks, stehende Produktionsbänder oder die Gefahr, dass gut ausgebildete Mitarbeiter gehen, wenn sie nicht genug verdienen, könnten noch teurer kommen. Vor allem, wenn es im Frühling – so zumindest die Hoffnung – wieder leicht bergauf geht. 

Derzeit geht es aber vor allem bergab. Die Haushaltsindustrie – also die Herstellung von Kühlschränken, Kaffeemaschinen, Mixern – liegt praktisch darnieder. Die Bestellungen der deutschen Autoindustrie sind zwar nicht gänzlich eingebrochen, aber die Auftragsbücher waren schon voller. „Am besten läuft es dort, wo es noch viele öffentliche Aufträge und Subventionen gibt“, sagt ein Brancheninsider, etwa beim Schienen- und Erneuerbaren-Ausbau. Der private Konsum bricht dagegen zunehmend ein.

„Es schaut nicht gut aus. Wir rechnen gerade.“

Helmut Hofer, IHS

In der Baubranche stellt man sich mittlerweile nicht mehr die Frage, ob eine Krise kommt, sondern wie heftig sie noch wird. „Die Stimmung war schon besser“, sagt Robert Jägersberger, Bundesinnungsmeister und Bauunternehmer: „Vor allem im Hochbau ist die Lage sehr düster.“ Gestiegene Zinsen, hohe Baukosten und die strengeren Kreditvergaberichtlinie der Finanzmarktaufsicht lassen die Aufträge für Wohn- und Gewerbeimmobilien nach einem Jahrzehnt des Booms einbrechen. Eine Zahl zum Vergleich: 2019 wurden österreichweit gut 70.000 Wohneinheiten zum Bewilligungsverfahren bei den Baubehörden angemeldet. 2022 waren es nur noch 47.000 und für 2023 und 2024 rechnet die Branche mit nur noch 40.000. Weniger Baustellen bedeuten mehr arbeitslose Bauarbeiter und irgendwann auch mehr Baufirmen in Schieflage. Zumindest eine Sorge weniger hat die Baubranche: KV-Verhandlungen gibt es dort erst 2025 wieder.

Insolvenzentreiber

Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands, sieht seine Branche ebenfalls unter großem Druck. „Wenn die Politik nicht einschreitet, geht sich das bei uns nicht mehr lange aus“, sagt er. Erst vergangene Woche legte der Handelsverband eine Prognose für das aktuelle Jahr vor, die einen inflationsbereinigten Umsatzrückgang von 3,9 Prozent angibt.  „Der Sportartikel- und der Tierbedarfshandel sind de facto die einzigen Ausnahmen, da haben die Menschen offenbar einen Fokus gesetzt“, sagt Will. „Sonst gibt es in fast allen Sparten inflationsbereinigt ein Minus, vielfach zweistellig.“

Auch im Lebensmittelhandel – der eigentlich als krisensicher gilt – rechnet man mit einem realen Minus von 0,3 Prozent. Grund dafür sei die gesunkene Nachfrage, da vielen Menschen das Geld für kostspieligere Einkäufe fehle. Im Einrichtungs- und Hausratshandel liegen die Umsätze laut Will real fast zwölf Prozent unter den Vorjahreszahlen. Dazu seien die Kosten im Einkauf, für Energie und Geschäftsmieten aufgrund der Teuerung auch für die Händler hoch. „Die Industrie hat einen Energiekostenzuschuss bekommen“, sagt Will, „aber wir haben durch die Finger geschaut.“

Auch die Zahlen des Kreditschutzverbandes (KSV) belegen die Probleme im Handel. Zwei der drei größten Insolvenzen im aktuellen Jahr – Kika/Leiner und der Sporthändler Zentrasport – sind Vertreter der Branche, auch viele kleine Betriebe erwischte es. Schon im Juli bezeichnete der KSV den Handel als „Insolvenzentreiber“. Allerdings: Im Vergleich zum Bau oder der Gastronomie legte die Arbeitslosigkeit in der Branche nur geringfügig zu. Im August lag sie eineinhalb Prozent über dem Vorjahresmonat.

Marius Wilk sieht „ein bekanntes Krisenmuster“. Der Experte beim Arbeitsmarktservice sagt:  „Wir rechnen heuer mit über 7000 Arbeitslosen mehr.“ Dass es nicht noch mehr werden, liegt am demographischen Wandel und am chronischen Fachkräftemangel  – und weniger an der bisher guten Wirtschaftslage. Das „bekannte Muster“ stammt aus vergangenen Wirtschaftskrisen. Zuerst brechen die sogenannten Konjunktur-sensitiven Branchen ein. Derzeit sieht man das vor allem am Bau und in der Industrie. Im August ist die Arbeitslosigkeit in eben diesen beiden Sektoren, aber auch in der Gastronomie am stärksten gestiegen. Dass es der Industrie derzeit nicht besonders gut geht, zeigt auch die Bundesländer-Statistik: In den Industrie-Ländern Steiermark und Oberösterreich sind die Arbeitslosenzahlen am stärksten gestiegen,  um 7,1 und um 6,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Zuwanderer ohne Jobs

Derzeit zahlen vor allem ausländische Staatsbürger mit ihren Jobs für diese Krise. Bei Menschen ohne österreichischen Pass ist die Arbeitslosigkeit im August um 15 Prozent gestiegen, bei Staatsbürgern hingegen um 0,7 Prozent gesunken. Zum einen liegt es daran, dass sich Geflüchtete beim AMS melden, sobald sie einen positiven Asylbescheid bekommen, laut Wilk entfällt ein Drittel des Anstiegs auf diese Gruppe. Aber eben nicht nur. „Wir haben das schon in vergangenen Krisen gesehen. Zuerst bricht die Beschäftigung in eher prekären Jobs weg.“ Also am Bau, bei  Leiharbeitern, bei Kellnerinnen und Tellerwäschern – allesamt Bereiche mit mehr Beschäftigten  ohne österreichische Staatsbürgerschaft.

„Wenn es wirklich so knapp wäre, hätten sie sich nicht derart hohe Gewinnausschüttungen geleistet."

Reinhold Binder, Chefverhandler der Metaller

Und noch eine Diagnose stellt Wilk: Bevor es wieder besser wird, kommt es in den nächsten Monaten wohl schlimmer, zumindest mit Blick auf die Konjunktur.

Die Zeitachse spielt bei den Lohnverhandlungen eine große Rolle. Die Arbeitgeber begründen ihre Forderung nach Zurückhaltung mit der ungewissen Zukunft und würden Einmalzahlungen bevorzugen. Die Gewerkschaften sehen die Teuerungsrate der vergangenen zwölf Monate, 9,6 Prozent, als Basis. Einen Abschluss darunter wollen sie nicht akzeptieren, auch wenn Reinhold Binder durchaus Verständnis für die Arbeitgeber zeigt: „Die Inflation bringt uns enorm unter Druck und natürlich werden wir am Verhandlungstisch auch über die Realität der Betriebe sprechen.“

Nach den Metallern ist der Handel dran. Im Vorjahr einigten sich Arbeitgeber und Gewerkschaft bei den Kollektivvertragsverhandlungen auf ein Plus von sieben Prozent. Heuer stellen sie für Rainer Will ein „zweischneidiges Schwert“ dar. „Ich sehe, dass unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Inflationsabgeltung zusteht. Aber die Arbeitgeber können nur einen Teil davon stemmen.“ 

Wahlmotiv Kontostand

Verkompliziert werden die Lohnverhandlungen heuer durch parteipolitische Nebendarsteller. Regulär findet im Herbst 2024 die Nationalratswahl statt – und der Kontostand ist  eines der wichtigsten Motive bei der Stimmangabe. Vor allem die ÖVP steckt im Dilemma. Ein hoher Lohnabschluss ist im Interesse des Arbeitnehmerbundes ÖAAB, der ÖVP-Teilorganisation mit den meisten Mitgliedern, der Parteiobmann Karl Nehammer und Spitzen-Schwarze wie Klubobmann August Wöginger, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und die einflussreichen Landeshauptleute Johanna Mikl-Leitner (Niederösterreich) und Christopher Drexler (Steiermark) entstammen. Auf der anderen Seite steht der ÖVP-Wirtschaftsbund, von dessen finanziellen Zuwendungen die Bundespartei in Wahljahren abhängig ist. Wirtschaftsbund-Obmann Harald Mahrer wurde vor zwei Wochen in seiner Funktion wiedergewählt. Als oberster schwarzer Unternehmer-Vertreter und Präsident der Wirtschaftskammer befürchtet er „eine der schwierigsten Lohnrunden, die es je gab“.

Wesentlich leichter tut sich die SPÖ. Bei der Demonstration vor dem Parlament vergangenen Mittwoch stand Andreas Babler an der Seite von ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Wenn Babler etwas kann, dann Klassenkampf gegen profitgetriebene Arbeitgeber. Der SPÖ-Vorsitzende und die sozialdemokratischen Gewerkschafter von Katzian abwärts unterstützen einander in roter Solidarität. Beschließt die Gewerkschaft wegen stockender Lohnverhandlungen bald einen Streik, bietet sie damit auch Babler Gelegenheit zur Profilierung. Am 11. und 12. November findet in Graz ein SPÖ-Parteitag statt.

Der beginnende Wahlkampf wird auch zur Auseinandersetzung darüber werden, wer die Kosten für die drohende Krise tragen wird. Aus Sicht der Gewerkschafter ist die Antwort deutlich: die Unternehmen. „Wenn es wirklich so knapp wäre, hätten sie sich nicht derart hohe Gewinnausschüttungen geleistet“, sagt Metaller-Chef Binder. 

Die Arbeiterkammer (AK) verweist in ihrem „Unternehmensradar 2022“ – einer Bilanzanalyse der 1500 größten Unternehmen mit 600.000 Beschäftigten – auf „Rekord-Gewinnspannen“ der Konzerne und „zweistellige Renditen“ sowie Ausschüttungen für deren Eigentümer. Es herrsche, so die Arbeiterkammer, eine „Schieflage in der betrieblichen Verteilungspraxis“. Bedeutet vereinfacht:  Im Vergleich zur Lohnsumme ihrer Beschäftigten gönnten sich die Eigentümer relativ hohe Auszahlungen. Daher können es aus AK-Sicht nicht die Arbeitnehmer sein, die für die Krise zahlen. Reallohnverluste seien nicht zu akzeptieren. 

Staat stützt Unternehmen

Der Staat zeigte sich vor allem während der Corona-Krise gegenüber den Unternehmen großzügig. 14,3 Milliarden Euro erhielten österreichische Betriebe zwischen März 2020 und Juni 2022 als Stütze, rechnete der Rechnungshof im Mai vor. Es war die größte Finanzhilfe überhaupt während der Pandemie. Wirbel lösten die fast 300 Millionen Euro aus, die die österreichischen Seilbahnen erhielten, und die 150 Millionen, die die Austrian Airlines an nicht-rückzahlbarem Zuschuss bekam. Nicht alle Empfänger brauchten diese Hilfe wirklich: Laut einer Befragung des Kreditschutzverbandes im Sommer 2021 gab ein Drittel der Unternehmer an, dass sie die erhaltenen Unterstützungsleistungen nicht unbedingt benötigt hätten. „Bazooka-Gießkanne“ nannte Ökonom Paul Pichler die Abwicklung der Corona-Hilfen.

Die „Bazooka“ brachte die schwarz-grüne Regierung in den vergangenen Monaten allerdings auch für die Bevölkerung in Stellung und verabschiedete zur Linderung der Teuerung ein Hilfspaket nach dem anderen. Das Wifo errechnet kumuliert 48,7 Milliarden Euro an Entlastung bis zum Jahr 2026. Der Großteil davon kommt den Haushalten zugute. Christoph Badelt, als Chef des Fiskalrats oberster Budgetwächter der Republik, forderte die Regierung bereits auf, nicht weiter „Geld hinauszuwerfen“. Die Schulden von heute sind bekanntlich die Sparpakete und Steuern von morgen.

Doch eher verzichtet die ÖVP auf das Erntedankfest, als dass die schwarz-grüne Regierung Transferleistungen in einem Wahljahr aussetzt, schon gar nicht in Rezessionszeiten. Alle Unbilden kann der Staat allerdings nicht kompensieren. Man müsse sich darauf einstellen, „dass das kommende Jahr noch herausfordernder wird“, sagt Monika Köppl-Turyna, Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria. Ihre Prognose: „Es wird nicht jedes Unternehmen überleben, und auch nicht alle Arbeitnehmer werden ihren Arbeitsplatz behalten.“ 

Karl Nehammer scheint zu wissen, dass Wirtschaft auch Psychologie ist. In jüngster Zeit nimmt der Bundeskanzler gern Anleihe bei einem der Säulenheiligen der ÖVP: Leopold Figl. Wie in dessen berühmter Weihnachtsansprache 1945 bittet auch Nehammer die Bürgerinnen und Bürgern um Optimismus: „Glaubt an dieses Österreich!“ Schmalz geht immer.

Moritz Ablinger

Moritz Ablinger

war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".