Whistleblower Elmer: "Einen Tauchgang machen und nicht wieder kommen"
Als einfacher Buchhalter ging Rudolf Elmer Mitte der 1990er-Jahre für seinen Arbeitgeber, die feine Schweizer Privatbank Julius Bär, auf die Cayman Islands. Innerhalb kurzer Zeit arbeitete er sich in dem Eldorado für verdeckte Finanzgeschäfte zum stellvertretenden Chef hinauf. Ende 2002 wurde er gekündigt. Damit begann ein Wirtschaftskrimi, der bis heute andauert.
2008 lieferte der Schweizer der Enthüllungsplattform WikiLeaks Kundendaten seines früheren Arbeitgebers, die unschöne Offshore-Praktiken zwecks Steueroptimierung offenbarten. Harte rechtliche Auseinandersetzungen mit Julius Bär waren die Folge, die bis heute nicht beigelegt sind. Insgesamt sechs Monate verbrachte der heute 61-jährige Elmer bereits in Untersuchungshaft. Wegen Urkundenfälschung und Drohung wurde er vergangenen Sommer zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt. Vom Hauptanklagepunkt, der Bankgeheimnisverletzung, wurde er jedoch freigesprochen.
Der eidgenössische Filmemacher Werner Schweizer rollte den Fall in seiner Doku "Offshore - Elmer und das Bankgeheimnis" auf. Am 7. Februar wird der Film im Wiener Metro Kinokulturhaus Premiere haben. Österreichweiter Kinostart wird am 10. Februar sein.
INTERVIEW: CHRISTINA HIPTMAYR
profil: Herr Elmer, Sie wurden als Whistleblower der Enthüllungsplattform WikiLeaks bekannt. Sind Sie Held oder Krimineller? Rudolf Elmer: Ich sehe mich weder als Held noch als Kriminellen, sondern als jemand, der durch sein Gewissen und durch seine Erziehung getrieben ist. Whistleblower ist eigentlich das falsche Wort. Es hat einen negativen Ruf. Ich sehe mich als jemanden, der die Wahrheit über das System sagt. Ein Truthteller. Einer, der die Sache mit einer gewissen Zivilcourage angeht und die Gesellschaft auf einen Schaden aufmerksam macht. Obwohl ich kein perfektes Beispiel dafür bin.
profil: Sie waren acht Jahre für die Schweizer Privatbank Julius Bär auf den Cayman Inseln tätig. Nach Ihrer Entlassung haben Sie interne Bankdaten, die Steuerflucht belegen, veröffentlicht. Sie wollen behaupten, aus rein hehren Motiven? Elmer: Rückblickend war es der Vertrauensverlust und auch Wut. Ich war Compliance Officer und als solcher das rechtliche Gewissen des Unternehmens. Ich hatte festgestellt, dass mir notwendige Informationen vorenthalten wurden. Mitarbeiter und Management haben gewissen Pflichten gegenüber dem Compliance Officer. Sie hätten mir mitteilen müssen, was da läuft.
profil: Was ist denn gelaufen? Elmer: Da wurden beispielsweise von der Zentrale in Zürich und dem New Yorker Büro Kunden für die Trust & Company (Treuhandgesellschaft, Anm.) in Cayman gutgeheißen, die kriminell waren. Und ich als Compliance Officer habe nichts davon gewusst. Ich hatte dem Management, das auch aus Mitgliedern der Familie Bär besteht, vertraut und gedacht, dass ich mir den Bereich Trust & Company nicht so genau anschauen muss. Ich war überladen mit Arbeit und habe mich mehr auf die Bankenseite -die Schattenbank der Julius-Bär-Gruppe - und die Fonds konzentriert.
Ich war Teil des Systems. Ich war für die Geschäfte verantwortlich und habe sie auch betrieben.
profil: Schattenbank? Elmer: Wir haben das Wertschriften-Depot der Julius-Bär-Gruppe, welches in Zürich verwaltet wurde, buchhalterisch über die Bank in Cayman verbucht. Die wirtschaftlichen Entscheidungen wurden in Zürich getroffen. Ich aber musste bestätigen, dass sie auf den Caymans gefallen sind. Die Gewinne, die wir in der Schattenbank machten, wurden dann über Dividenden an die Julius Bär Holding AG in die Schweiz repatriiert. Das heißt, diese Gewinne wurden nie besteuert. Wir haben auf den Caymans mit drei Leuten bis zu 40 Prozent des Konzerngewinns produziert.
profil: Sie waren also bei den Offshore-Geschäften an vorderster Front involviert. Elmer: Ja. Ich war Teil des Systems. Ich war für die Geschäfte verantwortlich und habe sie auch betrieben. Ich wusste, dass ich die Schweizer Steuerbehörden wahrscheinlich täuschte.
profil: Welche Aufgaben hatte die Niederlassung auf den Caymans? Elmer: Es war keine Niederlassung, sondern eine unabhängige Gesellschaft, welche der Julius Bär Holding AG gehörte. Es gab drei Bereiche: Die erwähnte Schattenbank, also diese Konzernbuchhaltung für das Wertschriftenportfeuille, den Bereich Trust & Company sowie das Hedgefondsgeschäft. Die waren ab 1996 eine neue Money-Making-Machine. Rund 70 Prozent aller Hedgefonds sind auf den Caymans domiziliert. Auch ich war für einen Hedgefonds verantwortlich. Dabei hatte ich gar nicht die Fähigkeiten, einen solchen zu managen. Schon allein deswegen, weil man auf den Caymans nicht zeitnahe am Markt dran ist. Die Geschäfte wurden in London, New York oder Zürich abgewickelt. Dafür zahlten wir Beratungsgebühren. Die Profitbeteiligung gehörte jedoch dem Hedgefondsmanager beziehungsweise der Cayman-Gesellschaft. Wenn der Fonds beispielsweise 200 Millionen Gewinn machte, strichen wir bis zu 20 Prozent Profitbeteiligung ein. Die flossen dann wieder über den Dividendenkanal in die Bär Holding. Und wurden damit nie besteuert.
profil: Weshalb hat man Sie entlassen? Elmer: Ich habe auf Ungereimtheiten aufmerksam gemacht und war zu kritisch. Mein CEO hat gesagt, es wäre besser, wenn ich einen Tauchgang mache und nicht wieder komme.
Der Personalchef des Konzerns drohte mir, wenn ich die Bank vor Gericht bringe, werde man mich fertigmachen.
profil: Das hat er Ihnen persönlich gesagt? Elmer: Ja. Ich sollte mich einem Lügendetektorentest unterziehen. Das habe ich verweigert und bin mit meiner Familie in die Schweiz ausgeflogen. In Zürich wollte ich die Sache besprechen. Der Personalchef des Konzerns drohte mir, wenn ich die Bank vor Gericht bringe, werde man mich fertigmachen. Mein Glück war, dass ich die Daten hatte. Als Compliance Officer hatte ich ja auf alles Zugriff. Ich sagte natürlich, dass ich mich damit verteidigen werde. Ich hätte sie 2003 für vier Millionen Dollar verkaufen können. Auch die Bank hat mir verschiedene Offerte gemacht.
profil: Wer wollte Ihnen vier Millionen Dollar zahlen? Elmer: Ein Grieche, der mit Julius Bär in den USA im Streit war, brauchte Informationen. Ich habe sie ihm nicht gegeben, denn wenn ich mich auf diese Weise schadlos halte, bin ich wirklich kriminell. Und wenn ich die Angebote der Bank angenommen hätte, hätte ich das System weiterhin schützen müssen.
profil: Sie haben sich doch mit der Bank verglichen? Elmer: Richtig. Aber da ging es um Nötigung und Stalking meiner Familie. 2004 habe ich die Bank deswegen erstmals angezeigt, aber das Verfahren wurde verschleppt. Stalking verjährt in der Schweiz nach sieben Jahren, deshalb sind wir unter Zeitdruck gekommen. Und es ging darum, meiner Tochter den Schaden, den sie erlitten hat, zu kompensieren. Dazu brauchte ich Geld. Wir bekamen 700.000 Franken.
profil: Welchen Schaden hat Ihre Tochter erlitten? Elmer: Meine Familie wurde von Detektiven der Bank beschattet. Sie wollte nicht mehr in den Kindergarten und auch nicht mehr im Garten spielen, weil diese Stalker ständig in der Nähe waren. Es ging so weit, dass meine Frau auf der Autobahn verfolgt wurde und meine Tochter saß im Wagen. Sie war traumatisiert und beging 2011 einen Selbstmordversuch.
profil: Das waren tatsächlich Detektive der Bank? Elmer: Ja, das haben sie zugegeben. Bei Gericht kam heraus, dass an manchen Tagen bis zu elf Detektive hinter meiner Familie her waren.
profil: Sie selbst waren in der Wahl Ihrer Methoden auch nicht gerade zimperlich. Elmer: Ich habe auch gedroht und Fehler gemacht. Darauf bin ich nicht stolz. Aber es war bis zu einem gewissen Grad Notwehr. Man wollte mich mundtot machen und meine Glaubwürdigkeit zerstören. Sie trieben mich in eine schwere posttraumatische Belastungsstörung.
Ich habe versucht, jemanden zu finden, der dumm genug ist, das zu publizieren ohne zu zensurieren. Ich habe den Testballon "Merkel-Brief" aufgesetzt - eine plumpe Fälschung - und 2007 an das völlig unbekannte WikiLeaks gesandt.
profil: Sie wurden wegen Drohung und Nötigung verurteilt. Elmer: Ich habe Kunden und Bankmitarbeiter angeschrieben und gedroht, dass ich an die Öffentlichkeit gehe. Aber ich habe nicht mit Mord gedroht. Nachdem ich feststellen musste, dass die Zürcher Behörden nichts unternehmen und die Justiz meine Familie nicht schützt, bin ich ausgerastet. Julius Bär ist eine jüdische Bank, und ich habe gedroht, dass ich mich mit den Neonazis verbünde. Ich dachte, ich könnte damit Druck machen.
profil: Sie wurden unter anderem wegen Urkundenfälschung verurteilt, weil Sie einen Brief der Bank an Angelika Merkel gefälscht hatten. In dem Schreiben wird suggeriert, die deutsche Kanzlerin verfüge über Schwarzgeldkonten. Elmer: Ich habe versucht, jemanden zu finden, der dumm genug ist, das zu publizieren ohne zu zensurieren. Ich habe den Testballon "Merkel-Brief" aufgesetzt - eine plumpe Fälschung - und 2007 an das völlig unbekannte WikiLeaks gesandt. Der Brief wurde veröffentlicht, und mir war klar, da habe ich einen Dummen gefunden: Die publizieren alles, was reinkommt. Und dann hatte ich das Riesenglück, dass Julius Bär den Fehler machte, WikiLeaks in Kalifornien zu klagen. Nun wollte die ganze Welt die Daten sehen. Diese Publizität hätte ich sonst nie erreicht. Da bin ich der Bank zu Dank verpflichtet.
profil: Ihren ganz großen Auftritt hatten Sie 2011, als Sie in London WikiLeaks-Gründer Julian Assange zwei Daten-CDs übergaben. Angeblich waren nur Musikdateien darauf. Elmer: Korrekt. Das war zwei Tage vor meinem Prozess. Mit dieser Übergabe hatte ich die Weltöffentlichkeit. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass die englische Polizei reinmarschiert und uns die CDs abnimmt. Der Gedanke, dass die sich dann den Whistleblower-Song, den ein Freund für mich geschrieben hat, anhören, hat mir gefallen.
profil: Das heißt, die gesamte Aktion war ein Bluff? Elmer: Nein. Ich habe bei WikiLeaks 40 Fälle publiziert. Den Steuerbehörden habe ich alles übergeben. Ich bin der Meinung, es ist Aufgabe des Staates, diesen Fällen nachzugehen. Man wirft mir vor, ich wollte mich rächen. Wäre das so, hätte ich alles veröffentlicht. Da gibt es noch ein paar bekannte Namen.
profil: Die Geschichte beschäftigt Sie nun seit über 14 Jahren. Hat sich das gelohnt? Elmer: Ja, obwohl ich den finanziellen und sozialen Tod erfahren musste. Aber im Vergleich zu anderen lebe ich immer noch gut. Ich kann nicht jammern.
profil: Wovon leben Sie derzeit? Elmer: Von meiner Frau. Sie arbeitet für einen amerikanischen Konzern und ernährt die Familie. Wir haben die Rollen gedreht. Jetzt verstehe ich auch die Aufgaben und Frustrationen einer Hausfrau. Was auch sehr gut ist. Und ich habe eine tolle Beziehung zu meiner Tochter aufbauen können. Insofern hat es sich für mich als Person schon gelohnt.
profil: Wie wird es für Sie weitergehen? Elmer: Es wird einen weiteren Film geben, ich möchte noch ein Buch schreiben und die Justizgeschichte endlich abschließen. Außerdem würde ich gerne wieder tätig werden, aber in der Schweiz ist das zur Zeit nicht möglich. Ich habe mich bei der Schweizer Finanzaufsicht beworben, wurde jedoch nur in den Talentepool aufgenommen. Aber immerhin.