Koalitionsfrage: Wie blau ist die Industrie?
Stefan Pierer steht geladen auf dem Podium des Linzer Industriegipfels. Er wird gleich etwas sagen, das ein hitzige, landesweite Debatte auslösen wird. Pierer ist Chef von Pierer Mobility und Chef der Industriellenvereinigung in Oberösterreich. Als er dort am Freitag, dem 11.10. gefragt wird, ob die ÖVP ihre Blockadehaltung gegenüber der FPÖ aufgeben sollte, antwortet er mehr als eindeutig: „In der Schweiz bilden die zwei stimmenstärksten Parteien eine Regierung. Dazu braucht es keinen Van der Bellen.“ Zwar führt Pierers Schweiz-Vergleich ins Leere, vielmehr setzen die Eidgenossen auf eine Konzentrationsregierung, die kleinere Parteien wie die Grünen weniger stark berücksichtigen. Pierers Präferenz nach einer Koalition der beiden stimmenstärksten Parteien wurde aber deutlich. Ist er mit dieser Präferenz alleine? Und wie sieht das der Rest der Industrie?
Neben Pierer auf dem Podium stand die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und lachte, daneben der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) und Karl, genannt Kari, Ochsner vom gleichnamigen Wärmepumpenunternehmen. Wie sieht er die Koalitionsdebatte? Er distanzierte sich in der Vergangenheit von Herbert Kickl (FPÖ), sprach sich für Fridays for Future aus und war der Trauzeuge des ehemaligen FPÖ-Chefs und Vizekanzlers Heinz-Christian Strache. (Anm. Ochsner und Strache haben keinen Kontakt mehr) Jetzt sagt er: „Die IV ist parteipolitisch neutral. Wer auch immer regiert, die Standortfrage muss Priorität haben. Wer das ist, ist sekundär. Aber ich bin schon der Meinung, dass die stärkste Partei den Auftrag zur Sondierung bekommen sollte.“ Welche Koalition könnte das am ehesten? „Ich habe die größten Bedenken bei den wirtschaftspolitischen Einstellungen des Herrn Babler, nicht bei der SPÖ, nicht etwa bei der Frau Bures.“
„Deckungsgleichheit mit dem der ÖVP“
Doch nicht erst Pierer eröffnete diese Debatte. Im Wahlkampf fiel die Industriellenvereinigung mit ihren Aussagen eindeutiger auf als etwa die Wirtschaftskammer. IV-Präsident Knill sagte vor der Wahl gegenüber dem Kurier: „Die ÖVP hat ein sehr umfangreiches, standortfreundliches Programm. Beim Wirtschaftsprogramm der FPÖ sehen wir eine sehr große Deckungsgleichheit mit jenem der ÖVP.“ Viele interpretierten das als Plädoyer für eine türkis-blaue Regierung.
Darauf folgte öffentliche Kritik vom ehemaligen Strabag-Chef und NEOS-Unterstützer Hans Peter Haselsteiner: „Die Beteiligung von rechtsradikalen Parteien an der Regierung ist für ein an Außenhandel orientiertes Land nicht positiv. Es würde negative Folgen für die Wirtschaft geben. Das müsste die IV wissen.“
„Natürlich ist es Parteien nicht vorbehalten, Vorschläge, die seitens der Industriellenvereinigung erarbeitet und kommuniziert wurden, aufzugreifen.“
Dass Erbschafts- und Vermögenssteuern ein rotes Tuch für viele Großindustrielle sind, überrascht wenig. Dass die Industrie der FPÖ nicht abgeneigt ist, zeigten auch Spenden an FPÖ-nahe Vereine von Industriellen, die die Ibiza-Ermittlungen offenlegten. Im Hintergrund zeigten sich aber gewichtige Stimmen der Industrie über die Auftritte der letzten Wochen verärgert. Es sei nicht angemessen, sich als Interessensvertretung auf diese Art und Weise in die Parteipolitik einzubringen. Man könne Positionen formulieren, aber man vertrete die Interessen aller, nicht nur die der Shareholder, etwa.
Handschrift der Industriellenvereinigung
profil hat nach der Wahl bei gewichtigen Unternehmerinnen und Unternehmern nachgefragt, welche Regierungskonstellation ihnen am liebsten wäre. „Zum jetzigen Zeitpunkt wollen wir uns dazu nicht äußern“, antworteten Firmenchefs und Chefinnen quer durch Österreich. Mehr Auskunft gibt die Industriellenvereinigung: „Als Anwältin des Standortes haben wir die Wirtschaftsprogramme aller Parlamentsparteien auf ihre Standortfreundlichkeit hin geprüft, die Programme der ÖVP, FPÖ und NEOS enthalten weitgehend Vorhaben zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Hinsichtlich der FPÖ sind Aussagen, wie die Kritik an den Russland-Sanktionen, die Einstellung zu freiem Handel oder auch Aussagen zu einem Modell der ‚Festung Europa‘ für eine exportorientierte Nation wie Österreich problematisch.“
Bereits vor der Wahl attestierten politische Beobachterinnen und Beobachter der FPÖ die Handschrift der IV im Wahlprogramm. Dass die Industriellenvereinigung wirklich mitgeschrieben habe, verneint man dort allerdings: „Nein, das stimmt nicht. Die Industriellenvereinigung ist unabhängig und stets dem Wirtschafts- und Industriestandort Österreich sowie den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet“, heißt es aus der Institution. Aber: „Natürlich ist es Parteien nicht vorbehalten, Vorschläge, die seitens der Industriellenvereinigung erarbeitet und kommuniziert wurden, aufzugreifen.“